27. April 2009
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Für Tibeter gibt es keine Gerechtigkeit - Am Prozess gegen einen hohen Lama wird Pekings Repressionspolitik deutlich

von Woeser* (Quelle: Wall Street Journal Asia)

Am frühen Morgen des 18. Mai 2008 unterbrachen die Behörden alle Formen der Kommunikation zu einem Städtchen auf dem Lande - Telefonleitungen, Mobiltelephone, das Internet und sogar die Straßen, die dorthin führen, alles wurde blockiert. Um 6 Uhr standen über eintausend Angehörige der Volksbefreiungsarmee, der Bewaffneten Volkspolizei und Sonderpolizeieinheiten bereit, um ein Haus einzunehmen. Gleichzeitig umstellten über viertausend Soldaten und Militärpolizisten zwei kleinere Nonnenklöster in der Nähe und besetzten sie.

Der 52jährige hoch angesehene tibetische Lama Phurbu Tsering [chin. Pubu Ciren], das geistliche Haupt des Buramna Tempels [Pangrina] und des Klosters Yatseg, beide im Bezirk Kardze (chin. Ganzi) in der Provinz Sichuan gelegen, wurde im Zusammenhang mit den Demonstrationen während des vergangenen Jahres in dieser Gegend am 21. April 2009 vor ein chinesisches Gericht gestellt. Am Ende der Verhandlung wurde noch kein Urteil gefällt, das Gericht würde das Urteil später verkünden, hieß es. Wenn der Rinpoche für schuldig befunden würde, müsse er mit einer sehr langen Haftstrafe rechnen, sagte sein Anwalt nach der Verhandlung.

Phurbu Tsering Rinpoche

[Ein Photo ohne Datum von Phurbu Tsering Rinpoche, alias Buramna (Phurbu) Rinpoche, ist auf der Website des Buramna oder Buronga Tempels zu finden. Phurbu Rinpoches viele chinesische Anhänger starteten diese Website zu seiner Unterstützung: http:// www.burongna.net].

Die Geschichte dieses religiösen Würdenträgers, der ein Altenheim gründete und für Waisen und behinderte Kinder sorgte, macht deutlich, mit welcher Härte Peking die Tibeter behandelt. Sie erklärt auch, warum die sogenannte Tibet-Frage so bald nicht gelöst werden wird.

Die Soldaten und Militärpolizisten hatten es leicht, in das Haus einzudringen, wo sie nach Aussage der Behörden ein Gewehr, eine Pistole und über 100 Stück Munition im Wohnzimmer unter einem Bett versteckt fanden. Der Lama wurde mit der Begründung festgenommen, dass er illegale Feuerwaffen und Munition besitze. Später wurde er zusätzlich der illegalen Inbesitznahme von staatseigenem Grund und Boden beschuldigt.

Die Verhaftung hat aber eher mit dem zu tun, was vier Tage früher passiert war, als nämlich 80 Nonnen der Klöster Pangrina und Yatseg auf die Straße gingen und friedlich gegen die Kampagne der patriotischen Erziehung protestierten, bei der die Tibeter unter Druck gesetzt werden, den Dalai Lama, ihr im Exil lebendes geistliches Oberhaupt, zu diffamieren. Die Nonnen verteilten ganz friedlich Flugblätter und skandierten Parolen gegen diese Kampagne, aber wie mir ein Augenzeuge berichtete, mit dem ich später sprach, marschierten mehrere Tausend Soldaten und Polizisten auf, um ihre Protestaktion im Keime zu ersticken. Dabei wurden viele der Frauen schwer geschlagen und anschließend verhaftet.

Die Behörden glaubten wohl, daß die Nonnen auf Anweisung von Herrn Buramna [Phurbu Tsering Rinpoche] gehandelten hätten, da er ja für beide Klöster verantwortlich ist. Von diesem Tag an wurde er genauestens überwacht.

Herr Buramna kam nach seiner Festnahme in das Haftzentrum des Bezirks Luhuo (tib. Drango in der TAP Kardze). Dort wurde er nach Angabe seines Anwalts vier Tage lang mit Handschellen an einen eisernen Pfosten gefesselt und ununterbrochen von zwei Aufsehern wach gehalten und vernommen. Vier Tage und Nächte lang wurde er gefoltert, und die Polizei drohte ihm damit, auch seine Frau und seinen Sohn festzunehmen, falls er den illegalen Besitz der Waffen nicht zugäbe. Auf diese Weise genötigt, unterschrieb Herr Buramna ein Geständnis, in dem er sich zu den Anschuldigungen bekannte, und setzte seinen Daumenabdruck darunter. Später vor Gericht widerrief er dann dieses „Geständnis“.

