1. Oktober 2003
Free Tibet Campaign
28 Charles Square, London N1 6HT, Tel. +44 20 7324 4605, Fax +44 20 7324 4606, www.freetibet.org, e-mail: mail@freetibet.org
Aus: FREE TIBET No. 35, Autumn 2003

Der chinesische Propagandakrieg

Im August hatte die chinesische Regierung über 40 in Peking akkreditierte Journalisten aus 16 Ländern zu einer Reise nach Tibet eingeladen, damit sie sich ein Bild vom "Fortschritt" der tibetischen Gesellschaft machen und darüber berichten könnten. Alison Reynolds (Vorsitzende von Free Tibet Campaign) untersucht im folgenden die Motive für derartige Einladungen und erläutert, wie die Arbeit von Free Tibet Campaign Personen, die offiziell zum Besuch Tibets eingeladen werden, bei der Beurteilung der tatsächlichen Situation helfen kann.

Im Juli 2000 sickerte der Inhalt einer aufschlußreichen Rede des Chefs der chinesischen Propaganda-Abteilung durch und gelangte zur Kenntnis der tibetischen Regierung-im-Exil - ein Text, welcher einen einzigartigen Einblick in den Kampf Chinas um die "Herzen und Gemüter" in der Tibetfrage gibt. Zhao Qizheng legte auf einer Tibet-Konferenz in Peking die besondere Strategie der chinesischen Regierung dar, deren Zweck es ist, die allgemeine Sympathie, die das tibetische Volk in seinem Freiheitskampf genießt, zu neutralisieren.

Zhao unterstrich in seiner Rede die Bedeutung der von offizieller Seite organisierten Besuche ausländischer Regierungsdelegationen oder Parlamentarier aus aller Welt im Hinblick auf diese Strategie. Er äußerte sich zufrieden über die große Zahl (über 60) derartiger Besuche im vergangenen Jahrzehnt.

Viele hochrangige Diplomaten haben Tibet auf Einladung der chinesischen Regierung besucht - etwa die drei EU-Botschafter, die 1998 in Tibet waren, und die damalige UN-Hochkommissarin für Menschenrechtsfragen Mary Robinson. Der jüngste derartige Besuch fand im Juli 2003 statt, als australische Regierungsvertreter im Rahmen ihres Menschenrechtsdialogs mit China durch Tibet geleitet wurden.

China nutzt solche Besuche zur Demonstration seiner scheinbaren Offenheit und zur Legitimierung seiner Tibet-Politik. Bei einer Propaganda-Konferenz, die 1993 in Peking stattfand, hieß es: "Wir sollten Ausländer zur Verbreitung unserer Tibet-Propaganda benutzen, denn so erzielen wir bessere Erfolge, als wenn wir es selbst täten".

In Wirklichkeit unterliegen derartige Tibetreisen einer rigiden Kontrolle und werden genau inszeniert. Es werden detaillierte Routenpläne erstellt, die beispielsweise Empfehlungen für den Besuch von restaurierten Klöstern enthalten - so soll Chinas Fürsorge für Tibet hervorgehoben werden. Die Delegationen lernen ausschließlich handverlesene Tibeter kennen, denen meistens vorher eingetrichtert wurde, was sie zu sagen haben. Nur auf Grund der Weigerung der Chinesen, ihm uneingeschränkten Zugang zu Tibet und zu den Tibetern zu gewähren, hatte der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Sir Nigel Rodley, während seiner Amtszeit von einem Besuch des Landes Abstand genommen (1993-2001).

In jüngster Vergangenheit wurde einigen ausländischen Delegationen der Besuch von Gefängnissen gestattet, was allerdings häufig verheerende Folgen für die Häftlinge hatte. Auf Grund der Informationsarbeit von Free Tibet Campaign werden derartige Gefängnisbesuche heute in Anbetracht ihrer gefährlichen Folgen nicht mehr als hilfreich für die Gefangenen angesehen.

Im Jahr 1991 rief Takna Jigme Sangpo einer offiziellen Schweizer Besuchergruppe im Drapchi-Gefängnis die Worte: "Free Tibet" zu. Dafür wurde seine Haftzeit um acht Jahre verlängert - immerhin bewegte sein Protest die Schweiz dazu, bei den bilateralen Gesprächen mit China der Forderung nach seiner Freilassung Priorität vor allem anderen zu geben. Und nach seiner Entlassung im Jahr 2002 erhielt Takna in der Schweiz Asyl.

