27. Mai 2004
The Independent, Großbritannien
gesendet vom Tibet Bureau, Genf

Englisches
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Wie der Krieg gegen den Terrorismus den Dalai Lama im Stich lässt

Chinas Aufstieg zur Weltmacht hat Tibets Kampf um Unabhängigkeit weniger reizvoll für den Westen gemacht, berichtet Jasper Becker.

Lächelnd und Glückseligkeit ausstrahlend ist der 14. Dalai Lama auf seiner endlosen Pilgerschaft durch die Hauptstädte der Welt wieder in Großbritannien und wird wahrscheinlich die üblichen frommen, aber unaufrichtigen Unterstützungszusagen hören.

Während China in der Welt immer bedeutsamer zu werden scheint, meiden europäische Führer zunehmend den buddhistischen Mönch und die Sache der tibetischen Unabhängigkeit verblasst. In Frankreich, das der Dalai Lama durchreiste, hat Präsident Jacques Chirac ihn seit 1998 nicht mehr getroffen.

In Deutschland hat Kanzler Gerhard Schröder es in seinen fünf Amtsjahren nie gewagt ihn zu treffen, obwohl sein kleinerer Koalitionspartner, die Grüne Partei, einst lautstark die vollständige Unabhängigkeit für Tibet gefordert hatte.

In Großbritannien hat Tony Blair - der ihn 1999 traf - keine Zeit für ein weiteres Treffen gefunden und damit Fragen im Parlament provoziert. Der Premierminister bestritt in seiner Antwort ihn zu meiden. "Ich habe den Dalai Lama früher schon getroffen. Ich werde mich freuen, ihn bei nächster Gelegenheit wieder zu treffen", sagte er.

"Was die Tibetfrage betrifft, die MPs auf allen Seiten des Hauses Sorgen bereitet, das ist eine Frage, die wir ständig gegenüber den Chinesen ansprechen - zuletzt beim Besuch von Premier Wen, als wir ein langes und bedeutsames Gespräch über Tibet führten," fuhr er fort.

Alison Reynolds von der Free Tibet Campaign verurteilte die Entscheidung. "Wenn man bedenkt, wie sehr die Welt vom 'Krieg gegen den Terrorismus' in Anspruch genommen ist, scheint es merkwürdig, dass der Premierminister sich die Chance entgehen lässt den berühmtesten Vertreter des Friedens zu treffen," sagte sie. "Großbritannien hat mehr als jedes andere westliche Land eine lange Beziehung zu Tibet und sollte daher bei den Bemühungen um die Beendigung von Chinas gegenwärtiger Besetzung Tibets an vorderster Front stehen."

Der Dalai Lama wird jedoch den Außenminister Jack Straw und Prinz Charles treffen und ist eingeladen das Schottische Parlament zu besuchen.

Ein wichtiger Faktor ist Chinas boomende Wirtschafts und der verzweifelte Versuch westlicher Führer auf Pekings Seite zu bleiben, damit die Geschäfte weiter blühen und gedeihen.

Als Friedensnobelpreisträger und der weltberühmteste Verfechter der Gewaltlosigkeit sollte der Dalai Lama in einer Welt, die vom Krieg gegen den Terrorismus besessen ist, seine Stellung wachsen sehen, aber obwohl er weiterhin weltweit bewundert wird, wird er im Gegenteil zunehmend ignoriert.

Die tibetische Frage verliert nach und nach an Bedeutung und die Forderungen des Dalai Lama sind in den letzten 20 Jahren von vollständiger Unabhängigkeit auf nicht viel mehr als eine Bitte um Toleranz und Autonomie geschrumpft.

China versucht mit aller Kraft ihn zu einer internationalen Un-Person zu machen, so wie es ihnen mit der Führung Taiwans gelungen ist. Selbst die Vereinigten Staaten wagen es nicht dem Präsidenten Chen Shui-bian offiziell anders als mit einem Transitvisum die Einreise zu gestatten aus Angst Peking zu nahe zu treten.

Mit Pekings Segen treffen Repräsentanten der europäischen Union wie Chris Patten

oder der schwedische Ministerpräsident Goran Persson mit Freuden einen Tyrannen wie den nordkoreanischen Führer Kim Jong Il, der für den Tod von Millionen verantwortlich ist. Doch sie haben alle Präsident Chen geächtet, den demokratisch gewählten Führer eines wohlhabenden und friedlichen Staates.

Bis jetzt ist der Dalai Lama wegen seines einzigartigen Status als spiritueller Lehrer und als politischer Führer der tibetischen Regierung-im-Exil vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt worden. Wenn der gegenwärtige Trend jedoch anhält, wird der Dalai Lama nicht mehr lange auf höchster Ebene empfangen werden.

