In Lhasa herrschte gestern am 6. Juli, dem Geburtstag des Dalai Lama, eine gespannte Atmosphäre, da die Behörden neue Restriktionen verhängt hatten, um jegliche Feiern aus diesem Anlaß zu verhindern. Den Tibetern war es überall in Lhasa, sogar innerhalb ihrer eigenen Häuser verboten, die traditionelle Verbrennung von Weihrauch (sang sol) zu vollziehen, und wie von verläßlichen Quellen berichtet wird, waren die Anbetungsstätten geschlossen. Sicherheitspersonal war um die Weihrauchöfen in dem tibetischen Stadtviertel Lhasas um den Barkhor herum stationiert, und die Beamten warnten, daß ein jeder, der bei dem Versuch, Weihrauch zu verbrennen, erwischt würde, Ausländer nicht ausgenommen, eingesperrt würde.
Die Maßnahmen zur Verhinderung der Feiern des 65. Geburtstags des Dalai Lama wurden in diesem Jahr noch schärfer als im vergangenen Jahr, was die immer härter werdende Haltung des Staates gegenüber Religion und hinsichtlich der Sicherheit in der Hauptstadt reflektiert. Regierungsangestellten, pensionierten Arbeitern, Studenten und Schulkindern wurde dieses Jahr - wie verlautet - auch während des buddhistischen Festes Sakadawa im Juni verboten, dern traditionellen lingkhor (Pilgerweg um die heiligen Stätten Lhasas) zu folgen, und Überwachungskameras waren entlang des Weges installiert, um die Identität derjenigen Tibeter, welche den lingkhor vollzogen, festzuhalten. Staatlichen Angestellten war es sogar verboten, beim Losar (tibetisches Neujahr) im Februar das Ritual des Erneuerns der Gebetsfahnen vor ihren Häusern zu begehen, und Privathäuser wurden erneut nach Altären, Schreinen und Dalai Lama Bildern durchsucht. Es scheint, daß auch private Druckereien und Verleger wegen der Produktion von Photos des 15-jährigen Ugyen Trinley Dorje, des 17. Karmapa, der im Januar ins Exil floh, unter Druck gerieten.
Die Sicherheitspolitik und die Restriktion der religiösen Ausübung wurden schon letztes Jahr um die Zeit des 40. Jahrestages des Aufstandes vom 10. März in Lhasa verstärkt, als von einer Welle von vorübergehenden Festhaltungen berichtet wurde und die Sicherheitsvorkehrungen in den Straßen verstärkt wurden. Indes hat sich die Lage in Lhasa in diesem Jahr noch mehr verschlechtert und wirkt sich vermehrt auch auf das Privatleben der Tibeter aus. Diesen drohen nun härtere Strafen, wenn sie in irgendeiner Weise ihre Loyalität zum Dalai Lama zum Ausdruck bringen. Zuverlässigen Berichten zufolge erging an die Leiter der Nachbarschafts-Komitees und die Regierungsangestellten in den Gemeinden bei Lhasa sowie an jene in der Stadt Befehl von oben, alle Häuser nach Dalai Lama Bildern und Büchern über das tibetische religiöse Oberhaupt im Exil zu durchsuchen.
Die regionalen Zweigstellen der Propaganda-Abteilung, die Kultur-Druckerei und das Büro für Öffentliche Sicherheit (PSB) der TAR erneuerten ihr Verbot der Veröffentlichung und des Verkaufs von Dalai Lama Photos durch private Druckereien und Verleger. Das Verbot der Veröffentlichung und des kommerziellen Vertriebes von Dalai Lama Bildern wurde erstmals 1996 ausgesprochen, aber die jüngsten Maßnahmen lassen auf eine noch größere Entschlossenheit seitens des Staates schließen, dieses Verbot durchzusetzen, und es gibt sogar Hinweise, daß die Druckereien unter Druck gerieten, nicht mehr auf die Nachfrage nach Photos des 17. Karmapa in Lhasa zu reagieren.
Das behördliche Verbot der Ausführung des traditionellen lingkhor um die Stadt galt nicht nur während des 15-tägigen Festes Sakadawa, sondern nach verläßlichen Berichten den ganzen Monat Juni über. Staatlichen Angestellten wurde mit Entlassung gedroht, falls sie den lingkhor begehen sollten; Schülern wurde mit Ausschluß aus der Schule gedroht, und pensionierte Büroangestellte wurden gewarnt, daß sie ihre Pensionen einbüßen könnten. Überwachungskameras entlang der Pilgerroute sorgten dafür, daß die Sicherheitskräfte jene identifizieren konnten, die das religiöse Ritual während dieser Periode ausführten. Eine zuverlässige Quelle, die jetzt Lhasa verlassen hat, erzählte TIN: "An Sakadawa war die Atmosphäre sehr gespannt, und es gab in diesem Jahr viel weniger Leute, die den lingkhor machten. Den staatlichen Angestellten war auch verboten, Mönchen und Nonnen in der Stadt Geld zu spenden, was diese in finanzielle Schwierigkeiten brachte und zu der gespannten Lage in der Stadt noch beitrug". Dieselbe Quelle fügte hinzu: "Die Offiziellen nehmen nicht nur den Leuten die Gebetsaltäre in ihren Häusern weg, sondern sie verbieten ihnen auch das Verbrennen von Weihrauch zuhause." Weihrauchverbrennen ist eine traditionelle Form der religiösen Praxis, die von Tibetern das ganze Jahr über ausgeführt wird, nicht nur bei besonderen Festen oder zur Begehung des Geburtstages des Dalai Lama.
Ein chinesisches Weißbuch über tibetische Kultur, das von Xinhua am 22. Juni veröffentlicht wurde, preist vor allem die Freiheit der Tibeter, "sich normaler religiöser Aktivität hinzugeben und die größeren religiösen Feiern und Volksfeste zu begehen". In dem Weißbuch heißt es; "Das tibetische Volk hat, während es seine eigenen Traditionen bewahren kann, sein Leben durch Annahme vieler neuer kultureller Gebräuche bereichert, wie sie sich in Kleidung und Schmuck, Ernährung, Wohnung, Heirats- und Bestattungsriten äußern." Sakadawa, an dem die Geburt und die Erleuchtung von Buddha Sakyamuni gefeiert wird, wurde in dem Weißbuch als eines der "vielen traditionellen religiösen Feiern und Volksfeste in Tibet" genannt.