Zeugenaussage eines langjährigen Schülers von Tulku Tenzin Delek nach gelungener Flucht
Der 33jährige Lochoe Drime (Laienname Lobsang Damchoe) ist ein verdienter Mönch aus dem Kloster Kham Nalenda Thakchen Jangchup Choeling im Landkreis Nyagchuka, Provinz Sichuan, einem der acht von Trulku Tenzin Delek gegründeten Klöster. Als ihm klar wurde, daß das Public Security Bureau von Nyagchuka seine Spur verfolgte, begab sich Lochoe auf die Flucht. Hier ist sein Bericht über das, was dort geschah:
"Ich wurde in dem Dorf Othok, Landkreis Nyakchuka, Provinz Sichuan, geboren. Wir sind Nomaden, und ich bin der älteste von vier Geschwistern. Mit 11 Jahren kam ich in das örtliche Kloster von Othok. Kham Nalenda Thakchen Jangchub Choeling wurde 1988 gegründet. Dort bekleidete ich zwei Jahre lang das Amt des Zuchtmeisters (tib. geko) und 4 Jahre lang das Amt des Gesangsmeisters (tib. dbu mdzad). Während meines 22jährigen Daseins als Mönch verbrachte ich auch geraume Zeit im Kloster Tashi Kyil in der Provinz Gansu, um dort die heiligen Schriften zustudieren.
Unser Lehrer Tenzin Delek Rinpoche vertrat stets die Sache des Volkes. Er war ein großer Wohltäter der Gesellschaft. Wegen seines sozialen Engagements geriet er oft mit den chinesischen Behörden ins Gehege, die in ihm eine Herausforderung ihrer Autorität sahen. Oftmals wurde der Tulku Zielscheibe ihres Ärgers. Zweimal mußte er sich in den nahegelegenen Bergen verstecken, weil ihm aufgrund seiner sozialen Aktivitäten unmittelbar die Verhaftung bevorstand. Im August 2001 schrieb ich zusammen mit Thupten Khenrab eine Petition, in der wir die Unschuld des Tulku beteuerten und die große Sorge der Menschen und ihre Unterstützung für das soziale Werk des Tulku zum Ausdruck brachten.
Wir appellierten an die Behörden, die humanitäre Arbeit des Tulku nicht zu behindern, die den Armen und Geknechteten so großen Segen brachte. Mit 40.000 Unterschriften und Daumenabdrücken befürworteten die Bewohner der Landkreise Lithang, Dartsedo und Nyakchuka die Petition. Es war wie eine spontane Massenbewegung und ein einmütiges Flehen um die Sicherheit des Rinpoche.
Sieben Personen (Namen zurückgehalten) fuhren mit der Petition nach Peking. Es gelang ihnen, sie verschiedenen Behörden, darunter auch der Abteilung United Work Front (die "Vereinte Arbeitsfront" ist für die Belange der Minderheiten zuständig) und dem Büro für Religiöse Angelegenheiten zu unterbreiten. Doch eine positive Reaktion der Behörden blieb aus. Daraufhin ging eine weitere Gruppe von 5 Personen zu der Provinzregierung von Sichuan, aber auch sie erhielten keine Antwort.
Ende März 2002 verließ ich mit zwei anderen Mönchen unser heimatliches Kloster, um meine Studien in tibetischer Literatur an dem Tashi Kyil Kloster in der benachbarten Provinz Gansu fortzusetzen. Wir fuhren über Chengdu, die Hauptstadt Sichuans, wo wir zufällig Lobsang Dhondup trafen, der gerade geschäftlich unterwegs war. Seit einem Jahr kannte ich ihn, er war ein sanfter und gutherziger Mensch. Kaum hatten wir Tashi Kyil erreicht, als wir im Radio von der Festnahme des Tulku hörten. Ich rief sofort in meinem heimatlichen Kloster an, wo man mir die Nachricht bestätigte".
Kurz nach der Verhaftung des Tulku erhielt Lochoe eine Mitteilung, daß das Landkreis-PSB von Nyakchuka nach ihm und zwei weiteren Mönchen suche. Der Verdacht der Behörden war im Zusammenhang mit dem Trulku auf sie gefallen.
"Sofort, nachdem wir hörten, daß die PSB Milizionäre uns auf den Fersen sind, beschlossen wir, uns aus dem Staub zu machen, da wir die Beamten niemals von unserer Unschuld hätten überzeugen können. Für Vernunft und Logik sind sie nicht zugänglich. Die PSB Beamten hatten einen unserer vertrauten Freunde, Tenzin Drime, gezwungen, mit ihnen zu gehen, um in Gansu nach uns zu suchen. Später verschwand Drime, nur um einen Monat später wieder aufzutauchen. Niemand erzählt er, was sie mit ihm getan haben. Sicher haben ihn eingeschüchtert.
Als wir bereits auf der Flucht waren, hörten wir, daß das PSB vom Landkreis Nyakchuka mein Zimmer im Kloster durchsucht hatte. Später wurde es versiegelt, und keiner durfte mehr unseren Block betreten. Von Tashi Kyil beeilte ich mich nach dem etwa 10 km entfernten Sangkol zu kommen. Und von dort ging ich nach Xiling und Golmud und schließlich nach Lhasa. Die neun Monate, in denen ich unterwegs war, waren eine sehr schwere Zeit, oft hatte nichts zu essen und kein Dach über dem Kopf.
