22.Januar 2002
Tibet-Bureau, Genf (von Radio Free Asia)

Tibetischer Mönch beteuert auf einer herausgeschmuggelten Ton-Cassette seine Unschuld

Washington, 21. Januar: In einer auf Band aufgenommenen und aus dem chinesischen Gefängnis herausgeschmuggelten Botschaft versichert ein einflußreicher tibetischer Mönch, der im Dezember zum Tode verurteilt wurde, daß er mit einer Reihe von Sprengstoffattentaten in Westchina nichts zu tun habe. Radio Free Asia (RFA) berichtet:

"Was auch immer die Regierung tut oder sagt, ich bin vollkommen unschuldig", erklärte der 52-jährigeTenzin Delek Rinpoche am 18. Januar in seiner Gefängniszelle in Dartsedo (Kanding, Sichuan) auf einer Ton-Cassette, die dem tibetischen Nachrichtendienst von RFA zugespielt wurde. "Jeder weiß, was ich sage und praktiziere".

Am 6. Dezember verhängte ein Gericht in der westchinesischen Provinz Sichuan das Todesurteil über Tenzin Deleg Rinpoche und seinen Gefolgsmann, den 28-jährigen Lobsang Dhondup, wegen einer Reihe von Bombenanschlägen, die den Befürwortern tibetischer Unabhängigkeit zur Last gelegt werden. Die Vollstreckung des Urteils von Tenzin Deleg Rinpoche wurde auf zwei Jahre ausgesetzt. Auf Todesurteile folgt in China gewöhnlich sofort die Vollstreckung, während solche mit zeitlichem Aufschub oft in lebenslängliche Haft umgewandelt werden.

Diese Urteile riefen weltweit großen Aufschrei hervor, und zahlreiche Menschenrechtsgruppen forderten eine Neuaufnahme des Verfahrens unter offenen und fairen Bedingungen. Eine von demselben Mittleren Volksgericht von Kandze für 10. Januar anberaumte Anhörung wurde abrupt abgesagt. Die Provinz Sichuan grenzt an die TAR und schließt Teile des traditionellen tibetischen Territoriums ein. Das zur tibetischen Region Kham gehörende Kham fällt nun administrativ unter Sichuan.

Zwei Quellen, die anonym bleiben möchten, berichteten unabhängig voneinander, Tenzin Delek Rinpoche habe seinen Hungerstreik, mit dem er gegen die Behandlung im Gefängnis protestierte, abgebrochen, nachdem ihn chinesische Regierungskader am 7. und 8. Januar aufgesucht und ihm zugesichert hätten, es würde bei einem höheren Provinzgericht von Sichuan ein Berufungsverfahren für ihn geben. Es gelang jedoch nicht, chinesische Justizbeamte zu kontaktieren, um eine Bestätigung dieser Information zu erhalten oder den Termin der Berufungsverhandlung in Erfahrung zu bringen. Unklar ist auch, ob es für Lobsang Dhondup eine solche geben wird.

Tenzin Delek Rinpoche, der in Indien bei dem im Exil lebenden spirituellen Oberhaupt Tibets, dem Dalai Lama, studiert hatte, sagte auf dem Band, er habe "von Freuden von einigen Explosionen in Sichuan gehört. Manche Leute sagten, es habe sich um Sprengstoffattentate gehandelt... Um diese Zeit rief mich jemand an und fragte, ob Lobsang Dhondup ein Verwandter von mir sei. Ich hegte sofort Verdacht, daß hier etwas nicht stimmt und etwas Schreckliches passieren würde... Als ich von den Explosionen und Lobsang Dhondup hörte, ahnte ich, daß ich fälschlicherweise beschuldigt und verhaftet, daß ich also zum Sündenbock gemacht werde".

"Ich wurde zu Unrecht beschuldigt, weil ich immer aufrichtig war und mir die Interessen und das Wohl der Tibeter am Herzen lagen. Was ich tat und sagte, gefiel den Chinesen nicht. Das ist der einzige Grund, warum sie mich festgenommen haben."

Er gelobte, seine Bemühungen für die unter chinesischer Herrschaft lebenden Tibeter fortzusetzen und forderte eine unabhängige Untersuchung seines Falles. "Ich werde weiterhin für das tibetische Volk und seine Sache arbeiten, selbst wenn es mir das Leben kosten sollte", erklärte Tenzin Deleg Rinpoche. "Ich möchte Frieden in der ganzen Welt. Alle fühlenden Wesen waren in dem Zyklus ihrer Existenzen irgendwann einmal meine Eltern... Wenn ich im Gefängnis bleiben und sterben muß, so möge mein Tod allen fühlenden Wesen nützlich sein".

