Human Rights Update
November 2004

Inhalt
  1. Neuauflage der Hartdurchgreif-Kampagne zur Unterdrückung von Dissens und Religion in Tibet
  2. "Die singenden Nonnen von Drapchi" bezeugen Folter in der Haft
  3. Keine Religionsfreiheit in Tibet – junger Mönch widerspricht der offiziellen Version
  4. Jugendliche auf dem Weg ins Exil vergewaltigt
  5. Gefangenenportrait: Bauer zu 14 Jahren Haft verurteilt
  6. Diskriminierung an der Nubchang Minderheiten-Universität
  7. Verzweifelter Vater ging ins Exil, um seinem behinderten Sohn eine Ausbildung zu ermöglichen

Teil 1

Neuauflage der Hartdurchgreif-Kampagne zur Unterdrückung von Dissens und Religion in Tibet

Bei ihrem neuesten Versuch, ihre harte Linie noch mehr anzuziehen, hat die VR China (PRC) eine Neuauflage der Hartdurchgreif-Kampagne ("Schlag-hart-zu") gestartet, um den tibetischen politischen Dissens systematisch auszumerzen und die religiösen Institutionen noch schärfer zu kontrollieren. Auf einer Reihe offizieller Meetings in Lhasa in den letzten Wochen wurde die Notwendigkeit betont, das Abweichlertum in der Autonomen Region Tibet (TAR) durch die Hartdurchgreif-Kampagne ("Schlag-hart-zu") in Schranken zu halten.

Der staatlichen Website "China Tibet Information Centre" (www.tibetinfor.com) und der Zeitung "Lhasa Evening" vom 4. November zufolge hat die Hartdurchgreif-Aktion für den Winter (1. November bis 30. Dezember 2004) in Lhasa bereits begonnen. Die laufende Kampagne richtet sich gegen geheime separatistische Gruppen im Inland, sowie vom Ausland aus agierende Separatisten, den Einfluß der Religion, gegen Terroristen und ihre Tätigkeiten, kriminelle Handlungen, die Stabilität bedrohende Elemente und gegen Exilrückkehrer, die mit "spalterischen" Gruppen zusammenarbeiten.

Am 19. Oktober 2004 hielten die Strafverfolgungsorgane der TAR eine einwöchige Arbeitssitzung in Lhasa ab, wo es um die Aufrechterhaltung der Stabilität in der Gesellschaft durch ein hartes Durchgreifen gegen "separatistische Kräfte" ging. Der Chef des Public Security Bureau (PSB) der TAR, Yang Song, erklärte am 20. Oktober 2004: "Soziale Stabilität ist nicht nur ein wesentliches Erfordernis in der Gesellschaft, sondern auch eine sehr wichtige politische Angelegenheit, man muß hart gegen die Separatisten durchgreifen und sie ausschalten".

Wie "Lhasa Evening" vom 1. November 2004 berichtet, begann am 31. Oktober ein einwöchiger Workshop für diejenigen, die für die Durchführung der patriotischen Erziehung in den Klöstern im Bezirk Lhasa verantwortlich sind. Bei der Eröffnung der Tagung waren anwesend: der Stellv. Parteisekretär der Stadt Lhasa, der Präsident des Nationalen Volkskongresses von Lhasa, der Chef des Ausschusses für patriotische Erziehung im Bezirk Lhasa, Mitglieder der Politischen Konsultativkonferenz für den Bezirk Lhasa, der Abteilung für Einheitsfront-Arbeit und des Religions-Büros, sowie der Chef der Abteilung für patriotische Erziehung in der TAR. Lobsang Gyurmey, der Chef des Komitees für patriotische Erziehung in Lhasa, sagte in seiner Einführungsrede: "Die patriotische Erziehung muß in den Klöstern intensiv durchgeführt werden, um spalterische Aktivitäten zu unterbinden. Es müssen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, um der Infiltration von Literatur separatistischer Gruppen aus dem Exil ein Ende zu setzen" (er bezieht sich dabei auf Dharamsala, den heutigen Sitz des Dalai Lama).

