15. August 2006
Tibetbüro Genf

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Phuntsog Nyidron sagt vor UN-Expertengremium aus

Übersetzung aus dem Englischen

Erklärung von Phuntsog Nyidron

Genf, 14. August – Die ehemalige politische Gefangene Phuntsog Nyidron, eine der "Singenden Nonnen" von Drapchi, sagte heute Nachmittag vor der UN-Unterkommission für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte aus, die zu ihrer 58. Sitzung in Genf zusammengetreten ist. Sie berichtete den Experten des UN-Menschenrechtsgremiums über die von Folter, Erniedrigung, unhygienischen Verhältnissen und der Verweigerung gesetzlicher Rechte gekennzeichneten 15 Jahre, die sie in chinesischen Gefängnissen zubrachte.

Phuntsog Nyidron, die inzwischen politisches Asyl in der Schweiz erhalten hat, traf vorige Woche in Genf ein, um ihre Erklärung vorzubereiten und die Mitarbeiter des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte über die Lage in Tibet in Kenntnis zu setzen.

Phuntsog Nyidron durfte am 15. März dieses Jahres in die USA ausreisen und lebt heute in Zürich in der Schweiz. 1995 wurde sie mit dem Reebok-Menschenrechtspreis ausgezeichnet. Hier folgt ihre Erklärung: 

Menschenrechtsrat

Unterkommission für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte

58. Sitzung, Tagesordnungspunkt 2

Genf, 14. August 2006

Erklärung von Phuntsog Nyidron im Namen
der Gesellschaft für bedrohte Völker

Verehrter Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren,

Mein Name ist Phuntsog Nyidron, und ich gebe diese Erklärung im Namen der Gesellschaft für bedrohte Völker ab. Indem ich Ihnen hier schildere, was ich persönlich während der 15 Jahre erlebt habe, die ich in einem chinesischen Gefängnis inhaftiert war, wie ich von chinesischen Amtspersonen gefoltert und erniedrigt wurde, möchte ich der Unterkommission deutlich machen, in welcher Weise die Menschen- und Grundrechte des tibetischen Volkes und insbesondere die der tibetischen politischen Gefangenen verletzt werden.

Ich war 19 Jahre alt, als ich an einer friedlichen Demonstration in der tibetischen Hauptstadt Lhasa teilnahm und deshalb verhaftet wurde. Das geschah im Oktober 1989, als Tibet unter Kriegsrecht stand. Gemeinsam mit fünf anderen Nonnen ging ich ins Stadtzentrum, wo wir "Lange lebe der Dalai Lama" und "Freiheit für Tibet" riefen. Veranlaßt zu unserer Demonstration hatte uns die Nachricht, daß Seine Heiligkeit der Dalai Lama vor kurzem den Friedensnobelpreis erhalten hatte, und wir wollten unsere ungebrochene Loyalität für ihn öffentlich zum Ausdruck bringen.

Nach meiner Verhaftung wurde ich, ohne daß man mir anwaltlichen Beistand zugestanden hätte, zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. 1993 nahm ich mit 13 anderen politischen Gefangenen (alles Nonnen) im Gefängnis insgeheim Lieder auf, in denen wir Seine Heiligkeit den Dalai Lama priesen und lobten und die Lage der politischen Gefangenen schilderten. Deshalb wurde meine Strafe um acht, insgesamt also auf 17 Jahre verlängert. Durch diese Lieder hatten wir auch unsere Familien wissen lassen wollen, daß unser Geist ungebrochen war. 

Herr Vorsitzender, ich habe die Freiheit erst wieder kennengelernt, als ich am 15. März dieses Jahres in die Vereinigten Staaten ausreisen durfte. Seit Juni lebe ich in der Schweiz, wo die medizinische Behandlung fortgesetzt wird, die ich in den USA erhielt. Im Gefängnis wurde mir auch bei schweren gesundheitlichen Beschwerden keine angemessene medizinische Behandlung zuteil, denn eine solche wird politischen Gefangenen prinzipiell verweigert. Eine meiner Mitgefangenen starb 1995, weil die chinesischen Behörden ihr nicht die erforderliche sofortige Behandlung zukommen ließen.

Jetzt, da ich in Freiheit lebe, erfahre ich von den vielen Rechten, die die chinesischen Behörden den Gefangenen gewähren sollten. Ich hörte, daß es ein chinesisches Gefängnisgesetz gibt, das 1994 in Kraft trat und in dem explizit festgelegt ist, daß "die Gefangenen das Recht auf Schutz vor körperlicher Bestrafung und Mißhandlung haben, das Recht auf Berufung, das Recht auf Kommunikation, das Recht auf den Besuch durch Verwandte, das Recht auf Bildung, das Recht auf Ruhepausen, das Recht auf Entlohnung für geleistete Arbeit, das Recht auf Arbeitsschutz und Arbeitsversicherung, sowie das Recht auf medizinische Behandlung. Und nach der Verbüßung ihrer Strafe genießen sie dieselben Rechte wie andere Bürger."

Ich kann mit Gewißheit sagen, daß den tibetischen politischen Gefangenen heute keines der genannten Rechte zugebilligt wird. Was den Genuß gleicher Rechte nach der Haftentlassung betrifft, so wurde mir nicht einmal gestattet, in mein ehemaliges Kloster zurückzukehren, um wieder meiner religiösen Ausbildung nachzugehen. Tatsächlich müssen ehemalige politische Gefangene ihren Hintergrund verbergen, wenn sie eine Arbeit suchen oder irgendeine der anderen Möglichkeiten, die ihnen die Gesellschaft bietet, wahrnehmen möchten.

