24. November 2004
Tibet Information Network
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Die Nonnen von Drapchi - Neuer Augenzeugenbericht

TIN Augenzeugenberichte, gestartet am 23.11.2003, liefern Erkenntnisse aus erster Hand, die unsere Berichte ergänzen und die Auswirkungen von Politik und sozialen Veränderungen in Tibet auf den Einzelnen deutlicher werden lassen. Sie sind das Ergebnis von redaktionell bearbeiteten Interviews, die uns unser überseeisches Forschungsteam übermittelt.

Als Teil seiner Reihe "Zeugnisse" veröffentlicht TIN einen neuen und ergreifenden Augenzeugenbericht über die Proteste vom Mai 1998 und die darauf folgenden Strafen, sowie die Mißhandlungen, denen die Häftlinge im Drapchi-Gefängnis ausgesetzt waren. Der Bericht stammt von Nyidrol, auch Lobsang Lhamo genannt, einer Nonne aus dem Kloster Phodo, Lhundrup Dzong, Bezirk Lhasa. Einzelheiten zum Ablauf des Protests der politischen Gefangenen im Drapchi Gefängnis können in der Broschüre "Rukhag 3: The nuns of Drapchi prison" nachgelesen werden.

Wie es zu den Protesten vom 1. Mai 1998 im Drapchi-Gefängnis kam, über ihren Verlauf und die sich anschließenden Mißhandlungen der Häftlinge

"Eine Woche vorher [...] wurde uns gesagt, daß die chinesische Flagge gehißt würde und es aus diesem Grund eine Zeremonie gebe, an der wir teilnehmen müßten [...] Bis zum Mai 1998 gab es nämlich keine chinesische Flagge im Gefängnis. Dies sollte also ein ganz besonderer Tag für sie sein... Deshalb kamen wir zu der Überzeugung, daß wir etwas unternehmen müßten [...] Wir beschlossen also, am 1. Mai laut Parolen zu rufen, wenn die Fahne gehißt würde, weil dann alle Häftlinge, die Strafgefangenen wie auch die politischen, anwesend sein würden... Wir bereiteten wir uns alle darauf vor. Uns wurde befohlen, die Haare zu waschen und uns ordentlich anzuziehen. Wir mußten die Gefängnisuniform tragen, welche sehr sauber zu sein hatte. Dann gaben sie uns rote Fahnen [...]"

"[An jenem Tag] trugen wir alle einige Pullis und mehrere Socken übereinander, weil wir wußten, daß wir heftig geschlagen werden würden. Als wir stramm in der Reihe standen, begannen sie, die chinesische Nationalhymne zu spielen. Es waren keine ausländischen Journalisten anwesend, aber reichlich chinesische, darunter auch Fernsehreporter.

Bei den neben uns aufgereihten [Gefangenen der] Abteilung 4 handelte es sich um Strafgefangene. Einer von ihnen war ein Khampa [ein Tibeter aus Osttibet]... Wir hatten vor, unsere Sprechchöre zu rufen, während die Flagge gehißt und die Nationalhymne gespielt würde, aber dann begann er [der Khampa] zu schreien und rannte nach vorn. Er lief zur Flagge und wollte nach ihr greifen, aber das gelang ihm nicht. Er wurde gepackt und weggeschleppt, seine Stirn schleifte dabei über den Boden. Wir folgten ihm und schrien dabei immer noch. Wir politischen Gefangenen waren ungefähr 60 an der Zahl, außerdem gab es noch viele gewöhnliche Häftlinge. Viele Menschen rannten umher und schrien, und die Mönche von der Rukhag 5 [Gefängniseinheit] riefen auch Parolen. Auch viele der Strafgefangenen brüllten mit, aber die Aufseher merkten es nicht sogleich, weil sich so viele an den Sprechchören beteiligten. Dann wurden die Strafgefangenen in ihre Zellen abgeführt. Anschließend versuchten sie, uns in die Zellen zu bringen, aber niemand von uns ging. Statt dessen riefen wir weiterhin unsere Parolen. Schließlich traf die bewaffnete Volkspolizei ein und versuchte uns unter Kotrolle zu bringen, aber sie schafften es auch nicht sofort. Deshalb riefen sie Soldaten aus einem nahegelegenen Stützpunkt zu Hilfe. Es waren so viele Soldaten. Sechs von ihnen stürzten sich auf je eine von uns. Sie schlugen heftig auf uns ein, pferchten uns in die umzäunten Blumenrabatten und stießen uns dann in die erhöhten Blumenbeete. Mit ihren Gewehren droschen sie auf unsere Köpfe und Körper ein. Als wir immer noch nicht in die Zellen zurückkehrten und weiter unsere Parolen riefen, schleiften sie uns bis vor unseren Gefängnistrakt. Auf einmal waren da ganz viele Soldaten mit Gewehren und Schildern und umstellten uns. Dann zogen sie eine um die andere von uns heraus und prügelten auf uns ein. Anschließend wurden wir in den Hof [unserer Einheit] getrieben und dazu gezwungen, mit den Händen auf dem Boden niederzuknien. [Sechs Gefangene, die nicht bei der Zeremonie dabei gewesen waren], wurden ebenfalls übel geschlagen.

