2. April 2001

Ansprache eines Tibeters an die 57. Sitzung der Menschenrechtskommission der UNO in Genf

Am 2. April 2001 sprach der Tibeter Kunchok Tendar im Namen der NGO International Union of Socialist Youth (IUSY) vor der Menschenrechtskommission, um dieses Gremium der Vereinten Nationen über die traurige Lage der Menschenrechte in Tibet in Kenntnis zu setzen. Es folgt die Rede dieses ehemaligen politischen Gefangenen, der ein bewegendes Zeugnis über seine Erfahrungen unter der chinesischen Besetzung abgab.

Ich danke Ihnen, Herr Vorsitzender. Mein Name ist Dochoe Kunchok Tendar und ich spreche im Namen der Internationalen Union Sozialistischer Jugend, die Mitglieder in über 100 Ländern hat.

Als ehemaliger politischer Gefangener aus Tibet fühle ich mich sehr geehrt, zu diesem bedeutungsvollen UN Menschenrechtsforum sprechen zu können. Wie andere Opfer von Menschenrechtsmißbrauch werde ich diesen Tag in Ehren halten, weil ich nach dem Erleiden unmenschlicher Qualen zum ersten Mal eine Gelegenheit habe, meine Stimme vor der UNO zu erheben, von der alle Opfer von Gewalt Gerechtigkeit erwarten.

Herr Vorsitzender, die derzeitige Haltung der chinesischen Regierung zu Tibet wurde von Seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama, am 10. März mit folgenden Worten beschrieben: "Die chinesische Regierung fährt fort, die traurige Lage in Tibet durch Propaganda zu beschönigen. Wenn die Zustände in Tibet wirklich so sind, wie die Chinesen sie darstellen, warum haben sie dann nicht den Mut, Besucher uneingeschränkt nach Tibet hinein zu lassen? Anstatt zu versuchen, die Verhältnisse als 'Staatsgeheimnisse' zu verbergen, warum besitzen sie nicht den Mut, der Außenwelt die Wahrheit zu zeigen? Und warum gibt es in Tibet so viele Sicherheitskräfte und Gefängnisse? Wie ich schon immer sagte, wenn die Mehrheit der Tibeter in Tibet wirklich mit der Lage der Dinge zufrieden wäre, dann hätte ich keinen Grund, keine Rechtfertigung und auch kein Bedürfnis, mich gegen die Situation in Tibet zu äußern. Die traurige Tatsache ist jedoch, wann immer Tibeter ihre Stimme erheben, finden sie kein Gehör, sondern werden statt dessen verhaftet, ins Gefängnis geworfen und als Konterrevolutionäre gebrandmarkt. Sie haben keine Möglichkeit und keine Freiheit, die Wahrheit auszusprechen."

Herr Vorsitzender, ich verbrachte 19 Jahre lang im Gefängnis in Tibet, weil ich die Rechte des tibetischen Volkes vor fremder Unterdrückung verteidigen wollte. Obwohl ich 1998 in die Freiheit entkam, geht das Leiden des tibetischen Volkes auch heute noch weiter. Menschenrechtsorganisationen zufolge gibt es heute über 400 bekannte, politische Gefangene in Tibet. Über 25 politische Häftlinge starben in den letzten drei Jahren an den Folgen von Folterung. China hält weiterhin Tibets 11. Panchen Lama Gedhun Choekyi Nyima fest, den jüngsten politischen Gefangenen der Welt.

Herr Vorsitzender, ich bin einer jener Tibeter, die das Glück hatten, 19 Jahre Inhaftierung in verschiedenen chinesischen Gefängnissen und Arbeitslagern in Tibet zu überleben. Alle vier Mitglieder meine Familie starben jedoch als direkte Folge der militärischen Besetzung Tibets, und alle sieben Glieder der Familie meiner Frau Trayer Modom Tsang kamen ebenfalls ums Leben. Die meisten tibetischen Familien erlitten ein ähnliches Schicksal.

Während meiner Gefangenschaft sah ich viele politische Mithäftlinge an Hunger, Folter, Zwangsarbeit und den harten Gefängnisbedingungen sterben. In dem Gefängnis Tsawa Pomda sank die Anzahl der Gefangenen in einem Jahr von 1800 auf 200, so viele verhungerten oder erlagen der qualvollen Zwangsarbeit. Ich kann die Tage nicht zählen, an denen ich in Fesseln gelegt wurde oder wie oft ich geschlagen wurde. Viele Male banden sie mich ganz nackt, mit dem Kopf nach unten mit angefeuchteten groben Seilen an der Decke fest, bis ich das Bewußtsein verlor. Dann gossen sie kaltes Wasser über mich, und dieselbe Tortur begann von neuem.

Herr Vorsitzender, eines unserer schrecklichsten Erlebnisse war, gezwungen zu sein, die summarische Hinrichtung von 14 Tibetern in dem 'Gefängnis No. 2 der Autonomen Region Tibet' in Südosttibet mitanzusehen. Insgesamt mußte ich bei der Hinrichtung von 27 Tibetern in verschiedenen Haftanstalten zusehen. Ich sehe noch die Gesichter dieser tapferen Tibeter vor mir, die stolz die Kugeln in ihren Hinterkopf hinnahmen. Einmal wurden wir gezwungen, mit unserer Stirn den abgeschlagenen Kopf von Aadrin, einem Mitgefangenen, zu berühren, zur Warnung, daß wir nicht auf den Gedanken an Flucht kämen.

Herr Vorsitzender, in Tibet gibt es keine Menschenrechte, die diesen Namen verdienen würden, und ich meine, die UN Menschenrechtskommission sollte diese Tatsache zur Kenntnis nehmen. Die chinesische Regierung argumentiert, Menschenrechte seien eine interne Sache Chinas, und andere Länder würden mit ihrer Einmischung den Abbruch der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen riskieren. Bedeutet dies, daß jedes Land nach seiner Willkür alles tun kann, was ihm beliebt? Wenn beispielsweise Eltern ihr Kind zu Tode prügeln, sollten wir sie einfach gewähren lassen? Wenn der internationalen Gemeinschaft Menschenrechte und Grundfreiheiten wirklich ein Anliegen sind, sollte diese Kommission dann nicht eine Resolution verabschieden, die China auffordert, mit der Verletzung der Menschenrechte Schluß zu machen?

Ich danke Ihnen, Herr Vorsitzender, und bete darum, daß das Leiden aller politischer Gefangener in dieser Welt ein baldiges Ende nehmen wird.