"Ich habe immer betont, daß wir nicht einmal unsere Hand gegen andere erheben dürfen, denn es ist eine Sünde... Ich habe niemals Flugblätter oder Streitschriften verteilt oder heimlich Bomben gelegt. Solche Dinge kamen mir überhaupt nicht in den Sinn, denn ich habe keine Absicht, andere zu verletzen", fuhr Tenzin Deleg Rinpoche fort. "Mein Fall sollte von unvoreingenommenen Personen gründlich untersucht werden".

Den beiden Verurteilten nahe stehende Quellen besagen, daß ihnen bei dem ersten Verfahren ein Rechtsbeistand verweigert wurde. Einer der Richter, die das Urteil verhängten, hatte RFA erklärt, Tenzin Deleg Rinpoche habe sich zu fünf von den sechs Attentaten, die ihm zur Last gelegt werden, bekannt. Über ein etwaiges Geständnis Lobsang Dhondups sagte er hingegen nichts.

Der Richter, der sich als "Direktor Zhao" ausgab, sprach von mehreren Sprengstoffexplosionen zwischen 1998 und 2000: zwei im Hause von Lithang Kyabgon Rinpoche, dem Oberabt von Kloster Lithang, drei in Dartsedo, eine vor dem Hauptregierungsgebäude und eine außerhalb der Polizeistation.

Die tibetische Exilregierung des Dalai Lama fordert die Aufhebung beider Urteile. Die beiden Männer hätten kein faires Gerichtsverfahren bekommen, weshalb die Urteile zu verwerfen sind.

ICT: Weitere Verhaftungen

International Campaign for Tibet (ICT), www.savetibet.org

Weitere Verhaftungen im Zusammenhang mit den zwei von China zum Tode verurteilten Tibetern aufgedeckt

Internationalen Tibet-Gruppen liegen Informationen vor, daß mindestens 10 Tibeter im Zusammenhang mit dem populären buddhistischen Lama Tenzin Deleg Rinpoche und seinem Gefolgsmann Lobsang Dhondup, die inzwischen gegen ihre Todesurteile Berufung eingelegt haben, verhaftet wurden.

Einer anonym bleibenden Quelle zufolge, die mit International Campaign for Tibet, Students for a Free Tibet and Free Tibet Campaign in Kontakt steht, sollen sich von den zwölf festgenommenen Personen noch sieben im Gewahrsam der Chinesen befinden; drei wurden in einem Schnellverfahren verurteilt.

"Diese Information gibt Anlaß zu ernsten Bedenken wegen der zehn zusätzlichen Verhaftungen, wegen der Ausmaße dieses Falles und wegen der Wahrscheinlichkeit, daß China bei dem kürzlich stattgefundenen Menschenrechtsdialog all dies verschwiegen hat", meinte Mary Beth Markey, Direktorin von ICT in Washington.

Alle diese tibetischen Gefangenen, einschließlich der jetzt freigelassenen, wurden Verlautbarungen zufolge gefoltert. Außerdem sollen zwei tibetische Jungendliche verschwunden sein. Außer Tenzin Deleg Rinpoche und Lobsang Dhondup wurde ein dritter Tibeter Tserang Dondrup Jortse (alias Jortse oder Jotse) vor Gericht gestellt und zu fünf Jahren Haft verurteilt. Der rund 65 Jahre alte Jortse wurde etwa einen Monat nach Tenzin Deleg Rinpoche verhaftet. Er ist ein Dorfvorsteher, der 20.000 Unterschriften zugunsten Tenzin Deleg Rinpoches gesammelt haben soll. Besagter Quelle zufolge soll er die Bewegungsfähigkeit seiner Beine verloren haben, seit er sich in Haft befindet.

Die anderen noch von den Chinesen festgehaltenen Tibeter sind: Tsultrim Dargye (36), Tamdrin Tsering (33), Ashar (oder Aka) Dhargye (40) und Tashi Phuntsok (39). Passang, Tsultrim Dhargye (oder Tsedi), Drimed Choeying, Damchoe Nyima und Aka Lhori sollen inzwischen auf freien Fuß gesetzt worden sein.

