30. September 2004
Tibet Information Network
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Nepalesische Maoisten nun auch in Tibet

Die über zwei nepalesische Staatsbürger in der TAR (Autonome Region Tibet) verhängten Todesurteile und neue Maßnahmen der nepalesischen Regierung zur Unterbindung des Schmuggels mit Arzneimittelbestandteilen in die TAR zeigen, wie beunruhigt sowohl die chinesischen als auch die nepalesischen Behörden darüber sind, daß die maoistischen Guerillas ihre Aktivitäten nun auch über die Grenze hinweg ausweiten.

Die Kommunistische Partei Nepals (Maoisten) führt seit Februar 1996 einen blutigen Guerilla-Krieg gegen das herrschende Regime. Schätzungen zufolge kamen im Verlauf der militärischen Zusammenstöße und der Strafexpeditionen um die 10.000 Menschen ums Leben - viele davon Zivilbürger, die entweder ins Kreuzfeuer zwischen den feindlichen Parteien gerieten oder Opfer von Vergeltungsmaßnahmen wurden. Sowohl die Aufständischen als auch die nepalesischen Behörden werden von einschlägigen Organisationen ernster Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Hinrichtungen ohne ordentliche Gerichtsverfahren beschuldigt.

Obwohl sich die Rebellen, welche ihre Ideologie aus Mao Zedongs Interpretation des Marxismus herleiten und die von dem großen Vorsitzenden empfohlenen Militärstrategien einsetzen, selbst als "Maoisten" bezeichnen, sieht die VR China (PRC), die sich seit Jahrzehnten um den Ausbau der guten Beziehungen zu der politischen Führungsschicht in Nepal bemüht, einen peinlichen Störfaktor in ihnen. Beide Regierungen scheinen bestrebt zu sein, das jetzige von politischer Symbiose gekennzeichnete Verhältnis der beiden Staaten beibehalten zu wollen.

Während Nepal hofft, sich einen Gegenpol zu dem von ihm so wahrgenommenen indischen Übergewicht zu schaffen, finanziert die VR China mit ziemlicher Regelmäßigkeit hauptsächlich prestigeträchtige infrastrukturelle Projekte in Nepal, um ihrerseits - teilweise mit Erfolg - Druck auf Nepal ausüben und auf eine strengere Kontrolle der politischen Aktivitäten der tibetischen Flüchtlingsgemeinde in Nepal dringen zu können. Die PRC hat die "Maoisten" wiederholt verurteilt und die nepalesische Regierung bei der Bekämpfung des Aufstandes ihrer Unterstützung versichert. 2002 erklärte der chinesische Botschafter in Nepal, Wu Congyong: "China hat diese Aufständischen als regierungsfeindliche Rotte abgestempelt; wir würden sie niemals als [sic] Maoisten bezeichnen. Sie mißbrauchen den Namen des Vorsitzenden Mao, was dem Image unseres großen Steuermanns abträglich ist und gleichzeitig den internationalen gegen China gerichteten Kräften als Vorwand dienen könnte, um Verwirrung zu stiften".

Soweit bekannt, gibt es keine Regierung, welche die Rebellen direkt oder indirekt unterstützt, und von den USA wurden sie als "terroristische Organisation" gebrandmarkt. Um ihre militärischen Aktionen zu finanzieren, erheben sie daher in den Gebieten, die sie unter ihre Kontrolle gebracht haben, "Steuern" von der Zivilbevölkerung, sowie von Geschäftsleuten oder von durchziehenden Händlern und sogar von Touristen.

Nachdem die Maoisten ihre Militäraktionen nach den gescheiterten Friedensgesprächen mit der nepalesischen Regierung im August 2004 wieder aufgenommen haben, sahen sie sich gezwungen, nach neuen Einkommensquellen zu suchen. Paradoxerweise haben die Bemühungen der chinesischen Regierung, die traditionelle tibetische Medizin zu einem wichtigen Erwerbszweig in der TAR zu machen, den nepalesischen Rebellen eine potentiell lukrative Quelle erschlossen. Die steigende Nachfrage nach Pflanzen und anderen Bestandteilen zur Herstellung traditioneller tibetischer Heilmittel, von denen einige selten sind oder sogar von internationalen Artenschutz-Konventionen unter Schutz gestellt wurden, hat dem Schmuggel aus den Bergregionen Nepals Auftrieb gegeben, denn dort wird die traditionelle tibetische Medizin vielerorts ausgeübt und die Grundstoffe für die Herstellung ihrer Heilmittel sind reichlich vorhanden. Eine besonders hohe Nachfrage herrscht nach dem Raupenkeulenpilz mit dem wissenschaftlichen Namen cordyceps sinensis oder dem tibetischem yartsa gumbu. Aus yartsa gumbu wird ein wirksames Tonikum hergestellt, das Lebenskraft, Ausdauer und Libido steigern soll. Das Sammeln von cordyceps wird von den Tibetern auf dem Lande, besonders in Osttibet, als eine gute Quelle für einen Nebenverdienst gesehen. Aber trotz der intensiven Sammeltätigkeit scheint die Marktnachfrage nach cordyceps/yartsa gumbu weit größer als das Angebot innerhalb der PRC zu sein. In Lhasa variiert der Preis für 1 kg cordyceps zwischen 10.000 und 30.000 Yuan (1.207-3.522 US$, 970 - 2.915 Euro). Dadurch fühlte sich nun die Bevölkerung in Westnepal animiert, cordyceps und andere Arzneimittel-Grundstoffe zu sammeln und sie über die Grenze hinweg in die TAR zu verkaufen.