In Lhasa zahlte ich einem guide 1.500 Yuan, um mich über die Grenze nach Nepal zu bringen. Während wir in Richtung Shigatse fuhren, hielt die Polizei uns an und verlangte unsere shengenzhen (chin. Bürgerausweise) zu sehen. Sechs von uns, darunter auch ich, kamen von außerhalb der TAR und hatten keinen shengenzheng. Das Ergebnis war, daß ich einen Monat und 18 Tage in dem Haftzentrum von Shigatse inhaftiert wurde. Bei dem geringsten Anlaß schlugen und traten mich die Wachen oder zogen mich an den Haaren.
Nach meiner Entlassung aus dem Haftzentrum Shigatse kehrte ich nach Lhasa zurück, wo ich Vorbereitungen für meinen zweiten Fluchtversuch traf. Diesmal reiste ich in einer Gruppe von 21 Personen; in einem zweiwöchigen Fußmarsch überwanden wir den Nangpala Pass. Unterwegs hörten wir von der Festnahme der 21 Tibeter durch die nepalesische Polizei (18 wurden später deportiert)."
Lochoe erreichte das Tibetan Refugee Reception Centre am 4. Mai 2003 und kam Mitte Juni in Dharamsala an. Von zwei seiner Gefährten fehlt nach einem mißlungenen Fluchtversuch jede Spur. Hier ist Lochoes Zeugnis über den Fall des Trulku Tenzin Delek:
"Die Behauptung, daß Tulku Tenzin Delek hinter einer Reihe von Sprengstoffanschlägen im April 2002 stehe, ist völlig absurd. Das ist eine rein erfundene Anklage gegen den Tulku und die anderen vier Verhafteten. Der Tulku ist ein Vorbild für die Erhaltung der tibetischen Kultur und Identität. Er ist eine Verkörperung aller lebenden Gottheiten. Er genießt hohes Ansehen wegen seines sozialen Engagements. Dank seiner steten Bemühungen um die Erhaltung der tibetischen Kultur auf jede nur erdenkliche Weise erreichte er in kürzester Zeit ungeheuer viel. Die Leute lieben und respektieren den Tulku wegen seiner wohltätigen Werke. Er war gleichsam ein Retter des tibetischen Volkes, und die unbegründete und ungerechtfertigte schwere Beschuldigung gegen ihn und die darauffolgende Verurteilung sind ein direkter Angriff auf das tibetische Volk. Der Tulku nahm niemals Hilfe von außerhalb China an, obwohl man sie ihm anbot. Noch hat er einen Pfennig von der chinesischen Regierung angenommen. Er führte seine sozialen Aktivitäten dank der großzügigen Spenden seiner Anhänger und Unterstützer durch. Alles, was er von den Leuten bekam, hat er für den Bau von Schulen, Altersheimen, Waisenhäusern und Ambulanzen (die freie Behandlung bieten) verwendet. Seine besondere Fürsorge galt den Armen. Tulku Tenzin Delek und Lobsang Dhondup haben sich strafrechtlich nichts zuschulden kommen lassen. Die Chinesen dulden nicht, daß die tibetische Kultur blüht. Sie argwöhnten, daß der Tulku ihre Autorität herausfordere. Deshalb gingen sie so hart gegen ihn vor. Es gibt sonst keinen Grund, warum sie ihn verhaftet hätten".
Schock und Trauer über die ungerechtfertigte Verhaftung des Tulku: Urther, 77, und Urgue, zwei älteren Anhängern von Tulku Tenzin Delek, brach das Herz, als sie von seiner Festnahme hörten. Diese traurige Nachricht war zu viel für sie, und sie gerieten psychisch völlig aus den Fugen.
Die in der Gegend lebenden Tibeter sind voller Sorge, von Kummer niederdrückt und weinen täglich über die grausame Behandlung des Tulku durch die Chinesen. Jeder Ausdruck von Loyalität mit dem Trulku zieht sofort eine scharfe Reaktion der chinesischen Behörden nach sich. Leute, die davon sprachen, wie sehr ihnen dieser Verlust zu Herzen geht, wurden alleine aus diesem Grund schon geschlagen und gefoltert.
Die Behörden sagen, Tenzin Delek Rinpoche und der Dalai Lama seien die zwei größten Feinde Chinas. Alle, die Sympathie für sie bezeigen, würden es empfindlich zu spüren bekommen.
Gebete für Tulku Tenzin Delek: In dem Kloster Kham Nalenda organisierten die Mönche eine Woche nach seiner Festnahme unter der Schirmherrschaft von Bürgern des Ortes eine große Puja mit Gebeten für das lange Leben und die Sicherheit des Trulku. Aber die Zeremonie wurde sehr schnell von chinesischen Beamten gestoppt, die ihre Fortsetzung verboten. In ähnlicher Weise unterbrachen PSB Beamte ein Gemeinschaftsgebet in Thankarma Jorkhang, zu dem sich etwa 400 Personen versammelt hatten.
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