2. Februar 2019
Central Tibetan Administration (CTA), www.tibet.net

Klöstern wird verboten, Schulkindern Unterricht in Tibetisch zu geben

Die chinesischen Behörden in der Provinz Qinghai sollten sofort ihren Erlaß zurückziehen, der tibetischen Kindern verbietet, am Tibetischunterricht in Klöstern teilzunehmen. Human Rights Watch zufolge sind informelle, von Mönchen während der Schulferien veranstaltete Kurse sehr populär geworden, besonders Kurse in tibetischer Sprache, die an staatlichen Schulen immer weniger in Gebrauch ist. 

Eine im Dezember 2018 im Bezirk Nangchen, TAP Yushul (chin. Yushu), Provinz Qinghai, herausgegebene Verordnung hat die Überschrift „Eilige Bekanntmachung über die Einstellung von illegalem Unterricht in Klöstern“. Die von den Mönchen abgehaltenen informellen Kurse werden als eine „ideologische Infiltration der Kinder“ und als „gefährlich und schädlich“ bezeichnet. Die Beamten vor Ort und die für die Geschäftsführung der Klöster zuständigen Parteikader sollten „verstehen, wie schädlich es ist, wenn Klöster offene Schulen betreiben“ und ihnen dies untersagen.

Eine Schulklasse tibetischer Kinder
Foto: Free Tibet

„Das offizielle Verbot informeller von Mönchen durchgeführter Kurse in tibetischer Sprache verletzt eine lange Liste von Grundrechten, von dem Recht auf Bildung bis zu dem auf ein kulturelles Leben“, sagte Sophie Richardson, die Leiterin des China-Ressorts von Human Rights Watch. „Tibetischen Kindern den Kontakt mit Mönchen und Klöstern zu verbieten, bestätigt nur die Tibeter in ihrer Angst, daß China die tibetische Kultur und ihre Religion immer mehr zurückdrängen wird.“

Das Verbot von Nangchen, von dem Human Rights Watch eine Kopie zuging, bestätigt frühere Berichte über ähnliche Verbote in tibetischen Gebieten. Die darin verwendete Ausdrucksweise läßt darauf schließen, daß die Behörden jeglichen Kontakt von Schülern mit Mönchen unterbinden wollen, sogar bei nicht-religiösen Aktivitäten wie dem Unterricht in tibetischer Sprache. Es zeigt auch, daß die Offiziellen die religiösen Aktivitäten von Kindern sogar in osttibetischen Gebieten wie der Provinz Qinghai einschränken wollen. Bisher galten die Restriktionen vor allem in der TAR, wo die Lage besonders prekär ist.

Bei dem Verbot handelt es sich auch um das erste bekanntgewordene Dokument, das unmittelbar von der Einheitsfrontabteilung der KPC herausgegeben wurde. Sie ist für die Minderheitenpolitik zuständig und verbietet nun die Teilnahme tibetischer Kinder an religiösen Aktivitäten. Bisher wurden solche Verbote von den einzelnen Schulen oder dem örtlichen Bildungsbüro erlassen.  

Human Rights Watch besitzt Kopien von Bekanntmachungen von vier tibetischen Schulen in den letzten zwei Jahren, wo Eltern angewiesen werden, ihren Kindern die Teilnahme an religiösen Aktivitäten oder den Besuch religiöser Stätten wie Klöstern zu verbieten. Ein Bescheid von der Jebumgang Grundschule vom 27. Mai 2017 wies die Eltern an, ihre Kinder daran zu hindern, während des vierten Monats des Mondkalenders, wenn die Tibeter gewöhnlich Klöster besuchen und religiöse Rituale vollziehen, „irgendwelchen abergläubigen Riten oder religiösen Aktivitäten nachzugehen.“ Eltern wurden auch angehalten, „zu verstehen, daß sie die Verantwortung haben, nicht selbst solche Dinge zu tun“.

Eine ebensolche schulische Mitteilung, die am 14. Mai 2018 von einem Kindergarten in Chamdo, der drittgrößten Stadt der TAR, herausgegeben wurde, warnt die Eltern: „Wenn eure Kinder einen Schultag versäumen, und es sich später herausstellt, daß sie heimlich zu einem religiösen Fest oder in ein Kloster mitgenommen wurden, dann wird eure Familie direkt dem städtischen Bildungsbüro gemeldet“. Weiter besagte die Mitteilung, der Grund für das Verbot sei es, „kritisches Denken in der Erziehung der Kinder zu fördern“ und fügte hinzu: „Die Behörden werden verdeckt das Verhalten beobachten, und gegen diejenigen, die die Regeln übertreten, wird vorgegangen werden.“

Einer an eine höhere Mittelschule in Lhasa am 23. August 2018 ergangenen Anweisung zufolge müssen Eltern eine „Verpflichtungsvereinbarung“ unterzeichnen, in der es heißt, daß „den Schülern verboten werden muß, an religiösen Aktivitäten teilzunehmen“. Diese Vereinbarung sei erforderlich, weil „das Studium, die Gesundheit und das seelische Wohlbefinden der Schüler“ während der Schulferien „richtig betreut“ werden müssen.

