Oktober 2005
Human Rights Update
Oktober 2005
Inhalt


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  1. Junger Mönch nach "Patriotischer Erziehung" unter mysteriösen Umständen im Kloster Drepung gestorben
  2. Europäisches Parlament fordert von chinesischer Regierung die unverzügliche Freilassung von Tenzin Delek Rinpoche
  3. PSB Lhasa nimmt Mönch aus Kloster Sera in Haft
  4. Memorandum an den UN-Sonderberichterstatter für Folter vor seinem Tibet- und Chinabesuch
  5. Die Eisenbahn nach Lhasa: ihre umstrittene Legitimität, demographische Säuberungen und die Verlegung der Schienen durch chinesische Migranten im Grasland
  6. Regierung erzwingt Legitimierung ihrer neuen Eisenbahnlinie
  7. Arbeitsmöglichkeiten werden von chinesischen Siedlern usurpiert
  8. Kriminelle Umtriebe chinesischer Migranten – tibetische Jugendliche folgen ihrem Beispiel
  9. Portrait eines politischen Gefangenen: Standhafter Mönch mit elfjähriger Haftstrafe in schlechtem Gesundheitszustand

Teil 1

Junger Mönch nach "Patriotischer Erziehung" unter mysteriösen Umständen im Kloster Drepung gestorben

Dem TCHRD liegen zuverlässige Informationen über den Tod des 28 Jahre alten Mönches Ngawang Jangchub vor, der in der ersten Oktoberwoche unter ungeklärten Umständen in seiner Zelle im Kloster Drepung verstarb. Einen Tag nach einer heftigen Auseinandersetzung mit den Kadern des "Arbeitsteams" für die "Patriotische Erziehung" wurde er im Kloster tot aufgefunden.

Die Kader waren Anfang Oktober im Kloster eingetroffen, um die Kampagne durchzuführen. Entsprechend ihren Vorgaben wurde von den Mönchen verlangt, den Dalai Lama als "Separatisten" zu verurteilen und Loyalität gegenüber der chinesischen Regierung zu geloben. Einige Mönche wollten sich jedoch nicht "umerziehen" lassen, weshalb es zum Streit mit den Kadern kam. Wie berichtet, weigerte sich Ngawang bei der Auseinandersetzung rundweg, den Dalai Lama zu verunglimpfen und bezeichnete ihn als den "Erlöser im jetzigen und im nächsten Leben". Er erklärte den Kadern, er würde selbst dann nichts bereuen, wenn er aus dem Kloster ausgeschlossen würde. Ngawang widersprach weiterhin dem offiziellen Standpunkt der Regierung, Tibet sei ein integraler Bestandteil Chinas. Wörtlich sagte er: "Tibet war niemals ein Teil Chinas, und ich weise Euren Anspruch auf Tibet zurück." Als Antwort hierauf beschimpften ihn die Kader und drohten ihm schwerwiegende Konsequenzen an. Nach dem Streit zog Ngawang sich wütend in sein Quartier zurück; am folgenden Tag erschien er nicht zur Schulung. Als die anderen Mönche nach ihm schauen wollten, fanden sie ihn tot in seinem Zimmer liegen. Die genaue Todesursache ist nicht bekannt, die Mönche vermuten jedoch Selbstmord wegen des extremen psychologischen Traumas.

Ngawang Jangchub, alias Aku Ril Ril, wurde im Dorf Lakhang, Gemeinde Phodo, Distrikt Phenpo Lhundrup, Stadtbezirk Lhasa, geboren.

Die Kampagne der "Patriotischen Erziehung" nimmt den Mönchen und Nonnen in den Klöstern ihr inneres Gleichgewicht und veranlaßt sie manchmal zu extremen Reaktionen. Die ständige politisch motivierte Gehirnwäsche während der Kampagne, mit der die Geistlichen gezwungen werden, die Prinzipien der Partei unablässig zu wiederholen, verursacht den Mönchen und Nonnen ungeheure psychische Qualen und treibt sie in manchen Fällen bis zum Suizid.

