Mai 2004
Human Rights Update
Mai 2004
  1. Schlimme Folgen für Nonnen, die gegen die Aushöhlung ihrer religiösen Rechte protestierten
  2. Lobsang Tenzin und Rinzin Wangyal in kritischem Zustand
  3. Tibetischer Sänger und Dichter nach zweimonatiger Haft freigelassen
  4. US-Kommission rügt deutlich Chinas strenge Kontrolle der tibetischen Religion
  5. Tashi Topgyal zu sechs Jahren in Drapchi verurteilt
  6. Dritter Fluchtversuch eines Deportierten geglückt
  7. Mangelhafte Bildungschancen und Diskriminierung treiben tibetische Kinder ins Exil
  8. Geldstrafen für den Schulbesuch in Indien
  9. Portrait eines politischen Gefangenen: älterer Tibeter zu sechs Jahren Haft verurteilt

Teil 1

Schlimme Folgen für Nonnen, die gegen die Aushöhlung ihrer religiösen Rechte protestierten

Den Nonnen Nyima und Nyidron ist nach ihrer Entlassung aus dem Drapchi Gefängnis die Flucht nach Indien gelungen

Phenpo Podo ist ein kleines Nonnenkloster im Kreis Phenpo Lhundup, Stadtbezirk Lhasa, TAR. Geshe Podowa errichtete das Kloster noch vor dem Einmarsch der Chinesen im Jahr 1959. In den Anfangsjahren beherbergte es an die 200 Nonnen. Im Zuge der Besetzung Tibets durch die Volksbefreiungsarmee und der darauffolgenden Kulturrevolution wurde es vollständig zerstört. Dank einer großzügigen Spende von Lobsang Tsundue und weiterer von den Nonnen erbettelter Gelder konnte das Kloster wieder aufgebaut werden.

Als Nyima und Nyidron 1992 dem Kloster beitraten, gab es dort 130 Nonnen. Die beiden hielten sich nur kurz im Kloster auf, denn sie wurden bald von Angehörigen des Public Security Bureau (PSB) verhaftet, weil sie gegen die chinesische Regierung protestiert hatten, und anschließend zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis gelang ihnen die Flucht nach Indien, wo sie vom TCHRD interviewt wurden.

Nyima berichtet: "Im September 1993 luden die örtlichen Behörden die Nonnen von Podo zu einem Gesprächstermin in der Ortschaft Sumpang vor. Dort wurde uns eröffnet, einer neuen Direktive zufolge dürften künftig keine Nonnen unter 18 Jahren mehr im Kloster wohnen; außerdem sei eine neue Obergrenze von 60 Nonnen für das Kloster festgelegt worden. Für den Fall der Nichtbefolgung dieser Anweisung wurden dem Kloster hohe Geldstrafen angedroht. Die meisten der 130 Bewohnerinnen von Podo waren unter 18 Jahren alt. Eine Woche später ging im Dorf ein offizielles Schreiben ein, demzufolge Nyidron und ich sowie weitere Novizinnen unter achtzehn aus dem Kloster ausgeschlossen wurden. Auch viele ältere Frauen mußten das Kloster verlassen, damit die Zahl von 60 Nonnen eingehalten würde.

Die Nonnen waren sehr niedergeschlagen und voller Angst ob ihres weiteren Schicksals. Um gegen diese Einschränkung der Ausübung unserer religiösen Rechte zu protestieren, machte ich mich heimlich mit Nyidron und einer weiteren Nonne namens Nyichung auf den Weg nach Lhasa; wir überquerten den zwischen Lhasa und dem Kreis Phenpo gelegenen Hügel und kamen am Morgen des 22. März 1999 in der Stadt an. Wir gingen geradewegs zum Barkhor-Markt, auf dem bereits reger Betrieb herrschte, und riefen: "Freiheit für Tibet", "Chinesen raus aus Tibet" und "Menschenrechte für Tibet". Beamte des für den Barkhor zuständigen Zweigs des PSB nahmen uns umgehend fest und hielten uns etwa 15 Minuten lang in ihren Haftzellen fest. Von dort aus wurden wir ins PSB-Untersuchungsgefängnis von Lhasa City im Osten der Stadt gebracht. Für die Vernehmung wurden wir in getrennte Zellen gebracht. In der Zwischenzeit wurden einige Angehörige des PSB zu unserem Kloster in den Kreis Phenpo geschickt, um dort nach uns belastendem Material zu fahnden. Bei der Durchsuchung unserer sowie der Räume der übrigen Nonnen fanden die Beamten im Zimmer einer benachbarten Nonne ein Pamphlet, in dem die Unabhängigkeit für Tibet gefordert wurde. Da sie nun eine großangelegte verdeckte Protestbewegung vermuteten, schlugen sie uns drei, übergossen uns mit kochendem Wasser, peitschten uns mit ihren Gürteln aus und drückten ihre brennenden Zigaretten auf unseren Leibern aus. Im September verurteilte uns der Mittlere Volksgerichtshof von Lhasa wegen angeblicher "konterrevolutionärer Aktivitäten" zu fünf Jahren Haft. Wir wurden noch weitere 17 Monate im Gutsa-Untersuchungsgefängnis behalten, bevor wir im August 1995 in die neue Frauenabteilung des Drapchi-Gefängnisses, das eine Kapazität für 60 weibliche Häftlinge hat, verlegt wurden. Nach unserer Ankunft in Drapchi wurden wir gleich zu militärähnlichem Drill gezwungen und mußten die Gefängnisregeln und andere Verordnungen auswendig lernen."