Die Teilnehmer der Tagung müssen die Vorgaben des Workshops bis Ende des Jahres als Pilotprojekt in zwei oder drei Klöstern in Lhasa umsetzen. Bei Erfolg dieses Experiments wird die Kampagne in den nächsten Jahren (ab 2005) im ganzen Bezirk durchgeführt werden.

Die Kernpunkte und die Richtlinien der Kampagne "patriotische Erziehung" wurden während des dritten Arbeitsforums zu Tibet 1994 formuliert und seit 1996 in die Tat umgesetzt. Obwohl die PRC offiziell erklärt, die patriotische Erziehungskampagne sei 2000 beendet worden, ist das TCHRD davon überzeugt, daß sie in den religiösen Einrichtungen Tibets weitergeführt wird.

Die "Schlag-hart-zu" (chin. Yanda) Kampagne, die 1983 als eine interne Aktion gegen Kriminalität in China gestartet wurde, ist allmählich zu einem politischen Unterdrückungswerkzeug geworden. In Tibet dient sie einzig und allein dem Zweck der Erstickung von politischem Dissens.

Im Zuge der Kampagnen Hartes Durchgreifen und Patriotische Erziehung verletzen die Strafverfolgungsbehörden die fundamentalen Menschenrechte der Tibeter durch willkürliche Festnahmen, Verhaftungen, Verhöre und Folter, Entlassungen aus Arbeitsstellen und Ausweisungen aus religiösen Einrichtungen. Das TCHRD ist äußerst besorgt über die neuerliche Intensivierung der Kampagnen und das harte Vorgehen der chinesischen Behörden gegen das tibetische Volk.

Teil 2

"Die singenden Nonnen von Drapchi" bezeugen Folter in der Haft

Das TCHRD sprach mit Gyaltsen Dolker, 33, und Namdrol Lhamo, 39, zwei der "14 singenden Nonnen von Drapchi", die Ende Oktober 2004 in Kathmandu in Nepal eintrafen. Die Nonnen berichteten dem TCHRD von den Folterungen und den sonstigen Schikanen, denen sie während der Haft und sogar noch nach ihrer Entlassung ausgesetzt waren.

Gyaltsen Dolker: "1988 wurde ich in dem in einem Vorort von Lhasa gelegenen Kloster Garu zur Nonne ordiniert. Zwei Jahre lang studierte ich die buddhistische Philosophie. Während des Shoton-Fests (Opernfest) von 1990 riefen 13 Nonnen, von denen fünf aus meinem Kloster und die anderen acht aus dem Kloster Michungri waren, Parolen wie "Freiheit für Tibet" und "Lang lebe der Dalai Lama". Innerhalb kürzester Zeit trafen an die 30 Polizisten des Public Security Bureau (PSB) und Kräfte der People's Armed Police (PAP) ein. Die Beamten prügelten heftig auf uns ein und brachten uns ins Haftzentrum Gutsa, wo wir gezwungen wurden, zwei Stunden lang mit dem Gesicht zur sengend heißen Sonne hin gewandt zu stehen.

Dann wurden wir nacheinander zum Verhör gerufen, in dessen Verlauf die Polizisten uns mit elektrischen Stöcken Schocks am Hals und an anderen Körperstellen versetzten, bis wir ohnmächtig umfielen. Einige von uns wurden mit blanken Kabeln gequält, die ein Offizier mittels eines sich drehenden Geräts unter Strom setzte. Der Schmerz war unerträglich. Sie ließen auch Hunde auf uns los, manchmal hängten sie uns an der Decke auf und steckten uns elektrische Viehstöcke in den Mund. Später in der Nacht wurden wir getrennt in den Frauenzellen untergebracht.

Während der folgenden Tage wurden wir täglich von drei Offizieren verhört, die wissen wollten, wer die Anführerin des Protests gewesen wäre und welchen "separatistischen Aktivitäten" wir in der Vergangenheit schon nachgegangen wären. Verschiedene Formen der Folter wie Elektroschocks, Schläge mit Eisenruten und elektrischen Schlagstöcken waren in Gutsa an der Tagesordnung.

