20. Juni 2005
Tibet Information Network
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Augenzeugendberichte: Tibetische Tour-Guides ausserhalb der TAR

Über die schwierigen Bedingungen, unter denen tibetische Tour-Guides in der TAR arbeiten müssen, und insbesondere über die ständigen Versuche der chinesischen Behörden, sich mittels politisch motivierter Anweisungen in ihr Tun einzumischen, wurde schon vielfach berichtet. In den außerhalb der TAR gelegenen Gebieten, wo die Tourismusindustrie ebenfalls gewaltig wächst, verhält es sich nicht anders. Der harte Wettbewerb zwischen nichttibetischen und tibetischen Fremdenführern und die offiziellen Restriktionen haben zur Folge, daß die Tibeter in diesem boomenden Sektor zunehmend an den Rand gedrängt werden.

TIN legt hier Auszüge aus Interviews mit Guides vor, die in den tibetischen Gebieten außerhalb der TAR arbeiten. Die kulturellen und historischen Sehenswürdigkeiten, ebenso wie die natürliche Schönheit dieser Regionen ziehen jedes Jahr eine große Anzahl chinesischer Touristen an. Die Förderung des Tourismus – insbesondere des innerchinesischen – als einer Schlüsselindustrie in den tibetischen Gebieten, die heute zu Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan gehören, führte dazu, daß allerorten Touristendörfer, Picknickplätze usw. entstanden sind. Das berühmte Weltnaturerbe von Jiuzhaigou (tib. Zitsa Degu) in Sichuan wird alljährlich von fast ebenso vielen Touristen wie die gesamte TAR besucht. Stätten für die Himmelsbestattung sind, allen Protesten der Tibeter zum Trotz, weiterhin eine Touristenattraktion; zwar wurde deren Besichtigung in der TAR mittlerweile verboten – wenigstens auf dem Papier. Auch die Klöster verzeichnen riesige Besucherzahlen. Viele chinesische Besucher zeigen ernsthaftes Interesse am tibetischen Buddhismus, und immer mehr von ihnen werden Schüler tibetischer Lamas. Dadurch bilden sich enge Kontakte zwischen ihnen und den Buddhisten in China.

Wie berichtet, sind die meisten der an Orten wie Xining in Qinghai (die traditionelle tibetischen Region Amdo) tätigen Übersetzer und Guides Chinesen. Obwohl die meisten Touristen tibetische Guides bevorzugen, werden nur ganz wenige Tibeter eingestellt. Es heißt, viele chinesische Guides würden sogar tibetische Namen annehmen und sich als ethnische Tibeter ausgeben. Die Mehrzahl der aus den verschiedenen Gegenden der VR China kommenden Urlauber hat ihre Reise über Agenturen gebucht, die vorwiegend chinesische Fremdenführer beschäftigen.

Der folgende Text ist ein Auszug aus einem Interview, welches TIN mit einem Mönch aus dem Kloster Labrang in Gansu führte, der als Tour Guide arbeitete. Die Behörden versuchen die Klöster von der Anstellung eigener Guides abzuhalten.

"Seit dem Jahr 2000 arbeitete ich als Übersetzer [Tour Guide] für das Kloster Labrang. Zehn von uns Mönchen hatten eine Prüfung auf Chinesisch zur Geschichte unseres Klosters und des Buddhismus in Tibet erfolgreich abgelegt. Nach dem Examen, das von der Kulturabteilung des Klosters abgehalten wurde, nahm ich meine Arbeit als Fremdenführer auf. Wir veranstalten Führungen für die zahlreichen chinesischen Touristen, die unser Kloster besuchen, und dolmetschen für sie. Zwei Mönche arbeiten als englischsprachige Guides. Das Kloster bezahlte uns einen geringfügigen Lohn für unsere Arbeit – 150 Yuan (15 €) pro Monat. Im Sommer besuchen Hunderte von Touristen unser Kloster; die Einkünfte aus dem Verkauf der Eintrittskarten werden zur Renovierung des Klosters verwendet. Wer sich als praktizierender Buddhist ausweist, kann das Kloster kostenlos besichtigen. Die Mönche unter den chinesischen Touristen müssen also keine Eintrittskarten kaufen, aber manche von ihnen tun es trotzdem, weil sie sagen, das Geld käme dem Kloster zugute.

Fremdenführer sollten eigentlich ein Zertifikat als Tour Guide haben, aber wir hatten kein solches Papier, weshalb uns die "Shen-Verwaltung" [Distriktsverwaltung](shen/dzong, chin: xian = Distrikt) und das "Shen-Tourismusbüro" [Tourismusbüro des Distriktes] immer wieder erklärten, daß wir keine Touristen führen dürften. Dies hielt uns jedoch nicht davon ab, sie durch das Kloster zu begleiten, wobei wir ihnen eingehend seine Geschichte und die tibetische Kultur erläuterten. Chinesische Fremdenführer wissen darüber nicht viel und sie können die Dinge auch nicht ordentlich erklären. Die chinesischen Guides, die die von den Reisebüros zusammengestellten Gruppen begleiten, erzählen ihren Schützlingen beispielsweise, der tibetische Buddhismus sei von China nach Tibet gekommen, und alle tibetischen Mönche würden von ihren Eltern im Kindesalter gezwungen ins Kloster zu gehen, oder auch, daß jemand, der Tibeter ist, unausweichlich Mönch werden müsse usw. Manche der ausländischen Besucher stellen Fragen zur Geschichte des Klosters und klagen, die chinesischen Tour-Guides hätten es ihnen nicht richtig erklärt.