Zwanzig Monate Einzelhaft wegen Lobgesang auf den Dalai Lama

"Am dritten Tag des tibetischen Neujahrsfestes 1997 durften sich die Insassinnen des alten und des neuen Frauentrakts von Drapchi versammeln. Eine Strafgefangene fing an, ein Loblied auf Mao Zedong und die kommunistische Partei zu singen, was die politischen Gefangenen sehr aufbrachte. Ich und Jamdron aus dem Kloster Phenpo Gyara standen auf und stimmten einen Lobgesang auf den Dalai Lama an. Die wachhabenden Beamten ergriffen uns sofort und schleppten uns ins Gefängnisbüro. Wir hörten trotzdem nicht auf zu singen. Im Büro angelangt, schlugen uns die Beamten gnadenlos zusammen. Gleichzeitig schrieen andere Gefangene, die sich draußen befanden, sie sollten doch von uns ablassen und drohten, sie würden so lange nicht vom Boden aufstehen, bis man uns zurückbrächte. Augenblicklich wurde ein Trupp bewaffneter Volkspolizisten (PAP) angefordert, um den Gefangenenprotest zu ersticken. Sie stürzten sich auf die Gefangenen und schlugen auf sie ein, als in dem Handgemenge plötzlich ein PAP-Offizier zu Fall kam. Der Gefangenen Chel Chel wurde vorgeworfen, dem Offizier ein Bein gestellt zu haben, weshalb sie schwer geschlagen und gezwungen wurde, vor dem Mann niederzuknien und sich zu entschuldigen. Anschließend wurde sie wegen dieses Vorfalls einen Monat mit Einzelhaft bestraft. Unterdessen wurden Nyidron, Sangmo, Choekyi und andere schwer verprügelt. Pema Bhuti, die Aufseherin im Frauentrakt, erschien und begann damit, die Gefangenen unter Schlägen zu verhören. Jamdron und ich wurden mit einem elektrischen Schlagstock niedergeschlagen. Um uns wieder zu Bewußtsein zu bringen, spritzten sie kaltes Wasser auf uns. Danach fuhren sie mit ihren Schlägen fort, bis unsere Körper taub wurden. Daraufhin wurden wir in Einzelzellen gesperrt. Unsere Nahrung während der folgenden 20 Monate Einzelhaft bestand aus einem kleinen Kloß und einer Schale heißen Wassers täglich".

Wegen ihrer Weigerung, die chinesische Nationalhymne zu singen, wurde Nyidron mit ausgeschlagenen Zähnen 11 Monate in Einzelhaft gesperrt

Nyidron verlor durch die schweren Mißhandlungen der Gefängnisaufseher zwei Schneidezähne und wurde danach lange in Einzelhaft gesperrt.

Sie erzählt: "Nach den Protesten in Drapchi vom 1. und 4. Mai 1998 wurde ich ins Büro gerufen und gefragt, wer der Mann sei, der die Proteste vom Zaum gebrochen hat. Ich gab keine Antwort. Zusammen mit acht anderen weiblichen politischen Gefangenen wurden wir zu einem Strafprozeß gegen zwei Kriminelle gebracht und mußten zusehen, wie die beiden zum Tode verurteilt wurden. Die Gefängnisbeamten wollten uns ängstigen, indem sie uns das gleiche Schicksal androhten, falls wir uns nicht besserten.