Auf dem Zeugnis eines tibetischen Schülers einer Schule in Lhoka (chin. Shannan), von der auf Exilwebsites die Rede war, steht die Anweisung an die Eltern, daß „ihre Kinder in den Winterferien an keinerlei außerschulischen Kursen oder religiösen Aktivitäten teilnehmen dürfen“. Das genaue Datum und die Quelle der Mitteilung sind unbekannt.

Zwei Tibeter aus Lhasa erzählten letzten Monat Human Rights Watch, daß Schulkindern jegliche religiöse Betätigung verboten ist. Einer berichtete, daß tibetische Schulkinder „zu keiner Zeit religiöse  Veranstaltungen besuchen dürfen“ und der andere fügte hinzu, daß die Offiziellen im vergangenen Jahr „die Eltern sogar angewiesen haben, ihre Kinder während der Schulferien nicht einmal zu Bestattungsritualen oder Hochzeiten“ mitzunehmen.

„Wenn entdeckt wird, daß tibetische Schüler Gebetsketten oder gesegnete Schnürchen tragen oder mani oder namchu wangden (Mantras) oder Bilder von Gottheiten und Lamas in ihren Schulbüchern oder Schulranzen versteckt haben, dann werden sie oder ihre Eltern belehrt und bestraft, und sie müssen ein Geständnis ablegen, Punkte für politisches Wohlverhalten werden ihnen abgezogen und sie bekommen Minuspunkte.“

Bedrohliche Sprache

Das Verbot des Sprachunterrichts im Bezirk Nangchen macht deutlich, daß die Behörden den Verdacht haben, der Zweck der Kurse sei, daß die Mönche den Kindern religiöse oder tibetisch-nationalistische Ideen vermitteln wollen. Daher werden die Offiziellen angewiesen, alle Mönche des Klosters zu verweisen, die „im Namen von Tibetischunterricht oder Nachhilfe“ informelle Klassen für die Kinder organisieren. Dieser Wortlaut reflektiert ein Polizeiverbot in der TAR vom Februar 2018, in dem inoffizielle Tibetischkurse als eine Art getarnter politischer Opposition gegen die Regierung bezeichnet werden.

Dekret der Einheitsfrontabteilung vom 25. Dezember 2019


Das Verbot von Nangchen untersagt den Unterricht in den örtlichen Klöstern auf allen Gebieten, vor allem in der tibetischen Sprache. Die Förderung der tibetischen Sprache und ihre Unterrichtung wird von den chinesischen Behörden in Tibet immer mehr als eine verschleierte Form von politischem Dissens wahrgenommen. Im Mai 2018 wurde der tibetische Ladeninhaber Tashi Wangchuk zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, weil er angeblich zum „Separatismus aufgestachelt“ habe, als er ausländischen Journalisten seine Sorgen wegen des Mangels an Gelegenheiten in seiner Gegend, Tibetisch zu lernen, mitteilte.

China hat internationale Konventionen ratifiziert, die das Recht seiner Bürger auf Religionsfreiheit garantieren, und hat dieses Recht auch ausdrücklich in seiner eigenen Verfassung verankert. Die Regierung hat ebenso versprochen, daß Kindern, die einer ethnischen, religiösen oder linguistischen Minderheit angehören, das Recht auf den Genuß ihrer Kultur, die Ausübung ihrer Religion und die Verwendung ihrer Sprache nicht versagt werden darf.

Aber in der Praxis beschränken die Behörden Glaubensausübung auf das, was sie als „normale“ religiöse Aktivitäten definieren, und diese sind nur dann legal, wenn sie von gewissen staatlich sanktionierten Kongregationen und Institutionen durchgeführt werden. In Regionen mit einer Bevölkerung, die überwiegend einen besonderen Glauben praktiziert, so wie die uigurischen Muslime in Xinjiang oder die Buddhisten in Tibet, sind die Restriktionen viel einschneidender.

„Die freiwillige Teilnahme an Studien während der Ferien und Familienbesuche in Tempeln als gefährlich zu bezeichnen, macht deutlich , wie feindlich Peking gegenüber den Menschenrechten der Tibeter eingestellt ist“, sagte Richardson, „das ist die wahre Bedrohung für die Tibeter und andere religiöse Minderheiten in China“.