25. Januar 1997

Department of Information and International Relations,
Central Tibetan Administration, Dharamsala, 176 215, H.P. India
Website: www.tibet.com

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Die Notwendigkeit internationalen Handelns in der Tibetfrage

A. Warum die Bemühungen zur Erzielung einer Resolution über Tibet und China in der UNO Menschenrechtskommission verstärkt werden sollten

Bereits mehrere Jahre lang wurde immer wieder die Frage der Menschenrechte in der VR China in der UN Kommission für Menschenrechte (UNCHR) diskutiert, und zahlreiche Versuche wurden unternommen, um eine Resolution zu verabschieden. Jahr um Jahr nahm die Anzahl der Befürworter des Resolutionsentwurfes über die "Menschenrechtslage in China" zu. 1995 fiel der von China eingebrachte Nichtbefassungs-Antrag durch, und zum ersten Mal wurde der Resolutionsentwurf nach seinem Für und Wider geprüft. Nur zwei Stimmen fehlten zu seiner Annahme.

Die chinesische Regierung ist besorgt über die wachsende Unterstützung für eine Resolution gegen China in dieser Kommission. Und jedes Jahr setzt sie gewaltige Mittel und sehr viel Energie für Lobbying ein, um die Verabschiedung einer Resolution zu verhindern. Auch dieses Jahr reist der Außenminister der VR China zu vielen afrikanischen Ländern, und sein Verhandlungsprogramm beinhaltet auch die Einholung von Zusicherungen, daß diese Länder jeden Versuch einer Resolution gegen China verhindern werden.

Den Kritikern an Chinas Menschenrechtspolitik und Praktiken zuwider drängt China die Kommission, mit der konfrontationsgeladenen Diskussion dieser Frage Schluß zu machen. Es schlägt statt dessen einen bilateralen Dialog vor und sagt, daß solch ein Weg etwas in der Richtung ändern könnte, wie die Verfechter der Menschenrechte es wünschen. Eine Anzahl von Ländern gingen auf diese Vorschläge ein, distanzierten sich aber dennoch nicht von der Aktion der Kommission. Die Europäische Union, die USA, Schweden, Australien, die Schweiz und andere hielten wiederholte Zusammenkünfte mit chinesischen Vertretern auch auf höchster Ebene ab, auf denen Menschenrechte auf der Tagesordnung standen. Die Lage in Tibet war auch Teil dieser Besprechungen. Bei diesen Treffen stellte es sich heraus, daß China keine Absicht hat, seine Menschenrechtspolitik ernsthaft zu diskutieren oder zu ändern. Symbolisch mag es, unter Druck gesetzt, von Zeit zu Zeit einige politische Gefangene freilassen. Die chinesischen Politiker scheinen Gefangene und ihre Freilassung als Verhandlungstrumpf zu benützen. Solange es einige besondere Gefangene gibt, auf deren Freilassung seine Kritiker drängen, hat es eine Konzession bereit, die es zu diesem oder jenem Zweck einsetzen kann. Eine Freilassung im richtigen Augenblick mag Wirtschaftsverhandlungen, Stimmabgaben in der UN Menschenrechtskommission oder einen Durchbruch bei bilateralen Verhandlungen mit gewissen Ländern günstig beeinflussen.

Außenministeriumsvertreter berichten, daß sie, wenn sie bei Diskussionen mit Chinesen die Menschenrechtsfrage und besonders die Lage in Tibet anschneiden, sogar wenn diese Punkte ganz formell auf der Tagesordnung stehen, auf eine "Mauer" des Widerstandes gegen jede echte Diskussion stoßen. Die Chinesen antworten entweder einfach gar nicht, oder sie antworten gereizt und verlangen, daß andere Dinge, bei denen mehr Übereinstimmung herrsche, wie etwa wirtschaftliche Erwägungen, zuerst diskutiert werden sollen. Wenn erst einmal eine Beziehungen auf diesen Ebenen eingetreten seien, dann könne man zu jenen Gebieten übergehen, wo man getrennter Meinung sei, argumentieren sie. Praktisch gibt es überhaupt keine Besserung bei den Menschenrechten, im Gegenteil, die Festnahmen chinesischer Dissidenten und Demokratie-Anhänger, tibetischer Menschenrechtsaktivisten und von Personen, welche die reiche Kultur Tibets bewahren wollen, haben noch mehr zugenommen. Massenhinrichtungen im Namen der sogenannten "Schlag-hart-zu" Kampagne wurden von vielen Menschenrechtsorganisationen verurteilt. Folter und Todesfälle in Polizeihaft und Gefängnissen gehen unvermindert fort. Prozesse entbehren der üblichen Fairneß und dem Standard eines normalen Gerichtprozesses, und eine große Zahl von Gefangenen wird ganz ohne Prozeß hinter Gittern gehalten.