Die US Delegation brachte Mitte Dezember bei dem USA-China Menschenrechtsdialog die Fälle von Tenzin Delek Rinpoche und Lobsang Dhondup zur Sprache. "Falls diese Information stimmt, wirft dies schwere Zweifel an Chinas Aufrichtigkeit bei dem Menschenrechtsdialog auf", meinte Markey weiter.

"China kann nicht einfach die Verantwortung von sich schieben oder Unwissenheit vortäuschen in so einem wichtigen Fall - besonders jetzt, wo sich herausstellt, daß er weit größere Ausmaße hat, als anfänglich bekannt war", meinte John Hocevar, Direktor von Students for a Free Tibet mit Sitz in New York.

"Mindestens ein Dutzend Festnahmen, die Verhöre, die Folterungen und die Festhaltung ohne Prozeß, sowie die Verweigerung einer ordentlichen Verteidigung im Falle der Berufung gegen die Todesurteile zeugen von einem Niveau von Gesetzlosigkeit und Repression, das für eine moderne Regierung nicht akzeptabel ist", fuhr Hocevar fort.

Tenzin Deleg Rinpoche und Lobsang Dhondup wurden nach einer Sprengstoffexplosion in Chengdu im April 2002 festgenommen. Der Rinpoche wurde acht Monate lang, bis zu dem Prozeß, ohne Verbindung zur Außenwelt gehalten. Nach der Urteilsverkündigung soll er als Protest gegen seine Behandlung im Gefängnis und weil die chinesische Regierung ihm keinen fairen Prozeß angedeihen ließ in Hungerstreik getreten sein.

Zwei prominenten chinesischen Anwälten, Zhang Sizhi und Li Huigeng, wurde die Erlaubnis verweigert, Tenzin Deleg Rinpoche bei dem Berufungsverfahren, daß am 10. Januar beginnen sollte, zu verteidigen. Regierungsvertreter von USA und Großbritannien, welche die Anwesenheit eines Beobachters bei dem Berufungsverfahren fordern, rechnen damit, daß sich eine Wiederaufnahme über längere Zeit hinziehen könnte.

Die für das chinesische Justizsystem charakteristische Geheimhaltung bedeutet, daß in diesen Fällen keine detaillierten Informationen über die Anklagen und die Beweise zur Verfügung stehen. Weil Tenzin Deleg Rinpoche über seine religiöse Autorität hinaus bedeutenden Einfluß in der Region genießt und für seine Loyalität zum Dalai Lama bekannt ist, liegen dem Vorgehen gegen ihn und seine Gefolgsleute wahrscheinlich politische Motive zugrunde.

Zwei weitere prominente religiöse Persönlichkeiten in der TAP Kandze waren im letzten Jahr Zielscheibe staatlicher Verfolgung: Sonam Phuntsok, der wegen eines angeblichen Sprengstoffanschlags auf ein Krankenhaus zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde, und Khenpo Jigme Phuntsok, der von seiner Klosteruniversität in Larung Gar (wo Tausende von Mönchen/Nonnen vertrieben und ihre Behausungen niedergerissen wurden) entfernt und in Haft genommen wurde.

"Diese Vorfälle zeigen, daß sogar die entlegensten tibetischen Gebiete von denselben Restriktionen und Kontrollen erfaßt werden, welche für die chinesische Politik in der TAR bezeichnend sind", kommentierte Callaghan von Free Tibet Campaign, London. "Regierungen, die den bilateralen Dialog mit China pflegen, haben eine besondere Verantwortung und sind gleichzeitig in der Lage, gebührenden Druck auszuüben", fuhr Callaghan fort.

International Campaign for Tibet, Students for a Free Tibet and Free Tibet Campaign schließen sich Amnesty International an und rufen die chinesische Regierung dazu auf, eine sofortige Überprüfung des Falles vorzunehmen und, falls erforderlich, ein faires und offenes Berufungsverfahren einzuleiten, in dem den Angeklagten die Möglichkeit zu gebührender Vorbereitung und zur Darlegung ihrer Verteidigung gemäß den internationalen Normen für ein faires Gerichtsverfahren gegeben wird. Den Angeklagten sollte erlaubt werden, selbst ihre Anwälte zu bestimmen und mit ihren Angehörigen in Verbindung zu treten, solange sie sich in Haft befinden. Andernfalls sollten sie unverzüglich und bedingungslos freigelassen werden.

nach oben