Statt den Cordyceps selbst zu sammeln, teilen die nepalesischen Rebellen gewisse Landstriche, die unter ihrer Kontrolle stehen, gegen Bezahlung einer Gruppe von Leuten zu. Sie erheben zudem Gebühren auf die gesammelten Pilze, die dann heimlich nach Tibet geschafft werden, oder sie organisieren selbst den Schmuggel und Handel mit den Pilzen. Mit dem eingenommenen Geld kaufen die Rebellen auf der tibetischen Seite der Grenze Waffen oder andere Ausrüstungsgegenstände auf dem chinesischen Schwarzmarkt und bringen sie nach Nepal, wo sie ihnen zur Fortführung ihres Aufstandes dienen. Die nepalesische Zeitung "Kantipur Post" vom 22. September 2004 schätzt, daß die Maoisten mit dem Handel von Cordyceps und anderen Arzneikräutern in Tibet bereits "Millionen von Rupien" gemacht haben. Worauf sich die Schätzungen beziehen, ist nicht bekannt.

Mit dem Ziel, die Aktivitäten der Maoisten über die Grenze hinweg lahmzulegen, soll das nepalesische Verteidigungsministerium das Ministerium für Forstwesen und Bodenerhaltung ersucht haben, das "Sammeln, die Verwendung und den Handel mit Cordyceps zu gesetzlich zu regeln". Das Resultat dieser Maßnahme scheint jedoch fragwürdig zu sein, da die nepalesische Regierung und ihre Vertreter schon seit langem über ganze Regionen in Westnepal die de facto Kontrolle verloren haben, und die Rebellen dort ihre eigenen Verwaltungsstrukturen aufgebaut haben.

Unterdessen haben die chinesischen Behörden, die ihrerseits ebenso bestrebt sind, dem Tun und Treiben der nepalesischen Rebellen einen Riegel vorzuschieben, begonnen, gegen den Schmuggel von Waffen nach Nepal vorzugehen. Unlängst, im Juni 2004, versprach die PRC nach einem Treffen des Generalstabschefs der nepalesischen Armee, General Pyar Jung Thapa, mit dem chinesischen General Cao Gangchuan, eine (noch nicht näher definierte) militärische Hilfe gegen die Aufständischen zu leisten. Auch das nepalesische Außenministerium gab am 17. September 2004 bekannt, daß der Mittlere Volksgerichtshof von Xigatse (tib. Shigatse) vier Nepalesen des Schmuggels von Waffen und Munition überführt habe. Der Erklärung zufolge verurteilte das Gericht zwei der Männer zum Tode und die anderen beiden zu jeweils vier und sieben Jahren Gefängnis. Die vier wurden im Oktober 2003 festgenommen, nachdem eine größere Menge an Waffen und Munition bei ihnen sichergestellt wurde. Es war das erste Mal, daß es zu solch einer Konfiszierung an der Grenze von Nepal zu Tibet gekommen war. Die nepalesische Regierung ersuchte das Gericht, die Todesurteile zu überprüfen, da es in Nepal keine Todesstrafe gibt. Die Maoisten verurteilten ebenfalls das Urteil, denn "die Todesstrafe des 16. Jahrhunderts sei im 21. nicht mehr zeitgemäß".

Die chinesischen Behörden haben diese Urteile bisher weder bestätigt noch dementiert. Der Sprecher des Außenministeriums, Kong Quan, der bei einer Pressekonferenz am 28. September 2004 in Peking nach dem Fall gefragt wurde, erklärte: "Die Sache durchläuft den offiziellen Instanzenweg, und der chinesische Gerichtshof wird eine Entscheidung gemäß dem Gesetz treffen". Dies könnte darauf hinweisen, daß es noch keine endgültige Entscheidung bezüglich der Urteile oder möglicher Berufungsverfahren gibt.

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