28. November 2003
TIN News Update
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Ungereimtheiten an der nepalesischen Grenze

Nepal und die VR China bezeichnen ihre Beziehungen als "freundschaftlich": Angeblich basieren sie auf Kooperation und gegenseitigem Respekt, die Praxis an der tibetisch-nepalesischen Grenze offenbart jedoch, wie ungleich - zu Lasten der Nepalesen - diese Partnerschaft tatsächlich ist.

Trotz der liberalen Regelungen im chinesisch-nepalesischen Grenzvertrag ist die gegenwärtige chinesische Einreisepolitik sichtlich selektiv. Nepalesische Experten, die in der TAR tibetische Tourismus-Kader schulen, werden herzlich empfangen und nepalesische Prostituierte findet man sogar noch in Shigatse, aber vielen gewöhnlichen nepalesischen Bürgern wurde wiederholt die Einreise nach China verweigert. Der vielgepriesene Grenzhandel gereicht bisher nur zum einseitigen Nutzen der VR China, während Nepal ein immenses Handelsdefizit zu verzeichnen hat. Die Situation wird durch unfaire Geschäftsmethoden und Verwaltungsprozeduren weiter verschärft, weshalb viele nepalesische Geschäftsleute dieses Handelsgebaren als unfair empfinden und ablehnen. Anläßlich des siebten Treffens des regierungs-unabhängigen Nepal-China-Forums, das am 24. November in Kathmandu stattfand, resümierten führende nepalesische Geschäftsleute die Situation wie folgt: "Unsere beiden Länder stehen in enger Verbindung. Trotzdem müssen wir daran arbeiten, diese Verbindung produktiver und nutzbringender zu gestalten".

Das chinesisch-nepalesische Grenzabkommen ermöglicht Bürgern beider Staaten ungehinderte Grenzüberschreitung für einen Tag und Bewegungs- sowie Handelsfreiheit innerhalb einer Reichweite von 30 km beiderseits der Grenze. Ein Visum ist nicht erforderlich, die Zollbehörde des jeweiligen Herkunftslandes muß lediglich einen Einreise-Ausweis ausstellen. Nepalesische Bürger, die auf diese Weise in die TAR einreisen wollen, werden jedoch häufig von tibetischen Beamten und Grenzwachen schikaniert. Besonders oft kam dies an der Grenzstation Liping vor, die sich nahe der nepalesischen Ortschaft Tatopani an der Straße von Kathmandu nach Lhasa befindet und der wichtigste der acht Transitpunkte entlang der Grenze ist. In zahlreichen Fällen wurde Nepalesen mit gültigen Papieren - oft nachdem man sie erst stundenlang warten ließ - ohne Begründung die Einreise verweigert. In einigen Fällen wurden die von den Nepalesen vorgelegten Papiere einfach weggeworfen, zerrissen oder auf andere Weise unbrauchbar gemacht. Sogar von grober Mißhandlung nepalesischer Staatsangehöriger, die gegenüber chinesischen Grenzpolizisten auf ihrem Recht zur Grenzüberquerung bestanden hatten, wird berichtet. Gelegentlich wurde selbst nepalesischen Zoll- und Immigrationsbeamten der Grenzübertritt nach Tibet verweigert.

Die nepalesischen Zeitungen "Kathmandu Post" (4. November) und Samacharpatra (10. November) berufen sich in ihren Meldungen auf den Chef der nepalesischen Zollbehörde, Shiva Kumar Katuwal, und den obersten Einwanderungsbeamten in Tatopani, Shiva Ram Gelal, und schreiben, diese hätten bei ihren chinesischen Kollegen Nachforschungen bezüglich der Gründe für das Verhalten angestellt, man habe aber keine greifbaren Resultate erzielt und werde durch die Sprachbarriere behindert. Die Entscheidung, welchen nepalesischen Bürgern wann und wo der Grenzübertritt gestattet würde, "hinge allein von der Laune der chinesischen Beamten ab", außerdem benähmen sich diese Beamten, als ob sie noch nie etwas von dem Vertrag gehört hätten. Das soll schon "seit Jahren" so gehen.