Tashi Rabten aus dem Kloster Thentok verstarb am 1. Mai 2000 unter ungeklärten Umständen unmittelbar nach einem Verhör durch ein 30-köpfiges "Arbeitsteam". Gewaltsam wurde er in den Privatbereich der Mönche gezerrt, wo er nach Fotos des Dalai Lama suchen sollte. Er wurde später in einer Blutlache liegend aufgefunden und starb kurz danach.

Seit Beginn 2005 wird die "Patriotische Erziehungs-Kampagne" wieder verstärkt durchgeführt. Eine ganze Reihe von neu angekommenen Flüchtlingen berichten über die Kampagne in den Klöstern Talung und Sera sowie den Nonnenklöstern Gyabdrak und Shugseb. Es gab auch Berichte über Ausschlüsse und Verhaftungen in den betreffenden Klöstern.

Die Kampagne zur "Patriotischen Erziehung" wurde 1996 gestartet und ist eines der wichtigsten Instrumente zur religiösen Unterdrückung in Tibet. Sie ist ein Verstoß gegen die internationalen Bestimmungen über Religionsfreiheit. Die Klostergemeinschaften sollen mittels Drohungen, Ausweisung, Verhaftung und Zwang dazu gebracht werden, den offiziellen Direktiven Folge zu leisten, obwohl diese die Menschenrechtsbestimmungen der UNO in Religionsfragen verletzen. Das TCHRD hat die Ausweisung von 11.383 Mönchen und Nonnen von Januar 1996 bis August 2004 als Folge der Kampagne "Patriotische Erziehung" dokumentiert.

Teil 2

Europäisches Parlament fordert von chinesischer Regierung die unverzügliche Freilassung von Tenzin Delek Rinpoche

Das Europäische Parlament (EP) forderte die VR China auf, Tenzin Delek Rinpoche unverzüglich aus der Haft zu entlassen. In einer am 27. Oktober 2005 in Straßburg verabschiedeten Resolution bringt das EP seine tiefe Besorgnis über den Gesundheitszustand von Tenzin Delek Rinpoche zum Ausdruck und appelliert an die "verantwortlichen Stellen, alle für die Verbesserung der Lebensumstände und des gesundheitlichen Zustands von Tenzin Delek Rinpoche nur möglichen Schritte" zu unternehmen.

In der Resolution wird auch auf eine "Beschleunigung des Dialogs mit den Gesandten des Dalai Lama" gedrängt, damit "ohne weitere Verzögerung eine für beide Seiten befriedigende Lösung in der Tibetfrage gefunden werden kann". Das EP verlangte die Aufhebung aller gegen Tenzin Delek Rinpoche ergangenen Urteile, sowie dessen sofortige Haftentlassung und forderte, dem UN-Sonderberichterstatter für Folter, der Ende November China bereisen sollte, eine Besuchserlaubnis auszustellen, damit er sich selbst ein Bild vom Gesundheitszustand des Rinpoche machen kann.

In der Resolution [P6_TA-PROV (2005)0416] "Der Fall Tenzin Delek Rinpoche" wird auch der Mangel an konkreten Resultaten beim EU-China-Treffen im Rahmen des Rechtsdialogs bedauert, das vom 21.- 25. Juni 2005 stattfand. Das EP forderte die VR China auf, "die unmenschlichen Haftbedingungen in den Gefängnissen zu verbessern, der Folterung von Gefangenen ein Ende zu setzen, die anhaltende Verletzung der Menschenrechte von Tibetern und anderen Minderheiten einzustellen, sowie die Beachtung der internationalen Normen für Menschenrechte und der humanitären Gesetze sicherzustellen."

Die Resolution appellierte ferner an den Rat sowie die einzelnen Mitgliedsstaaten, das Waffenembargo der EU gegenüber der VR China aufrechtzuerhalten.