Im Gefängnis wurden wir unvorstellbaren Folterungen unterzogen. Wenn die Gefangenen es wagten, ihre Meinung zu äußern oder sich der kommunistischen politischen Schulung zu widersetzen, wurden sie routinemäßig mit Eisenstöcken geschlagen und mit elektrischen Schockgeräten traktiert. Manchmal wurde bis zur Bewußtlosigkeit auf uns eingeprügelt, so daß wir in unsere Zellen zurückgeschleift werden mußten. Während der ersten Monate meiner Haft durchstachen die Wachen meine Fingernägel mit einer Schusterahle. Nach den Gefangenenprotesten vom Mai 1998 im Drapchi-Gefängnis starben fünf Nonnen an den Folgen von Schlägen und Folterungen. Wie ich erfahren habe, hat Amnesty International eine offizielle Untersuchung über den Tod der fünf Nonnen gefordert, jedoch bisher keine zufriedenstellende Auskunft von der chinesischen Regierung erhalten, wie die Nonnen zu Toden kamen.

Herr Vorsitzender, die ständigen Schläge und die Tatsache, daß drei unserer Mitgefangenen in Einzelhaft gehalten wurden, ließen die Befürchtung in uns aufkommen, das Wachpersonal würde uns früher oder später umbringen, und wir entschlossen uns daher zu einem Hungerstreik, denn wir wollten lieber aus eigenem Willen sterben. Es gab für uns keinen anderen Weg, unsere Leiden anderen zu Gehör zu bringen. Wir wußten, welchen körperlichen Schaden wir durch die unzureichende, magere und unhygienische Gefängniskost bereits erlitten hatten. Nach viereinhalb Tagen stellten wir den Hungerstreik ein, nachdem man uns zugesichert hatte, daß kein Sicherheitspersonal kommen würde, um uns zu schlagen.

Als ich 1989 protestierte, tat ich es auf absolut friedliche Weise. Dennoch saß ich bar aller gesetzlichen Rechte 15 Jahre lang im Gefängnis. Im kommunistischen China pflegt man politische Gefangene als die schlimmste Sorte von Kriminellen zu behandeln, weshalb uns auch alle vom chinesischen Gesetz garantierten Rechte vorenthalten wurden. Bei den monatlichen Familienbesuchen beispielsweise dürfen Strafgefangene Besuch von drei Angehörigen empfangen, während politische Gefangene nur von einem Familienmitglied besucht werden dürfen. Manchmal wurde uns der Familienbesuch auch ganz gestrichen. Obwohl das Gefängnis über einige Ausbildungsmöglichkeiten verfügt, erhielten politische Gefangen niemals die Chance, berufliche Fertigkeiten zu erlernen.

Im Februar 2004 wurde ich plötzlich aus der Haft entlassen, aber mein Leben war nach wie vor sehr schwierig. Ich stand unter permanenter Überwachung, und es waren ständig zwei Polizisten vor unserem Haus postiert. Zu dieser Zeit brachten mich die chinesischen Behörden zu mehreren Treffen mit ausländischen Delegationen, darunter dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftung und der US-Kommission für religiöse Freiheit in aller Welt. Ich hatte damals jedoch keine klare Vorstellung davon, was es mit diesen Leuten oder ihrer Mission auf sich hatte. Erst nachdem ich in die Vereinigten Staaten gekommen war, verstand ich, wie wichtig ihre Besuche waren.

Ich bin eine einfache Tibeterin und komme aus einer Bauernfamilie, aber wie alle anderen politischen Gefangenen mußte ich in den chinesischen Gefängnissen in Tibet unendliches Leid erdulden. Nach all diesen Jahren im Gefängnis verdanke ich meine Freiheit in erster Linie dem Wohlwollen Seiner Heiligkeit des Dalai Lama und all den Regierungen, Parlamenten, NGOs und UN-Menschenrechtsgremien, die sich für tibetische politische Gefangene einsetzen und entsprechenden Druck auf die chinesische Regierung ausüben.

Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, während ich im Gefängnis war, verabschiedete diese Unterkommission am 23. August 1991 eine historische Resolution zu Tibet. Damals konnten wir unsere Freude darüber nicht offen zum Ausdruck bringen und der Unterkommission auch nicht danken, deshalb möchte ich mich heute im Namen des tibetischen Volkes und insbesondere der tibetischen politischen Gefangenen ganz herzlich bei Ihnen bedanken. Das hat uns damals, als wir in unseren dunklen, kalten und schmutzigen Zellen schmachteten, sehr viel bedeutet!

Abschließend möchte ich sagen, daß die Tibeter in Tibet entgegen den Behauptungen der Chinesen auch heute noch keines der Rechte genießen, die ihnen von der chinesischen Verfassung garantiert werden. Ich stehe heute vor Ihnen, um zu bezeugen, daß die internationale Aufmerksamkeit und Interventionen wegen der beklagenswerten Menschenrechtslage in Tibet sehr wohl etwas bewirken. Im Genuß meiner Freiheit ersuche ich die Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen, die zahlreichen Tibeter nicht zu vergessen, die inhaftiert wurden, bloß weil sie ihre tiefen Gefühle für ihre religiöse, nationale und kulturelle Identität öffentlich gemacht und ihren Glauben an den gewaltlosen Freiheitskampf Tibets auf friedliche Weise zum Ausdruck gebracht haben.

Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, ich danke Ihnen!
14. August 2006