10. November 2003
TIN News Update
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Tibeter in der Tourismus-Industrie der TAR werden immer schärfer kontrolliert

Seit Ende der 80er Jahre dringen immer häufiger Berichte über die Verdrängung von tibetischen Touristenführern (guides), besonders von solchen, die in den Schulen der Exilgemeinschaft in Indien ausgebildet wurden, nach draußen. Die Gründung der "Guide Company" (chin. Dao yu Gong ci) im Jahr 2000 war ein Riesenschritt in Richtung Kontrolle der Touristenführer. Eine Sektion dieser Berufsorganisation, die "Gao yuan san ke zhong xing" verbietet es Reisebüros, aus mit Einzelvisa eingereisten Ausländern Touristengruppen zu bilden. Ein weiterer Zweig der Guide Company ist die "Dao yu pei xun zhong xing". Diese Abteilung ist zuständig für die Ausstellung von befristeten Lizenzen für alle in Lhasa ohne angemessene berufliche Qualifikation tätigen tour guides. Um solch eine Lizenz zu bekommen, müssen sie einen im Winter unter Regierungsaufsicht stattfindenden Kurs mit einer Prüfung abschließen.

Bis vor kurzem nahm man es mit diesen Anordnungen nicht so genau, und es hatte den Anschein, daß viele junge Leute weiterhin in der Tourismusbranche in Lhasa arbeiten konnten. Berichten zufolge wurden jedoch im Jahr 2002 drei tour guides verhaftet und aus ihren Jobs gefeuert, weil die von ihnen verbreitete Version der tibetischen Geschichte nicht mit der Lesart der Regierung übereinstimmte. Im April 2003 wurde mindestens 100 tibetischen guides die Erneuerung ihrer befristeten Lizenzen verweigert. Diese Einschränkung bei der Beschäftigung von Tibetern erfolgte gleichzeitig mit einem neuen Zehn-Jahres-Programm zur Neueinstellung von 100 aus unterschiedlichen chinesischen Provinzen stammenden chinesischen tour guides. Diese Maßname könnten die Behörden leicht mit dem üblicherweise im Sommer auftretenden Mangel an Touristenführern rechtfertigen.

Die folgende Konversation ist einem Interview mit drei jungen tibetischen Männern und Frauen entnommen, die in Indien ausgebildet wurden und die in der Tourismusbranche der TAR tätig waren. TIN nahm das Gespräch im Sommer 2003 auf. Diese Auszüge beschreiben die Auswirkungen der Restriktionen und gewähren einen Einblick in die tägliche Realität, der sich tour guides in der TAR bei ihrer Arbeit gegenübersehen. Bei ihrer Tätigkeit müssen sie ihren Enthusiasmus für ihren Beruf und die Anforderungen der Touristen mit den ständigen Frustrationen in Einklang bringen, für die zahllose praktische Widrigkeiten und die Regierung mit ihrer ermüdenden Bürokratie sorgen.

Erstes Interview

Erstes Interview

F: Wie war die Lage, als du noch als Touristenführer tätig warst (bis 2002)?

A: Das größte Problem ist im allgemeinen, daß die aus Indien kommenden tour guides keine permanente Arbeitserlaubnis bekommen. Abgesehen davon, daß sie für die befristete Lizenz zwischen 800 und 1000 Yuan (96 - 120 US$) verlangten, begannen die Behörden im Winter 1997 mit der Organisation von Winterseminaren und Prüfungen für diejenigen tibetischen tour guides, die nicht auf der schwarzen Liste standen. Ab 1999 wurden zusätzliche Anforderungen an sie gestellt, z.B. mußten sie im Besitz von Rationskarten und einem mittleren chinesischen Schulabschluß sein.

F: Was bedeutet es für einen tour guide, wenn er auf der schwarzen Liste steht?

A: Auf die schwarze Liste kommen diejenigen Tibeter, denen die Regierung die weitere Betätigung als Touristenführer untersagt. Die erste schwarze Liste von 1997 enthielt die Namen von 70 in Indien ausgebildeten tour guides, sie waren alle mindestens ein Jahr lang arbeitslos. Mit der Zeit gelang es den meisten von ihnen jedoch, eine andere Arbeit zu finden, z.B. in Hotels oder Restaurants oder auch wieder als guide, allerdings nur durch die Hintertür, also durch Beziehungen oder nachdem sie ihre Namen geändert hatten, um eine neue Lizenze zu bekommen.