Acht Tage später warfen die politischen Gefangenen ihre Eßnäpfe aus dem Fenster, um so dagegen zu protestieren, daß die in Einzelhaft befindlichen politischen Gefangenen nichts zu essen bekamen. Der Hungerstreik dauerte eine Woche. Dann versicherten uns die Gefängnisbediensteten, sie würden den in Einzelhaft befindlichen Häftlingen nun Nahrung geben und mahnten uns, ebenfalls wieder zu essen. Einige Tage danach wurden alle Gefangenen zusammengerufen und angewiesen, die chinesische Nationalhymne auswendig zu lernen und sie gleichzeitig zu singen. Keine einzige von uns kam dieser Anordnung nach, weswegen die Beamten anfingen, uns eine nach der anderen zu verprügeln. Trotzdem war keine von uns bereit, die Nationalhymne zu singen. Nun riefen die Beamten eine PAP-Eingreiftruppe herbei, damit sie uns eine Lektion erteilen sollte. Die PAP-Beamten schlugen erbarmungslos auf jede einzelne Gefangene ein, und einer von ihnen traf mich mit seiner Metallrute auf den Mund. Meine beiden Schneidezähne fielen aus und ich blutete heftig aus dem Mund. Ich spuckte dem Beamten das Blut ins Gesicht. Daraufhin wurde er noch wütender und prügelte noch brutaler auf mich ein, bis ich ohnmächtig wurde. Sieben Tage lang lag ich im Koma im Gefängnishospital, bevor ich wieder zu mir kam. Anschließend wurde ich – immer noch mehr tot als lebendig – 11 Monate lang in Einzelhaft gesperrt. Erst als meine Haftzeit am 20. März 1999 zu Ende war, wurde ich aus der Einzelhaft befreit und zum Büro gebracht. Die Beamten dort warnten mich davor, wenn ich aus dem Gefängnis heraus sei, mit irgend jemandem über das, was geschehen war, zu sprechen. Sie zwangen mich dazu, niederzuschreiben, daß ich mich mit ihren Bedingungen einverstanden erklärte, und meinen Daumenabdruck darunter zu setzen. Sie drohten mir wiederholt mit den Konsequenzen, die ich zu tragen hätte, falls ich ihren Anweisungen nicht nachkäme. Gegen Mittag kamen zwei PSB-Beamte aus Phenpo, um mich abzuholen. Sie brachten mich nach Hause und erklärten meinem Bruder, daß ich das Haus nicht verlassen dürfte. Er mußte ihnen schriftlich bestätigen, daß er dieser Anordnung Folge leisten würde.

Daraufhin wurde ich wegen der erlittenen Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert, wo ich lange Zeit lag. Trotzdem mußte ich es vor meiner vollständigen Genesung verlassen, weil meine Familie die enormen Behandlungskosten nicht mehr aufbringen konnte. Meinem Kloster war untersagt worden, mich wieder aufzunehmen, und ich konnte auch keine Arbeit finden, durch die ich meinen Lebensunterhalt hätte verdienen können. Zusammen mit Nyima führte ich 2002 einen kleinen Lebensmittelstand in Ramoche in Lhasa, aber nach einem Monat befahlen uns drei Polizisten des PSB-Büros von Lhasa City, den Stand zu schließen, weil er angeblich ein Treffpunkt für "Reaktionäre" sei. Für ehemalige politische Gefangene ist das Leben sehr hart. Sie bekommen weder Arbeit in Kooperativen noch in der Privatwirtschaft. Die Behörden stellen ihnen keine Registrierungszertifikate oder sonstige Genehmigungen aus, wenn sie sich als Kleinunternehmer selbständig machen wollen. In Tibet ist ein Mensch am Ende, wenn er eine wie auch immer geartete politische Vergangenheit hat."

Weil sie die ständige Überwachung und die Schikanen durch die Behörden nicht länger ertragen konnten, verließen Nyima und Nyidron Lhasa am 9. März 2004 zu Fuß und überquerten die Grenze zu Nepal, wo sie schließlich in einem Dorf in Solukhumbu ankamen. Von dort begaben sie sich zum "Tibetan Refugee Reception Centre" (Auffanglager für Flüchtlinge) in Kathmandu, und am 20. April 2004 erreichten sie Dharamsala in Indien.

