Die Regierung in Tibet hat neue Grenzbestimmungen erlassen, die seit 1. Juni gelten und deren Zweck es ist, die "staatliche Souveränität zu wahren" und "die Stabilität in den Grenzgebieten zu garantieren". Offensichtlich wurden die Sicherheitsvorkehrungen an der Grenze zwischen Tibet und Nepal auf die Flucht des 17. Karmapa vor fünf Monaten hin verstärkt. Tibeter, die bei der Rückkehr von Indien nach Tibet gefaßt werden, laufen ebenso wie tibetische Flüchtlinge und deren Wegführer Gefahr, zu Gefängnisstrafen von mehreren Jahren verurteilt zu werden.
Mehrere Tibeter wurden deswegen letztes Jahr in Lhasa festgenommen und verurteilt. Der etwa 30 Jahre alte Choephel aus Bayan (chin. Hualong) in der Präfektur Tsoshar (chin. Haidong), Qinghai, büßt nach seiner Verhaftung in Lhasa eine 8-jährige Haftstrafe in seiner Heimatprovinz ab. Der 32-jährige Yungbumgyal aus Distrikt Rebgong (chin. Tongren) in der Malho TAP (chin. Huangnan) in Qinghai wurde in Lhasa zu 8 Jahren verurteilt, unter der Anklage, er hätte als ein "Mittelsmann" zwischen potentiellen Flüchtlingen und Wegführern fungiert . Der 22-jährige Tsewang aus Distrikt Yadzi oder Dowi (chin. Yunhua) in der Präfektur Tsoshar, Qinghai, wurde angeklagt, als Wegführer zu arbeiten und Kontakte in Indien zu haben; er befindet sich nun ebenfalls in Haft.
Etwa 50 bis 60 Tibeter wurden im Februar bei einem Fluchtversuch unweit von Lhasa festgenommen, und es heißt, daß mindestens 4 von ihnen zu Haftstrafen von 2-3 Jahren verurteilt wurden. Mindestens 10 Schüler aus Schulen im indischen Exil, die nach Tibet reisten, um ihre Verwandten zu besuchen, sollen ebenfalls im Nyari Haftzentrum in der Präfektur Shigatse der TAR (Tibet Autonomous Region) gefangen gehalten werden.
Laut der offiziellen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua, die jedoch den genauen Text der neuen Grenzbestimmungen nicht zitiert, trägt die neue Grenzverordnung dazu bei, "die Stabilität in den Grenzgebieten zu gewährleisten" (Xinhua, 30. Mai). Die bestehenden, von der TAR Regierung aufgestellten Grenzbestimmungen verfolgen zwei Hauptziele des Staates, nämlich die Handelsverbindungen mit Nepal zu erleichtern und zu fördern und die allgemeine Sicherheit an den Grenzen zu verstärken. Die TIN zugegangenen Berichte lassen schließen, daß die Sicherheit an der Grenze deshalb erhöht wurde, um Tibeter, die ohne Dokumente reisen, besser kontrollieren zu können, besonders diejenigen, die nach Tibet zurückkehren, nachdem sie in Indien studierten oder arbeiteten. Solche Tibeter werden der Verbindungen zu politischen "anti-China" Aktivitäten im Exil und der Loyalität zum Dalai Lama verdächtigt. Dieser selbst wird im Tibet Daily vom 31. Mai "als das Haupt der separatistischen Kräfte im Ausland, als das Werkzeug der westlichen anti-chinesischen Kräfte und als der Erzbösewicht, welcher das Mutterland spaltet" beschrieben. Die Verstärkung der Grenzkontrolle steht auch mit der Behauptung der Behörden im Zusammenhang, daß eine Bedrohung von außen, d.h. der "Dalai Clique" im Exil, für mehr als acht Bombenexplosionen verantwortlich sei, die in den letzten 5 Jahren in Lhasa stattfanden. TIN konnte jedoch keine Bestätigung für Berichte finden, nach denen im vergangenen Sommer eine weitere Explosion in Lhasa erfolgte.
Viele Tibeter werden vorübergehend festgehalten, wenn sie bei der illegalen Einreise nach Tibet, wo sie Verwandte besuchen wollen, erwischt werden. Die Präfektur Shigatse in der TAR stellt für Reisende auf dem Weg nach Lhasa aus dem Exil oder für solche, die aus Tibet fliehen, einen Grenzübergang dar, und viele Tibeter, die an der Grenze festgenommen werden, kommen in das Nyari Haftzentrum am Rande des Dorfes Wutu bei Shigatse. Dort werden sogar einige Tibeter mit gesetzlich gültigen chinesischen Reisedokumenten festgehalten, weil sie ins Ausland reisen wollten.
Wie aus zuverlässiger Quelle berichtet, sind mindestens 10 tibetische Jugendliche aus Exilschulen in Dharamsala und Mussorie in Indien derzeit in Nyari eingesperrt, nachdem sie im März oder April bei ihrem Versuch, die Grenze zu Tibet zu überschreiten, um ihre Verwandten zu besuchen, festgenommen wurden. Diese Schüler sind im Alter von 18 Jahren. Drei weitere Schüler aus Exilschulen, die nach Tibet zurückkehrten, um ihre Familienangehörigen zu sehen, wurden vorübergehend festgehalten, sind aber inzwischen entlassen worden. Ehemalige Häftlinge berichten, daß die Verhältnisse in Nyari schlecht und die Ernährung ungenügend seien, daß die Gefangenen Zwangsarbeit leisten müssen und Mißhandlungen häufig sind.
Ein größere Gruppe von rund 50 Tibetern wurde einem inoffiziellen Bericht zufolge im Februar in der Nähe von Lhasa in Haft genommen, als sie zu fliehen versuchte. Mindestens 4 Personen dieser Gruppe befinden sich nun im Drapchi Gefängnis, wo sie nach verläßlichen Berichten zu 2-3 Jahren verurteilt wurden.
Tibeter, welche die Grenzbestimmungen verletzen, indem sie "heimlich die Staatsgrenze überschreiten", verstoßen dabei gegen ein chinesisches Gesetz (§ 322 des Kriminalgesetzes), wie es in vielen Ländern der Fall ist und was mit Gefängnis bestraft wird. Die längsten Haftstrafen treffen diejenigen, die Gruppen "organisieren", um heimlich die Grenze zu überqueren. Darunter fallen auch die tibetischen Wegführer, die von den Flüchtlingen bezahlt werden, um sie über die Grenze ins Exil zu bringen.