Human Rights Update
Dezember 2004

Inhalt
  1. Todesstrafe für Bangri Rinpoche in lebenslängliche Haft umgewandelt
  2. Mönch wegen "illegaler Pilgerfahrt" des Klosters verwiesen
  3. Drei Tibeter wegen Protest gegen den Abbau von Bodenschätzen inhaftiert
  4. Das TCHRD zum 56. Tag der Menschenrechte
  5. Mönch ging ins Exil, um ungehindert seinen Studien nachgehen zu können
  6. Streitigkeiten zwischen Mönchen und Regierungsleuten
  7. Neuankömmlinge berichten über Diskriminierung und Vetternwirtschat an tibetischen Schulen

Teil 1

Todesstrafe für Bangri Rinpoche in lebenslängliche Haft umgewandelt

Das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) erhielt neue, zuverlässige Informationen über die Verhaftung von Bangri Rinpoche am 26. August 1999 (siehe TCHRD Update January 2000 & December 2003).

Aus vertrauenswürdiger Quelle erfuhr das TCHRD, daß der Mittlere Volksgerichtshof des Stadtbezirks Lhasa Bangri Rinpoche im Mai 2001 wegen "Spionage" und "Gefährdung der Staatssicherheit" mit zweijährigem Hinrichtungsaufschub zum Tode verurteilt hatte. Bangris Rinpoches Ehefrau Nyima Choedron wurde auf Grund der gleichen Anklagepunkte zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Am 29. Mai 2001 wurden beide in das im Norden der Stadt Lhasa gelegene Drapchi-Gefängnis überführt und dort über ein Jahr in Einzelhaft gehalten. Anschließend wurden sie in die für politische Gefangene bestimmte Einheit Nr. 5 verlegt. 2003 wurde Bangri Rinpoches aufgeschobenes Todesurteil in eine lebenslange Gefängnisstrafe umgewandelt. Nyima Choedrons Entlassung ist für das Jahr 2008 vorgesehen.

Am 29. August 1999, drei Tage nach der Verhaftung Bangri Rinpoches, wurde auch seine Schwester Dechen Choezom von Polizisten des Public Securuity Bureau (PSB) festgenommen und neun Tage lang zum Verhör in Gewahrsam gehalten.

Bangri Rinpoches Verhaftung wurde mit seiner angeblichen Verbindung zu Tashi Tsering begründet, der im August 1999, als in Lhasa die Nationalen Minderheitenspiele abgehalten wurden, versucht hatte, auf dem Potala-Platz einen Sprengsatz zu zünden. Obwohl das TCHRD bereits wußte, daß Tashi Tsering unter mysteriösen Umständen verstorben war, erhielt es erst kürzlich die bestätigte Mitteilung über seinen Selbstmord am 8. Februar 2000. Tashi Tsering, der die ständigen schweren Folterungen bei den Verhören nicht mehr aushalten konnte, hat seinem Leben ein Ende gesetzt, indem er sich die Kehle mit einer Rasierklinge durchschnitt.

Den dem TCHRD vorliegenden Informationen zufolge wurden mindestens 23 Personen im Zusammenhang mit dem Fall Bangri Rinpoche verhaftet. Zwölf von ihnen wurden zu verschieden langen Haftstrafen verurteilt. Bei den Inhaftierten handelt es sich um (Name, Geschlecht, Anklage und Strafmaß):