Die UN-Arbeitsgruppe für Willkürliche Verhaftung besuchte Drapchi im Jahr 1997. Während des Besuches standen zwei Häftlinge auf und riefen laut: "Lang lebe der Dalai Lama!" Trotz der den UN-Mitarbeitern gegebenen Zusicherung, daß man von ihrer Bestrafung absehen werde, wurde ihre Haftzeit verlängert.

Im Mai 1998 kam es im Drapchi-Gefängnis (zeitgleich mit dem Besuch der EU-Gesandten) zu Aufständen, bei denen mindestens acht Gefangene zu Tode kamen. Obwohl die Proteste wahrscheinlich von einer Flaggenzeremonie ausgelöst wurden, ist nicht ausgeschlossen, daß die Gefangenen eine Gesprächsmöglichkeit mit den ausländischen Besuchern suchten. Auf Grund dieser Vorkommnisse riet Free Tibet Campaign Mary Robinson davon ab, im Verlauf ihrer für einige Monate später geplanten Tibetreise dieses Gefängnis zu besuchen. Frau Robinson beherzigte diesen Ratschlag.

Bis vor kurzem waren die ausländischen Medien aus Chinas Tibetstrategie ausgeklammert. Obwohl zwischen 1990 und 2000 sechzig ausländische Delegationen nach Tibet eingeladen wurden, gab es während dieser Zeit nur drei offiziell genehmigte Besuche ausländischer Journalistengruppen. Diese Politik wurde in letzter Zeit gründlich revidiert - in den Jahren 2001, 2002 sowie im August 2003 wurden einige Pressereisen veranstaltet. Bei der letzten handelte es sich um eine sehr große Gruppe, zu der Journalisten von The Guardian, Daily Telegraph und BBC gehörten. Auch einer geringen Zahl einzeln reisender Journalisten gestattet das dem Außenministerium unterstehende China's International Press Centre Besuche in Tibet und anderen heiklen Regionen wie z.B. Ostturkestan (Xinjiang).

Diese vermehrte Bereitschaft zur Einladung von Journalisten ist zum einen ein Ausdruck dafür, wie sicher sich die Chinesen ihrer Kontrolle über das Land sind, zum anderen zeigen die Besuche, wie schwierig es die Medien haben, an Informationen zu gelangen, die Chinas Ruf schädigen könnten.

Free Tibet Campaign versieht Journalisten, die Tibet bereisen wollen, mit detaillierten Auskünften, einschließlich Hintergrundwissen und spezifischen Informationen zur Routenplanung, sowie Vorschlägen für Fragen an Behördenvertreter und an Tibeter, die zu Interviews ausgewählt wurden. Sie erhalten auch Ratschläge zum Verhalten in Tibet: So müssen die Reisenden unbedingt darauf aufmerksam gemacht werden, wie gefährlich es für Tibeter ist, mit ihnen zu sprechen. Ihre Erwiderungen auf die Fragen der Reporter werden von den chinesischen Behörden genau überprüft, trotzdem können sie hin und wieder durch vorsichtig abgewogene Antworten ein wenig mehr mitteilen. In diesem Zusammenhang muß die Presse dringend daran erinnert werden, bei ihrer Berichterstattung entsprechende Sensibilität walten zu lassen.

Vorsicht ist vor allem beim Besuch von Klöstern geboten, denn diese waren in den vergangenen Jahren Auslöser für politischen Protest und sind folglich zur besonderen Zielscheibe der Behörden für Repressionen geworden. Entlang der Reiseroute werden vielleicht vorsorglich einige Personen in Gewahrsam genommen oder die tibetische Bevölkerung wird einfach von den Journalisten ferngehalten. Wie Reuters berichtete, wurden während einer Pressereise im Jahr 2002 fünf Mönche aus Drepung, welche 2001 an Unabhängigkeitsaktionen teilgenommen hatten, in Haft genommen. Weitere Informationen zu diesen Verhaftungen liegen nicht vor.