Nepals Rolle als eher untergeordneter, denn als gleichgestellter Partner wird auch in dem seit den achtziger Jahren boomenden Bereich des Grenzhandels deutlich. Abgesehen von Kunsthandwerk und Räucherstäbchen exportiert Nepal vor allem Lebensmittel wie Reis, Gemüse, Obst und Molkereiprodukte zu Billigpreisen in die TAR. Ein Hauptexportartikel ist vegetarisches Ghee, eine fettige, butterähnliche Masse, die heutzutage häufig statt der traditionellen Yak-Butter für die unzähligen Butterlampen in den tibetischen Klöstern verwendet wird. Im Austausch dafür exportieren die Chinesen hauptsächlich einfache Handelsgüter wie Plastikartikel und Textilwaren nach Nepal. Beide Länder erwarten von der Fertigstellung der Qinghai-Tibet Eisenbahnlinie, die ab 2007 Peking mit Lhasa verbinden soll, eine weitere Steigerung ihres Handelsvolumens. Der Ausbau der Linie zur nepalesischen Grenze ist ab 2007 geplant. Einem Bericht der "Kathmandu Post" vom 24. November zufolge geht lediglich 1% aller nepalesischen Exporte nach China, während 12% aller Importe von dorther kommen, der größte Teil davon über die nepalesisch-chinesische Grenze (obwohl diese Schätzung anscheinend auch Nepals Handel mit Hongkong einschließt). Die Importe Nepals aus der TAR belaufen sich auf ein Viertel aller Importe aus der VR China. Es gibt keine Zahlen über Importe aus anderen tibetischen Regionen, wie z.B. Qinghai, Sichuan und Yunnan, doch scheint Tibet, wenn man von dem Handel mit Hongkong absieht (Nepal führt viele Waren aus Hongkong und Südostasien per Luftfracht ein), in zunehmendem Maße als Transitland für Waren aus dem chinesischen Binnenland zu dienen - ein Kommerz, von dem die Tibeter kaum profitieren. Alles in allem beziffert die "Himalayan Times" das nepalesische Handelsdefizit mit China auf 9 Mrd. Rupien oder unter Einbeziehung des Handels mit Hongkong sogar auf 16 Mrd.