Die Festnahme, Schnelljustiz und Verurteilung von Ngawang Choephel, einem jungen tibetischen Stipendiaten, zu 18 Jahren Gefängnis wegen des Filmens traditioneller tibetischer Tänze und musikalischer Darbietungen (was von den Chinesen als Spionage interpretiert wurde), der Zweistundenprozeß von Li Hai, bei dem ein prominenter chinesischer Dissident wegen "Herumschnüffelns in Staatsgeheimnissen" zu 9 Jahren verurteilt wurde, sind nur zwei der vielen unlängst erfolgten Beispiele, wie mit Menschenrechten derzeit in der VR China umgegangen wird. Die fortgesetzte Festhaltung und die Isolierung des 7 Jahre alten tibetischen Panchen Lama und seiner Eltern trotz der wiederholt geäußerten Besorgnis einer Reihe von Regierungen, religiösen Institutionen und Freuden Chinas; die chinesische Politik, Tibet zu einem atheistischen Land zu machen; die Massenhinrichtung  von 134 Uighuren in Ostturkestan (Xinjiang) wegen konterrevolutionärer oder anti-chinesischer Aktivitäten; die Verhaftung von 196 politischen "Missetätern" und der Ausstoß von 543 Mönchen und Nonnen aus den Klöstern in Tibet im vergangenen Jahr im Zuge einer neuen Hetzjagd zur Unterdrückung der Religion zeigen eine Verschlechterung, aber nicht eine Besserung der Menschenrechtslage in Tibet und China an.

Was können wir aus all dem schließen?

1. Daß China eine mögliche internationale Verurteilung durch ein UNO Gremium nicht ganz gleichgültig ist. Eine solche könnte nämlich Chinas Prestige bei seinen Bemühungen beeinträchtigen, als Führer der südlichen Halbkugel als dem einzig glaubhaften Herausforderer der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten in der UNO anzutreten, und bei seinem Versuch, das Vakuum, das der Abtritt der Sowjetunion in einer im wesentlichen bipolaren UNO schuf, zu füllen; eine Demonstrierung seiner Macht, um jede Herausforderung in diesem Forum zu gewinnen, gilt China nämlich als entscheidender Faktor.

2. Daß China im großen und ganzen nicht auf einen bilateralen Dialog über Menschenrechte eingeht, ist ein bequemer Weg, um die Menschenrechtsdebatte zu "managen" und ihr jede mögliche reale Wirkung gleich von Anfang an zu nehmen. China wird wohl seine Taktik fortsetzten, kleine Konzessionen zu machen, um gewisse Regierungen zu besänftigen, ohne jedoch irgendwelche substantiellen Verbesserungen in der Menschenrechtspraxis ins Auge zu fassen.

3. Menschenrechtsverletzungen in China vermehrten sich in den letzten zwei Jahren drastisch, und es gibt Hinweise darauf, daß die Behörden sogar noch brutaler gegen chinesische Dissidenten, Tibeter und Uighuren vorgehen werden, und ihren Feldzug gegen das tibetische Oberhaupt, S.H. den Dalai Lama, noch intensivieren werden.

Daher ist es entscheidend, die Bemühungen zu einer Verurteilung Chinas in der UNO Menschenrechtskommission aktiv fortzusetzen, weil dies eine der wenigen Ansatzstellen ist, wo China aus Eigeninteresse eine Reaktion zeigen könnte.