Nach drei Monaten erbarmungsloser Verhöre und Folterung verurteilte uns der Mittlere Volksgerichtshof Lhasa am zweiten Tag des zehnten Monats nach unserem Mondkalender zu Haftstrafen zwischen drei und sieben Jahren. Ich bekam vier Jahre. Nach dem Urteil wurden wir nach Drapchi verlegt und in der dritten Einheit, die für Frauen bestimmt war, inhaftiert. Die neu angekommenen Gefangenen durften mit den "alten" Insassinnen kein Wort reden. Morgens gibt es militärartigen Drill für die Gefangenen; zwei Wochen lang mußten wir zusätzlich die Hausregeln der Anstalt auswendig lernen. Wenn wir sie nicht auswendig aufsagen konnten, wurden wir geschlagen und mußten mehr als zwei Stunden in der Sonne stehen.

Nach zwei Monaten wurden wir den Gewächshäusern zugeteilt, um Gemüse anzubauen. Jedes Gewächshaus muß jährlich Gemüse im Wert von 10.000 Yuan produzieren. Wenn die Gefangenen das nicht schaffen, werden sie schwer geschlagen.

Obwohl die Gefangenen ständig unter gesundheitlichen Problemen leiden, gibt es in Drapchi nur eine kleine Krankenstation. Die politischen Gefangenen vermeiden es allerdings von sich aus, diese aufzusuchen, denn die Ärzte und das Personal dort behandeln sie nicht angemessen. Obwohl die gleiche Behandlung aller Häftlinge gesetzlich vorgeschrieben ist, verhält es sich in der Praxis so, daß die politischen Gefangenen schwer diskriminiert werden. Sie werden genau überwacht und geschlagen oder man verweigert ihnen unter dem geringsten Vorwand die Besuche ihrer Angehörigen. Die Strafgefangenen dagegen bekommen die leichteren Arbeiten zugeteilt und werden sogar bei harmlosen Verletzungen medizinisch gut versorgt.

1993 haben 13 in der dritten Einheit inhaftierte Nonnen, zu denen auch ich gehörte, patriotische Lieder und Kurzbiographien auf einer Kassette aufgenommen, die in die Zelle geschmuggelt worden war. Leider bekam das Wachpersonal etwas davon mit und beschlagnahmte die Kassette. Wir wurden deswegen alle übel gefoltert und mit Strafverlängerungen bestraft. Meine ursprüngliche Strafe von drei Jahren wurde um acht Jahre verlängert.

Am 21. März 2003 wurde ich aus Drapchi entlassen, nachdem ich meine insgesamt 12-jährige Haftstrafe verbüßt hatte. Zwei Angehörige des Wachpersonals brachten mich geradewegs zum PSB-Büro in Lhasa. Dort wurde ich fotografiert und mußte meinen Daumenabdruck auf ein Dokument setzen, in dem ich zu versichern hatte, daß ich mich künftig von allen politischen Aktivitäten fernhalten würde. Danach wurde ich in meine Heimatgemeinde gebracht und dem Distriktsvorsteher übergeben.

Auf Grund meines schlechten Gesundheitszustands wurde ich in ein Krankenhaus in Lhasa eingewiesen. Nach einigen Tagen verließ ich es wieder und fuhr nach Hause, aber dort hielt ich es nicht lange aus, denn ich war sehr deprimiert, weil meine Eltern während meiner Zeit im Gefängnis gestorben waren. Ich kehrte nach Lhasa zurück und versuchte, meinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Brot und Nudeln zu verdienen. Ich konnte jedoch auch nach meiner Haftentlassung nicht frei leben. Politische Gefangene haben es nach ihrer Entlassung sehr schwer. Infolge unseres schlechten Gesundheitszustands und unseres politischen Hintergrunds bekommen wir kaum Arbeit. Außerdem schikaniert die Polizei uns ständig und schränkt unsere Bewegungsfreiheit ein. Politische Gefangene werden auch nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis mit unsichtbaren Ketten gefesselt."

Namdrol Lhamo, die in der Gemeinde Khangsung, Distrikt Tsangren Bum, TAR, geboren wurde, berichtet: "Wir waren eine arme Familie und in meiner Kindheit half ich auf dem Hof mit. Ich konnte nicht zur Schule gehen und erhielt keine Ausbildung.