Alle Nachbarn Chinas haben Chinas Druck nachgegeben und ihm die Einreise verweigert für was auch immer einem offiziellen Besuch auch nur ähnelt. Sogar Länder mit einer großen buddhistischen Tradition - Südkorea, Japan, Thailand, Mongolei und Burma - haben alle Besuche abgelehnt oder ihm die protokollarischen Ehren verweigert, die seinem Rang bisher zustanden.

Russland besteht darauf, dass es keine offiziellen Treffen geben kann, obwohl es nun in Betracht zieht ihn einzulassen, um für seine Anhänger religiös-seelsorgerische Pflichten zu erfüllen.

Indien, Heimat der tibetischen Exilregierung, ist gezwungen seine Position zu überdenken, da Peking und Neu Delhi aus wirtschaftlichen Interessen näher zusammen rücken.

Im letzten Jahr hat Nepal, die Hauptdurchgangsroute für Tausende von Flüchtlingen, die jedes Jahr aus dem Land fliehen, plötzlich seine tolerante Politik umgekehrt und begonnen die Entkommenen in den Gewahrsam der chinesischen Botschaft in Kathmandu zu übergeben. Erst nach intensivem Druck beendete es dies und erlaubte wieder, dass sich das UN Hochkommissariat für Flüchtlinge um die Flüchtenden kümmert.

Abgesehen von ein paar kleinen Ländern in Europa bleibt dem Dalai Lama die Unterstützung Nordamerikas. Präsident Bush hat nicht gezögert ihn zweimal ins Weiße Haus einzuladen und der Kongress nimmt weiterhin Anträge an, die die tibetischen Rechte stützen.

In diesem Monat reiste der Dalai Lama 19 Tage durch Kanada und zog große Menschenmengen und die Unterstützung von Pop Stars wie Alanis Morissette an. In Ottawa war Paul Martin der erste kanadische Premier, der den Dalai Lama traf und dem chinesischen Protest und den Ängsten der mächtigen kanadischen Wirtschaft die Stirn bot. Dennoch war es nur ein kurzes Treffen, bei dem es nur um Religion ging, wie der Kanadier betonte.

Peking droht routinemäßig diejenigen zu strafen, die seine Erlasse nicht anerkennen. Chinesische Offizielle drohten Liverpool seinen Status als Partnerstadt von Shanghai abzuerkennen, wenn es seine Einladung an den Dalai Lama nicht zurückzieht. In China wird der Dalai Lama noch immer in einem Strom von Propaganda verunglimpft und diejenigen, die ihre Unterstützung für ihn dadurch zeigen, dass sie seine Photographie nicht verstecken, riskieren lange Gefängnisstrafen.

"Das Schicksal und die Zukunft Tibets kann nicht länger vom Dalai Lama und seiner Clique entschieden werden. Es kann vielmehr nur von der ganzen chinesischen Nation, einschließlich dem tibetischen Volk bestimmt werden," sagte ein Weißbuch, das letzte Woche in Peking veröffentlicht wurde.

"Dies ist eine objektive politische Tatsache in Tibet, die nicht geleugnet oder erschüttert werden kann." Das 30-seitige Weißbuch, das vom Informationsbüro des Staatsrats herausgegeben wurde, wies das Angebot des Dalai Lama, eine eingeschränkte Autonomie zu akzeptieren, derb zurück.

"Man hofft, dass der Dalai Lama der Realität ins Gesicht sehen wird, die Lage korrekt beurteilt, sein Eintreten für eine ‚Unabhängigkeit Tibets' wahrhaftig aufgibt und in den Jahren, die ihm noch bleiben, etwas Förderliches für den Fortschritt Chinas und des Gebiets von Tibet tut," sagte das Dokument mit dem Titel ‚Regionale etnische Autonomie in Tibet'.

Obwohl der Dalai Lama offiziell erklärt hat, dass er nicht länger Unabhängigkeit anstrebt und Tibet innerhalb Chinas belassen würde, lässt all dies vermuten, dass er niemals die Erlaubnis bekommen wird nach Tibet zurückzukehren und möglicherweise niemals in Paking willkommen sein wird.

Seit 1995 hat er darauf gedrängt eine Pilgerreise zum heiligen Berg Wutaishan in Nordwestchina zu unternehmen, um so ein Gespräch in Gang zu setzen. So ein Besuch erschien während des Besuchs des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton in China 1998 durchaus möglich.

Im Alter von 68 und nach 45 Jahren im Exil können dem Dalai Lama nicht viele Jahre bleiben, in denen er seine Reisen fortsetzen kann, und manche Analysten haben den Verdacht, dass die Chinesen nur darauf warten, dass er stirbt, um ihn durch einen eigenen Kandidaten zu ersetzen.

