7. Februar 2010
World Tibet News, www.tibet.ca und

HighPeaksPureEarth, http://www.highpeakspureearth.com/


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„Alles wird immer schlimmer" - von Tsering Woeser

Am 1. Februar 2010 veröffentlichte HighPeaksPureEarth einen Artikel, den die tibetische Schriftstellerin Tsering Woeser für die erste Ausgabe des Hongkonger Magazins Dongxiang am 5. Januar verfaßt hatte und der am 17. Januar auf ihrem Blog erschienen war.

„Es wird immer schlimmer: So viele schreckliche Dinge sind geschehen: Dieses Regime ist wahrhaft brutal“

Diese Worte sagte ein ausländischer Journalist, der Anfang letzten Monats in Xinjiang war, zu mir. Später, Ende des Monats – es war unmittelbar vor Weihnachten – stand er im kalten Wind am Eingang des Pekinger Gerichtshofes und wartete auf den systemkritischen chinesischen Intellektuellen Liu Xiaobo, der drinnen verhört wurde. Ich sagte ihm, daß es am Tag von Liu Xiaobos Verhör eine weitere schlechte Nachricht aus Tibet gegeben habe. Ein angesehener religiöser Lehrmeister, der 53jährige Buramna Rinpoche, wurde von diesem brutalen politischen Regime willkürlich wegen Verbrechen angeklagt, die er nie begangen hatte *. Man hatte ihn am 18. Mai 2008 festgenommen, was damit endete, dass er dazu verurteilt wurde, achteinhalb Jahren im finsteren Kerker zu verbringen.

Obwohl er sehr zurückhaltend ist, konnte der Journalist seinen Ärger nicht unterdrücken, ganz zu schweigen von mir. Außerdem fühlte ich mich besiegt. Letztes Jahr, als Buramna Rinpoche das erste Mal gerichtlich vernommen wurde, dachte ich, wir könnten ihn vielleicht mit Hilfe der internationalen Aufmerksamkeit, den Medienberichten und Appellen aus dem Ausland vor der schändlich verlogenen Anklage retten. Viele Leute arbeiteten hart daran, Rinpoches Verwandte, Pekinger Menschenrechtsanwälte, weithin bekannte Medienvertreter, sowie viele Menschenrechtsorganisationen.

Aber genauso wie das Jahr davor (2008) war auch das letzte ein Jahr, in dem eine Katastrophe sich an die andere reihte. Wie die Nachrichten aus den verschiedenen Regionen Tibets zeigen, werden immer noch viele Tibeter heimlich festgenommen, verurteilt und hart bestraft. Ich versuchte mein Bestes, all diese Vorkommnisse auf meinem Blog festzuhalten, aber das sind alles so schlechte Nachrichten, daß sie uns ganz verzweifelt machen. Ausgerechnet, als Präsident Obama in Peking ankam und etwas von „grundlegenden Rechten, die alle Menschen besitzen“, säuselte, wurden die zwei Autoren Kunchok Tsephel ** und Kunga Tsayang *** hart bestraft. Zur gleichen Zeit gab es mehrere Menschenrechtsfälle, die in der Öffentlichkeit nicht bekannt wurden, und es gibt so viele Opfer, die keine Sympathie von der Außenwelt erhielten, weil diese nichts von ihnen wußte. Als die ausländischen Journalisten mich interviewten, sagte ich ihnen, daß noch mehr Fälle von Menschenrechtsverletzungen auf uns zukommen würden. Kurz darauf verurteilte ein Gericht in Xining Dhondup Wangchen zu sechs Jahren, weil er vor den Olympischen Spielen den Dokumentarfilm „Leaving Fear Behind“ gedreht hatte, der den Gedanken der Tibeter Ausdruck verleiht.