Mit Zustimmung meiner Eltern wurde ich später im Kloster Tashi Choeling Ratoe zur Nonne ordiniert und blieb dort bis 1992. In diesem Jahr beschloß ich, zusammen mit einem dem Laienstand angehörigen Freund aus dem Distrikt Taktse für die Unabhängigkeit Tibets zu demonstrieren. Wir trafen uns am 11. Mai 1992 vor dem Jokhang Tempel in Lhasa. Mein Freund entfaltete eine tibetische Flagge und wir riefen: "Freiheit für Tibet", "Chinesen raus aus Tibet", Tibet gehört den Tibetern" und so weiter. Zwei Mönche aus dem Kloster Ganden und noch ein paar andere schlossen sich uns an. Während wir so den Barkhor umrundeten, kamen PAP-Kräfte in Zivil auf uns zu und verhafteten mich und meinen Freund. Wir wurden in einen Lieferwagen für Fleischtransport geworfen und zum nächstgelegen PSB-Gefängnis gebracht. Dort angekommen, packte ein Beamter mich von hinten, schleuderte mich gegen die Wand und schlug mit einem elektrischen Schlagstock auf mich ein. Nachdem wir etwa zwei Stunden lang schwer geschlagen worden waren, wurden wir ins Haftzentrum Gutsa verlegt.

Die nächsten eineinhalb Monate wurden wir zweimal in der Woche verhört. Bei diesen Verhören setzten die Beamten Elektroschocks ein und schlugen uns erbarmungslos mit allem, was ihnen in die Hände kam.

Der Mittlere Volksgerichtshof Lhasa verurteilte uns zu Haftstrafen von unterschiedlicher Dauer. Ich bekam sechs Jahre, mein Freund wurde zu sieben Jahren verurteilt und die beiden Mönche aus Ganden ebenfalls zu sechs Jahren.

Im Juli 1992 wurden wir alle nach Drapchi verlegt, um dort unsere Strafen zu verbüßen. Ich saß mit anderen weiblichen Häftlingen in der dritten Einheit ein. Ich durfte keinen Kontakt mit den Häftlingen aufnehmen, die schon länger dort waren und mußte mich an die Hausordnung des Gefängnisses halten. Ich hatte die Zeitung zu lesen, die Hausregeln auswendig zu lernen und die Fragestunde durchzustehen. Später mußte ich im Garten arbeiten.

Im Jahr 1993 nahmen die Insassinnen der Zellen Nr. 1, 4 und 7 der dritten Einheit patriotische Lieder und einen kurzen Lebenslauf jeder Gefangenen auf eine Kassette auf. Unglücklicherweise erfuhren zwei Mitglieder des Wachpersonals davon, nahmen uns die Kassette ab und brachten sie zur Gefängnisleitung. Zwei Monate lang geschah gar nichts. Dann bestrafte die Gefängnisleitung die 14 beteiligten Nonnen mit Haftverlängerungen. Meine Strafe wurde um sechs Jahre verlängert, andere mußten zwischen drei und neun Jahren zusätzlicher Haft hinnehmen.

Nach diesem Ereignis wurden die politischen Gefangenen unter strenger Überwachung gehalten und mußten schwere Folter und sonstige brutale Mißhandlungen erdulden. 1998 wurde sogar eine Überwachungskamera angebracht.

Nachdem ich meine Strafe voll verbüßt hatte, wurde ich am 21. September 2003 entlassen. Ich wurde angewiesen, innerhalb einer Woche in meine Heimatstadt zurückzukehren. Nach meiner Ankunft mußte ich mich beim örtlichen PSB-Büro melden und mir von da an jede Reise genehmigen lassen."

Namdrol Lhamo bat um die Erlaubnis, nach Lhasa zu reisen, um dort Verwandte zu besuchen. Nach einem Aufenthalt von mehreren Monaten entschied sie sich zur Flucht nach Indien und traf am 22. Oktober 2004 im TRRC (Tibetan Refugee Reception Centre) ein.

Teil 3

Keine Religionsfreiheit in Tibet – junger Mönch widerspricht der offiziellen Version

Jigme Dorjee ist ein 18 Jahre alter Mönch aus dem Dorf Tsanyak im Distrikt Paschoe, Präfektur Chamdo, TAR. Er floh aus Tibet, weil er die ständige Einmischung der Behörden in seine religiösen Studien nicht mehr ertragen konnte und diese nun in Frieden im Exil fortsetzen will.