  • Nyima Choedron, w., Spionage und Gefährdung der Staatssicherheit, 10 Jahre Gefängnis
  • Tashi Tsering, m., Spionage und Gefährdung der Staatssicherheit, Tod durch Selbstmord
  • Lhakdon, w., Spionage und Gefährdung der Staatssicherheit, 2 Jahre Gefängnis
  • Choedon, w., Spionage und Gefährdung der Staatssicherheit, 2. Jahre Gefängnis
  • Geleg Nima, m., Spionage und Gefährdung der Staatssicherheit, 3 Jahre Umerziehung durch Arbeit
  • Dechen Choezom, w., Spionage und Gefährdung der Staatssicherheit, 3 Jahre Gefängnis
  • Toho, m., Spionage und Gefährdung der Staatssicherheit, 2 Jahre Gefängnis
  • Gadhe Kyap, m., Spionage und Gefährdung der Staatssicherheit, 1 ½ Jahre Gefängnis
  • Shelok, m., Spionage und Gefährdung der Staatssicherheit, 2 Jahre Gefängnis
  • Karma Yeshi, m., Spionage und Gefährdung der Staatssicherheit, 3 Jahre Umerziehung durch Arbeit
  • Thupten Dargyal, m., Spionage und Gefährdung der Staatssicherheit, 3 Jahre Umerziehung durch Arbeit

Außer Bangri Rinpoche und Nyima Choedron sind alle Genannten inzwischen nach Verbüßung ihrer Strafen entlassen worden.

Drei weitere nahe Verwandte von Bangri Rinpoche waren im Haftzentrum Sangyip inhaftiert, bevor man sie nach Gutsa transferierte. Den vorliegenden Informationen zufolge wurden alle Verhafteten einer Reihe von Verhören unterzogen, bei denen sie wegen ihrer Kontakte zu Bangri Rinpoche befragt wurden. Viele von ihnen wurden auch gefoltert.

Im Anschluß an die Festnahme von Bangri Rinpoche wurde das Gyatso Waisenhaus am 17. September 1999 geschlossen. Das Kinderheim, in dem zu diesem Zeitpunkt 59 mittellose Kinder zwischen 2 Monaten und 12 Jahren lebten, war von Bangri Rinpoche erbaut worden.

Unterdessen kam ans Licht, daß Bangri Rinpoche auf Grund der zahllosen im Gefängnis erlittenen Folterungen seinen Oberkörper nicht mehr bewegen kann und stark abgemagert ist. Des weiteren ist er im Gefängnis an Magengeschwüren und Gelbsucht erkrankt und sein Gesundheitszustand hat sich gravierend verschlechtert.

Das TCHRD ist entsetzt über die Nachricht, daß über Bangri Rinpoche ein Todesurteil verhängt wurde; es bringt seine tiefe Betroffenheit über die häufige der Anwendung der Todesstrafe durch China zum Ausdruck, vor allem über die Anklagekategorien, derentwegen sie verhängt wird. Amnesty International fordert ein Moratorium für die Todesstrafe in China, denn im chinesischen Rechtssystem sind faire Prozesse nicht vorgessehen. Der Umstand, daß das TCHRD erst jetzt von diesem Urteil erfuhr, zeigt wieder einmal, daß es in Tibet keinen freien Informationsfluß gibt und alle Informationen strengstens kontrolliert werden.

Hintergrundinformationen zu Bangri Rinpoche

Jigme Tenzin Nyima (alias Bangri Rinpoche) wurde im Distrikt Nangchen, TAP Kyegudo, Provinz Qinghai, geboren. Er wurde als die Reinkarnation des Bangri Rinpoche aus dem Kloster Bangri erkannt. Bangri Rinpoche engagierte sich sehr für Kinder, insbesondere lagen ihm die Waisen im schulfähigen Alter, die keinen Zugang zur Bildung haben, am Herzen. Sein Mitgefühl und seine Selbstlosigkeit veranlaßten ihn zur Gründung einer Schule für Waisenkinder, die er aus eigenen Mitteln und durch großzügige Spenden finanzierte. Das Gyatso Waisenhaus befand sich im Stadtteil Gyatso in der Nähe des Norbulingka Palastes.

