7. Dezember 2005
Tibet Justice Center
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Wie man die Apokalypse herbeiführt: Indien begrüßt Chinas Pläne zur Aufstauung des Brahmaputra

Aus: Trin-gyi-Pho-Nya Tibet's Environment and Development Digest
Vol. 3, Issue 5; von Tashi Tsering

Die jüngste Nachricht darüber, daß einige indische Politiker beabsichtigen, elektrischen Strom aus chinesischen Kraftwerken zu beziehen, für die eine Reihe von Staudämmen gebaut werden soll, welche den Nygangchu, einen der Hauptzuflüsse des Yarlung Tsangpo (Brahmaputra), aufstauen, stellt einen der Höhepunkte kurzsichtiger internationaler Wirtschaftsdiplomatie dar. Während die kommunistische Führung Chinas vielerlei Gründe politischer und wirtschaftlicher Art im Auge hat, weshalb sie die Wasserressourcen im Einzugsgebiet des Brahmaputra auf ihrem Territorium nutzbar machen will, ist es völlig unverständlich, wieso einige indische Politiker Projekte unterstützen, die Millionen ihrer Mitbürger das lebensnotwendige Wasser abgraben. Diese groteske Entscheidung des indischen Energieministeriums und der Power Grid Corporation of India Ltd. erinnert an das indische Märchen vom einfältigen Bauern, der den Ast eines Baumes absägt, auf dessen Ende er sitzt, und dann natürlich herunterfällt – im Falle dieser grenzüberschreitenden Maßnahme könnte dies allerdings katastrophale Folgen für Millionen von Menschen haben.

Von seinem Quellgebiet in den nördlichen Ausläufern des Himalaya in Tibet bis zu den Hügelregionen in Ostindien und schließlich zum größten Delta der Welt in Bangladesh nährt der mächtige Brahmaputra eine ganze Reihe von Ökosystemen und versorgt Millionen von Menschen mit Wasser. Stromabwärts haben indische und bangladeschische Gruppen bereits mehrfach ihre Besorgnis über die chinesischen Wasserkraft-Großprojekte zum Ausdruck gebracht. Vor zwei Jähren äußerte das Wasserhaushalts-Ministerium des indischen Bundesstaats Assam schwerwiegende Vorbehalte gegen eine potentielle größere Wasserumleitung und die geplanten Wasserkraftprojekte an der "großen Biegung" des Brahmaputra, wo er eine scharfe Kurve macht und dann nach Indien fließt. Der derzeit bei einigen indischen Politikern herrschende Mangel an politischem Bewußtsein, wodurch den egoistischen Interessen der chinesischen Wasserkraftindustrie quasi ein Samthandschuh übergezogen wird, indem sie den Anschein internationaler Akzeptanz erhalten, wirft diese Bedenken über Bord und läßt katastrophale Folgen für die Umwelt und die von dem Fluß abhängigen Menschen befürchten.

Wenn man einen am Yarlung Tsangpo heimischen Tibeter fragen würde, was er von der chinesisch-indischen Partnerschaft bei diesem Projekt hält und was wohl alles passieren könnte, so würde dieser "rückständige" Mensch vermutlich voraussagen, daß eine Art von göttlichem Zorn Millionen von Menschen ein apokalyptisches Schicksal bescheren werde. Für die Tibeter ist das Gebiet um den Brahmaputra wohl eine der heiligsten natürlichen Landschaften der Welt.

Tibetisch-buddhistische Kartographen haben die heilige Landschaft, in die der Brahmaputra eingebettet ist, als den Körper der Dorjee Phagmo, der Gefährtin des Buddhas Padmasambhava (Guru Rinpoche) beschrieben. Dabei werden wichtige Orte wie Berge und Seen den Körperteilen der Gottheit wie den Knien oder den Brüsten zugeordnet. Der Berg Kailash (Kang Rinpoche) und der See Manasarovar, die beide im Westen des Einzugsgebiets des Yarlung Tsangpo liegen, gehören ebenso zu dieser Landschaft wie die Meditationshöhlen von Milarepa an seinem Mittellauf und die Meditationshöhlen von Padmasambhava (Guru Rinpoche) und das magische "verborgene Land" (Beyul) an seiner östlichen Biegung. Wären die Tibeter nicht derart entrechtet und geknebelt, so würden sie vehement ihre Ablehnung gegen alle Mega-Projekte zum Ausdruck bringen, welche die heiligen Wasser des mächtigen Yarlung Tsangpo betreffen und bei denen es um nichts als Profit oder sogenannte "Entwicklung" geht.

Interessanterweise teilen auch zahlreiche Wissenschaftler und Experten die Meinung der einheimischen Tibeter. Entgegen der allgemeinen Annahme, Tibet stelle eine unerschöpfliche Süßwasserquelle für viele asiatische Länder dar, ist der "Wasserturm Asiens" (Tibet) tatsächlich eine aride Region, und die meisten ihrer Frischwasserressourcen werden vom Schmelzwasser der schneebedeckten Berge oder der Gletscher gespeist. Es gab bereits eine Reihe wissenschaftlicher Studien über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gletscher des Himalaya, und fast alle kommen zu dem Schluß, daß die Wasservorräte Tibets in drei bis vier Jahrzehnten erschöpft sein werden, wenn die Gletscher weiterhin im heutigen Ausmaß zurückgehen. Falls sowohl diesen internationalen wie auch chinesischen wissenschaftlichen Studien über die Folgen des Klimawandels für die Gletscher Tibets irgendein Gewicht beizumessen ist, heißt das nichts anderes, als daß Indien zu dem Verschwinden einer Ressource in der Zukunft beiträgt, und sogar noch Geld in dieses Unternehmen investiert – eine Ressource, von der seine gesamten östlichen Regionen abhängig sind.

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