Jigme berichtet: "Meine Eltern starben, als ich noch ein Kind war. Ich wurde von meinem Onkel mütterlicherseits großgezogen und half ihm in der Landwirtschaft. Abgesehen davon, daß mein Onkel mir Lesen und Schreiben beibrachte, erhielt ich keine formelle Bildung. Mit 13 Jahren trat ich ins Kloster von Chamdo ein. Es gibt dort ungefähr 1.000 Mönche. Obwohl ich meinen Textstudien nachging, wurde ich niemals offizielle ins Kloster aufgenommen. Ich studierte dort drei Jahre lang. Eines Tages kam eine aus zehn Kadern bestehende chinesische Arbeitsgruppe, um die Kampagne "Liebe Dein Land, liebe Deine Religion" durchzuführen. Sie überprüften die Anzahl der Mönche und verwiesen 60 Mönche aus meinem Heimatdistrikt Paschoe des Klosters, darunter auch mich, außerdem viele Mönche, die aus verschiedenen anderen Orten gekommen waren.

Nach meinem Ausschluß aus dem Kloster von Chamdo trat ich ins Kloster von Paschoe ein und setzte dort meine religiösen Studien fort. Obwohl die Behörden eine Obergrenze von 240 Mönchen festgelegt hatten, befanden sich ca. 400 im Kloster. Die überzähligen Mönche, die nicht offiziell registriert waren, mußten sich regelmäßig, wenn Behördenvertreter zur Inspektion ins Kloster kamen, verstecken.

Wiederholt kamen Arbeitsteams der Distriktsverwaltung, die aus drei bis sieben Personen bestanden, ins Kloster. Sie erteilten politischen Unterricht und verlangten von den Mönchen, daß sie den Dalai Lama verunglimpften, ihre Loyalität zum Mutterland bekundeten und Tibet als Teil Chinas anerkannten. Die Mönche, die dem Kloster offiziell angehörten, erhielten eine Urkunde über die Teilnahme an den Kampagnekursen. Die nicht registrierten Mönche versteckten sich oder gingen nach Hause, wenn Behördenvertreter das Kloster aufsuchten. Die registrierten Mönche sind aber nicht glücklich im Kloster, weil sie gegen ihren Willen Kritik am Dalai Lama üben müssen, um die offizielle Zulassungsurkunde zu bekommen und im Kloster bleiben zu dürfen. Sie haben keine Wahl und müssen den offiziellen Anordnungen folgen, sonst werden sie des Klosters verwiesen oder, wenn es noch schlimmer für sie kommt, sogar verhaftet.

Die Urkunden der älteren Mönche, die verstorben sind oder das Kloster freiwillig verlassen haben, werden den Behörden zurückgegeben, aber neue Zulassungen werden nicht erteilt, so daß die Zahl der Mönche immer weiter abnimmt. Alle Lehrer müssen bei den Behörden um eine offizielle Genehmigung vorstellig werden, wenn sie spirituelle Belehrungen erteilen wollen.

Die Behauptung der Chinesen, in Tibet gebe es Religionsfreiheit, ist völlig falsch. Ich bin Mönch, doch es bedeutet einen gigantischen Kampf für mich, in einem Kloster bleiben und dort friedlich studieren zu können."

Jigme Dorjee traf am 14. November im Empfangszentrum für tibetische Flüchtlinge in Kathmandu ein. Er möchte seine religiösen Studien in einem Kloster im Exil fortsetzen.

Teil 4

Jugendliche auf dem Weg ins Exil vergewaltigt

Ein Neuankömmling aus Tibet, der seine Anonymität wahren will, berichtete dem TCHRD über die Vergewaltigung von zwei jungen Mädchen aus seiner Gruppe durch eine Bande von Nepalesen, die in der Uniform der nepalesischen Polizei auftrat und die fliehenden Tibeter angriff.