Einige unter den chinesischen Touristen wissen ein wenig über den Buddhismus Bescheid. Bei etlichen chinesischen Touristen stehen die tibetischen Mönche in hohem Ansehen, besonders bei denjenigen, die nicht vom chinesischen Kernland, sondern aus Hongkong oder Taiwan kommen. Aber auch einige Leute aus China selbst, vorwiegend aus Peking oder von der Ostküste, schätzen die tibetischen Mönche sehr. Die Haltung von Chinesen aus den Orten, die näher zu Labrang liegen, wie Lanzhou (Hauptstadt der Provinz Gansu), ist dagegen eher negativ, und viele von ihnen zeigen wenig Respekt für das Mönchsleben. Was Seine Heiligkeit den Dalai Lama betrifft, so bezeichnen ihn einige chinesische Touristen als einen Separatisten. Andere wiederum sagen, er sei ein guter und begabter Mensch und außerdem Träger des Friedensnobelpreises."

Der 22 Jahre alte Pema T. aus Labrang (chin. Xiahe) hat in einem der ungefähr zwölf Touristendörfer gearbeitet, die in der Grassteppe um die Gemeinde Sakhong in Labrang herum errichtet wurden. In einigen von diesen Anlagen beschränken sich die Arbeitsmöglichkeiten für Tibeter häufig auf das Vorführen von Volkstänzen. Pema beschreibt, wie Tibeter sich in einer Situation wiederfinden, in der sie dem exotisch-erotischen Image, das bis zu einem gewissen Grad in den offiziellen Darstellungen von nicht han-chinesischen Minderheiten vorherrscht, entsprechen müssen.

"In Labrang-dzong Sakhog-shang [Distrikt Labrang, Gemeinde Sakhog] gibt es einen Touristenpark, der vom Distriktsbüro für militärische Angelegenheiten angelegt wurde. Nach Fertigstellung des Parks engagierte man ein paar tibetische Tänzer zur Unterhaltung der Besucher.

Ein Armeeoffizier, den ich kenne, verschaffte mir 2002 dort einen Job, obwohl ich nicht den Anforderungen entsprach, denn ich kann nicht genügend Chinesisch sprechen und schreiben. Insgesamt hat dieses Touristendorf zwischen 40 und 50 Angestellte, wozu noch wir 20 Tänzer kommen. Von einem tibetischen Koch abgesehen kommen alle anderen Angestellten aus Chengdu, es gibt überhaupt keine hiesigen Chinesen.

Die meisten Urlauber in unserem Park sind Armeeangehörige oder hochrangige Offiziere und Generäle aus Peking oder Lanzhou. Wenn so hochgestellte Gäste kommen, wird Armeepersonal vom dem Distrikt-Militärbüro Labrang abgestellt, um uns bei den Vorbereitungen zu helfen. Abends müssen wir ein Feuer entzünden, für sie tanzen und ihnen Chang (tibetisches Gerstenbier) servieren. Dann pflegen sie mit uns zu tanzen. Die tibetischen Tänzerinnen müssen mit den hochrangigen Gästen Tänze im modernen Stil tanzen. Einige der Gäste zwingen die Tänzerinnen dazu, Alkohol zu trinken und versuchen sie zu küssen. Die meisten Mädchen in dem Park sind zwischen 16 und 17 Jahre alt. Unseren Arbeitgebern entgeht in der Regel nicht, wie diese hochgestellten Gäste den Mädchen Alkohol zu trinken geben und sie zu küssen versuchen, aber sie reden ihnen dabei eher noch zu, als daß sie sie davon abhalten würden. Die Tänzerinnen bekommen extra Geld, wenn sie mit den hohen Offizieren tanzen. Diese legen es auch darauf an, mit den tibetischen Tänzerinnen zu schlafen. Nachdem wir für die Gäste getanzt haben, müssen wir ihnen Alkohol ausschenken. Wenn einige der Chinesen dann etwas angetrunken sind, versuchen sie die tibetischen Mädchen nach draußen zu bugsieren und sagen, daß sie mit ihnen schlafen wollen. Manche gehen vermutlich auch mit ihnen ins Bett. Sowohl männliche als auch weibliche chinesische Kader kommen zu uns in den Park und veranstalten dort ihre Picknicks, aber die chinesischen Frauen tanzen nicht mit den tibetischen jungen Männern, sondern nur mit den Chinesen in ihrer Begleitung.

Früher gab es in Sakhog-shang keine Bordelle, aber heutzutage haben wir mehrere davon. Die chinesischen Urlauber haben viel Geld und geben es gern für sexuelle Vergnügungen aus. In Sakhog-shang gab es zuletzt vier oder fünf tibetische Bordelle und genauso viele chinesische, die allerdings geschlossen wurden, nachdem es Drohungen von Jugendlichen der örtlichen Nomadengemeinschaft gab.