Nachdem der 10. Panchen Lama vor fast 14 Jahren gestorben war, haben die Chinesen den vom Dalai Lama gewählten Nachfolger abgelehnt und den Jungen und seine Familie festgenommen. Stattdessen setzte Peking seinen eigenen Kandidaten ein, der eines Tages wahrscheinlich dazu berufen werden wird, die Tibeter zu führen, bis ein neuer Dalai Lama anerkannt wird und das Erwachsenenalter erreicht hat.

Die Geschwindigkeit chinesischer Einwanderung hat sich beschleunigt und wird weitere Schubkraft erhalten, wenn in ein paar jahren die erste Eisenbahn, die Tibet mit dem restlichen China verbindet, eröffnet wird.

Sicherlich sind die Hoffnungen, die unter den Tibetern in der 1980er Jahren aufflammten, als Peking indirekte Verhandlungen mit dem Dalai Lama aufnahm und eine Erhebung, die in Lhasa begann, herunterspielte, jetzt verblasst. Die Unruhen wurden nach 1989 gewaltsam beendet, als Lhasa vom jetzigen Präsidenten Chinas, Hu Jintao, unter Kriegsrecht gestellt wurde. Mindestens 800 Tibeter wurden verhaftet, viele von ihnen Mönche und Nonnen, und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Noch 15 Jahre später sind - nach offiziellen Angaben - über 145 Tibeter wegen politischer Verbrechen inhaftiert..

"China ist noch nicht bereit ernsthaft über mehr Freiheiten für Tibet zu sprechen," stellte der Dalai Lama während seiner Kanadareise fest, aber er sagte, er sei zuversichtlich, dass „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Religionsfreiheit, Redefreiheit, Informationsfreiheit - diese Dinge kommen werden."

Die größte Hoffnung des Dalai Lama ruht jetzt auf Washington. Als er letzten Herbst das Weiße Haus verließ, sagte er, dass Bush und Außenminister Colin Powell „Interesse und echte Sympathie" für Tibet gezeigt hätten.

Ein Sprecher des Weißen Hauses sagte: "Der Präsident wiederholte die große Verpflichtung der Vereinigten Staaten für die Bewahrung von Tibets einmaliger religiöser, kultureller und sprachlicher Identität und den Schutz der Menschenrechte aller Tibeter."

Optimisten glauben, dass sich die Beziehungen zwischen Washington und Peking erwärmt hätten. Nachdem China der Welthandelsorganisation beigetreten ist und die Vereinigten Staaten nicht länger in Menschenrechtsfragen mit Handelssanktionen drohen, sei China eher bereit mit den Tibetern in einen Dialog einzutreten. Trotz starker Unterstützung aus den USA hat der Dialog jedoch wenig oder gar keinen Fortschritt gemacht.

Stattdessen ist die chinesische Regierung darauf erpicht ihre Herrschaft über die Tibeter zu festigen, indem sie neue Kampagnen gegen die Anhänger des Dalai Lama im ganzen Land startet. Im Oktober 2003 starb ein weiterer Mönch, Nyima Dragpa, wie berichtet wird als Folge von wiederholter Folter während einer neunjährigen Haft wegen seines Einsatzes für die tibetische Unabhängigkeit.

54 JAHRE IN TIBET

1950: Chinesische Armee marschiert ein.

1951: Tibet wird eine "nationale autonome Region" unter der regierung des Dalai Lama.
Tatsächliche Kontrolle durch die chinesische kommunistische Partei.

1959: Tibet started eine bewaffnete Revolte für die Unabhängigkeit, die niedergeschlagen wird. Dalai Lama flieht nach Indien mit 80.000 Anhängern, bildet eine Regierung-im-Exil".

1965: Tibetische Autonome Region wird formell etabliert.

1966: Kulturrevolution beginnt in China. Rote Garden nehmen die tibetische Hauptstadt Lhasa ein. Religiöse Praktiken werden verboten, mindestens 4.000 Klöster zerstört.

1976: Religionsverbot aufgehoben.

1989: China ruft Kriegsrecht aus. Tibets "Regierung-im-Exil" löst sich auf.

1991: China stimmt Gesprächen mit Führern im Exil zu.

1999: Peking regiert Tibet als "untrennbaren Teil Chinas" und Dalai Lama muss Forderungen nach Unabhängigkeit fallen lassen.

Mai 2004: Dalai Lama in GB, Tony Blair verweigert Treffen

Anmerkung der Übersetzerin:
Kanzler Schröder hat ihn noch nie empfangen; seine Koalitionspartner schweigen dazu und stützen ebenso stillschweigend seine kriecherische Politik gegenüber China.
Deutsch von Gesine Belser