Teil 3

PSB Lhasa nimmt Mönch aus Kloster Sera in Haft

Wie das TCHRD erfuhr, hat das Amt für Öffentliche Sicherheit (PSB) von Lhasa Anfang Juli 2005 den 32-jährigen Mönch Tsering Dhondup aus dem Kloster Sera wegen des Verdachts auf politische Aktivitäten verhaftet. Dem PSB zufolge soll er Flugblätter, auf denen die Unabhängigkeit Tibets propagiert wurde, verteilt haben.

Ein Informant berichtete, Tsering sei plötzlich aus dem Kloster verschwunden, woraufhin ihn seine Angehörigen und die anderen Mönche voller Panik gesucht hätten. Die Klosterverwaltung habe mehrere Male ein paar Mönche nach Lhasa geschickt, um dort nach ihm zu suchen, aber ohne Erfolg. Ungefähr 13 Tage später setzte das PSB von Lhasa die Klosterverwaltung telefonisch über die Verhaftung von Tsering Dhondup in Kenntnis.

Da seine Familie nun wußte, wo er sich befindet, wollte sie ihn zusammen mit einigen Mönchen im Haftzentrum besuchen; es wurde ihnen jedoch kein Zugang zu ihm gewährt. Sie durften lediglich Kleidung für ihn abgeben, die ebenfalls mitgebrachten Nahrungsmittel wurden zurückgewiesen. Außer dem Umstand, daß er im Haftzentrum Gutsa einsitzt, ist nichts Näheres bekannt. So weiß man auch nicht, ob inzwischen ein Urteil gegen ihn ausgesprochen wurde. Tsering Dhondup stammt aus der Gemeinde Chema, Distrikt Phenpo Lhundrup, TAR.

Berichten zufolge wurden außerdem zwischen dem 5. und 9. Mai acht Mönche aus Sera und 13 Nonnen aus dem Kloster Shugseb verhaftet. Ihr Aufenthaltsort ist derzeit unbekannt.

Teil 4

Memorandum an den UN-Sonderberichterstatter für Folter vor seinem Tibet- und Chinabesuch

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter wird vom 21. November bis 2. Dezember in Tibet und China sein. Das TCHRD begrüßt und unterstützt dieses Vorhaben ausdrücklich, denn dieser langerwartete Besuch eines Experten dürfte wertvolle Informationen aus erster Hand und ein gewisses Bild von der Foltersituation in Tibet und China liefern.

Im Hinblick auf diesen Besuch fordert das TCHRD den UN-Experten dringend dazu auf, die Anwendung von Folter in den tibetischen Gefängnissen, Haftzentren, Arbeitslagern und sonstigen Strafanstalten gründlich und systematisch zu untersuchen und bittet ihn inständig darum, sein besonderes Augenmerk auf dem Umgang mit politischen Gefangenen zu richten, da es zahlreiche Berichte darüber gibt, daß sie exzessiv gefoltert werden.

Seit 1987 sind den Daten des Zentrums zufolge 88 ihm namentlich bekannte Tibeter infolge von Folterung zu Tode gekommen. Viele von ihnen starben in der Haft, andere wurden in einem durch Folterungen verursachten lebensbedrohlichen Zustand entlassen und starben kurz danach. Die Gefängnisbehörden entledigen sich häufig ihrer Verantwortung, indem sie Häftlinge in kritischem Gesundheitszustand aus der Haft entlassen, bevor diese sterben. Beim Tod von Nyima Drakpa, der im Alter von 29 Jahren starb, handelt es sich um einen derartigen Fall. Er verstarb im Oktober 2003, kurz nachdem er aus gesundheitlichen Gründen entlassen wurde. Das Zentrum ersucht den Sonderberichterstatter, er möge nachforschen, warum es zu so häufigen Todesfällen bei tibetischen politischen Gefangenen in der Haft kommt. Der Tod von Rinzin Wangyal, der Ende 2004 im gemeinhin unter dem Namen Powo-Tramo bekannten TAR-Gefängnis Nr. 2 verstarb, ist einer der bekannteren Fälle. Den letzten vor seinem Tod erhaltenen Informationen zufolge war sein Gesundheitszustand auf Grund der exzessiven Folterungen sehr schlecht. Am 19. November 2002 verstarb ein anderer politischer Gefangener namens Lobsang Dhargay in einem Arbeitslager in der Provinz Qinghai an den Folgen der Folter.