Im Mai 1996 wurden 40 Waisen aus verschiedenen Teilen Tibets in das Waisenhaus aufgenommen. Der Rinpoche trug die Verantwortung für die gesamte Anlage. Seine Frau Nyima Choedon stand ihm bei der Verwaltungsarbeit bei. Die Waisen erhielten Unterricht in Tibetisch, Chinesisch, Englisch und Rechnen. Bis zur Verhaftung von Bangri Rinpoche und Nyima Choedron im August 1999 nahm sich das Gyatso Waisenhaus der Bedürfnisse der Waisen und Straßenkinder an, um die sich sonst niemand kümmerte.

Teil 2

Mönch wegen "illegaler Pilgerfahrt" des Klosters verwiesen

Sherab Tharchin, 26, stammt aus dem Dorf Tongtso, Gemeinde Ghomo, Distrikt Gertse in der Präfektur Ngari. Er wurde aus dem Kloster Lopo Dechen ausgeschlossen, weil er sich ohne zuvor um eine offizielle Genehmigung einzukommen auf Pilgerfahrt zum Berg Kailash (tib: Gang Rinpoche) begeben hat. Die Distriktverwaltung hatte eine Vorschrift erlassen, daß Mönche für Pilgerfahrten eine Genehmigung beantragen müssen.

Sherab berichtet: "Ich stamme aus einer Nomadenfamilie. Mit 17 Jahren trat ich in das an meinem Heimatort Tongsto gelegene Kloster Lopo Dechen ein und studierte dort neun Jahre lang. Ich wurde zum Gesangs- und Novizenmeister ernannt. Unsere Klostergemeinschaft ist nur klein und besteht lediglich aus etwa zehn Mönchen. Es wurde mit der finanziellen Unterstützung von Karma Tsultrim, dem Direktor des Ngari Men Tse-Khang (Institut für traditionelle tibetische Medizin) erbaut. Er richtete auch eine Krankenstation für tibetische Medizin im Kloster ein. Es gibt in unserer Gegend keine staatliche Gesundheitsfürsorge, weder Krankenhäuser noch Sanitätsstationen, weder Einrichtungen für tibetische noch für westliche Medizin. Niemand kümmert sich in meiner Heimatregion um die Gesundheitsversorgung der Menschen.

2002 führten die Behörden eine neue Regelung für unser Kloster ein, der zufolge die Mönche eine Genehmigung beantragen müssen, wenn sie andere Orte besuchen wollen. Ohne diese dürfen sie nicht einmal auf Pilgerfahrt oder zu religiösen Zwecken nach Lhasa oder in andere nahegelegene Orte fahren. Der Behördenweg sieht drei Instanzen vor - zuerst die Klosterverwaltung, dann geht der Antrag weiter zur Gemeinde und schließlich zu den Distriktsbehörden. Viele Mönche reichten Anträge ein, aber nicht einem einzigen wurde bisher stattgegeben. Es war so gut wie unmöglich, eine Erlaubnis zu erhalten. Deshalb beschloß ich, mich ohne eine solche auf Pilgerfahrt zu begeben.

2003 trat ich heimlich meine einmonatige Pilgerreise zum Gang Rinpoche an. Nach meiner Rückkehr wurde ich von Mitarbeitern des Religionsbüros verhört. Sie verdächtigten mich der versuchten Flucht nach Indien. Schließlich verlangten sie von mir, ein selbstkritisches Bekenntnis zu verfassen, in dem ich erklären mußte, daß ich nicht mehr ohne offizielle Genehmigung auf Pilgerfahrt gehen würde. Ich weigerte mich. Am 25. September 2003 wurde ich aus dem Kloster ausgeschlossen und mit 6.450 Yuan Geldstrafe belegt, denn ich hatte mich über die Regelung hinweggesetzt.

Nach meinem Ausschluß aus dem Kloster kehrte ich nach Hause zurück und blieb eine Weile bei meiner Familie, ehe ich schließlich nach Indien floh."

