19. Februar 2003

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Nachruf auf Lobsang Damchoe

Der ehemalige politische Gefangene Lobsang Damchoe starb am 31. Januar 2003 in Gyantse. Lobsang Damchoe, ein Mönch, der auf die Siebzig zuging, starb nach langer Krankheit. 1999 war er nach Verbüßung der Hälfte seiner Haftstrafe aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Nyari Gefängnis entlassen worden. Politischer Delikte wegen war er zu fünf Jahren verurteilt worden. Die Lebensgeschichte von Lobsang Damchoe ist typisch für einen Mönch, der die Kulturrevolution überlebte und in den Neunzigern erneut wegen politischer Aktivitäten verhaftet und verurteilt wurde. Im Unterschied zu anderen in der Öffentlichkeit bekannten ehemaligen Gefangenen stammte Lobsang Damchoe nicht aus der Oberschicht der "alten Gesellschaft", noch wurde er jemals rehabilitiert oder hatte eine besondere Position inne. Obwohl er kein Gelehrter von Rang war, genoß er aufgrund seiner politischen Entschlossenheit große Achtung bei der Bevölkerung in seiner Gegend.

Lobsang Damchoe wurde in den Dreißigern geboren und absolvierte seine buddhistischen Studien im Kloster Palkhor Choede in Gyantse in Südtibet. 1958 schloß er sich der tibetischen Widerstandsbewegung an, 1959, kurz nachdem der Dalai Lama nach Indien geflohen war, wurde er festgenommen. Wie viele Jahre er genau in Gefängnissen und Arbeitslagern zubrachte, ist nicht bekannt. Nach seiner Freilassung um 1979 versuchte er wieder in sein Kloster einzutreten, was ihm jedoch anfänglich verwehrt wurde. So verbrachte er seine Zeit, indem er bei Familien zu Hause Langlebens-Pujas (tib. shabden) ausführte.

1988 erlaubte ihm das "Democratic Management Committee" von Palkhor Choede schließlich die Rückkehr ins Kloster, aber es dauerte noch einmal ein Jahr, ehe ihm vom Amt für Religiöse Angelegenheiten der Status eines Mönches offiziell bestätigt wurde, weil seine persönliche Haushaltsregistrierung (chin. hukou, tib. themto) vorher geändert werden mußte. 1993 wurde er Kustos (tib. gonyer) des berühmten Kumbum Tempels von Gyantse, eine Stellung, die er bis 1996 innehatte.

Am 25. Januar 1996 wurde Lobsang Damchoe erneut wegen seiner Beteiligung an politischen Aktivitäten festgenommen. Er soll Dokumente aus Indien erhalten haben, die er abschrieb und im Kloster verteilte, vor allem ein vom Dalai Lama für Gendun Choekyi Nyima (die 1995 vom Dalai Lama anerkannte, aber von den Chinesen abgelehnte Reinkarnation des Panchen Lama) verfaßtes Langlebensgebet. Wie es heißt, soll er auch Plakate, auf denen die tibetische Flagge abgebildet war, aufgehängt haben. Zwei seiner Schüler seien mit ihm zusammen festgenommen worden. Lobsang Damchoe wurde vom Mittleren Volksgericht von Shigatse zu fünf Jahren Haft verurteilt, verblieb jedoch wegen seines fortgeschrittenen Alters und schlechten gesundheitlichen Zustandes in der Haftanstalt des PSB der Präfektur in Nyari

Lobsang Damchoes Freunde erzählen, daß er schon immer eine schwache Konstitution gehabt habe, und seine Gesundheit durch die Erlebnisse in der Gefangenschaft ab 1959 besonders in Mitleidenschaft gezogen worden sei. Wegen seines gesundheitlichen Zustandes war das Füttern von Schweinen die einzige Arbeit, die er in der Haftanstalt Nyari verrichten konnte. Er litt unter hartnäckigem Husten und keuchenden Atemgeräuschen, wahrscheinlich eine Folge von Tuberkulose. Nach vorübergehender medizinischer Behandlung im Gefängnis wurde er 1999 freigelassen.

Lobsang Damchoe wird als ein Mensch geschildert, der für die Leute in und um Gyantse von großer Bedeutung war, besonders für die jungen Leute, um die er sich kümmerte und denen er Ratschläge gab. Ein junger Mann aus dem Kloster Tashi Lhunpo, der 1996 im Nyari Gefängnis die Zelle mit Lobsang Damchoe teilte und mit ihm zusammen zur Arbeit eingeteilt war, sagt: "Ich riet Lobsang Damchoe, seine politischen Aktivitäten einzustellen und mehr auf seine Gesundheit zu achten, doch seine Antwort war, daß er sein Leben 1959 aufgegeben hätte und mit seinem Werk bis zum Tode fortfahren würde". Eben dieser Zellengenosse erzählt auch von Lobsangs Beliebtheit bei der Bevölkerung und seiner Freigiebigkeit: "Viele Leute aus Gyantse pflegten ins Gefängnis zu kommen und ihm Speisen zu bringen, aber er verteilte das meiste davon an seine Mitgefangenen. Sogar Nahrungsmittel, die von meinen Angehörigen und Freunden für mich gebracht wurden, pflegte er an sich zu nehmen und alles an andere wegzugeben, was mich zuweilen ziemlich aufbrachte".