Folter wird in der VR China regelmäßig eingesetzt, obwohl sie im Oktober 1988 das -Übereinkommen der UN gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder entwürdigende Behandlung (CAT) ratifiziert und in ihrer Strafrechtsreform von 1997 bestimmte Formen der Folter für unrechtmäßig erklärt hat. Dennoch wird in den von China verwalteten tibetischen Gefängnissen weiterhin systematisch gefoltert. Es wird gefoltert, um das Nationalgefühl der tibetischen Gefangenen zu brechen, um Geständnisse aus ihnen zu erpressen, um sie zu demütigen und ihnen seelische Traumata zuzufügen, von denen sie sich oft zeitlebens nicht mehr erholen. Durch sein repressives Überwachungssystem, die gängige Einschüchterungspraxis und die brutale Behandlung in den tibetischen Gefängnissen und Haftzentren hat sich China unzähliger Verstöße schuldig gemacht.

Die Foltertechniken umfassen Elektroschocks, das Ausdrücken von Zigaretten auf dem Gesicht, Hand- oder Daumenschrauben, Fußfesseln, Aufhängen an der Decke, Schläge, Stiefeltritte, den Aufenthalt in extremen Temperaturen, langanhaltende Einzelhaft, Verweigerung von Nahrung, Wasser und Schlaf, Zwangsarbeit, Zwangsdrill und noch viele weitere.

Zahlreiche Staaten auf dieser Erde halten sich an das UN-Übereinkommen gegen Folter, denn sie wollen Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Demokratie und Gleichberechtigung in ihrem Land fördern, in China und Tibet dagegen bleibt die Situation weiterhin bedenklich. Tibeter, die grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf gewaltfreien Protest und friedliche Äußerung ihrer politischen Meinung in Anspruch nehmen, werden als "Separatisten" gebrandmarkt und beschuldigt, die "Staatssicherheit zu gefährden". Die gewaltfreie Ausübung fundamentaler Rechte zieht in Tibet willkürliche Verhaftung, illegale Inhaftierung, "plötzliches Verschwinden", Folter bei Verhören und in der Haft sowie langjährige bei willkürlichen Gerichtsverfahren verhängte Strafen nach sich. Mehr als 145 namentlich bekannte tibetische politische Gefangene sitzen derzeit in den von China betriebenen Haftanstalten in Tibet ein. Das Zentrum möchte das besondere Augenmerk des Sonderberichterstatters auf folgende fünf tibetische politische Gefangene richten und bittet ihn dringend, diese aufzusuchen und ihre Fälle den chinesischen Behörden vorzutragen:

  • Tenzin Delek Rinpoche (inhaftiert in der Provinz Sichuan), chin. A'an Zhaxi, Strafmaß lebenslänglich
  • Ngawang Phulchung (inhaftiert im Drapchi-Gefängnis), Strafmaß 19 Jahre
  • Bangri Rinpoche (inhaftiert im Drapchi-Gefängnis), chin. Jinmei Denzin, Strafmaß lebenslänglich
  • Jigme Gyatso (inhaftiert im Drapchi-Gefängnis), Strafmaß 15 Jahre
  • Lobsang Tenphen (inhaftiert in einem Gefängnis in Sichuan). Strafmaß 5 Jahre
  • Phuntsok Wangdu (inhaftiert im Drapchi-Gefängnis), Strafmaß 14 Jahre

Das TCHRD appelliert an den UN-Sonderberichterstatter, auf ein Ende der Folter in Tibet zu drängen und die Tibeter in den Genuß von Menschenwürde und Menschenrechten zu bringen. Des weiteren fordert das TCHRD den Experten dazu auf, Druck auf die VR China auszuüben, damit sie auch das Fakultativprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche und entwürdigende Behandlung ratifiziere.