Teil 3

Drei Tibeter wegen Protest gegen den Abbau von Bodenschätzen inhaftiert

Die drei Tibeter Dejor, 40, Tsering Dawa, 40, und Thartsok, 33, wurden am 4. September 2004 im Dorf Sari, Gemeinde Yongnak, Distrikt Sog (chin. Suo Xian), TAR, vom örtlichen PSB-Büro verhaftet, weil sie bei den chinesischen Behörden gegen den Abbau von Bodenschätzen in ihrer Gegend protestiert hatten. Wie verlautet, sind nun alle drei im Haftzentrum der Präfektur Nagchu (chin. Naqu) inhaftiert.

Im Juli 2004 trafen Arbeiter der Bergbaugesellschaft von Nagchu im Dorf Sari ein, um dort Bodenschätze abzubauen. Die ortsansässigen Tibeter protestierten gegen das Vorhaben und es gelang ihnen sogar, das Projekt zum Stillstand zu bringen. Berichten zufolge kam es zu hitzigen Auseinandersetzungen zwischen Tibetern und Behördenvertretern. Angehörige der Bergbauabteilung erstatteten den Behörden von Sog entsprechend Bericht. Daraufhin kamen Ende August Verwaltungskader aus Sog in Begleitung mehrerer PSB-Offiziere ins Dorf, um Nachforschungen anzustellen.

Dejor, Tsering Dawa und Thartsok wurden als Anführer der Proteste identifiziert und am 4. September 2004 bei sich zu Hause/in ihren Wohnungen verhaftet. Daraufhin wandte sich eine Gruppe Tibeter aus ihrem Ort an die Behörden und bat um die Freilassung der drei Verhafteten, da diese ihre Bedenken nur aus Sorge um die Umwelt vorgebracht hätten. Die Behörden verwarfen das Ansuchen, weil sie politische Motive hinter den Protesten vermuteten. Im November 2004 verurteilte der Mittlere Volksgerichtshof von Nagchu die drei Männer zu einjährigen Haftstrafen.

Dejor wurde in der Untersuchungshaft brutal gefoltert und soll zur Zeit in Nagchu im Krankenhaus liegen. Dawa Tsering und Thartsok sind weiterhin im Haftzentrum der Präfektur Nagchu inhaftiert. Der UN-Erklärung über das Recht auf Entwicklung (UNDRD) zufolge haben "die Staaten das Recht und die Pflicht, geeignete nationale Entwicklungspolitiken aufzustellen, die die stetige Steigerung des Wohls der gesamten Bevölkerung und aller Einzelpersonen auf der Grundlage ihrer aktiven, freien und sinnvollen Teilhabe an der Entwicklung und an einer gerechten Verteilung der daraus erwachsenden Vorteile zum Ziel haben." (Art. 2, Abs. 3)

Der Vorfall in Sog zeigt deutlich, daß China, obwohl es ein UN-Vollmitglied ist, in grassem Widerspruch zur UNDRD handelt. Das TCHRD ruft China dazu auf, bei allen Entwicklungsvorhaben in Tibet die Gefühle des tibetischen Volkes zu respektieren und ihm Meinungs- und Redefreiheit zu gewähren.

Teil 4

Das TCHRD zum 56. Tag der Menschenrechte

Der 10. Dezember 1948 ist der Tag, an dem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet wurde. Eine Resolution der UN-Vollversammlung erklärte die Deklaration zum "allgemein verbindlichen Standard, den alle Völker und Nationen erreichen sollen", wenn es um die Menschenrechte geht.

Die UN-Mitgliedsstaaten, darunter auch China, haben sich verpflichtet, in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen für die weltweite Achtung und Einhaltung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu sorgen. Die Erklärung war ursprünglich eine Vorgabe von Zielen, die von den einzelnen Regierungen verwirklicht werden sollen. Die Tatsache, daß sie von so vielen Staaten angenommen wurde, hat ihr indessen ein beachtliches moralisches Gewicht verliehen. 1968 kam die Internationale Menschenrechtskonferenz der UNO überein, daß die Erklärung "für die Mitglieder der internationalen Gemeinschaft eine Verpflichtung darstelle".