"Wir waren eine Gruppe von fünf Männern und zwei 13 und 16 Jahre alten Mädchen. Nachdem wir Dram (nepalesisch-tibetische Grenzortschaft) passiert hatten, erreichten wir die Wälder um Tatopani. Plötzlich wurden wir von einer Gruppe von acht mit Messern bewaffneten Männern in Uniformen der nepalesischen Polizei angegriffen. Den Mädchen wurden vor unseren Augen die Kleider vom Leib gerissen, dann vergewaltigten die Männer sie abwechselnd. Einige der Männer vergewaltigten die Mädchen mehrmals. Die anderen lachten und urinierten daneben, während den Mädchen Gewalt angetan wurde. Ein Mann aus unserer Gruppe wurde mit einem Messerhieb auf den Kopf niedergeschlagen, als er aus Wut mit den Bewaffneten kämpfen wollte."

Tibeter, die sich auf die Flucht begeben, sind während ihrer Reise ins Exil großen Gefahren ausgesetzt. Wenn sie unterwegs nicht in die Hände der chinesischen oder nepalesischen Grenzpolizei fallen, so treffen sie häufig auf Banditen. Viele werden zurückgeführt und einige auch inhaftiert – und zwar auf beiden Seiten der Grenze.

Teil 5

Gefangenenportrait: Bauer zu 14 Jahren Haft verurteilt

Butuk ist ein 50 Jahre alter Bauer aus der Gemeinde Serchu, Distrikt Kardze. Sein jüngerer Bruder und sein alter Vater leben in seiner Familie. Weil er der einzige Brotverdiener war, mußte er hart auf dem Feld arbeiten, damit er seine Familie ernähren konnte.

1989 brachten Butuk und sein Freund Tsering Dorjee auf dem Markt ihrer Gemeinde Plakate mit Parolen wie "Unabhängigkeit für Tibet", "Lang lebe der Dalai Lama" und "Chinesen, geht heim" an, die in Englisch, Tibetisch und Chinesisch abgefaßt waren. Am 15. Tag des ersten Monats des tibetischen Mondkalenders des Jahres 1990 hißten die beiden eine tibetische Flagge auf dem Dach des örtlichen Klosters. Ein Jahr danach war das PSB trotz intensiver Nachforschungen den "Übeltätern" immer noch nicht auf die Spur gekommen.

Bei einer Pilgerfahrt nach Lhasa erzählte Tsering Dorjee seinen Freunden von der Sache. Das PSB Lhasa, dessen wachsamen Ohren nichts entgeht, erfuhr davon und verhaftete Tsering. Einige Tage danach wurde auch Butuk in seiner Heimatgemeinde von PSB-Beamten verhaftet. 1991 wurden die beiden wegen "konterrevolutionärer Aktivitäten" vor Gericht gestellt und vom Mittleren Volksgerichtshof Kardze zu 13 Jahren Haft (Tsering) und 14 Jahren (Butuk) verurteilt.

Sie wurden ins Gefängnis Ra-nga-kha gebracht, um dort ihre Strafe zu verbüßen. Nachdem er dort vier Jahre der Folterung erdulden mußte, wurde Butuk in das im Autonomen Distrikt Maowan Qiang, TAP Ngaba, Provinz Sichuan, gelegene Gefängnis Aba verlegt, bei dem es sich um eine Haftanstalt für Langzeitgefangene aus den Regionen Ngaba und Kardze handelt.

Butuk verbüßt inzwischen das letzte Jahr seiner Haftstrafe und befindet sich infolge der langen Jahre hinter Gittern und der gewohnheitsmäßigen Folter in einem beklagenswerten gesundheitlichen Zustand.

Das TCHRD erfuhr von zwei weiteren Tibetern, die aus politischen Gründen in Aba einsitzen:

*Sonam Ngodup, 25, aus dem Dorf Dhado, Distrikt Kardze, verbüßt eine siebenjährige Haftstrafe wegen Verbreitung von Pamphleten mit der Forderung nach Unabhängigkeit.

*Chonga Gyaltsen, 17, ein Mönch aus dem Kloster Kardze, wurde vom Mittleren Volksgerichtshof Kardze zu acht Jahren Haft verurteilt.

Teil 6

Diskriminierung an der Nubchang Minderheiten-Universität

Dukarkyap, 24, wurde im Dorf Rinchen, Gemeinde Genkya, Distrikt Labrang, Provinz Gansu, geboren. Nach Abschluß seiner schulischen Ausbildung im Distrikt Sangchu (Labrang) studierte er vier Jahre lang an der Nubchang Nationalities University (Universität für Minderheiten Nubchang).