Teil 2

Lobsang Tenzin und Rinzin Wangyal in kritischem Zustand

Das TCHRD erhielt bestätigte Information, daß sich zwei tibetische politische Gefangene, nämlich Rinzin Wangyal und Lobsang Tenzin, die beide eine lebenslängliche Haftstrafe verbüßen, in kritischem Gesundheitszustand befinden.

Rinzin Wangyal wurde 1995 verhaftet und 1997 zu lebenslänglich verurteilt. Das Drapchi Gefängnis in Lhasa, wo er seine Strafe verbüßen sollte, verweigerte seine Aufnahme wegen seiner fortgeschrittenen Arthritis. Er kam deshalb in das entlegene Pawo Tramo Arbeitslager im Distrikt Pawo, Präfektur Nyingtri, TAR. Durch die ständige Mißhandlung über die Jahre und den Mangel an medizinischer Behandlung hat sich sein Zustand so sehr verschlimmert, daß er nicht mehr richtig gehen und essen kann. Rinzin Wangyal hatte bereits in den Siebzigern 10 Jahre aus politischen Gründen im Gefängnis gesessen.

Lobsang Tenzin, ein Student der Tibet-Universität, wurde 1988 verhaftet, weil er auf friedliche Weise für die Unabhängigkeit Tibets demonstrierte. Er wurde wegen angeblichen Mordes an einem Offizier der PAP (bewaffnete Volkpolizei) zum Tode verurteilt, obwohl es keine Beweise gibt, die seine Schuld an dem Verbrechen belegen würden. Unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft wurde Lobsangs Todesurteil 1994 zu einer 18-jährigen Gefängnisstrafe abgemildert. Im Drapchi-Gefängnis wurde er immer wieder heftig geschlagen, so daß seine Gesundheit allmählich zusammenbrach. Später wurde er zur Verbüßung seiner Strafe in die Pawo Tramo Strafanstalt verlegt, wo er bis auf den heutigen Tag eingesperrt ist. Lobsang entwickelte ein Nierenleiden und psychische Störungen, sowie andere gesundheitliche Probleme im Gefängnis.

Teil 3

Tibetischer Sänger und Dichter nach zweimonatiger Haft freigelassen

Die beiden am 10. März 2004 vom PSB Tongde verhafteten Tibeter Namkha und Bagocha wurden einem Bericht von RFA vom 17. März zufolge wieder freigelassen. Örtliche Behördenvertreter hegten wegen der zwei Stücke "Amdo Phagod" ("Mutiger Mann aus Amdo") und "Tsenpoe Phonya" ("Bote des Königs") in ihrem Album Bedenken und hatten sie deshalb festnehmen lassen. Trotz ihrer harmlosen Lyrik argwöhnten die Behörden, die Lieder könnten eine bedeutsame politische Botschaft vermitteln. Deshalb konfiszierten die Behörden alle von der örtlichen Bevölkerung gekauften CDs und verhafteten Namkha und Bagocha.

Laut Aussage von RFA sind die beiden Tibeter während der Haft nicht mißhandelt worden, obwohl Namkha bei seiner Rückkehr aus dem Gefängnis anscheinend eine verletzte Schulter hatte. Weiter wurde berichtet, Namkhas Verwandte hätten sich geweigert, über seinen Gesundheitszustand zu sprechen, und auch andere Ortsansässige seien mit ihren Äußerungen sehr zurückhaltend gewesen.

Der Sänger Namkha ist zugleich Mönch im Kloster Bashangtri, während Bagocha die Texte für die CD schrieb. Beide Männer entstammen Nomadenfamilien.

Teil 4

US-Kommission rügt deutlich Chinas strenge Kontrolle der tibetischen Religion

Die US-Kommission für Religionsfreiheit in aller Welt (United States Commission on International Religious Freedom = USCIRF) schreibt in ihrem jährlich herausgegebenen Bericht, daß die chinesische Regierung die religiösen Aktivitäten und Stätten religiöser Ausübung in Tibet weiterhin unter strenger Kontrolle halte.

In dem Report heißt es weiter: "2002 und 2003 wurden ein paar prominente tibetische Buddhisten aus der Haft entlassen. Dies bewirkte jedoch genauso wenig eine Änderung der chinesischen Politik der Religionskontrolle wie die wieder aufgenommenen Kontakte zu den Gesandten des Dalai Lama."

