15. Mai 1998
Tibet Information Network
Aus: TIBETAN REVIEW, Juni 1998


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Razzia in einem "rebellischen Kloster"

London, TIN: Chinesische Truppen und Beamte aus Lhasa wurden vor zwei Monaten in ein entlegenes Kloster in der Präfektur Nagchu gesandt, nachdem Mönche dort anläßlich einer patriotischen Umerziehungskampagne im März für Unabhängigkeit demonstrierten. 15 Mönche wurden im Kloster Rongpo Rabten, Kreis Sog, verhaftet, weil sie dagegen protestierten, daß sie den Dalai Lama denunzieren sollten.

Chinesische Soldaten und über 40 Regierungsleute aus Lhasa wurden zu dem Kloster entsandt, um einem Arbeitsteam beizustehen. Die Anzahl und der Dienstgrad der Beamten, die zu dem Kloster, das von dem nächsten Dorf Rongpo 4 Stunden entfernt liegt und nur per Jeep oder Pferd zugänglich ist, geschickt wurden, läßt schließen, welche Bedeutung die TAR Regierung dem Vorfall zumißt und welcher Fortschritt bei der Umerziehung in dem Kloster, das für seinen bisherigen Widerstand gegen die Chinesen bekannt war, erzielt wurde.

Als einige Mönche sich weigerten, auf die Fragen der Offiziellen zu antworten, wurden sie einzeln über ihre Meinung zum Dalai Lama verhört und mit Verhaftung bedroht, falls sie sich nicht gegen ihn stellten. "Ich bin ein Mönch und der Dalai Lama ist der Lama Tibets. Wenn ein Mönch seinen Lama denunziert, dann bricht er seine Mönchsregeln. Das ist gegen den Buddhismus und ich werde es nicht tun", soll einer der Mönche den Umerziehern geantwortet haben. 20-30 Mönche vom Kloster Rongpo Rabten und einige aus dem Kloster Sog Tsanden, ebenfalls im Kreis Sog, versammelten sich draußen und riefen Slogans wie "Tibet ist frei", "Möge S.H. der Dalai Lama zehntausend Jahre lang leben". Der Vorfall soll sich in den ersten zwei Märzwochen ereignet haben.

Die Mönche in Rongpo haben die von früheren Arbeitsteams festgesetzten Quoten über die Anzahl der Mönche ignoriert. Im Mai 1996 gaben die Behörden Erlaubnis für nur 150 Mönche, während bisher etwa 400 in dem Kloster waren. Im März 1997 waren aber die 250, die hätten weichen sollen, immer noch dort. "Die Mönche reagierten auf das Arbeitsteam mit schlechtem Benehmen und zeigten kein Interesse, dem zuzuhören, was die Chinesen sagten", erzählte ein Mönch, der nun im Exil ist. Das Arbeitsteam verlangte auch, daß die Dalai Lama Bilder, die es im Kloster gab, entfernt werden müßten. Im Oktober 1996 wiederholten die Kader ihre Warnung wegen der Bilder und drängten die Mönche, sich "patriotisch gegenüber der VR China" zu verhalten. Schon einige Monate vor dem jetzigen Protest wurde ein älterer Mönch von Rongpo Rabten während des Umerziehungskurses verhaftet und eingesperrt. 

Zwei westliche Touristen, die das Kloster vor einem Jahr besuchten, berichteten ebenfalls von einer gespannten Atmosphäre unter den Mönchen. Sie durften nicht photographieren und nicht im Kloster übernachten. Das Kloster, das erst 1986 wieder hergestellt worden war, sei ziemlich vernachlässigt und die Mönche in ihrer Gegenwart nervös gewesen.

Das Kloster Rongpo Rabten, das 400 km nordöstlich von Lhasa liegt, ist Tibetern als ein "rebellisches Kloster" in Erinnerung. 1959 kämpften dort Hunderte von Mönchen gegen chinesische Truppen und sollen sogar auf Kampfflugzeuge geschossen haben. Als 1987 in Lhasa die berühmten Unabhängigkeitsdemonstrationen stattfanden, wurden Truppen in das Kloster gesandt, um jede Unruhe im Keim zu ersticken. In den vergangenen 5 Jahren gab es immer wieder Zwischenfälle in der Gegend Nagchu mit einer Bombenexplosion im Januar 1996 in dem Dorf Tsaden, 340 km nördlich von Lhasa, wo das Kloster Sog Tsanden liegt. Ein tibetischer Mönch bekannte sich zu einem Anschlag auf zwei Läden, die einem Chinesen und einem Moslem gehörten, und beschrieb seine Tat "als Beitrag zur Wiederherstellung unserer Freiheit".

Raidi, der Vize-Sekretär des Partei-Komitees der TAR besuchte die Gegend Sog im Juni 1996 und sagte, daß mehr chinesisches Personal dorthin geschickt würde, und mahnte die tibetischen Kader, besser mit den Chinesen zusammenzuarbeiten. Bei einer Pressekonferenz in Peking im März 1998 sagte er, daß 35.000 Mönche und Nonnen in dem patriotischen Umerziehungsfeldzug bereits rektifiziert worden seien. Die Lage in den drei großen Klöstern von Sera, Drepung und Ganden sei stabil. Bei der 5. Sitzung des sechsten TAR Volkskongresses sagte Raidi, daß auch die Führung der patriotischen Umerziehungskurse, die "umfassend und tiefgreifend" in der ganzen Region in allen Klöstern durchgeführt werden, gestrafft werden müsse. Seit März 1996 wurden mindestens 5 Klöster von den Mönchen selbst aus Protest geschlossen, und im Juni letzten Jahres verweigerten Mönche in mindesten 3 ländlichen Klöstern in Zentraltibet die Kooperation mit den Arbeitsteams. Einige Umerziehungsteams trugen Waffen bei sich, wie Augenzeugen berichteten. Touristen erzählten, daß Umerziehungsmaßnahmen in der Gegend von Drigung, 80 km nordöstlich von Lhasa, von waffen-tragenden Offiziellen durchgeführt wurden. In anderen Klöstern seien die Kurse von bewaffneten Männern in Zivil überwacht worden. Die nach Rongpo Rabten geschickten Truppen beweisen, wie besorgt man bei der Regierung der TAR ist, jeden kleinsten Widerstand augenblicklich unter Kontrolle zu bringen. Wohin die 15 verhafteten Mönche gebracht wurden, ist nicht bekannt.