Teil 5

Die Eisenbahn nach Lhasa: ihre umstrittene Legitimität, demographische Säuberungen und die Verlegung der Schienen durch chinesische Migranten im Grasland

Wie von People's Daily Online berichtet, hat die chinesische Eisenbahn von Golmud nach Lhasa am 18. September den Westbahnhof von Lhasa erreicht. Es sollen bereits mehr als 1.100 km Schienen verlegt worden sein. Die letzten 50 km sollten Mitte Oktober 2005 fertig werden. Weiter hieß es, am 1. Juli 2006 werde der Versuchsbetrieb aufgenommen.

Die Tibeter in Tibet befürchten, daß dieses von reichlich Publicity begleitete Eisenbahnprojekt ihre Lebensweise und den Erwerb ihres Lebensunterhalts einschneidend verändern wird. Die Eisenbahn ermöglicht den Zustrom weiterer chinesischer Migranten, was dazu führen wird, daß die ohnehin schon marginalisierte tibetische Bevölkerung kaum mehr in der Lage sein wird, ihre Identität zu wahren. Die Eisenbahn wird die Assimilierung der tibetischen Kultur an die chinesische beschleunigen und den Tibetern den Erwerb ihres Lebensunterhalts erheblich erschweren.

Die Einrichtung von Eisenbahnverbindungen nach Urumqi und Kashgar in der Autonomen Region Xinjiang führte zu einem gigantischen Zustrom von Han-Chinesen. Die innere Mongolei erfuhr eine demographische Säuberung, nachdem eine Eisenbahn dorthin gelegt wurde. Auch die Tibeter erwartet ein ähnliches Schicksal, obwohl sie ohnehin schon mit dem Rücken zur Wand stehen.

Angesichts der starken internationalen Besorgnis hinsichtlich dieser Eisenbahn läßt die Regierung der VR China nichts unversucht, um ihr größtes Projekt auf dem tibetischen Hochland zu rechtfertigen. Sämtliche chinesische Medien, die sich größtenteils in staatlichem Besitz befinden, malen ein Bild von glücklichen Tibetern, die sich über die neue Eisenbahn freuen. In Wirklichkeit aber haben die Tibeter große Angst, daß eine weitere Zuwanderungswelle chinesischer Migranten auf sie zukommen wird, und sie dann noch weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt und schließlich kulturell assimiliert werden. Es wird dann noch schwerer für sie sein, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Teil 6

Regierung erzwingt Legitimierung ihrer neuen Eisenbahnlinie

Ein neu eingetroffener Flüchtling aus dem Kreis Damshung im Bezirk Lhasa (dessen Name auf seine Bitte hin nicht veröffentlicht wird) berichtete dem TCHRD, daß die chinesischen Behörden die Tibeter aus propagandistischen Gründen zwingen, an offiziellen Jubelfeiern für die neue Eisenbahn teilzunehmen. Er sagte: "Ende Mai wurden im Kreis Damshung die letzten Schienen verlegt. Die örtlichen Behörden wollten ihre Loyalität der Zentralregierung gegenüber dadurch beweisen, daß sie eine Dankesfeier anberaumten. Für die Vertreter der Gemeinden aus unserem Landkreis war die Teilnahme dabei obligatorisch. Rund 125 Tibeter aus den Gemeinden Uma, Lungring, Gesa und anderen wurden zum Ort der Zeremonie beordert.

Obwohl sie keineswegs den Wunsch hatten, an dieser Feier teilzunehmen, erschienen die betreffenden Personen schließlich, um die 25 Yuan Strafe zu vermeiden, die jeden geladenen, aber nicht präsenten Tibeter erwartet hätten. Die Behörden hatten mit weiteren ernsten Konsequenzen gedroht. So kam es, daß neben chinesischen Kadern von der Lokalregierung und Mitarbeitern der Eisenbahn auch tibetische Repräsentanten der Gemeinden vertreten waren. Man hatte natürlich auch die Medien eingeladen, damit diese über die Festivität berichteten.