Besonders wurde in dem Bericht auf die fortgesetzte Festhaltung des Panchen Lama, den willkürlichen Prozeß gegen Tulku Tenzin Delek, die Hinrichtung von Lobsang Dhondup und den auf exzessive Folterung zurückzuführenden Tod des tibetischen Mönches Nyima Drakpa hingewiesen.

Die USCIRF ist eine föderale Regierungskommission, die gemäß dem International Religious Freedom Act von 1998 zur Überwachung der Religionsfreiheit in anderen Ländern instituiert wurde.

Teil 5

Tashi Topgyal zu sechs Jahren in Drapchi verurteilt

Der 50 Jahre alte Tashi Topgyal, gebürtig aus dem Dorf Thong, Kreis Yamo, Distrikt Ngamring, Präfektur Shigatse, Zimmermann von Beruf und Vater dreier Kinder, verbüßt, wie dem TCHRD bekannt wurde, eine sechsjährige Haftstrafe in Drapchi. Im August 2002 hatte er im Distrikt Ngamring Plakate, auf denen die Unabhängigkeit gefordert wurde, angebracht, weswegen er am 22. Oktober 2002 bei einer gemeinsamen Operation des PSB von Ngamring und des PSB Shigatse bei sich zu Hause verhaftet wurde. Bei der Durchsuchung seines Hauses entdeckten die Beamten die Autobiographie des Dalai Lama und zwei Ausgaben der "Anleitung für eine neue Tibetpolitik". Das PSB durchsuchte auch die Wohnungen von Bekannten seiner Familie. Einige Tage später wurde der Bankangestellte Ngoedup Dorje unter dem Verdacht, mit ihm in Verbindung zu stehen, festgenommen. Wo Tashi sich seit seiner Verhaftung befand, war bis vor kurzem unbekannt. Das TCHRD erfuhr erst jetzt, daß er anfänglich im Haftzentrum von Shigatse inhaftiert war. Nachdem der Mittlere Volksgerichtshof von Shigatse ihn dann 2003 zu sechs Jahren Haft verurteilt hatte, wurde er nach Drapchi verlegt, um dort seine Strafe zu verbüßen.

Obwohl die Polizei gemäß der chinesischen Verfassung verpflichtet ist, den Angehörigen eines Festgenommenen dessen Aufenthaltsort mitzuteilen, halten sich die Beamten häufig nicht daran. Tibeter werden willkürlich in Haft genommen, ohne daß irgend jemand davon erfährt. Es kann Monate oder gar Jahre dauern, bis die Verwandten herausfinden, wo ihre geliebten Familienmitglieder eingesperrt sind.

Teil 6

Dritter Fluchtversuch eines Deportierten geglückt

Der 15 Jahre alte Tenzin Nyima wurde im Dorf Totse, Gemeinde Meling, Distrikt Nyingtri, geboren. Seine ersten Schuljahre verbrachte er in einer Grundschule in Lhasa.

Er gehörte zu den 18 Tibetern, die von der nepalesischen Polizei im Gefängnis Dilli Bazaar in Kathmandu inhaftiert und am 31. Mai 2003 nach Tibet abgeschoben wurden. Bereits zweimal versuchte er ins Exil zu fliehen, hatte jedoch beide Male Pech. Bei seinem ersten Fluchtversuch wurde er von der chinesischen und beim zweiten von der nepalesischen Polizei festgenommen. Erst bei seinem dritten Versuch konnte er schließlich die Grenze überschreiten und gelangte diesmal sicher ins Exil. Er berichtete dem TCHRD:

"Am 15. Januar 2002 brach ich mit zwölf weiteren Tibetern zu meinem ersten Fluchtversuch nach Nepal auf. Wir wollten am 16. Januar in einem gemieteten Fahrzeug von Shigatse nach Dingri fahren, aber der Fahrer durchsuchte den Rucksack eines Mönchs aus Amdo und fand darin ein Foto Seiner Heiligkeit des Dalai Lama. Er alarmierte umgehend die Polizei von Shigatse. Wir wurden von fünf Zivilpolizisten verhaftetet und im alten Gefängnis von Shigatse eingesperrt. Dort versuchte man uns einzuschüchtern, indem man Gewehre an unsere Köpfe hielt und uns fragte, wohin wir wollten und wer der Anführer unserer Gruppe sei. Sie fragten uns sogar, ob der Panchen Rinpoche im Exil wäre oder nicht. Sie schlugen uns ins Gesicht und droschen mit elektrischen Schlagstöcken auf uns ein. Als die Polizisten mir den Stock auf den Rücken hauten, war ich über 1 ½ Stunden lang bewußtlos.