Am 10. Dezember 1989 wurde dem Dalai Lama für Seine anhaltenden Bemühungen um Frieden und Menschenrechte auf dem Wege der Gewaltlosigkeit der Friedensnobelpreis verliehen. Hinsichtlich der Wertung durch die internationale Gemeinschaft bedeutet dieses Ereignis einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte des tibetischen Freiheitskampfes.

Als Mitglied der Vereinten Nationen und der internationalen Gemeinschaft hat China es versäumt, den in der Erklärung der Menschenrechte niedergelegten Prinzipien den gebührenden Respekt entgegenzubringen. Die chinesischen Behörden verweigern dem tibetischen Volk weiterhin systematisch die Menschenrechte.

Folgende Vorkommnisse wurden 2004 u. a. durch das TCHRD dokumentiert:

  • Dem TCHRD liegen Informationen über 13 neue Fälle von Verhaftungen von Tibetern vor, denen politische Aktivitäten zur Last gelegt werden.
  • Der Mönch Tsering Pal aus dem Distrikt Machen in Amdo wurde während eines verbalen Streites von einem chinesischen Polizisten erschossen.
  • Der politische Gefangene Yeshi Gyatso verstarb innerhalb eines Monats nach seiner Entlassung aus einem Gefängnis in der Nähe von Lhasa. Allgemein wird angenommen, daß sein Tod auf die in der Haft erlittene Folter zurückzuführen ist.
  • Am 4. September 2004 wurden drei Tibeter verhaftet, weil sie gegen ein von den chinesischen Lokalbehörden des Distrikts Sog (chin: Suo Xian) genehmigtes Bergbauvorhaben protestiert hatten.
  • Der "terroristischer Akte" angeklagte Tulku Tenzin Delek wurde vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Sein weiteres Schicksal ist ungewiß, denn sein zweijähriger Hinrichtungsaufschub läuft demnächst aus.
  • Immer noch werden über 150 Tibeter in verschiedenen Gefängnissen in Tibet festgehalten, weil sie ihr Recht auf Redefreiheit wahrgenommen haben; der Verbleib des Panchen Lama Gedhun Choekyi Nyima und manch anderer hochrangiger buddhistischer Würdenträger bleibt weiterhin unbekannt.
  • Im Oktober 2004 kündigte China eine Neuauflage der Kampagne des Harten Durchgreifens in Lhasa an. Im Rahmen dieser Kampagne erhält die Polizei unbeschränkte Handlungsvollmacht, um gegen Tibeter vorzugehen.

Der Nationale Volkskongreß hat bei seiner zweiten Sitzung im März 2004 durch die Einfügung des Wortes "Menschenrechte" eine historische Änderung der chinesischen Verfassung vorgenommen. So heißt es nun dort: "Der Staat respektiert und schützt die Menschenrechte". Der Begriff "Menschenrechte" wurde in diesem Verfassungszusatz jedoch nicht genauer erläutert, wodurch die Interpretation des Begriffs offen und mehrdeutig bleibt.

Das TCHRD bringt an dieser Stelle seine Bedenken bezüglich der chinesischen Definition der Begriffe "Staatssicherheit", "soziale Stabilität", "gegen die öffentliche Ordnung gerichtete Straftaten" und ähnliche zum Ausdruck, denn immer mehr Tibeter werden unter derartigen Anschuldigungen inhaftiert. Solange die Behörden sich solcher Rechtfertigungen bedienen, wird nach Auffassung des TCHRD kein Verfassungszusatz, wie auch immer sein Wortlaut sein mag, auch nur die geringste Änderung bewirken.