Abgesehen von diesem gigantischen Defizit beklagen sich nepalesische Geschäftsleute und Zollbeamte über zahlreiche Handelspraktiken, die sie als protektionistisch und unfair empfinden. Die chinesischen Beamten belegen Waren, die von nepalesischen Händlern nach Tibet gebracht werden, mit hohen und immer weiter ansteigenden Zöllen. Nepalesische Waren werden meistens in chinesischen yuan bezahlt, welche die Nepalesen in Ermangelung der Möglichkeit zum Geldwechsel in der Regel gleich wieder in chinesische Waren umsetzen, die sie auf ihrem Rückweg nach Nepal mitnehmen. Ähnliche Probleme wegen mangelnder Wechselstuben gibt es auch beim Handel an der indo-tibetischen Grenze westlich von Nepal. Der nepalesische Zoll klagt darüber, daß Rechnungen, Packlisten und andere Dokumente, die für die Berechnung der für den Import aus Tibet anfallenden Zölle notwendig sind, oft unvollständig sind oder unrealistische Beträge enthalten. Entlegene Gegenden wie Humla, Dolpa und das obere Mustang, die auf Grund der geographischen Gegebenheiten und dem Mangel an angemessenen Straßen in Nepal leichter von Tibet als von Zentralnepal aus zu erreichen sind, werden mehr und mehr mit nepalesischen Grundnahrungsmitteln beliefert, welche von der chinesischen Seite der Grenze her reimportiert wurden. Der jeweilige Anteil der chinesischen bzw. nepalesischen Händler und Transportfirmen an diesem Geschäft ist nicht feststellbar. Viele Jahre lang hat Nepal Hilfeleistungen für den Straßenbau von China erhalten, aber von einigen Prestigeprojekten abgesehen dienen diese Straßen eher dem Grenzverkehr, als dem inner-nepalesischen Verkehr. In letzter Zeit wurde der Einzelhandel in Nepal mit in China gefertigten Waren immer profitabler für chinesische Staatsangehörige. Es handelt sich zumeist um ethnische Chinesen, welche die von nepalesischen Großhändlern aus Tibet gebrachten Waren auf dem nepalesischen Markt vertreiben. Diese halten chinesische Einzelhändler häufig für zuverlässiger als Einheimische, weil diese weder in Nepal bleiben wollen, noch ein Interesse daran haben, chinesische Waren in die VR China zurückzubringen. Nepal wird von billigen Waren überschwemmt, oft handelt es sich dabei um im chinesischen Binnenland hergestellte minderwertige Produkte mit gefälschten Markenzeichen großer Firmen, die über das tibetische Plateau nach Nepal gebracht wurden. Das betrifft vor allem den nepalesischen Markt für den Touristenbedarf: Trekking-Touristen kaufen nichtsahnend billige, aber gefälschte Ausrüstungsartikel - mit dem Resultat, daß nepalesische Läden, welche echte, in Südostasien in Lizenz gefertigte westliche Markenartikel anbieten, große Wettbewerbsprobleme haben und kaum ein solides, qualitätsbewußtes, nachhaltiges und schließlich auch lukrativeres Geschäft aufbauen können. Sogar der Handel mit einfachen, in Tibet beliebten nepalesischen Nahrungsmitteln ist auf Grund betrügerischer Handels- und Wettbewerbspraktiken sowie von der Verwaltung festgelegter Mengenbegrenzungen und Zollbarrieren recht problematisch geworden. Kürzlich ist ein in China hergestelltes pflanzliches ghee, bei dem es sich um eine Imitation einer bekannten nepalesischen Marke handelt, auf dem tibetischen Markt erschienen, worauf Vertreter des nepalesischen Konsulats bei den Behörden der TAR Beschwerde einlegten. Wiederholt wurde auf Grund von Quarantänekontrollen die Einfuhr von Gemüse, Obst und Molkereiprodukten in die TAR verweigert, obwohl ähnliche aus Chengdu in China eingeflogene Produkte viel teurer sind.

Die unausgeglichene Handelsbilanz mit China und andere Schwierigkeiten an der tibetischen Grenze halten die nepalesischen Behörden auf Trab. Obwohl die regierungsfreundlichen Medien, besonders "Rising Nepal", die Angelegenheit eher herunterspielen, scheint die Bereitschaft der chinesischen Seite, ihren wirtschaftlich hoffnungslos unterlegenen nepalesischen Nachbarn, welche zudem von dem schon sieben Jahren währenden maoistischen Volksaufstand bedrängt sind, entgegenzukommen, recht eingeschränkt zu sein. Zum Beispiel zitiert "Kantipur" vom 16. Oktober einen hochrangigen chinesischen Regierungsvertreter in bezug auf die zollreduzierte Einfuhr von nepalesischen Gütern wie folgt: "Falls die Zölle auf chinesische Produkte reduziert werden, gewähren wir Zollermäßigungen auf nepalesische Waren." In einer von der nepalesischen Handelskammer am 6. November organisierten Konferenz erklärte Liu Jiang, der stellvertretende Generaldirektor der Zollbehörde der TAR: "Grundlegend gibt es keine ernsthaften Probleme bei Zollangelegenheiten und im bilateralen Handel. Sollten welche auftauchen, sind wir bereit sie auf dem Gesprächsweg zu lösen" (The Himalayan Times, 7. November). Er fuhr fort, China und Nepal täten ihr Bestes, um den reibungslosen Ablauf des Grenzverkehrs zu fördern, betonte aber, daß nepalesische Exportprodukte - obwohl diese sehr gefragt sind - in besserer Qualität und unter Einhaltung der Lieferfristen gefertigt werden müßten.