15. März 2007
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Dharamsala vom Ausmass der chinesischen Einwanderung nach Tibet alarmiert

Dennoch fühlt die Regierung im Exil der Politik des mittleren Weges verpflichtet. Die tibetische Zentralverwaltung ist tief besorgt über die rapide chinesische Zuwanderung nach Tibet und die Ausbeutung der Bodenschätze.

„Wir sehen uns gezwungen, unserer Sorge Ausdruck zu verleihen über die Unmenge von chinesischen Wanderarbeitern, die nach Tibet strömen und über Chinas rasanten Abbau verschiedener Bodenschätze auf dem tibetischen Hochland“, sagte Kalon Tempa Tsering, der Minister für Information und Internationale Beziehungen der Tibetischen Regierung-im-Exil.

„Die Geschwindigkeit, mit der sich chinesische Wanderarbeiter in den urbanen Zentren Tibets niederlassen, und die Ausbeutung seiner Ressourcen durch China machen es dem tibetischen Volk immer schwieriger, an seinem besonderen kulturellen Erbe festzuhalten“, fuhr Tempa Tsering fort und fügte hinzu: „Genau aus diesem Grund fühlen wir uns dem Mittleren Weg Seiner Heiligkeit des Dalai Lama verpflichtet, in dessen Rahmen die Tibeter ein echtes Mitspracherecht bei ihren Angelegenheiten und der Verteilung ihrer Ressourcen hätten, ohne dass der chinesischen Souveränität Abbruch getan würde“.

Damit reagierte Kalon Tempa Tsering auf Medienberichte, denen zufolge China in Tibet massiv Mineralien abbaut und die neue Eisenbahn Tag für Tag Tausende von chinesischen Wanderarbeitern ins Land bringt.

Auf dieser Strecke gibt es zwei Arten von „Einbahnverkehr“, die beide den Tibetern schaden. Mit einer einfachen Fahrkarte zum Spottpreis von 49 $ für den ganzen Weg von Peking können Glückssucher nach Tibet gelangen: Oft verzweifelt arme Menschen, die durch Chinas Gier nach urbanem Bauland von ihrem angestammten Grund und Boden vertrieben wurden.

Unsere Quellen vor Ort schätzen, dass die seit Juli 2006 in Betrieb befindliche Eisenbahn jeden Tag fünf bis sechstausend Menschen nach Lhasa befördert, aber wenn man sich die von dort aus nach China startenden Züge anschaut, dann sitzen darin höchstens zwei bis dreitausend Menschen, und das sind die wirklichen Touristen. Diejenigen, die bleiben, sind die Glückssucher, die jede kleinste Nische nutzen und dabei den Tibetern zuweilen selbst ihre ärmlichen Verkaufsbuden wegnehmen.

1950 zählte Lhasa trotz der spirituellen Bedeutung, welche diese Stadt für Tibeter hat, nur 20.000 Einwohner. Heute ist die Bevölkerung durch die massive Einwanderung infolge des staatlich angeheizten urbanen Baubooms auf fast 300.000 angeschwollen, so dass sich die Stadt nun fast über das ganze Tal ausbreitet. Es gibt Gerüchte, dass Chinas Planziel für Lhasa eine Einwohnerzahl von 700.000 sei. Wenn man unsere Beobachtungen über die Auslastung der nach Lhasa kommenden und von dort startenden Züge zugrunde legt, könnte dieses Ziel ziemlich bald erreicht sein.

Um Kalon Tempa Tsering weiter zu zitieren: „Das tibetische Hochland kann eine solche Bevölkerungsexplosion nicht verkraften. Schon jetzt müssen die Tibeter in einem winzigen Stadtviertel leben, ausgeschlossen von dem Bauboom um sie herum. Wir wenden uns entschieden gegen alle Entwicklungsprojekte, die nicht der tibetischen Bevölkerung nutzen, sondern sie sozial und kulturell marginalisieren“.

Die verarmten Tibeter hausen in Barackensiedlungen am Stadtrand. Sie suchen verzweifelt nach Arbeit, nur um von den nichttibetischen Immigranten beiseite geboxt zu werden; obendrein tragen diese zu der tibetischen Wirtschaft gar nichts bei, denn ihre Ersparnisse überweisen sie in ihre Heimatprovinzen.

Der andere ebenso alarmierende Aspekt dieser „Einbahnverkehre“ ist, wie Kalon Tempa Tsering sagt, der Abtransport der Bodenschätze Tibets, um den Rohstoffhunger der chinesischen Industrie zu befriedigen.

Als die Eisenbahn nach Tibet in den 80er Jahren zunächst bis zu dem Wüstenstützpunkt Gormo gebaut wurde, war ihr Hauptzweck die Förderung des tibetischen Erdöls, und seit nunmehr 20 Jahren werden jährlich zwei Mio. Tonnen nach China transportiert. Außerdem gewinnt China in derselben Gegend im Tsaidam-Becken aus den Salzseen große Mengen an Rohstoffen. Gewaltige Erdgaslager wurden in den 90er Jahren ebenfalls im Tsaidam-Becken entdeckt, und eine Pipeline wurde gelegt, um die große Nachfrage nach Brennstoff für Industrie und Stromerzeugung zu decken und Chinas Energiehunger zu stillen. Tibetisches Erdgas wird nun durch ganz China gepumpt.