Dukarkyap berichtete dem TCHRD über die dort üblichen Diskriminierungen:

"An der Universität gibt es mehr als 13.000 Studenten und ungefähr 1.000 Professoren. Nur 20 von den letzteren sind Tibeter. Obwohl jeder Student 5.000 Yuan pro Semester bezahlt, ist die tibetische Fakultät verglichen mit den anderen wesentlich schlechter ausgestattet. Die tibetische Sprache ist ein Nebenfach, für das die meisten Studenten kein Interesse aufbringen, denn ein Studienabgänger mit einem Diplom in Tibetisch hat keine glänzenden Karriereaussichten.

Die tibetischen Studenten werden bei etwaigen Problemen von der Universitätsverwaltung alleine gelassen, sie tut so als ginge sie das nichts an, was deren ohnehin trüben Berufsaussichten nicht gerade förderlich ist. Die chinesischen Studenten genießen beim Lehrkörper eindeutige Priorität, weshalb die Universität unablässig daran arbeitet, sie auf den richtigen Pfad zu leiten. Bei Streitigkeiten zwischen chinesischen und tibetischen Studenten werden die Tibeter häufiger als Chinesen vom Studium ausgeschlossen oder mit anderweitigen schweren Strafen belegt.

Während der Semesterferien pflegte ich meinen Heimatort zu besuchen und Schülern in einem Mietshaus Nachhilfeunterricht zu geben, um mir so etwas Geld zu verdienen. Als ich im Jahr 2003 heimfuhr, traf ich einen westlichen Touristen, der mir ein Buch mit dem Titel "Footprints of Spring" gab, das ein Foto und eine Rede des Dalai Lama enthielt. Ich schrieb die Rede auf die Tafel im Klassenzimmer und erklärte sie den Schülern. Am nächsten Tag gegen 15.00 Uhr kamen sieben PSB-Polizisten in mein Haus und durchsuchten es. Sie fanden einige kleine Bildchen des Dalai Lama und wollten wissen, woher ich diese hätte. Ich wurde zum PSB-Büro gebracht und verhört. Durch die Hilfe einer einflußreichen Person konnte meine Familie meine Freilassung erwirken. Mir wurde verboten, weiterhin Nachhilfeunterricht zu erteilen.

Im Juni 2004 schloß ich mein Studium ab und kehrte in meine Heimatgemeinde zurück. Dort gibt es etwa 90 Familien, die ihren Lebensunterhalt als Bauern in der Landwirtschaft verdienen. Es gibt keinerlei Entwicklung in der Gegend. Das Fehlen angemessener medizinischer Versorgung und die schlechte Infrastruktur stellen die Menschen vor große Probleme. Statt für Verbesserungen zu sorgen, verlangen die chinesischen Behörden von den Tibetern, die Größe ihrer Herden zu reduzieren, weil die Überweidung angeblich der Umwelt schade, dabei sind in sie Wirklichkeit selbst für die Schäden verantwortlich. Beispielsweise halten jedes Jahr ca. 1.000 Soldaten des nahegelegenen Militärlagers ein Manöver in unserer Gegend ab. Anfangs waren sie noch freundlich zu den Einheimischen und gaben ihnen Öl, aber bald fingen sie an, Ärger zu machen.

Die Regierung behauptet, sie hätte Fortschritt nach Tibet gebracht, aber die abgelegenen Dörfer sind von jeder Entwicklung abgeschnitten. Dort ist alles wie früher. Ich bin ins Exil gegangen, um mich weiter bilden zu können und weil ich um eine Audienz beim Dalai Lama nachsuchen möchte."

Dukakyap traf im Oktober 2004 im Empfangszentrum für Flüchtlinge in Kathmandu ein.

Teil 7

Verzweifelter Vater ging ins Exil, um seinem behinderten Sohn eine Ausbildung zu ermöglichen

Yeshi Thupten, 45, stammt aus dem Ort Tsethang im Distrikt Nedong, Präfektur Lhoka, TAR. Er hat zwei Kinder, die beide von Geburt an taub sind. Sein jüngerer Sohn starb durch einen Sturz in eine Baugrube. Weil es ihm nicht gelang, seinen älteren Sohn in einer Schule in Tibet einschreiben zu lassen, floh er mit ihm nach Indien, um ihn dort in einer Schule für Behinderte unterzubringen.