Die Kader befahlen den Tibetern, 'echte Freude' an den Tag zu legen und stellten eine Anzahl von ihnen zum Applaudieren an den Gleisen auf. Diese Bilder wurden später mit folgendem Begleittext vom Lhasa TV gesendet: 'Die Tibeter begrüßen die Eisenbahn'. In Wahrheit sind die Tibeter aus dem Landkreis Damshung aber überhaupt nicht glücklich über die Eisenbahn.

Sie fürchten um ihre nomadische Lebensweise, denn durch den Schienenstrang wurden bereits zahlreiche Weidegründe für ihre Herden zerstört und die Zukunft wird noch mehr Probleme mit sich bringen. Vor allem befürchten die Tibeter die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen durch die zu erwartende erhebliche Zunahme chinesischer Migranten. Bereits heute gibt es bei uns mehr chinesische Neusiedler als Tibeter, und über 70% aller Geschäfte sind in ihrer Hand. Da die Mehrheit der Tibeter nicht lesen und schreiben kann, werden alle neuen Arbeitsplätze von Chinesen weggeschnappt. Als Analphabeten sind die Tibeter oft recht leichtgläubig und stolpern in die von den Behörden gestellten Fallen. So gab es durchaus auch Tibeter, die glaubten, daß die Regierung sie anläßlich der Fertigstellung der Eisenbahnlinie zu einem großen Fest einladen wolle. Die Anwesenden wurden gebeten, ihre Teilnahme mit ihrer Unterschrift zu bestätigen. Dadurch sollte Authentizität simuliert werden. Aber die Tibeter, die unterschrieben, haben nichts davon, denn die Behörden haben sie nur zur Legitimierung ihres Projekts ausgenützt."

Teil 7

Arbeitsmöglichkeiten werden von chinesischen Siedlern usurpiert

Ein anderes Interview mit einer neu im Exil eingetroffenen Frau macht deutlich, daß diskriminierende Praktiken die Probleme, welche die Tibeter durch die chinesischen Siedler beim Erwerb ihres Lebensunterhalts haben, noch verschärfen. Seit Alkohol, Tabak und Prostituierte überall billig zu haben sind, ist das Leben der tibetischen Frauen noch schwieriger geworden, da es ihnen an Unterstützung durch ihre Ehemänner oder die Regierung mangelt.

Tsering Dolma war mit ihrem Mann aus ihrem Heimatdorf im Distrikt Markham, Präfektur Chamdo, TAR, nach Lhasa gekommen, um sich dort Arbeit zu suchen, nachdem sie zu Hause von den besseren Verdienstmöglichkeiten in der Stadt gehört hatten. Weil jedoch die meisten offenen Stellen mit chinesischen Migranten besetzt werden, konnten sie keine Arbeit finden, mit der sie ihre Familie hätten ernähren können. Sie berichtete dem TCHRD: "Mein Mann und ich verließen unseren Heimatort und gingen nach Lhasa in der Hoffnung, daß wir unsere Familie dort besser ernähren könnten. Ich war gerade mal 19 Jahre, und wir hatten schon zwei Kinder. In Lhasa haben wir jahrelang als Küchenhilfen in einem Restaurant gearbeitet, das einem chinesischen Moslem gehörte. Wir wurden dort schlecht behandelt und bekamen nur je 30 Yuan pro Monat, obwohl wir sehr hart arbeiten mußten. Wie in den chinesischen Restaurants üblich, unterstanden die tibetischen Beschäftigten einem chinesischen Vorgesetzten, der übel mit ihnen umging und sie mit Schimpfnamen belegte. Wir haben aber alles ignoriert und fleißig gearbeitet, bis wir 1.500 Yuan zusammengespart hatten. Dann kehrten wir in unser Heimatdorf zurück.

