"Die singenden Nonnen von Drapchi" bezeugen Folter in der Haft
Das TCHRD sprach mit Gyaltsen Dolker, 33, und Namdrol Lhamo, 39, zwei der "14 singenden Nonnen von Drapchi", die Ende Oktober 2004 in Kathmandu in Nepal eintrafen. Die Nonnen berichteten dem TCHRD von den Folterungen und den sonstigen Schikanen, denen sie während der Haft und sogar noch nach ihrer Entlassung ausgesetzt waren.
Gyaltsen Dolker: "1988 wurde ich in dem in einem Vorort von Lhasa gelegenen Kloster Garu zur Nonne ordiniert. Zwei Jahre lang studierte ich die buddhistische Philosophie. Während des Shoton-Fests (Opernfest) von 1990 riefen 13 Nonnen, von denen fünf aus meinem Kloster und die anderen acht aus dem Kloster Michungri waren, Parolen wie "Freiheit für Tibet" und "Lang lebe der Dalai Lama". Innerhalb kürzester Zeit trafen an die 30 Polizisten des Public Security Bureau (PSB) und Kräfte der People's Armed Police (PAP) ein. Die Beamten prügelten heftig auf uns ein und brachten uns ins Haftzentrum Gutsa, wo wir gezwungen wurden, zwei Stunden lang mit dem Gesicht zur sengend heißen Sonne hin gewandt zu stehen.
Dann wurden wir nacheinander zum Verhör gerufen, in dessen Verlauf die Polizisten uns mit elektrischen Stöcken Schocks am Hals und an anderen Körperstellen versetzten, bis wir ohnmächtig umfielen. Einige von uns wurden mit blanken Kabeln gequält, die ein Offizier mittels eines sich drehenden Geräts unter Strom setzte. Der Schmerz war unerträglich. Sie ließen auch Hunde auf uns los, manchmal hängten sie uns an der Decke auf und steckten uns elektrische Viehstöcke in den Mund. Später in der Nacht wurden wir getrennt in den Frauenzellen untergebracht.
Während der folgenden Tage wurden wir täglich von drei Offizieren verhört, die wissen wollten, wer die Anführerin des Protests gewesen wäre und welchen "separatistischen Aktivitäten" wir in der Vergangenheit schon nachgegangen wären. Verschiedene Formen der Folter wie Elektroschocks, Schläge mit Eisenruten und elektrischen Schlagstöcken waren in Gutsa an der Tagesordnung.
Nach drei Monaten erbarmungsloser Verhöre und Folterung verurteilte uns der Mittlere Volksgerichtshof Lhasa am zweiten Tag des zehnten Monats nach unserem Mondkalender zu Haftstrafen zwischen drei und sieben Jahren. Ich bekam vier Jahre. Nach dem Urteil wurden wir nach Drapchi verlegt und in der dritten Einheit, die für Frauen bestimmt war, inhaftiert. Die neu angekommenen Gefangenen durften mit den "alten" Insassinnen kein Wort reden. Morgens gibt es militärartigen Drill für die Gefangenen; zwei Wochen lang mußten wir zusätzlich die Hausregeln der Anstalt auswendig lernen. Wenn wir sie nicht auswendig aufsagen konnten, wurden wir geschlagen und mußten mehr als zwei Stunden in der Sonne stehen.
Nach zwei Monaten wurden wir den Gewächshäusern zugeteilt, um Gemüse anzubauen. Jedes Gewächshaus muß jährlich Gemüse im Wert von 10.000 Yuan produzieren. Wenn die Gefangenen das nicht schaffen, werden sie schwer geschlagen.
Obwohl die Gefangenen ständig unter gesundheitlichen Problemen leiden, gibt es in Drapchi nur eine kleine Krankenstation. Die politischen Gefangenen vermeiden es allerdings von sich aus, diese aufzusuchen, denn die Ärzte und das Personal dort behandeln sie nicht angemessen. Obwohl die gleiche Behandlung aller Häftlinge gesetzlich vorgeschrieben ist, verhält es sich in der Praxis so, daß die politischen Gefangenen schwer diskriminiert werden. Sie werden genau überwacht und geschlagen oder man verweigert ihnen unter dem geringsten Vorwand die Besuche ihrer Angehörigen. Die Strafgefangenen dagegen bekommen die leichteren Arbeiten zugeteilt und werden sogar bei harmlosen Verletzungen medizinisch gut versorgt.
1993 haben 13 in der dritten Einheit inhaftierte Nonnen, zu denen auch ich gehörte, patriotische Lieder und Kurzbiographien auf einer Kassette aufgenommen, die in die Zelle geschmuggelt worden war. Leider bekam das Wachpersonal etwas davon mit und beschlagnahmte die Kassette. Wir wurden deswegen alle übel gefoltert und mit Strafverlängerungen bestraft. Meine ursprüngliche Strafe von drei Jahren wurde um acht Jahre verlängert.
Am 21. März 2003 wurde ich aus Drapchi entlassen, nachdem ich meine insgesamt 12-jährige Haftstrafe verbüßt hatte. Zwei Angehörige des Wachpersonals brachten mich geradewegs zum PSB-Büro in Lhasa. Dort wurde ich fotografiert und mußte meinen Daumenabdruck auf ein Dokument setzen, in dem ich zu versichern hatte, daß ich mich künftig von allen politischen Aktivitäten fernhalten würde. Danach wurde ich in meine Heimatgemeinde gebracht und dem Distriktsvorsteher übergeben.