China investiert viel in die geologische Forschung und erfasst die Bodenschatzlager in ganz Tibet kartographisch. Kürzlich kündigte die chinesische Aufsichtsbehörde für Geologie die Entdeckung von über 600 neuen Bodenschatzvorkommen an, nachdem sieben Jahre lang geologische Untersuchungen auf dem tibetischen Hochland durchgeführt wurden. Die abbaufähigen Vorräte dieser Lager besitzen einen Wert von 128 Mrd. Dollar.

Sorge bereiten uns vor allem zwei Metalle: Kupfer und Chromit (Chromeisenerz), besonders die großen Vorkommen, die derzeit erschlossen werden und leicht zugänglich sind: das von Shetongmon in der Nähe von Shigatse, der zweitgrößten Stadt Tibets, die Chromit-Vorkommen in Norbusa bei der Stadt Tsethang und die Chromit-Lager in Dongchao (chin. Dongqiao) unweit der Eisenbahnlinie bei dem Dorf Draknak (Kreis Amdo) in der Präfektur Nagchu. In allen drei Fällen ermöglicht die Eisenbahn einen Abbau in großem Maßstab, denn jede dieser Lagerstätten befindet sich in ihrer unmittelbaren Nähe oder entlang den geplanten neuen Strecken.

Die Yulong Kupfermine, deren Reserven von Weltrang sind und die sich bei dem Dorf Chunyido in der Präfektur Chamdo befindet, wurde bisher nicht erschlossen, weil sie zu abgelegen war, aber wie man hört, nähert sich die für den Abbau notwendige Infrastruktur jetzt der Fertigstellung. Das Chromit-Bergwerk in Dongchao wurde ebenfalls wegen seiner Entlegenheit stillgelegt, aber dank der Eisenbahn ist es jetzt nicht mehr entlegen und könnte in viel größerem Umfang wieder in Betrieb genommen werden. Sowohl Kupfer als auch Chromerz sind lebensnotwendig für Chinas industrielle Entwicklung, als Rohmaterial waren sie jedoch bisher knapp. In den letzten Jahrzehnten musste China große Mengen dieser Rohstoffe importieren.

Vor allem wegen der hohen Kosten, die der Abtransport der Erze aus Tibet wegen des schlechten Straßenzustandes verursacht, wurden von den vielen Mineralvorkommen, die man bisher entdeckt hat, nur wenige so weit erschlossen, daß sie abgebaut werden können. Hinzu kommen die harten Klimaverhältnisse, deretwegen die Bergwerke im Winter stillgelegt werden.

Nach der Ankunft der Eisenbahn in Lhasa ist der Mineralabbau sehr viel wirtschaftlicher geworden. Nicht nur die Kosten für die Fahrkarten nach Lhasa werden bezuschusst, subventioniert wird auch das Frachtgut, was wiederum den Bergbauunternehmen erlaubt, die Erze für nur 1,5 US Cent pro Kilometer und Tonne aus Tibet abzutransportieren.

Die meisten Kupferlagerstätten in Tibet, wozu auch diejenigen von Yulong zählen, sind porphyrischer Art (Eruptionsgestein). Solche Bergwerke müssen großflächig angelegt werden und täglich Hunderte von Tonnen an Gestein fördern, um Jahr für Jahr ein rentables Volumen an aufbereitetem und gereinigtem Kupfer produzieren zu können. Die sich daraus für alle Arten von Bergwerken ergebende Notwendigkeit, gewaltige Mengen an Abraum zu beseitigen, könnte sich verheerend auf die Umwelt auswirken: Bodenerosion, Verlust der Artenvielfalt, Degradation der Weideflächen und Verschmutzung der Wasserläufe sind einige der möglichen Auswirkungen der Bergwerkstätigkeit. Abfälle aus den Bergwerken kontaminieren die Gewässer, was oft eine beachtliche Minderung der Wasserqualität zur Folge hat, den flussabwärts wohnenden Menschen zum Schaden gereicht und das Ökosystem der Gewässer zerstört. In Tibet haben die größten Flüsse Asiens ihren Ursprung, von denen das Leben von 47% der Weltbevölkerung abhängt.

Darüber hinaus bekommen die Tibeter vor Ort, die den Bergwerken weichen müssen, in der Regel fast keine Entschädigung, während für die qualifizierten Jobs durchwegs nichttibetische Immigranten herangezogen werden. Infolge der chinesischen Diskriminierung der Tibeter und der vermehrten Niederlassung chinesischer Arbeiter in Tibet seit dem Start der Eisenbahn wird sich nicht nur das Bild von Lhasa und anderen Städten in Tibet drastisch verändern, sondern es werden sich neue eindeutig chinesische Siedlungen und Kleinstädte bilden. So war es beispielsweise in Gormo, was als Prototyp für diese Entwicklung angesehen werden kann. Wir haben hier den Beginn der chinesischen Kolonisierung. Gormo, einst ein öder Landstrich, in dem nur ein paar vereinzelte Nomaden umherzogen, ist laut dem Zensus von 2000 zu einer Großstadt von 200.000 Einwohnern geworden, von denen nicht einmal 2% Tibeter sind. Ursprünglich wurde Gormo als eine Gefängnis-Farm und ein Gelände zur Ressourcengewinnung angelegt, aber seit dem Eintreffen der Eisenbahn ist dort als Resultat der Immigration und Entwicklung eine typisch chinesische Siedlung entstanden.