9. April 2005
61. Sitzungsperiode der UN-Menschenrechtskommission
Quelle: World Tibet News

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Tagesordnungspunkt Nr. 12: Umsetzung der Menschenrechte von Frauen und die Geschlechterfrage (Gewalt gegen Frauen)

Mündliche Aussage von Dr. B. Tsering Yeshi vor der UN-Menschenrechtskommission

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

vor neun Jahren bestätigte die "Aktionsplattform Peking" (Weltfrauenkonferenz 1995) die Frauenrechte als einen unveräußerlichen Bestandteil der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (Paragraph 9). Dennoch sind Frauen weiterhin Gewalt in ihrer übelsten Ausprägung wie Ehrenmord, Genitalverstümmelung und systematischer Vergewaltigung ausgesetzt. Gewisse Arten von Gewalt werden von staatlicher Seite gebilligt oder sogar begangen. Gewalt gegen Frauen wird zu einem zweifachen Problem für sie, wenn sie sowohl wegen ihres Geschlechts als auch ihrer ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert werden.

In Tibet werden Frauen, die ihre politische Meinung zum Ausdruck bringen, geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Sie werden inhaftiert und die Gefängnisleitung läßt sie sexuell und körperlich foltern. Jegliche medizinische Versorgung wird ihnen solange verweigert, bis sie dem Tode nahe sind. Die vorwiegend vom Gefängnispersonal begangenen Akte sexueller Gewalt stellen eine eklatante Verletzung des Übereinkommens gegen Folter (Convention Against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment CAT) und des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination Against Women CEDAW) dar - beide wurden von China in den Jahren 1988 bzw. 1980 ratifiziert.

Viele Gefangene sterben in der Haft an den schweren seelischen und körperlichen Folgen der Folter, die sie dort erdulden mußten. Wenn die Überlebenden das Gefängnis verlassen, sind sie größtenteils an Leib und Seele gebrochen und nicht mehr imstande, den normalen Belastungen des täglichen Lebens standzuhalten. Die Nonne und ehemalige Gefangene Damchoe Dolma, der nach sechs Jahren in der Haftanstalt Gutsa die Flucht nach Indien gelang, sagte 2003: "Als ich aus dem Gefängnis herauskam, wurde ich zur unwillkommenen Last für meine Mitmenschen". Damchoes Geschichte ist ein typischer Fall für den psychischen Zusammenbruch von Frauen, die wegen der harten von den chinesischen Behörden eingeführten Restriktionen keine Arbeit finden können. Wir befürchten, daß es in den Gefängnissen noch mehr tibetische Frauen gibt, über die die chinesische Regierung aufgefordert werden sollte, dem Sonderberichterstatter für Gewalt gegen Frauen wahrheitsgemäß Bericht zu erstatten.

Tibetische Frauen werden auch auf dem Bildungs- und Beschäftigungssektor diskriminiert. Geschlechtsbedingte Diskriminierung von tibetischen Mädchen, üblicherweise in Form von sexueller Belästigung, ist Berichten zufolge der Grund dafür, daß viele junge Mädchen von der Schule genommen werden. Dies wiederum führt zu dem Problem der Arbeitslosigkeit und letztlich zum Anstieg der Prostitution. 1998 gab es in der tibetischen Hauptstadt Lhasa 658 Bordelle, doch der Informationsstand der Tibeter über sexuell übertragbare Krankheiten ist immer noch sehr gering. Dem Tibet Information Network (TIN) zufolge sind derartige Krankheiten weit verbreitet; Mitarbeiter im Gesundheitswesen sehen ein hohes Risiko, daß sich HIV/AIDS in der TAR zu einer Epidemie entwickeln könnte.

2003 erklärte Radhika Coomaraswamy, die damalige Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen, in ihrem Bericht: "Das Leben der Frauen in Tibet ist hart, und es werden geschlechtsspezifische Verbrechen an ihnen begangen, darunter Verletzungen ihrer reproduktiven Rechte, z.B. Zwangssterilisation, Zwangsabtreibung und forcierte Geburtenkontrolle sowie die Überwachung ihres Menstruationszyklus." Die zwangsweise Familienplanung verletzt nicht nur die reproduktiven Rechte der tibetischen Frauen, sondern verringert auch die Zuwachsrate der ohnehin schon zurückgegangenen tibetischen Bevölkerung.

Schließlich ist noch anzumerken, daß Tibet die höchste Mütter- und Kindersterblichkeitsrate in ganz China verzeichnet. Die medizinische Versorgung in Tibet ist deprimierend; eine von 40 Frauen stirbt bei der Geburt. Das ist achtmal so viel wie im Rest des Landes. Im Dezember 2004 meinte die Geschäftsführerin der UNICEF, Carol Bellamy, nach ihrer Rückkehr von einem zweitägigem Aufenthalt in Tibet, es sei noch eine Menge zu tun, bis Frauen und Kinder im Gesundheits- und Bildungsbereich denselben Standard wie im restlichen China erreichten.

Abschließend bitten wir die zuständigen Mandatsträger der Kommission, der chinesischen Regierung nahezulegen, sie möge:

  1. Jeglicher geschlechtsspezifischen Gewalt gegen tibetische Frauen Einhalt gebieten.
  2. Umgehend wirksame Maßnahmen zur Beendigung von sexueller Folter und Mißhandlung tibetischer Frauen treffen.
  3. Der Verletzung ihrer reproduktiven Rechte ein Ende setzen.
  4. Die grundlegenden Rechte und Freiheiten aller Tibeter, Männer wie Frauen, achten.

Herr Vorsitzender, ich danke Ihnen!