Sie hatten gehört, wie wir im Hof Parolen riefen und so fingen sie auch zu rufen an. Dann brachen sie die Tür auf und rannten in den Hof. Sie hatten schwer zu leiden und wurden entsetzlich zugerichtet. Sie wurden wie Tote liegengelassen. Auch uns ließen sie bis zum späten Abend im Hof. In dieser Nacht wurden diejenigen, welche nicht in den Hof gebracht worden waren und noch einige aus unserer Gruppe [ungefähr 16 Leute insgesamt] in Einzelzellen verfrachtet."

Nyidrol und die anderen weiblichen Häftlinge aus ihrer rukhag, welche nicht in Einzelzellen untergebracht waren, verweigerten die Nahrung, weil ihre in Einzelhaft befindlichen Mitgefangenen nichts zu essen bekamen. Einige Tage, nachdem sie wieder angefangen hatten zu essen, verlangten ein paar chinesische Aufseher von ihnen, die chinesische Nationalhymne zu singen; weil sie sich weigerten, wurde ihnen befohlen, stramm zu stehen.

"Wir waren alle noch sehr schwach, weil wir unter den Folgen der Schläge litten und wir nichts gegessen hatten. [Eine der Nonnen, Khedron Yonten, die neben mir stand] war so schwach, daß sie auf dem Hof zusammenbrach. Als die Aufseher es sahen, behaupteten sie, sie würde beten und sich niederwerfen, um Seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama, ihre Ehrerbietung zu erweisen. Tatsächlich tat sie nichts dergleichen - sie war einfach aus Schwäche zusammengebrochen. [Zwei Gefängnisbedienstete] rissen sie in die Höhe. Ich sagte ihnen, daß sie nicht gebetet oder Seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama ihren Respekt erwiesen habe. Sie fragten mich, woher ich das denn wissen wolle. Ich antwortete, sie sollten doch bitte vernünftig sein, sie habe sich nicht niedergeworden, sondern sei offensichtlich vor Schwäche umgefallen. Da traten sie nach mir und sagten, ich sollte mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern. Sie verlangten, daß Khedron Yonten 200 Prostrationen [Niederwerfungen] vor ihnen absolviere. Aufgrund ihres Zustands war sie jedoch nicht in der Lage dazu, so daß die Aufseher sie wieder heftig schlugen. Danach schleppten sie sie in ihr Büro und schlugen sie dort noch einmal schrecklich zusammen. Obwohl wir nicht beobachten konnten, wie auf sie eingeprügelt wurde, hörten wie doch alles von draußen. Danach mußte sie außerhalb des Büros einen Tag und eine Nacht lang mit einer Schüssel Wasser auf dem Kopf stehen bleiben... Als sie am folgenden Tag in die Zelle zurückkam, konnten wir sie kaum ansehen, denn sie hatten ihr Gesicht, ihren Mund und ihren ganzen Körper mit elektrischen Schlagstöcken mißhandelt und sie war schrecklich zugerichtet. Sie konnte nichts mehr sehen, weshalb sie auf dem Rückweg in die Zelle über Blumenbeete, Mülltonnen und Wasserhähne stolperte. Einige von uns gingen zu ihr und brachten sie herein. Wir legten sie aufs Bett. Sie konnte nicht sprechen. Wir versuchten ihr etwas Tee einzuflößen, aber sie konnte ihn nicht zu sich nehmen. Deshalb träufelten wir ihr etwas davon in den Mund."