Anfangs blieben die älteren Mitglieder der Gruppe standhaft und weigerten sich, den Namen des Anführers zu nennen, aber als sie mit ansehen mußten, wie von der örtlichen Polizei sogar die Kinder in unserer Gruppe mißhandelt wurden, gaben sie seinen Namen preis.

Ich wurde dann in nacktem Zustand mit einem Seil gefesselt und kopfüber aufgehängt. Danach übergossen sie mich mit eiskaltem Wasser. Ich war fünf Monate lang im Gefängnis Shigatse inhaftiert. Durch die Entrichtung eines Lösegelds von 3.000 Yuan an die Gefängnisleitung erreichten meine Angehörigen schließlich meine Freilassung.

Andere Mitglieder unserer Gruppe mußten während der kältesten Jahreszeit zwei weitere Monate im Gefängnis ausharren und wurden gefoltert. Fünf Mönche aus Amdo wurden später entlassen und nach Hause zurückgeschickt. Sie durften jedoch nicht in ihre Klöster zurückkehren.

Bei meinem zweiten Versuch waren 28 Tibeter in unserer Gruppe. Als wir Solukumbhu erreichten, wurde ein Mann namens Atoe, als er nicht mehr mit uns Schritt halten konnte und zurückgeblieben war, verhaftet; ein Jugendlicher starb an einer Lebensmittelvergiftung. Einer Frau aus Kardze mußte ein Bein abgenommen werden und ihre Tochter verlor das Augenlicht. Ein ausländischer Tourist half uns in Solukumbhu. Einer der Jugendlichen in der Gruppe hatte eine so schwere Verletzung an seinem Bein, daß eine Amputation unumgänglich erschien und besagter Tourist ihn im Hubschrauber mit sich nahm. Als wir schließlich in der Nähe der Hauptstadt Kathmandu von der nepalesischen Polizei verhaftet wurden, zählte unsere Gruppe nur noch 21 Personen. Wir wurden zwei Monate lang im Dilli Bazaar Gefängnis inhaftiert. Als wir erfuhren, daß wir abgeschoben werden sollten, versuchten wir das zu verhindern, indem wir uns auf den Boden legten. Die nepalesischen Beamten schlugen brutal auf uns ein und schleiften uns in ein außerhalb des Gebäudes wartendes Fahrzeug. Am 1. Juni 2003 wurden wir trotz zahlreicher Appelle des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) und des Empfangszentrums für tibetische Flüchtlinge nach Tibet deportiert.

Wir wurden in einer kleinen Zelle in Dram (einer nepalesisch-tibetischen Grenzortschaft) eingesperrt. Dort litten fünf von uns drei Wochen lang an heftigem Nasenbluten. Nachdem wir die chinesischen Beamten mehrmals inständig gebeten hatten, mir auf Grund meines sich ständig verschlechternden Gesundheitszustands medizinische Hilfe zukommen zu lassen, bekam ich schließlich eine Spritze. Später verlegte mich die Polizei ins Gefängnis von Shigatse, wo die Gefangenen ein wenig besser behandelt wurden. Dort war es meinen Eltern durch Bestechung möglich, meine Entlassung zu erwirken. Ein Jugendlicher mit Namen Yeshi und ein Mönch wurden ebenfalls freigelassen; was vermutlich ebenfalls durch Zahlung von Lösegeld bewerkstelligt wurde. Über die anderen Deportierten habe ich keine Informationen, denn sie waren in separaten Zellen eingesperrt."

Bei seinem dritten Fluchtversuch erreichte Tenzin Nyima gemeinsam mit seinem elfjährigen Bruder Tenzin Norbu schließlich unversehrt das Empfangszentrum für tibetische Flüchtlinge in Kathmandu.

Teil 7

Mangelhafte Bildungschancen und Diskriminierung treiben tibetische Kinder ins Exil

Wegen einseitiger Lehrpläne und neuer Richtlinien für den Sprachunterricht veranlassen immer mehr Schüler ihre Schule

Chakjam Gyal, ein 20 Jahre alter Schüler aus dem Dorf Bokor, Gemeinde Jhado, Distrikt Konan, TAP Tsolho, Qinghai, floh ins Exil, um dort bessere Bildungsmöglichkeiten zu erhalten.