An diesem 56. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte möchte das TCHRD die internationale Gemeinschaft dazu auffordern, der Politik und Praxis Chinas in Sachen Menschenrechte in Tibet gegenüber wachsam zu bleiben. Zudem ruft das TCHRD die chinesische Regierung auf, die internationalen Menschenrechtsnormen zu achten und sich an sie zu halten.

Das TCHRD ist die erste tibetische NGO, die sich zur Aufgabe gemacht hat, "auf die Menschenrechtssituation in Tibet hinzuweisen und die Prinzipien der Demokratie in der tibetischen Gemeinschaft zu fördern". Das TCHRD, das im Januar 1996 gegründet wurde, ist unabhängig von der Tibetischen Regierung-im-Exil und hat seinen Sitz in Dharamsala, Indien

Teil 5

Mönch ging ins Exil, um ungehindert seinen Studien nachgehen zu können

Thupten Tsering, 22, kommt aus der Gemeinde Kyadha, Distrikt Sog. Weil er seine religiösen Studien in Tibet nicht fortsetzen konnte, ist er ins Exil gegangen, wo er in ein südindisches Kloster eintreten will.

Thupten berichtete dem TCHRD: "In meiner Kindheit half ich bei der Landarbeit und konnte nicht zur Schule gehen. Mit 19 Jahren wurde ich im Kloster Woenang zum Mönch ordiniert. Seit die Behörden eine Obergrenze für die Anzahl der Mönche festgelegt und eine Altersbeschränkung eingeführt haben, leben im Kloster nur noch ca. 30 Mönche. Ein Mönch muß ein offizielles chinesisches Ausweispapier haben, um ins Kloster gehen zu können. Jedes Jahr kommt eine Gruppe von sechs bis acht chinesischen Kadern, um Kurse in "patriotischer Umerziehung" abzuhalten. Wenn die Mönche nicht genügend Engagement zeigen, drohen die Kader mit der Schließung des Klosters. Daher nehmen die Mönche unter Zwang an den obligatorischen Kursen teil. Ich blieb fünf Jahre lang im Kloster.

Dann beschloß ich, ins Kloster Drepung überzuwechseln und ersuchte die Kloster-, Gemeinde- und Distriktsverwaltung um Genehmigung. Mein Antrag wurde aber abgelehnt. 2002 setzte ich mich trotzdem nach Lhasa ab und trat als provisorischer Student ins Kloster Drepung ein. Öfters kamen Anrufe aus meinem früheren Kloster, bei denen mir gesagt wurde, ich solle zurückkehren oder ich würde mit einer Geldstrafe belegt. Ich ignorierte die Anrufe und blieb in Drepung. Schließlich schickten die Behörden aus meiner Heimat einen Brief nach Drepung, in dem sie forderten, daß ich des Klosters verwiesen werde, was daraufhin auch prompt geschah."

Thupten erzählte dem TCHRD außerdem: "Die ständig in Drepung lebenden Mönche müssen mindestens einmal monatlich an Kursen für patriotische Umerziehung teilnehmen und jede Woche eine Propagandabroschüre auswendig lernen. Sie müssen Prüfungen ablegen, und die, die dabei schlecht abschneiden, werden schwer getadelt. Im Juni 2004 wurden leere Blätter an die Mönche verteilt, auf denen sie Aufsätze über die Größe des Mutterlandes und des Kommunismus verfassen sollten. Wer das nicht machte, wurde umgehend bestraft."

Weil es in Tibet keine religiöse Freiheit gibt, floh Thupten ins Exil; nun möchte er in Indien den Buddhismus studieren und praktizieren.

Teil 6

Streitigkeiten zwischen Mönchen und Regierungsleuten

Lobsang Gaden, 18, stammt aus der Gemeinde Gathok, Distrikt Markham, Sichuan. Er berichtete dem TCHRD über die Kurse für "patriotische Umerziehung" in seinem Kloster und die Spannungen zwischen Kadern und Mönchen.