Die Familie von Herrn Buramna bestellte zwei chinesische Rechtsanwälte aus Peking, um ihn zu verteidigen. Li Fangping und Jiang Tianyong sind bekannte Menschenrechtsanwälte. Jiang ist einer jener 21 chinesischen Rechtsanwälte, die am 1. April 2008 schriftlich ihre Bereitschaft erklärten, Tibeter vor Gericht zu verteidigen, die im Zusammenhang mit den Demonstrationen, die im März 2008 überall in den tibetischen Gebieten ausbrachen, verhaftet wurden. Wie Human Rights Watch berichtet, hatte die Regierung damit gedroht, ihre Kanzleien zu schließen oder die Lizenzen der einzelnen Anwälte zu annullieren, die Fälle von Tibetern übernähmen.

Am Vormittag des 21. April wurde der Prozeß im Bezirk Kangding (tib. Dartsedo, ein oder zwei Tagesreisen entfernt) eröffnet, aber nicht im Bezirk Kardze, wo Herr Buramna lebt und die angebliche Straftat begangen wurde. Dadurch sollte wohl verhindert werden, daß tibetische Mönche und Nonnen und Laien vor dem Gerichtssaal ihrem Protest Ausdruck verleihen. Herr Buramna erschien in dem leuchtend gelb-roten Gewand eines tibetischen Lamas vor Gericht. Sieben seiner Angehörigen, darunter seine Frau und sein Sohn, waren bei der Verhandlung anwesend, einige von ihnen weinten ununterbrochen. Herr Buramna, der auf Chinesisch sprach, widersprach den gegen ihn erhobenen Beschuldigungen und sagte indessen, daß die Waffen und die Munition, die in seinem Hause gefunden wurden, dort vorher absichtlich deponiert worden waren, um ihm ein Verbrechen anzuhängen.

Herr Buramnas Anwälte betonten, daß sie vor dem Prozeß nur einen sehr eingeschränkten Zugang zu ihrem Klienten gehabt hätten und nicht alle Gerichtsdokumente im Zusammenhang mit dem Fall einsehen durften, weshalb sie keine Zeugen ins Kreuzverhör nehmen konnten. Sie argumentieren, daß das Gericht die Herkunft der Feuerwaffen und der Munition gar nicht geprüft und auch keine Fingerabdrücke habe analysieren lassen. Sie sagten, das Wohnzimmer des Lama sei ein öffentlich zugänglicher Raum, in dem tagtäglich viele Leute, die ihn besuchen, aus- und eingehen, und daß irgend jemand die Waffen dort versteckt haben könnte. Weiterhin habe eine Prüfung der Dokumente bezüglich des für den Bau des Altenheims benutzten Grund und Bodens, von dem die Regierung behauptet, er sei illegal in Besitz genommen worden, ergeben, daß dieses Grundstück gar kein Staatseigentum war.

Die Anwälte wiederholten das, was der Lama gesagt hatte, nämlich, daß er vier Tage lang gefoltert worden sei und das Geständnis unter Zwang unterschrieben habe, weshalb es rechtsungültig sei, und nicht als Grundlage für einen Schuldspruch dienen könne. Am Ende der Verhandlung wurde kein Urteil ausgesprochen, das Gericht sagte, es würde das Urteil später bekanntgeben. Wenn er schuldig gesprochen wird, erwartet ihn eine Gefängnisstrafe von fünf bis zu 15 Jahren.

Doch die Regierung irrte sich, sollte sie meinen, daß die Sache damit zu Ende sei. Der Vorfall rief bei den Tibetern dieser Gegend großen Unmut hervor. Am Morgen von Herrn Buramnas Festnahme demonstrierten einige Mönche und Laien in Kardze und forderten seine Freilassung. Sie wurden von Polizei eingekreist und geschlagen, wie derselbe Augenzeuge aussagt, der auch die anfängliche Protestaktion der Nonnen sah. Die betagten Bewohner seiner Wohlfahrtseinrichtungen versuchten ebenfalls zu protestieren, aber auch ihr Heim wurde von der Polizei umstellt. Im Juni gab es weitere Proteste gegen die Inhaftierung des Rinpoche, wobei mehrere Personen geschlagen und festgenommen wurden.

Dies ist das erste Mal, daß seit den Unruhen in den tibetischen Gebieten während des vergangenen Jahres eine wichtige religiöse Persönlichkeit vor Gericht gestellt wird. Zu dieser Situation kann es nur einen traurigen Kommentar geben, daß nämlich diese Verhandlung wenigstens nicht hinter verschlossenen Türen stattfindet. Aber solche Prozesse werden der Gegend keine Stabilität bringen. Die Nonnen, deren Demonstration diesen zur Verhandlung stehenden Fall auslöst hatte, handelten spontan und ihre Aktion hatte nichts mit Herrn Buramna zu tun. Sie und alle anderen Tibeter möchten, daß in ihrer Gegend Gerechtigkeit herrsche. Herrn Buramna ins Gefängnis zu sperren, wird ihren Wunsch nach Gerechtigkeit nur noch vermehren.

* Woeser, eine tibetische Dichterin und Autorin, lebt in Peking, der Artikel wurde von Paul Mooney aus dem Chinesischen ins Englische übersetzt.

Das Plädoyer der Anwälte in engl. Übersetzung steht auf der Website von International Campaign for Tibet (ICT) zur Verfügung