"Am nächsten Tag konnte sie nicht aufstehen, und drei Tage danach wurden die fünf Nonnen, die später starben [darunter auch Khedron Yonten] und ich aus unseren Zellen geholt. Wir wurden auf den Hof gebracht, weil wir uns geweigert hatten, die Nationalhymne zu singen. Sie sagten, wir hätten auf die Fahne gespuckt und deshalb müßten wir jetzt vor ihr niederknien. Wir antworteten, daß wir das nicht tun würden. Dann holten sie zwei Leute, deren Hände auf dem Rücken gefesselt waren, aus ihrem Fahrzeug. Vermutlich handelte es sich um Strafgefangene. Es waren auch Soldaten da, und [die Beamten] sagten uns, die zwei würden zur Hinrichtung gebracht.

Dann erklärten sie uns, wir seien im Gefängnis immer so ungehorsam gewesen und würden deshalb auch exekutiert werden: "Wenn wir euch um die Ecke bringen und eure Leichen vergraben, wird niemand es erfahren und es wird auch keinen interessieren. Ihr seid der Unrat der Gesellschaft und vollkommen unnütz. Ihr seid überhaupt nichts wert". Dann sagten sie, wir würden jetzt in unsere Zellen zurückgebracht und sobald wir unsere Meinung geändert hätten und bereit seien, die Hymne zu singen, sollten wir dies aufschreiben. Sie gaben uns Papier, und darauf schrieben wir: "Wir sind unschuldig und haben kein Verbrechen begangen. Wir arbeiten sehr hart und leisten, was immer wir können. Da wir uns keines Verbrechens schuldig gemacht haben, gibt es nichts an unserer Einstellung, das wir ändern müßten". Infolge des Inhalts unserer Erklärung wurden wir am nächsten Morgen wieder gerufen und aufgefordert, die Hymne zu singen. Wir sangen aber nicht und standen einfach in dem Raum, wo wir singen sollten. Als sie kamen, um uns zuzuschauen, sangen wir nicht. Da schleiften sie uns an unseren Haaren nach draußen. Sie stießen Stöcke in unseren Mund, denn irgend etwas müßte wohl mit unsren Mündern nicht stimmen. Wir sagten ihnen, daß wir keineswegs versprochen hätten, die Hymne zu singen und es daher auch nicht tun würden. In jener Nacht wurden wir wieder entsetzlich verprügelt [...]."

"Am folgenden Tag mußten wir wieder antreten [...] Wir sollten endlich gestehen, was wir getan hätten, aber wieder weigerten wir uns mit der Begründung, daß wir kein Verbrechen begangen hätten und nichts an unserer Einstellung zu ändern brauchten. Darauf sagten sie, sie würden uns nur noch einmal fragen, ob wir die Nationalhymne singen oder nicht. Alle antworteten wir, daß wir sie nicht singen würden. Daraufhin sagten sie: "Egal, ob wir es mit euch im Guten oder Bösen versuchen, ihr ändert euch nie". Dann verließen sie den Raum und ungefähr sechs Soldaten kamen herein.

Kaum waren sie eingetreten, fragten sie uns, ob wir mit ihnen kämpfen wollten. Das konnten wir natürlich nicht, denn sie waren gut ausgebildet und alle waren Männer. Es waren chinesische Soldaten aus Drapchi [...] Es muß wohl zehn oder elf Tage [seit den Ereignissen vom 1. Mai] gewesen sein. Sie sagten, die kommunistische Partei würde uns ernähren. Wir antworteten ihnen, die Kommunisten würden uns nicht ernähren, statt dessen würde die kommunistische Regierung uns alle Dinge wegnehmen und uns hohe Steuern abverlangen. Sobald ich das gesagt hatte, schlugen sie mir mit einer Zange aus Metall auf den Mund - schaut her: meine Zähne sind abgebrochen. [Nyidrol zeigt ihre zerbrochenen Zähne]. Ich spuckte dem Soldaten das Blut aus meinem Mund ins Gesicht. Da wir alle nahe beieinander standen, prügelten sie wahllos und ganz schrecklich auf uns ein. Sie schmetterten unsere Köpfe gegen die Wand. Die Schläge mit diesen elektrischen Schlagstöcken waren schlimmer als alles andere. Wenn sie diese Dinger einsetzen, spürt man gar nichts mehr und ist nicht mehr in der Lage aufzustehen.