F: Wie sehen die konkreten Auswirkungen dieser Maßnahmen aus?

A: Das größte Problem für die tour guides ist die Unsicherheit; die Richtlinien ändern sich laufend und man weiß nie, was morgen kommt. Eine Zeitlang läuft alles ganz gut, aber darauf folgt regelmäßig eine Periode, in der die Verordnungen sehr streng angewendet werden. Wir befinden uns ständig in einem Zustand der Unsicherheit und Angst, denn wir haben keine Chance auf einen stabilen, festen Arbeitsplatz und wir wissen genau, daß das PSB uns überwacht, weil wir aus Indien gekommen sind.

Im Jahr 2002 wurde ein neues Regierungsgremium mit der Bezeichnung "Guide Company" eingerichtet. Früher war es den Reisebüros gestattet, aus Reisenden mit Einzelvisa selbständig Gruppen zusammenzustellen. Heutzutage dürfen sie das jedoch nicht mehr tun. Die Guide Company vergibt auch Lizenzen an Touristenführer und kümmert sich um ihre Bezahlung. Früher waren diese Lizenzen nicht notwendig; wir konnten uns selbst mit den Reisebüros in Verbindung setzen, wir arbeiteten direkt für sie und wurden von ihnen bezahlt. Jetzt müssen die tour guides sich mit der Guide Company auseinandersetzen, deren Arbeit wiederum vom PSB und dem Büro für Tourismus kontrolliert wird. Falls wir ohne ausreichende Dokumente arbeiten, werden wir mit Geldstrafen bis zu 3.000 Yuan (362 US$) belegt. Außerdem haben sie die tour guides in drei Kategorien - A, B und C - eingeteilt. Die meisten Angehörigen der Kategorie A wurden in China ausgebildet. Das monatliche Gehalt der guides in Kategorie A beträgt 600 Yuan (72 US$). Das ist das Grundgehalt, eine Art garantierter Mindestlohn. Die Kategorien B uns C erhalten einen Mindestlohn von 300 Yuan im Monat (36 US$). Zusätzlich erhält man eine Tagesvergütung, die von den geleisteten Arbeitstagen abhängig ist. Touren von einem ganzen Monat bekommt man überhaupt nicht, die längste Tour, die man kriegen kann, ist 15 Tage.

Zweites Interview

Zweites Interview

F: Wodurch unterscheidet sich der Entzug der befristeten Lizenzen im Jahr 2003 von der früheren schwarzen Liste für in Indien ausgebildete Touristenführer?

A: Der Unterschied liegt in der Einrichtung der Guide Company, sie ermöglicht eine effektivere Kontrolle. Früher wurden häufig auch guides ohne Lizenz geholt, wenn in den Sommermonaten auf Grund der hohen Touristenzahlen zu wenig lizenzierte verfügbar waren. In dieser Situation griffen die Reisebüros auf arbeitslose guides zurück und stellten einfach eine Bescheinigung aus, er oder sie hätten die Lizenz verloren; so konnten die guides wieder arbeiten. Heutzutage ist für derartige Manöver kein Spielraum mehr vorhanden, denn die Guide Company bewahrt die Lizenz auf, bis sie einen nach Abschluß der Tour bezahlt.

F: Wie viele guides ohne eigentliche Lizenz pflegten früher während der Touristenhochsaison zu arbeiten?

A: Ich glaube, es waren ziemlich viele. Ich traf oft guides, die keine Lizenz hatten, und viele davon waren ehemalige Klassenkameraden von mir in Indien. Bis jetzt konnten sie ihre Tätigkeit fortsetzen, weil es in gewissen Büros Leute gab, die ihnen freundlich gesonnen waren und ihnen halfen.

F: Welche weiteren Faktoren verschlimmern die gegenwärtige Lage gegenüber dem früheren System?