Nachdem wir einige Zeit zu Hause waren, gingen wir wieder nach Lhasa. Wir fanden aber keine Arbeit mehr. Schließlich fing ich an, Brot zu backen und es am Straßenrand zu verkaufen. Es gab aber auch Chinesen, die das taten, und die Leute kauften lieber bei ihnen, denn die Chinesen halten die Tibeter für dreckige Leute und ihr Brot für unhygienisch. Wenn chinesische Kader vorbeikamen, schalten sie die tibetischen Brotbäckerinnen, sie würden die Straße verschmutzen und zwangen sie, diese zu kehren. Als eine der Frauen ihnen widersprach, zogen sie sie an den Haaren und warfen sie zu Boden.

Viele der tibetischen Frauen, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, sind geschieden. Ihre Männer haben sich die Nächte in den Bordellen um die Ohren geschlagen und ihr Geld für Schnaps vergeudet. Der ist in Lhasa nämlich sehr billig. Die meisten Bordelle werden von Chinesen geführt und auch die Mehrzahl der Prostituierten kommt aus China, um in Tibet ordentlich Geld zu machen."

Teil 8

Kriminelle Umtriebe chinesischer Migranten - tibetische Jugendliche folgen ihrem Beispiel

In einem weiteren Interview berichtete ein 20-jähriger Tibeter aus dem Distrikt Ngari, TAR, über kriminelle Aktivitäten und Spannungen zwischen chinesischen Siedlern und den einheimischen Tibetern.

Der kürzlich aus Tibet eingetroffene Tsering Tseten erzählte dem TCHRD: "Wegen der steigenden Anzahl von chinesischen Zuwanderern nehmen die Probleme beim Erwerb des Lebensunterhalts in unserer Gegend immer mehr zu. Sie reißen nicht nur jede Verdienstmöglichkeit an sich, jetzt bilden einige ihrer Jugendlichen auch noch Gangs, die den Tibetern ihr Geld abpressen. Letztes Jahr wurden vier Tibeter von den Gangstern umgebracht. In unserer Gegend gibt es fünf chinesische Gangs, die von 30 bis über 100 Mitglieder haben. Die meisten von ihnen betreiben ihre kriminellen Aktivitäten unter dem Deckmantel angeblich legaler Geschäfte. In Wirklichkeit verkaufen sie in unserer Region aber Motorräder und Autos, die sie in China gestohlen und zu uns geschafft haben. Angeblich sollen sie auch in den Drogenhandel verwickelt sein.

Die Banden verursachen eine Menge sozialer Probleme. Sie hängen in Kneipen und Diskotheken herum und prügeln sich sowohl untereinander als auch mit Tibetern. Sie sind stets mit Messern und Pistolen bewaffnet. Allein letztes Jahr kamen vier Tibeter durch sie ums Leben. Bei den Opfern handelte es sich um einen Mann, der in der Elektrizitätsabteilung beschäftigt war, um zwei Händler aus den Distrikten Batang und Markham sowie einen tibetischen Polizisten aus dem Distrikt Gyantse. Die Gangster nehmen vor allem die wohlhabenden Tibeter aufs Korn und erpressen Geld von ihnen.

Nun haben sich auch einige einheimische Tibeter in Banden zusammengeschlossen, um sich gegen diese Umtriebe zu wehren. Sie haben zwei Gangs mit 12 bzw. 18 Mitgliedern gebildet und wollen den chinesischen Banden entgegentreten. Die tibetischen Gangs bestehen aus ungebildeten und arbeitslosen jungen Leuten. Sie geben ihr Geld für Schnaps aus und sind zu nicht nütze. Dennoch würden sich ihnen viele tibetische Jugendliche gern anschließen. Allem Anschein nach wird die Bandenkriminalität in nächster Zeit stark zunehmen, und bald dürfte es in unserer Gegend die ersten Bandenkriege geben.

Die zahlenmäßige Übermacht der chinesischen Migranten verursacht enorme Probleme in Tibet. Diese werden sich noch multiplizieren, sobald die neue Eisenbahnlinie fertig und der Fahrbetrieb aufgenommen wird. Die Eisenbahn nach Lhasa wird einen verheerenden Einfluß auf das Leben der Tibeter haben. Sie werden zu Fremden in ihrem eigenen Land werden.