Weil wir alle mehrere Schichten Kleidung trugen, rissen sie sie uns herunter; sie zogen uns auch die Schuhe aus und mißhandelten unsere Füße mit den elektrischen Schlagstöcken. Ich wollte nicht schreien, während sie mich schlugen und mit dem Elektrostock folterten, aber ich konnte die Schmerzen nicht aushalten, und die anderen Gefangenen hörten unser Schreien. Das Blut von den abgebrochenen Zähnen war überall: in meinem Gesicht, an meinem Körper und auf dem Boden. Als sie den elektrischen Stock eingesetzt hatten und uns anschließend befahlen wieder aufzustehen, konnte ich mich kaum mehr auf den Beinen halten. Sie schlugen uns lange Zeit, und als ich wieder zu mir kam und aufstand, konnte ich die anderen gar nicht anschauen, weil sie auch so schlimm zusammengeschlagen worden waren. Sie schütteten Wasser auf uns und sagten, wir würden bloß so tun, als ob wir nicht aufstehen könnten. Sie packten meinen Kopf und stießen mich gegen die Wand. Wir dachten, daß wir nicht überleben würden, denn so übel hatten sie uns noch nie zusammengeschlagen. Dem Gefängnispersonal war es egal, und es war auch niemand von ihnen anwesend. Es waren ausschließlich Soldaten, die uns mißhandelten und diese waren auf Grund ihres Trainings sehr kräftig. Ich spuckte ihnen das Blut aus meinem Mund entgegen, deshalb packten sie mich und schlugen meinen Kopf gegen die Wand. Danach verlor ich das Bewußtsein. Ich weiß von gar nichts mehr und als ich [nach sieben Tagen] wieder zu mir kam, befand ich mich im Gefängnishospital. Ich hatte keine Ahnung, ob die anderen von dem Raum [in dem wir zusammengeschlagen worden waren] direkt ins Hospital gekommen waren oder ob man sie zuerst zurück in den Zellenblock geschafft hatte oder ob sie womöglich überhaupt nicht ins Krankenhaus gebracht worden waren."

Das Nachspiel

Nyidrol beschreibt nun, wie sie während ihres Aufenthalts im Gefängnishospital von ein paar Mitarbeitern einer Arbeitseinheit der Stadt Lhasa besucht wurde. Sie ist sich nicht ganz sicher, um was für eine Einheit es sich handelte; jedenfalls fragten deren Mitglieder, was sich zugetragen habe, und die Bedingungen in der Anstalt besserten sich in der Folge. Anscheinend handelte es sich um eine offizielle Nachforschung wegen der Proteste von 1998 und der darauffolgenden Berichte über Mißhandlungen.

"Sie fragten mich, zu welcher Einheit ich gehöre. Ich antwortete, ich wäre aus der Einheit Nr. 3. Sie wollten wissen, weshalb ich mich im Hospital befände und unter welcher Krankheit ich leide. Ich erwiderte, ich wäre zusammengeschlagen worden und läge deshalb im Krankenhaus. Als die Ärztin mich das sagen hörte, rollte sie mit den Augen, womit sie mir bedeuten wollte, daß ich etwas Falsches gesagt hatte, was ich nicht hätte erzählen sollen. Ich sprach trotzdem sehr deutlich, und sie fragten daraufhin, warum ich zusammengeschlagen worden wäre. Ich antwortete, ich wäre von Soldaten geprügelt worden. Sie wollten den Grund wissen, und ich erzählte ihnen, daß sie [die Gefängnisaufseher] die Soldaten geholt hätten, die mich geschlagen hatten. Sie sagten, ich dürfte über die Schläge nicht sprechen [...] Nach zwei Wochen Aufenthalt im Krankenhaus wurde ich dann für 11 Monate in eine Einzelzelle verlegt. Ich befand mich während meiner gesamten restlichen Haftzeit bis zum Tag meiner Entlassung in Einzelhaft [...] Sie machten eine Menge Fotos von mir, als ich entlassen wurde. Sie sagten, es sei mir verboten, über irgend etwas zu reden, und drohten mir, daß ich sofort wieder verhaftet würde, falls ich etwas über die Schläge verlauten ließe [...] Sie erklärten, sie würden meine Bilder überall hin schicken und sie wüßten immer, wo ich wäre und was ich täte. Auch wenn ich nun aus der Haft entlassen würde, wäre ich doch immer noch in ihren Händen und würde wieder in Haft genommen, sobald ich etwas sagen würde. Ich sollte nicht meinen, daß ich dann noch einmal freigelassen würde. Sie zwangen mich, eine Erklärung zu unterschreiben, daß ich über nichts sprechen würde."

ausführliche Berichte