A: Im Sommer 2003 fielen mir Vorbereitungen für weitere Restriktionen auf, z.B. die Errichtung eines gesonderten Checkpoints in der Nähe der Zollstelle von Dram und eines anderen gleich außerhalb der Ortschaft (an der nepalesischen Grenze gelegener Transitpunkt für ausländische Touristen in die TAR). Außerdem wurde in Dram noch ein Außenposten der Guide Company mit Namen "Gao yuan san ke zhong xing" errichtet, der unter dem Shigatse Tourism Bureau arbeitet. Bis zum letzten Jahr konnten viele tibetische guides, die ohne Lizenz waren, ihre Gruppen bis kurz vor die Grenze führen und sie dort rechtzeitig verlassen, um nicht entdeckt zu werden. Heute werden sie jedoch noch vor Dram (der Grenze) von PSB-Beamten, die mit der Guide Company zusammenarbeiten, aufgehalten und auf ihre Lizenz hin kontrolliert.

F: Wie viele tour guides gibt es überhaupt in der TAR?

A: In einer nichtöffentlichen Liste vom letzten Jahr führt das Tourism Bureau 1.900 guides auf. 500 bis 700 davon wurden in Indien ausgebildet und hatten keine Lizenzen, wurden aber trotzdem noch in der Liste geführt. Es gab auch viele guides, die in Lhasa Englisch gelernt haben. Viele der guides ohne Lizenzen hatten früher welche, die aber inzwischen abgelaufen sind. Einige änderten einfach die Jahreszahl auf ihrer Lizenz und ersetzten 2001 durch 2002.

Drittes Interview

Drittes Interview

F: Stellt die Regierung Verhaltensregeln auf, an die ihr euch halten müßt?

A: Die wichtigsten Pflichten für guides sind Pünktlichkeit und die genaue Unterweisung der Touristen, welche Orte sie nicht besuchen dürfen und was ihnen sonst noch untersagt ist. Bei der einmonatigen Schulung der Guide Company wurden wir in diesen Dingen sowie in Politik, Geschichte und Geographie unterrichtet. Wir wurden ausdrücklich gewarnt, über verbotene Themen zu sprechen. Wenn wir den Touristen etwas erklären, gibt es immer Dinge, die wir sagen und solche, über die wir nicht reden dürfen.

F: Woher weißt du, was du sagen darfst und was nicht?

A: Die Regierung erklärt uns bloß, daß wir Schwierigkeiten kriegen, wenn wir über verbotene Themen sprechen und wir müssen dann selbst wissen, welche diese sind. Zum Beispiel wird während der Winterschulung die chinesische Version von Geschichte gelehrt; also kann man dem entnehmen, was man den Touristen erzählen soll.

F: Wie wendet ihr das im Alltag an?

A: Wir sagen oft nicht viel, während wir die Klöster besuchen; wir reden eher, wenn wir unterwegs sind. Vor Betreten eines Klosters bitten wir die Touristen, dort keine politischen Fragen zu stellen. Wenn sie etwas wissen wollen, sollen sie später im Auto fragen. Ich kann mich an einige sehr heikle Situationen erinnern, als Touristen z.B. mitten im Kloster von Tashilhunpo peinliche Fragen über die vom Dalai Lama anerkannte Inkarnation des Panchen Lama stellten. Tashilhunpo ist der Sitz der früheren Panchen Lamas. Ausländer bringen uns nicht nur mit Gesprächen über Politik in Verlegenheit; es gibt offenbar auch Leute, die auf Sex fixiert sind und alle möglichen Fragen über hypothetische Situationen stellen, in denen Mönche zum Bruch ihres Keuschheitsgelübdes verführt werden könnten, oder sie meinen, daß es für uns normal sei, über Themen wie Homosexualität im Kloster zu sprechen. Über derartige Dinge reden wir einfach nicht. Es ist auch sehr schwer, Verständnis für praktische Probleme wie Straßensperren und ähnliche Unannehmlichkeiten sowie für sinnlose Regierungsvorschriften, die alle Beteiligten betreffen, zu finden. In gewisser Weise sitzen wir zwischen allen Stühlen, auf der einen Seite sind wir Opfer des Systems und auf der anderen Opfer der unerfüllbaren an uns gestellten Anforderungen.