Yeshi berichtet: "Ich heiratete und meine Frau bekam zwei Söhne. Beide waren von Geburt an taub, so daß unsere ersten Ehejahre sehr schwer waren. Meine Frau verließ mich schließlich und heiratete 1997 einen anderen Mann.

Weil ich nicht in der Lage war, die beiden Kinder ohne Mutter groß zu ziehen, stellte ich beim Distriktgericht von Nedong einen Antrag, daß meiner Frau ihr Teil der Verantwortung auferlegt werde. Das Gericht wies meinen Antrag ab und verlangte, er müsse auf Chinesisch abgefaßt werden. Ich legte also einen neuen Antrag in chinesischer Sprache vor, aber das Gericht reagierte überhaupt nicht darauf. Daraufhin wandte ich mich an einen höheren Mitarbeiter des Mittleren Volksgerichtshof in Lhoka, der eine Wiedervorlage des Antrags beim Distriktgericht veranlaßte. Also reichte ich meine Petition erneut ein. Am 10. April 1998 wies das Gericht meinen Antrag endgültig ab: Meine Frau habe mich zu Recht verlassen, denn ich hätte mit ihr und den Kindern nach Indien fliehen wollen.

Ich ging nach Lhasa, weil ich meine Kinder in einer Schule für Behinderte anmelden wollte, aber die Schulverwaltung verweigerte ihre Aufnahme mit der Begründung, sie seien ja gar nicht behindert. Der wahre Grund war jedoch, daß ich ein armer Bauer bin und das Schulgeld nicht rechtzeitig hätte bezahlen können. Schließlich kehrte ich in mein Heimatdorf zurück. In Lhoka versuchte ich, meine Kinder in der Regierungsschule Nr. 3 unterzubringen, aber auch dort wurden sie abgewiesen, diesmal auf Grund ihrer Taubheit.

Damit ich etwas Geld verdienen konnte, brachte ich die Kinder zu meiner Mutter, die in der Gegend von Lachen lebt. Dort hatten chinesische Bauarbeiter eine Grube ausgehoben und diese mit Wasser vollaufen lassen. Am 27. September 2002 fiel mein jüngerer Sohn in die Grube und starb. Es ist gesetzlich vorgeschrieben, daß Gefahrenstellen eingezäunt und mit Warnschildern versehen werden. Bei der Grube gab es nichts dergleichen. Ich übergab der Prokuratur (Procurate) eine Petition, doch sie wurde wieder ohne Angabe von Gründen abgewiesen, so daß mir keine Gerechtigkeit zuteil wurde."

Yeshi berichtete auch über die schlechte wirtschaftliche Lage in der Region. Der Distrikt Nedong, in dem ca. 1.000 Familien ansässig sind, ist vergleichsweise der ärmste von 18 Distrikten in der Präfektur Lhoka. Von der finanziellen Unterstützung, welche die Regierung den Familien versprochen hatte, haben diese bisher noch nichts gesehen. Der Fernsehsender Tibet Television stellt jedes Jahr verschiedene Gegenden der TAR vor. Bei den Aufnahmen für diese Sendung gab der Chef des Nachbarschaftskomitees Anweisung, die Kameraleute ausschließlich zu ganz bestimmten ordentlich eingerichteten Häusern zu führen. Die Hausbesitzer mußten sich auf den Besuch der Fernsehcrew gut vorbereiten; sie legten neue Teppiche aus und schmückten ihre Häuser. Auch der Inhalt der Interviews war vorbereitet, es schien, als seien sie angewiesen worden, nur das Lob der Kommunistischen Partei und der Zentralregierung zu singen.

Yeshi Thupten und sein älterer Sohn trafen am 20. Oktober 2004 im Empfangszentrum in Kathmandu ein. Yeshi hofft eine Audienz beim Dalai Lama zu erhalten und seinen Sohn in einer Schule der tibetischen Exilregierung in Indien unterzubringen.