Wie bereits festgestellt, war 1995 ein Resolutionsentwurf über Tibet und China in der Kommission sehr nahe daran durchzukommen. Im folgenden Jahr verhinderte China wieder die Resolution, was diesmal mit einer größeren Stimmenzahl gelang. Die Regierung posaunte siegessicher, daß dies eine internationale Anerkennung der positiven Lage der Menschenrechte in China bedeuten würde. Eine Anzahl von Faktoren, wohl auch die wechselnde Zusammensetzung der Kommission, mag bei diesem negativen Resultat von 1996 eine Rolle gespielt haben. Aber einer der wichtigsten Faktoren war zweifellos das Zögern der Hauptbefürworterin des Resolutionsentwurfs, der Europäischen Union. Es war ein offenes Geheimnis, daß eine gewisse Zahl von EU-Mitgliedstaaten ihre ursprüngliche Unterstützung für die Initiative nach dem EU-Asien-Gipfel in Bangkok Anfang 1996 zurückzog. Was immer ihre Beweggründe waren, diese waren unabhängig von der Menschenrechtslage in Tibet und China, und sie gaben zu, daß es dort keine Besserung gegeben habe. Ein Zögern der Sponsoren hat unmittelbar und unumkehrbar zur Folge, daß die Hand Chinas bei seinem Lobbying gegen die Resolution, besonders in den Ländern Lateinamerikas und Afrikas, ungeheuer gestärkt wird.

Eine Resolution durchzubringen, ist nicht einfach, und mag auch dieses Jahr noch nicht gelingen. Aber zumindest sollte China nicht die Genugtuung bekommen, daß es die Schlacht in der Kommission gewonnen hat und sich jetzt darauf konzentrieren kann, auf anderen Feldern zu kämpfen. Die Herausforderung muß jedes Jahr real und glaubwürdig sein. Dieses Jahr sollte China gezeigt werden, daß die Befürworter es wieder ernst meinen und die Stimmen zu ihren Gunsten vermehren können, vielleicht sogar gewinnen, oder zumindest dem Durchbruch einer Resolution gefährlich nahe kommen können.

B. Warum die internationale Gemeinschaft besonderen Wert auf Tibet legen sollte   

Die Tibetfrage ist nun schon über 45 Jahre lang aktuell. In dem vergangenen Jahrzehnt hat sie wieder einmal internationale Dimensionen angenommen. Die Geschehnisse in Tibet sowie die überzeugende Kampagne S.H. des Dalai Lama und der Tibetischen Regierung im indischen Exil stören die Beziehungen, die China zu einer Reihe von Ländern unterhält, ganz gewaltig. Daher erscheint eine Annahme, daß die Tibetfrage einfach vom Tisch verschwinden wird, nicht realistisch.

In der heutigen Welt nach dem Kalten Krieg liegt eine der Hauptbedrohungen für den Frieden in Konflikten zwischen Regierungen und nationalen Minderheiten oder unterdrückten Volksgruppen innerhalb der Grenzen dieser Staaten. Viele dieser Konflikte sind bereits gewaltsam ausgeartet. Die Kriege im früheren Jugoslawien, im Kaukasus, in Mexico, Nordirland und dem Baskenland, blutige Konflikte in einer Reihe afrikanischer Länder und in verschiedenen Teilen Asiens, Geiselnahme in West Papua, die Auseinandersetzungen in Burma, die Gewalttätigkeit in Kashmir sind einige der bekanntesten Fälle. Obwohl der tibetische Konflikt nun schon so lange anhält, konnten die Tibeter ihren Kampf bisher gewaltlos führen, sogar angesichts des relativen "Erfolges" einiger der gewalttätigen Bewegungen anderswo.

Der tibetische Freiheitskampf ist heute das beste Beispiel für den Einsatz von Gewaltlosigkeit, Vernunft und Mäßigung. Das tibetische Oberhaupt, S.H. der Dalai Lama, ruft nicht einmal nach voller Unabhängigkeit, sondern schlägt statt dessen die Alternative eines gewissen Grades an Autonomie  für die Tibeter vor, um Chinas Furcht vor einem Auseinanderbrechen der Volksrepublik zu mäßigen.

Wenn es der internationalen Gemeinschaft mit der Förderung des Friedens auf der Welt und der friedlichen Lösung von Konflikten ernst ist, dann sollte sie ihre Unterstützung für die tibetische Vorgehensweise nicht nur in vage Begriffe kleiden, sondern sie als ein Beispiel zur Lösung anderer Konflikte betrachten. Wenn den tibetischen Bemühungen zur Erzielung einer gerechten und vernünftigen Lösung durch Verhandlungen ohne Vorbedingungen kein Erfolg beschieden wird, dann könnte die Auswirkung, die dies auf andere nationale Bewegungen um den Erdball haben wird, sehr gefährlich sein.

Regierungen und internationale Organisationen können nicht auf der einen Seite von gewaltsamen Bewegungen fordern, daß diese, noch ehe sie als Verhandlungspartner überhaupt akzeptiert werden, ihre Waffen niederlegen, und gleichzeitig gar keine Ernsthaftigkeit in der Unterstützung von gewaltfreien Bewegungen, die Konflikte durch Verhandlungen zu lösen suchen, an den Tag legen. Als eine Folge der mangelnden Unterstützung für Gewaltlosigkeit könnte die Zahl der bewaffneten Konflikte rasch zunehmen, falls sich die Haltung der Weltgemeinschaft gegenüber gewaltfreien Bewegungen nicht ändert.

Eine klare und eindeutige Demonstration der Unterstützung Tibets bei seiner Bemühung, China zu dem Beginn ernster Verhandlungen über die Zukunft Tibets zu bewegen, wäre ein wesentlicher Schritt, um Vertrauen in den Wert gewaltfreier Ansätze in Konflikten dieser Art zu schaffen.

China steht vor dem Übergang zu einer neuen Führungsschicht, sobald einmal der kranke Staatsführer Deng Xiaoping stirbt. Ermutigend ist, daß chinesische Demokratie-Befürworter und Intellektuelle immer mehr von ihrer eigenen Regierung fordern, sie solle mit S.H. dem Dalai Lama in Verhandlungen treten. Auch wenn die gegenwärtige Führung nicht willens oder unfähig ist, das Tibetproblem anders als durch Gewalt und Einschüchterung anzugehen, muß die internationale Gemeinschaft heute ihre Forderung deutlich zum Ausdruck bringen, daß, wer auch immer China morgen regieren wird, der Verhandlungsfrage ein vorrangiger Platz eingeräumt werden muß.

Menschenrechtsverletzungen haben im letzten Jahr gewaltig zugenommen in Tibet, die Unterdrückung wird immer schlimmer und die Anti-Dalai-Lama-Kampagne Chinas hat sich noch verschärft. Tibet ist heutzutage eine der Gegenden der Erde mit der höchsten Anzahl an politischen Gefangenen und politischen Festnahmen pro Kopf der Bevölkerung.

Aus all diesen hier aufgeführten Gründen ist es jetzt an der Zeit für die Mitglieder der internationalen Gemeinschaft, ihre Stimme zu erheben und eine positive Stellung zu beziehen, um China zu überzeugen, seine Menschenrechtsverletzungen in Tibet einzustellen und sich mit S.H. dem Dalai Lama und seinen Vertretern an den Verhandlungstisch zu setzen. Schweigen in dieser Sache wird China nicht beschwichtigen. Es stimmt, daß die Chinesen besonders irritiert auf irgendeine Diskussion über Tibet reagieren, und viele von ihnen Tibet als eine Art Achillesferse sehen. Aber der Grund für diese erhöhte Empfindlichkeit ist ja gerade die bekannte Schwäche und Angreifbarkeit der chinesischen Dominanz über Tibet, denn sie wissen, daß ihnen die Legitimität dazu fehlt. China könnte aus der Lösung der Tibetfrage auch etwas gewinnen, besonders wenn es die von S.H. dem Dalai Lama vorgeschlagene Annäherung des "Mittleren Weges" akzeptieren würde, ehe es zu spät ist.