"Ich besuchte drei Jahre lang eine Schule am Ort und trat mit zehn Jahren ins Kloster Woeser ein, in dem ungefähr 54 Mönche leben. Religiöse Unterweisungen gibt es nur in sehr eingeschränkter Weise. Statt dessen müssen die Mönche einer Regelung aus dem Jahr 1999 zufolge an Kursen in "patriotischer Umerziehung" teilnehmen, bei Fernbleiben werden sie mit 1.500 Yuan Geldstrafe bestraft.

Direkt hinter dem Kloster befinden sich die Wohnungen der Regierungsbediensteten. Die Klosterleitung hat vorgeschlagen, die Errichtung neuer Häuser für die Kader zu finanzieren, falls sie sich bereit erklärten, anderswohin zu ziehen. Sie nahmen das Angebot aber nicht zur Kenntnis, weshalb der Konflikt weiterschwelt.

Die Abwasserleitungen des Klosters enden genau vor den Wohnungen der Kader. Im August 2004 regnete es heftig, weshalb die Kader die Abflußrohre verstopften, denn sie befürchteten, das Wasser werde in ihre Häuser strömen. Bald stand das ganze Gelände um das Kloster herum unter Wasser und die Umzäunung wurde beschädigt. Die drei Mönche Jamyang Sangpo, Dhungkar Tsering und Tashi Tsering gingen zu den Kadern und baten sie, die Rohre wieder freizumachen. Als diese sie nicht einmal anhören wollten, erledigten die Mönche es selbst. Der Vorfall wurde dem Distriktsbüro gemeldet und formelle Beschwerde gegen die Mönche eingereicht. Daraufhin trafen einige Behördenvertreter im Kloster ein und schlugen die drei Mönche. Andere Mönche griffen ein, um ihren Brüdern zu helfen, woraufhin es zu einem Handgemenge kam. Als immer mehr Mönche zusammenströmten, bedrohten die Kader sie mit ihren Pistolen. Schließlich griff der Abt ein und es gelang ihm, wieder Ruhe herzustellen. Die Kader notierten die Namen von 16 Mönchen und drohten ihnen mit Konsequenzen. Das Kloster mußte für die Behandlungskosten der verletzten Kader aufkommen."

Lobsang Gaden traf am 4. Dezember 2004 im Tibetischen Flüchtlingsaufnahmelager ein. Er möchte seine religiösen Studien in Indien fortsetzen.

Teil 7

Neuankömmlinge berichten über Diskriminierung und Vetternwirtschat an tibetischen Schulen

Tenzin Choesang (der Name wurde auf ihren Wunsch geändert) absolvierte nach Beendigung ihrer Schulzeit eine Ausbildung als Lehrerin am Qinghai Nationalities Teacher Training College. Anschließend war sie acht Jahre lang Lehrerin in einer Grundschule in Nangchen.

Tenzin berichtet: "In der Schule gibt es um die 900 Schüler und 43 Lehrer. Die Gehälter der Lehrer sind sehr unterschiedlich. Ein neu angestellter Lehrer bekommt nur 150 Yuan im Monat, während eine langjährige Lehrkraft mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung 2.200 Yuan erhält. Außerdem sind die Wohnverhältnisse schlecht, die elektrische Ausstattung ist mangelhaft und die Trinkwasserversorgung einfach unhygienisch. Es gibt am Ort auch keine medizinische Betreuung. Die Behörden versorgen die Schule nur unzureichend mit Schreibmaterial, was sich hinderlich auf den Unterrichtsablauf auswirkt. Die meisten Schüler kommen aus armen Nomadenfamilien und können die Kosten für die Schreibhefte fast nicht aufbringen. Deshalb müssen letzten Endes viele Schüler von der Schule abgehen.