Auf Grund meines schlechten Gesundheitszustands wurde ich in ein Krankenhaus in Lhasa eingewiesen. Nach einigen Tagen verließ ich es wieder und fuhr nach Hause, aber dort hielt ich es nicht lange aus, denn ich war sehr deprimiert, weil meine Eltern während meiner Zeit im Gefängnis gestorben waren. Ich kehrte nach Lhasa zurück und versuchte, meinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Brot und Nudeln zu verdienen. Ich konnte jedoch auch nach meiner Haftentlassung nicht frei leben. Politische Gefangene haben es nach ihrer Entlassung sehr schwer. Infolge unseres schlechten Gesundheitszustands und unseres politischen Hintergrunds bekommen wir kaum Arbeit. Außerdem schikaniert die Polizei uns ständig und schränkt unsere Bewegungsfreiheit ein. Politische Gefangene werden auch nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis mit unsichtbaren Ketten gefesselt."
Namdrol Lhamo, die in der Gemeinde Khangsung, Distrikt Tsangren Bum, TAR, geboren wurde, berichtet: "Wir waren eine arme Familie und in meiner Kindheit half ich auf dem Hof mit. Ich konnte nicht zur Schule gehen und erhielt keine Ausbildung.
Mit Zustimmung meiner Eltern wurde ich später im Kloster Tashi Choeling Ratoe zur Nonne ordiniert und blieb dort bis 1992. In diesem Jahr beschloß ich, zusammen mit einem dem Laienstand angehörigen Freund aus dem Distrikt Taktse für die Unabhängigkeit Tibets zu demonstrieren. Wir trafen uns am 11. Mai 1992 vor dem Jokhang Tempel in Lhasa. Mein Freund entfaltete eine tibetische Flagge und wir riefen: "Freiheit für Tibet", "Chinesen raus aus Tibet", Tibet gehört den Tibetern" und so weiter. Zwei Mönche aus dem Kloster Ganden und noch ein paar andere schlossen sich uns an. Während wir so den Barkhor umrundeten, kamen PAP-Kräfte in Zivil auf uns zu und verhafteten mich und meinen Freund. Wir wurden in einen Lieferwagen für Fleischtransport geworfen und zum nächstgelegen PSB-Gefängnis gebracht. Dort angekommen, packte ein Beamter mich von hinten, schleuderte mich gegen die Wand und schlug mit einem elektrischen Schlagstock auf mich ein. Nachdem wir etwa zwei Stunden lang schwer geschlagen worden waren, wurden wir ins Haftzentrum Gutsa verlegt.
Die nächsten eineinhalb Monate wurden wir zweimal in der Woche verhört. Bei diesen Verhören setzten die Beamten Elektroschocks ein und schlugen uns erbarmungslos mit allem, was ihnen in die Hände kam.
Der Mittlere Volksgerichtshof Lhasa verurteilte uns zu Haftstrafen von unterschiedlicher Dauer. Ich bekam sechs Jahre, mein Freund wurde zu sieben Jahren verurteilt und die beiden Mönche aus Ganden ebenfalls zu sechs Jahren.
Im Juli 1992 wurden wir alle nach Drapchi verlegt, um dort unsere Strafen zu verbüßen. Ich saß mit anderen weiblichen Häftlingen in der dritten Einheit ein. Ich durfte keinen Kontakt mit den Häftlingen aufnehmen, die schon länger dort waren und mußte mich an die Hausordnung des Gefängnisses halten. Ich hatte die Zeitung zu lesen, die Hausregeln auswendig zu lernen und die Fragestunde durchzustehen. Später mußte ich im Garten arbeiten.
Im Jahr 1993 nahmen die Insassinnen der Zellen Nr. 1, 4 und 7 der dritten Einheit patriotische Lieder und einen kurzen Lebenslauf jeder Gefangenen auf eine Kassette auf. Unglücklicherweise erfuhren zwei Mitglieder des Wachpersonals davon, nahmen uns die Kassette ab und brachten sie zur Gefängnisleitung. Zwei Monate lang geschah gar nichts. Dann bestrafte die Gefängnisleitung die 14 beteiligten Nonnen mit Haftverlängerungen. Meine Strafe wurde um sechs Jahre verlängert, andere mußten zwischen drei und neun Jahren zusätzlicher Haft hinnehmen.
Nach diesem Ereignis wurden die politischen Gefangenen unter strenger Überwachung gehalten und mußten schwere Folter und sonstige brutale Mißhandlungen erdulden. 1998 wurde sogar eine Überwachungskamera angebracht.
Nachdem ich meine Strafe voll verbüßt hatte, wurde ich am 21. September 2003 entlassen. Ich wurde angewiesen, innerhalb einer Woche in meine Heimatstadt zurückzukehren. Nach meiner Ankunft mußte ich mich beim örtlichen PSB-Büro melden und mir von da an jede Reise genehmigen lassen."
Namdrol Lhamo bat um die Erlaubnis, nach Lhasa zu reisen, um dort Verwandte zu besuchen. Nach einem Aufenthalt von mehreren Monaten entschied sie sich zur Flucht nach Indien und traf am 22. Oktober 2004 im TRRC (Tibetan Refugee Reception Centre) ein.
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