Chakjam erzählte dem TCHRD: "Ich schloß meine Grundausbildung in der tibetischen Mittelschule von Tsolho ab. Es gab dort an die 700 Schüler; von denen ca. 80 % Tibeter waren. Unter den rund 100 Lehrkräften waren etwa 20 Tibeter. Chinesische Schüler an dieser Schule kamen zumeist aus Elternhäusern in den größeren Städten. Um miteinander zu reden, verwenden sie überlicherweise ein Gemisch aus Tibetisch und Chinesisch, was einen negativen Einfluß auf die heranwachsenden tibetischen Schüler ausübt. An Samstagen und Sonntagen, wenn sie schulfrei haben, singen die meisten Schüler chinesische Lieder; tibetische Lieder stimmen sie dagegen nur selten an.

Das Spektrum der Schule umfaßt Grund- und Mittelschulunterricht (higher secondary school). In meinem ersten Jahr in der "higher secondary school" bekamen wir ein Lehrbuch mit dem Titel "Chinesische Sprache" in die Hand gedrückt. Darin gab es ein Kapitel über den Potala-Palast, in dem es hieß, dieser sei erbaut worden, um die immerwährende Freundschaft zwischen China und Tibet zu besiegeln.

Zusammen mit einigen Freunden fragte ich unsere chinesische Lehrerin wegen der falschen Information in dem Buch. Wir erklärten ihr, daß der Potala-Palast bereits im siebten Jahrhundert von Songtsen Gampo, dem 33. König von Tibet, erbaut worden sei, und daß Tibet und China zwei separate Nationen seien.

Die chinesische Lehrkraft wurde daraufhin sehr wütend. Normalerweise sollte doch zwischen Lehrern und Schülern ein gutes Einvernehmen bestehen, doch als Folge dieses Vorfalls verschlechterte sich die Qualität des Unterrichts ständig, so daß wir uns alle große Sorgen machten. Sogar die Mittel für die einmal jährlich erscheinende Schülerzeitung "Dok Dra" ("Vereinte Stimme") wurden uns gestrichen, und es hieß, die Schüler hätten die Kosten dafür, nämlich 50 Yuan pro Kopf, selbst aufzubringen. Ich war der Herausgeber der Zeitung.

Des weiteren führte die Schulverwaltung eine Regelung ein, nach der nur diejenigen zur höheren Schule zugelassen würden, die bei der Abschlußprüfung mindestens 90 Punkte im Fach tibetische Sprache erzielten. Wer diese Punktezahl verfehlte, wurde nicht zum Gymnasium zugelassen.

Dennoch konnten Schüler mit weniger als 90 Punkten in tibetischer Sprache ihr Zulassungszeugnis direkt von der chinesischen Schulverwaltung bekommen, was zeigte, daß diese ein doppeltes Maß anwandte. Die jährliche Studiengebühr an der Universität beträgt 7.000 chinesische Yuan. Diese Summe können die meisten tibetischen Studenten nicht aufbringen, weshalb viele von ihnen ihre Ausbildung abbrechen müssen; sie führen dann ein unproduktives Leben ohne Arbeit in den Dörfern, während die chinesischen Studenten in der Lage sind, die Studiengebühren zu bezahlen und folglich studieren können.

Zu Beginn des neuen Schuljahres kündigte die Verwaltung am 28. August 2002 an, daß die Schüler von nun an in beiden Sprachen erfolgreich sein müßten, weshalb sie zwei neue zweisprachige Klassen einrichteten. Weil wir dieser Anordnung unmöglich Folge leisten konnten, verfaßten wir ein Gesuch an die Schulbehörde, worauf uns mitgeteilt wurde, wir könnten jederzeit die Schule wechseln.

Die Schülervertreter von zwei verschiedenen Klassen legten der Schulbehörde ihre Ansicht über diese neue Verordnung dar. Ihre Bedenken wurden nicht nur zurückgewiesen, sondern man beschuldigte sie obendrein, der Schulverwaltung Fragen gestellt zu haben. Zehn Schüler gingen mit der Begründung, sie sähen sich außerstande, der neuen Verordnung nachzukommen, von der Schule ab. Drei aus dieser Gruppe – Tsedor, 17, aus dem Dorf Gartse, Gemeinde Hobey, Distrikt Thunde, Chotpa, 20, und Tamdin aus dem Dorf Bokor, Gemeinde Hobey, Distrikt Thunde – schafften es nach Nepal. Sie werden demnächst in einer tibetischen Schule in Indien aufgenommen werden, die ein breit gefächertes Wissen vermittelt und an der auch Wert auf die Bewahrung traditioneller Werte und Bräuche gelegt wird.