Journalisten, die 2002 und 2003 Tibet bereisten, konnten auf eine Reihe von Schlüsselfragen, welche FTC ihnen ans Herz gelegt hatte, Antworten erhalten. Dazu gehörten z.B. Details zur Zerstörung des kulturellen Erbes der Tibeter und Auskünfte über die aus Nepal deportierten Flüchtlinge. Die Reporter berichteten, während ihrer abendlichen Freizeit hätten sie sich etwas freier bewegen können - die Ursache hierfür mag sowohl die Sicherheit der Chinesen bezüglich der Kontrolle der Situation als auch ihre Erkenntnis sein, daß allzu große Strenge die Journalisten nicht für die kommunistische Partei Chinas einnehmen würde.

China räumte in den letzten Jahren seiner Propagandaoffensive im Hinblick auf Tibet einen sichtlich hohen Stellenwert ein. Während sie sich früher auf Touristen, ausländische Delegationen und die Tibeter selbst beschränkte, fühlen sich die chinesischen Behörden mittlerweile sicher genug, auch die internationalen Medien anzupeilen. China hat erkannt, daß die Medien die Menschen überall auf der Welt beeinflussen können. Und wo man die Leute beeinflussen kann, kann man das auch mit demokratischen Regierungen tun. Die Tibeter können sich nicht erlauben, die Schlacht um die Darstellung Tibets in den Medien zu verlieren.

Eindrücke eines Journalisten

Der BBC-Journalist Rupert Wingfield-Hayes nahm im September 2001 an einer Pressereise in die der Qinghai zugeschlagenen tibetischen Provinz Amdo teil. China wollte ihm mittels dieser Tour die wirtschaftlichen Fortschritte in der Region vorführen. Es folgt eine Zusammenfassung seines Beitrags in der Rubrik "from-our-own-correspondent", in dem er seine Frustrationen während dieser Reise beschreibt (veröffentlicht in http://news.bbc.co.uk).

"Ein Heer von Aufpassern... begleitet einen überall hin. Angeblich dafür da, um einem zu helfen, haben sie doch eher die Aufgabe, einen zu behindern. Und je mehr man sich Tibet nähert, desto mehr behindern sie einen.

Unser erster Aufenthalt fand in einem von seßhaft gemachten tibetischen Nomaden bewohnten Dorf statt. Die Farce nahm ihren Lauf. Dreißig Journalisten stieben aus dem Bus und liefen in alle Richtungen. Das Dorf bestand aus höchstens fünf bis sechs Häusern - es war, als ob ein Schwarm Heuschrecken über ein Gemüsebeet hergefallen wäre. Die Einheimischen blickten fassungslos drein, während Fernsehkameras und Reporter der Druckmedien darum rangelten, wer zuerst zu ihnen gelangte.

Eine 17-stündige Zugfahrt über das Hochplateau lag vor uns. Ich nahm an, daß sie uns bestimmt nicht fortwährend überwachen könnten. Es sollte also möglich sein, sich in andere Waggons zu schleichen und chinesische Einwanderer auf dem Weg nach Tibet zu interviewen. Was für naive Hoffnungen! Auf dem Bahnhof wurden wir sofort in einen speziellen Schlafwagen erster Klasse gescheucht. Als meine Taschen verstaut waren, wollte ich mich zum Zugende aufmachen, doch da erschien plötzlich ein Polizist mit einer enormen Narbe auf seiner Backe, packte mich am Arm und mahnte: "Sie können dort nicht hingehen". "Warum nicht?", fragte ich. "Wir haben Befehl vom Außenministerium. Sie müssen in diesem Waggon bleiben". Des Nachts versuchte ich es noch ein paar Mal - ohne Erfolg, das Narbengesicht war immer zur Stelle.

Ein Besuch im Kloster Kumbum, einem alt-ehrwürdigen Zentrum des tibetischen Buddhismus, sollte der Höhepunkt unserer Reise sein. Aus erster Hand sollten wir erfahren, wieviel religiöse Freiheit die Tibeter unter chinesischer Herrschaft genießen. Es sollte sich jedoch genau das Gegenteil herausstellen. Sie sagten uns, wir könnten mit jedermann sprechen. Es wurde jedoch bald deutlich, daß die Mönche in Kumbum den mit Sonnenbrillen und schlechtsitzender Zivilkleidung ausgestatteten Polizisten, die in jeder Ecke saßen, zahlenmäßig weit unterlegen waren. Einige wenige Mönche trauten sich dennoch zu uns und flüsterten, sie wüßten alles über unseren Besuch, man hätte sie jedoch angewiesen, nicht mit uns zu sprechen."