Teil 9

Portrait eines politischen Gefangenen: Standhafter Mönch mit elfjähriger Haftstrafe in schlechtem Gesundheitszustand

Yeshi Jinpa, 27, stammt aus einer Bauernfamilie der Gemeinde Khimshi, Distrikt Gongkar, Präfektur Lhoka, TAR. In seiner Kindheit besuchte er die örtliche Grundschule und trat anschließend im Jahr 1990 in das Kloster Sungrabling ein.

Dort erwies er sich als sehr lernbegierig und zeigte großes Interesse an der tibetischen Gegenwartspolitik und Geschichte. Auf Grund der Kenntnisse, die er sich über die politische Realität und Tibets glorreiche Vergangenheit erworben hatte, nahm sein Nationalgefühl von Tag zu Tag zu. Er ermutigte andere, sich ihrer Verantwortung als Tibeter bewußt zu werden und für ihre Rechte zu kämpfen.

Yeshi und einige Mönche aus seinem Kloster veranstalteten 1997 eine friedliche Demonstration, bei der sie "Unabhängigkeit für Tibet" forderten. Am gleichen Tag noch kamen Angehörige des örtlichen PSB und der Armee ins Kloster, um die Mönche zu verhaften. Allerdings gelang es den im Umkreis wohnenden Tibetern, dieses Vorhaben zu vereiteln, indem sie sich in so großer Zahl versammelten, daß die Sicherheitskräfte es nicht mehr wagten, die Mönche festzunehmen.

Um einen weiteren Volksauflauf dieser Art zu vermeiden, kam die Polizei am nächsten Tag in der Morgendämmerung zum Kloster und führte die Mönche ins PSB-Haftzentrum des Distrikts Tsethang ab. Vorsichtshalber hatte das PSB in der ganzen Ortschaft zusätzliche Polizisten eingesetzt, so daß schließlich zwei vor jedem Haus standen. Berichten zufolge wurden während dieser Aktion mehrere Tibeter verhaftet, weil sie sich gegen diese Vorgehensweise gewehrt hatten. Schon in dem Polizeiwagen, in dem man sie ins Haftzentrum brachte, wurden Yeshi Jinpa und die anderen Mönche schwer geschlagen. Dort angekommen, wurden sie verhört und dabei ebenfalls brutal geprügelt. Während der sechs Monate, die sie dort eingesperrt waren, hatten die Mönche viel zu leiden und wurden wiederholt gefoltert. Schließlich wurden sie vom Mittleren Volksgericht von Lhoka wegen "konterrevolutionärer Aktivitäten" und "gegen die Regierung gerichteter Propaganda" zu unterschiedlich langen Haftstrafen verurteilt. Yeshi Jinpa und Tsultrim Topgyal wurden zu jeweils fünf Jahren Haft verurteilt, während die übrigen Mönche drei bis vier Jahre erhielten. Nach ihrer Verurteilung wurden sie in das berüchtigte Drapchi-Gefängnis verlegt, um dort ihre Strafe zu verbüßen. Im Mai 1998 kam es zu den bekannten Protesten der Insassen von Drapchi, in deren Verlauf das Wachpersonal mehrere Gefangene erschoß. Viele andere wurden wegen ihrer Teilnahme mit Haftverlängerungen bestraft. Auf Yeshis ursprüngliche Haftstrafe wurden sechs Jahre aufgeschlagen, so daß er nun insgesamt 11 Jahre zu verbüßen hat.

Einige seiner Mitdemonstranten wurden mittlerweile nach Verbüßung ihrer Strafe entlassen. Tsultrim Topgyal verstarb kurz nach seiner Haftentlassung an den Folgen der in Drapchi erlittenen Schläge. Yeshi Jinpas Gesundheitszustand ist infolge der permanenten Mißhandlungen in der Haft ebenfalls äußerst besorgniserregend. Falls seine Strafe nicht weiter verlängert wird, ist 2007 mit seiner Entlassung zu rechnen.