Vetternwirtschaft ist in der Schule weit verbreitet. Die Hälfte der Lehrer ist mit den anderen Lehrkräften und auch mit Angehörigen der Schulverwaltung verwandt. In der Schule wird die tibetische Geschichte und Sprache vernachlässigt und für gänzlich nebensächlichgehalten. Dagegen wird großes Gewicht auf die chinesische Sprache und Literatur gelegt und die Schulbehörde unterstützt die Lehrer für diese Fächer. Es gibt in diesem Distrikt noch eine andere Schule, die von den Kindern der Regierungsbediensteten besucht wird. Diese ist sehr gut ausgestattet, und der Unterricht wird ausschließlich in chinesischer Sprache abgehalten.

Um die schulischen Leistungen der tibetischen Schüler herabzusetzen, gibt es unterschiedliche Benotungssysteme für tibetische und chinesische Schüler - die Chinesen müssen ja besser abschneiden als die Tibeter."

Der 14 Jahre alte, in Lhasa gebürtige Tenzin Nyima berichtete in einem anderen Interview: "Zuerst ging ich in die Shol Grundschule. Dort gibt es für jede Jahrgangsstufe von eins bis fünf vier Klassen. Für die sechste Jahrgangsstufe gibt es nur drei Klassen. Die Zahl der Schüler beträgt insgesamt ca. 1.000. Die ungefähr 50 chinesischen Schüler im sechsten Jahr haben eine eigene Klasse.

Die Schule ist zwar gut ausgerüstet, trotzdem müssen die Schüler ihre Schuluniformen und das Schreibmaterial selber kaufen. Die Schulgebühr beträgt pro Halbjahr zwischen 300 und 400 Yuan und beinhaltet auch Kosten für das Mobiliar. Alle Fächer außer Chinesisch werden in tibetischer Sprache unterrichtet. Die meisten Lehrer sind unqualifiziert und pädagogisch nicht geschult. Es gibt wirklich nur sehr wenige qualifizierte Lehrer.

Ungeachtet der Probleme für die Schüler aus armen Familien müssen Kinder, die aus weit entlegenen ländlichen Gebieten stammen, auf Grund ihrer Einwohner-Registrierung die doppelten Gebühren bezahlen. Wenn sie den Betrag nicht aufbringen können, dürfen sie die Schule nicht betreten. Der Hauptgrund für dieses doppelte Schulgeld ist, daß die Kinder vom Land keine Registrierungskarte haben; dabei ist jedoch nicht klar, ob die chinesischen Schüler genauso viel zahlen müssen. Von dem diskriminierenden Schulgeld abgesehen können alle Schüler jede Einrichtung gleichermaßen nutzen."

Tenzin besuchte anschließend die Mittelschule in Lhasa und berichtet: "Dort gibt es an die 2.000 Schüler und die Unterrichtssprache ist in der Regel Mandarinchinesisch. Die Schulgebühr ist zweimal so hoch wie an der Grundschule, und genauso verhält es sich auch mit den Kosten für Bücher und anderes Schulmaterial, welche ebenfalls von den Schülern zu tragen sind.

Die Qualität des Unterrichts ist nicht gut, was die tibetischen Schüler zur Unaufmerksamkeit verleitet; sie konzentrieren sich daher eher auf ihre Freunde und das Flirten und fangen teilweise sogar zu trinken an. Die Lehrkräfte und die Schulverwaltung bemerken das sehr wohl, sie ignorieren es aber. Die Lehrer kümmern sich kaum um die Schüler, weshalb viele von ihnen keine Lust haben, zur Schule zu gehen, schließlich hängen sie als Schulabbrecher auf der Straße herum."

Tenzins Eltern nahmen ihn wegen dieser negativen Umgebung, die der Bildung mit Sicherheit nicht förderlich ist, von der Schule. Sie schickten ihn ins Exil, weil sie ihren Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen wollen. Er traf im Dezember 2004 im Tibetischen Flüchtlingsempfangszentrum in Kathmandu ein.