Teil 8

Geldstrafen für den Schulbesuch in Indien

Pasang Dolma, eine 50-jährige Mutter, brachte ihre drei Kinder ins Exil, um ihnen eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Sie erzählte dem TCHRD: "Im Juni 2003 kündigte das PSB der Präfektur Shigatse in 29 Dörfern des Distrikts Dingri (chin. Tingri) offiziell an, daß es den Familien untersagt sei, ihre Kinder in tibetische Schulen nach Indien zu bringen. Statt dessen sei es die Pflicht der Eltern, ihre Kinder in die von Chinesen geführten Schulen zu schicken. Eltern, die dieser Anordnung nicht nachkämen, hätten mit einer harten Strafe zu rechnen.

Im Dorf Yuljong mußten ca. 20 Familien jeweils 1.500 Yuan Strafe zahlen, weil sie ihre Kinder nicht in die chinesische Schule schicken konnten, woraus zu schließen ist, daß denjenigen, die ihre Kinder nach Indien zur Schule schicken, noch viel härtere Strafen drohen".

Bei einem Telefongespräch mit ihren Angehörigen in Tibet erfuhr Pasang, daß ihre Familie mit einer Geldstrafe in Höhe von 6.000 Yuan belegt worden war, weil sie ihre drei Kinder nach Indien gebracht hatte, damit sie dort zur Schule gehen können.

Diese verständnislose Haltung der Chinesen gegenüber dem Wohlergehen der Tibeter sowie die Festsetzung von derart hohen Schul- und Studiengebühren stellen eine Verletzung der grundlegenden Menschenrechte dar.

Teil 9

Portrait eines politischen Gefangenen: älterer Tibeter zu sechs Jahren Haft verurteilt

Tamdin, 67, wurde im Distrikt Palbar, Präfektur Chamdo, TAR, geboren. Er trat in schon in frühen Jahren ins Kloster Palbar ein. Sein Vater stand früher den Landkreisen Palbar und Powo Yihong als Gouverneur vor. Nach der Besetzung Tibets brandmarkten die Chinesen seine Familie als "bourgeoise Reaktionäre" und beschlagnahmten ihren gesamten Besitz – sowohl ihre Ländereien als auch ihr Vieh. Tamdins Bruder wurde aus politischen Gründen verhaftet und zu 11 Jahren Gefängnis verurteilt. Die ganze Familie hatte viel zu leiden und wurde sehr gedemütigt.

Um 1958 zog die Familie nach Lhasa. Als 1966 die Kulturrevolution zu wüten begann, wurde Tamdin als Anführer der "Reaktionäre" an den Pranger gestellt und zu 13 Jahren Haft verurteilt. Erst 1976 wurde er aus dem Gefängnis entlassen.

Am 9. März 2001 brachte Tamdin am Rundweg um das Kloster Chamdo Plakate an, auf denen er "Freiheit für Tibet" forderte. Er schrieb seine Forderung auch auf "Mani"-Steine und äußerte sie lauthals in der Öffentlichkeit. Als das örtliche PSB von seinen Aktivitäten erfuhr, wurde er verhaftet und sechs Monate lang im Untersuchungsgefängnis der Präfektur Chamdo gefangen gehalten.

Im Juni 2001 wurde Tamdin der "Gefährdung der Staatssicherheit" beschuldigt, weil er "Anti-Regierungspropaganda" betrieben hätte. Nachdem der Mittlere Volksgerichtshof der Präfektur Chamdo ihn zu sechs Jahren Haft verurteilt hatte, wurde er in das gemeinhin Drapchi genannte TAR-Gefängnis verlegt.

In dem für seine brutale Folterpraxis berüchtigten Gefängnis Drapchi sitzen die meisten tibetischen Gewissensgefangenen. Tamdin gehört zu den ältesten Häftlingen und sein Gesundheitszustand ist besorgniserregend. Seine Strafe endet im Jahr 2006, wenn er 69 Jahre alt sein wird.