31. März 2005
61. Sitzungsperiode der UN-Menschenrechtskommission
Gesendet vom Tibet-Büro Genf
Tagesordnungspunkt Nr. 10: Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Mündliche Aussage von Tenzin Samphel Kayta im Namen der Gesellschaft für bedrohte Völker

Herr Vorsitzender,

Die Volksrepublik China hat den Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ratifiziert. Dennoch muß sie den sich daraus ergebenden Verpflichtungen erst noch gerecht werden.

1999 hat China damit begonnen, das "Programm zur Entwicklung des Westens" (Western Development Strategy) in die Realität umzusetzen, das Schlüsselprojekte wie den Bau der Qinghai-Tibet-Eisenbahn, den Transfer von Strom und Erdgas aus den westlichen Teilen des Landes nach Osten, den Schutz von Wäldern, Weideland und Flüssen umfaßt; weiterhin den Ausbau des Grundschul, berufsorientierten und höheren Schulwesens, die Förderung von spezialisierter Landwirtschaft etc. Die Chinesen haben die "Western Development Strategy" als ein Entwicklungsmodell zur Überwindung der "Rückständigkeit" Tibets beschrieben. Dennoch bleibt es zweifelhaft, ob diese Zielsetzung erreicht werden kann, wenn man bedenkt, daß Investitionen in die Land- und Viehwirtschaft vor Ort und in die weiche Infrastruktur, etwa in den Gesundheits-, Bildungs-, Beschäftigungssektor sowie der Mitwirkung der einheimischen Bevölkerung kaum Wert beigemessen wird. Die größten Nutznießer scheinen die in der Region lebenden chinesischen Zuwanderer und nicht die Tibeter zu sein. Die Diskrepanz zwischen Arm und Reich nimmt immer weiter zu, ja sie folgt in typischer Weise den ethnischen Trennungslinien. Vor allem aber ist der Entscheidungsprozeß auf nationaler wie auf regionaler Ebene solcher Art, daß China alle entwicklungspolitischen Richtlinien und Strategien bestimmt, ohne die Tibeter dabei zu Rate zu ziehen.

Während des letzten Jahrzehnts, besonders seit 1992, haben die staatlichen Maßnahmen in Wirtschaft, Verwaltung und Infrastruktur die Zuwanderung von Han-Chinesen nach Tibet erleichtert und gefördert, woraus der einzigartigen Kultur und Identität Tibets eine ernste Bedrohung erwuchs. Durch den anhaltenden Zustrom von Chinesen nach Tibet werden die Tibeter zu einer Minderheit in ihrem eigenen Land, die Diskriminierung und Entbehrungen ausgesetzt und beim Zugang zu Land, Nahrung und Beschäftigung benachteiligt sind.

China behauptet, die Gesundheitsfürsorge sei in den "bäuerlichen und Hirtengegenden kostenlos". Dennoch steht es infolge der hohen Gebühren schlecht um die allgemeine Gesundheitsversorgung der Tibeter. Die medizinischen Einrichtungen konzentrieren sich auf die Städte; in vielen der abgelegenen ländlichen Gegenden, wo die meisten Tibeter leben, gibt es bis heute keine medizinische Versorgung.

Was den Zugang zur Bildung betrifft, betonte die ehemalige UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Bildung, Katarina Tomasevski, daß "der Pflichtschulunterricht in China nicht frei" ist. Dies steht in Widerspruch zu Artikel 10 des 1986 in Kraft getretenen chinesischen Schulpflichtgesetzes, der besagt, der Staat dürfe für den Unterricht von Schülern, die der Schulpflicht unterliegen, keine Gebühren erheben.

Herr Vorsitzender, dies alles unterstreicht die Tatsache, daß die chinesische Regierung immer noch einen weiten Weg vor sich hat, um ihren Verpflichtungen hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte gerecht zu werden. Wir bitten die Kommission, sicherzustellen, daß sich alle künftigen Handlungen Chinas zur Behebung dieser Mißstände unbedingt auch auf Tibet erstrecken.

Ich danke Ihnen!