Um ehrlich zu sein, wir setzten zu der Zeit große Hoffnungen auf den amerikanischen Präsidenten. Natürlich ist es lächerlich, seine Hoffnung auf andere Leute zu setzen, aber der US-Präsident, der doch immer behauptete, Freiheit und Menschenrechte zu schützen, gibt einfach vielen Menschen in der Welt Hoffnung. Darüber hinaus erhielt er kürzlich sogar den Friedens-Nobelpreis. Wer hätte jedoch damit gerechnet, daß seine Knie weich werden, wenn er einem brutalen Regime gegenübersteht. Er gab sogar ein schlechtes Beispiel. Nicht, daß wir unseren ganzen Ärger auf ihm abladen wollen, aber er gab wirklich ein schlechtes Beispiel. Nachdem er voller Achtung und voller Bewunderung vor der Großen Mauer stand – dem Symbol des Totalitarismus – brachten auch Staatsmänner anderer Länder, die China nach ihm besuchten, das Wort „Menschenrechte“ nicht mehr über ihre Lippen.

Ich sage nicht, daß in diesem Land all das Unglück, das über Dissidenten, Tibeter, Uighuren und andere Minderheiten hereinbrach, nur dem Umstand zuzuschreiben ist, daß sie von jenen chinesischen Politikern fallen gelassen wurden, die so wohltönende Worte gebrauchen. Doch hat es schon etwas damit zu tun. Alle Dinge stehen im Zusammenhang miteinander, alle Wesen hängen voneinander ab – ganz zu schweigen von der heutigen Globalisierung, das Weltklima hat sich ja schon geändert, alle auf der Erde „twittern“ bereits. Daher ist die Existenz eines so brutalen Regimes in der Tat eine universelle Tragödie für die Menschheit, nicht nur für eine Nation oder ein Land.

Alles wird ständig schlimmer. Noch ehe das Jahr 2010 anbrach, wurde Buramna Rinpoche zu Unrecht bestraft. Das bedeutet, seine Region wird nie wieder Frieden finden. Genauso wie eine andere religiöse Führungsgestalt, Tenzin Delek Rinpoche, dem vor sieben Jahren Verbrechen angehängt wurden, an denen er unschuldig ist. Und sogar nach sieben Jahren fanden sich noch Zehntausende von Menschen, die ihre Namen oder Fingerabdrücke unter eine Petition zu seinen Gunsten setzten, und mehrere Tausend veranstalteten einen Sitzstreik und forderten seine Freilassung. Als Folge wurden mehrere Hundert Leute festgenommen und viele geschlagen. Der Aufruhr, den dieser Vorfall verursachte, hat sich noch lange nicht gelegt.

Dennoch fand ich zu Anfang des neuen Jahres ein paar sehr bewegende Sätze eines Tibeters, der Anfang zwanzig ist. Er schrieb folgendes auf Tibetisch und Chinesisch gemischt. „Wir reden oft von Nationalitäten, oft sprechen wir über die Zukunft, manchmal müssen wir es einfach tun. Obwohl es Menschen da draußen gibt, die uns kritisieren und unterdrücken, sollten wir nie Groll hegen, nie auf Rache sinnen. All das Unglück, das uns begegnet, entstand aus Ursachen, die wir in der Vergangenheit legten. Wir sollten unser Bestes versuchen, um inneren Frieden zu finden und barmherzig zu sein. Trotzdem sollten wir nicht nachlassen, die Rechte anzustreben, die allen Menschen zustehen. Wenn wir Mitleid empfinden, nicht übelnehmerisch sind und mit ruhigem Geist uns schrittweise bemühen, wird ein Tag kommen, an dem unsere Wünsche sich erfüllen werden und wir frei im warmen Licht der Sonne werden baden können“.

* 29.12.2009 „China verurteilt Tulku Phurbu Tsering zu achteinhalb Jahren Gefängnis (TCHRD)“,

** 18. November 2009 „Gründer einer tibetischen Website zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt“,

*** 19. November 2009 „Tibetischer Schriftsteller Kunga Tsayang zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt