22. Mai 2009
The Tibet Post International, http://www.tibetpost.net/

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Ein tibetischer Held: Was Tsering Gyurme bei den Protestaktionen in Kardze erlebte 

Vier neu eingetroffene Flüchtlinge aus Tibet, die an dem Aufstand vom vergangenen März beteiligt waren, sprachen bei einer Pressekonferenz, die von dem Department of Information and International Relations der Tibetischen Zentralverwaltung in Dharamsala organisiert wurde. Es folgen die Aussagen von Tsering Gyurme.

"Ich wurde am 5. Oktober 1985 als Sohn von Dawa Dhondup und Pal Dekyi im Dorf Phukyulnang, Gemeinde Lhop, Bezirk Kardze, Osttibet, geboren. Ich bin eines von zehn Kindern, drei davon sind Mönche. Mit zehn Jahren kam ich auf die Grundschule unseres Dorfes und mit 16 trat ich ins Kloster Tsitsang ein, um dort zum Mönch ausgebildet zu werden.

Am 18. März 2008 organisierte der Mönch Ngoega aus dem Dorf Serchu, Bezirk Kardze, eine protibetische Demonstration, wozu er zehn weitere Personen gewinnen konnte, zu denen auch ich gehörte. Bald, nachdem wir zu demonstrieren begonnen hatten, umstellte uns das Militär und eröffnete das Feuer auf uns.

Ich glaube, es ist nur dem Segen Seiner Heiligkeit des Dalai Lama zu verdanken, daß keiner von uns verletzt oder verhaftet wurde. Ich versuchte stets gesund zu bleiben, aber ich empfand starken Hass auf die chinesischen Behörden, weil sie unschuldige Menschen, auch tibetische Gelehrte und religiöse Würdenträger, foltern, sie zwingen Seine Heiligkeit, den Dalai Lama, und die tibetische Regierung-im-Exil zu beschimpfen, und die Klöster ihrer kostbaren Kunstwerke berauben. Die Mönche in den Klöstern müssen die ‚separatistische Bewegung’ verurteilen, sonst verlieren sie ihren monastischen Status oder werden gleich des Klosters verwiesen.

Voller Groll und aus purer Verzweiflung demonstrierten wir am 18. März 2008 um 13.40 h auf der Hauptstraße des Bezirks Kardze. So laut wir konnten, riefen wir Parolen wie: "Lang lebe Seine Heiligkeit", "Erlaubt Seiner Heiligkeit, die Geschicke Tibets zu lenken", "Freiheit für Tibet", "Auch Tibeter haben einen Anspruch auf Menschenrechte, Religions- und Redefreiheit" sowie "Lasst den Panchen Lama und alle politischen Gefangenen frei!" Ein paar Tage vor der Demonstration schrieb ich in meinem Zimmer 500 Flugblätter mit den Worten: "Freiheit für Tibet - Lang lebe Seine Heiligkeit" und verteilte sie im ganzen Bezirk.

Am 7. März 2008 saß ich in einem Restaurant in Kardze und hörte, wie eine Frau ankündigte, daß es am nächsten Tag eine antichinesische Demonstration geben würde. Weil es zu mir nach Hause 30 km gewesen wären, konnte ich die Flugblätter nicht gleich holen. Als ich sie am nächsten Morgen nach Kardze brachte, hörte ich in dem Fahrzeug, mit dem wir fuhren, zwei Laien von der geplanten Demonstration sprechen. Nach der Ankunft in Kardze wartete ich, bis Ngoega vor mehreren tausend zusammengeströmten Menschen anfing, seine Parolen zu rufen. Er schrie: ’Lhagyal-lo‚ (Sieg den Göttern), ’Heute ist der Tag, an dem die Männer der Region Kardze ihren Mut beweisen!’, ‚Tibet ist ein reines und unabhängiges Land!’. Sobald die Parolen von der Menge wiederholt wurden, warf ich meine 500 Flugblätter in die Luft. Die Zahl der Demonstranten nahm langsam zu. Als ob wir uns tatsächlich auf dem sprichwörtlichen Freedom Highway befänden, marschierten die Demonstranten auf die Polizeiwache zu und blieben vor ihr stehen. Bei ihrem Anblick eröffnete das chinesische Militär das Feuer, warf Tränengaspatronen in die Menge und drosch gnadenlos mit Elektroschlagstöcken auf die Protestierenden ein. Die Menge zerstreute sich ohne unmittelbare Verluste.

Nach einiger Zeit erfuhr ich, daß Ngoega zu acht Jahren Haft verurteilt wurde und Lhakpa Tsering aus dem Dorf Dzakhok zu sieben. Jamyang aus dem Dorf Chokri, Tashi Palden aus Wosang, Loga aus Tachudha, Chimed Gonpo aus Drukha, Sangpo aus Tsangkha, Pema Dechen aus Tsoshi, Loyang von der Arura-Familie und Gonpo Gyaltsen aus Drukha, alle zum Bezirk Kardze gehörend, wurden zu jeweils drei Jahren Haft verurteilt. Zahlreiche andere Demonstranten werden vermißt, und es gibt keine Informationen über ihr Befinden oder ihren Aufenthaltsort. Wie überall in Tibet stellten auch die Bauern in meiner Heimatgegend Tehor in Osttibet wegen der unerträglichen chinesischen Unterdrückung den Ackerbau ein. Nehmen Sie mich als Beispiel. Mir ist meine Gesundheit sehr wichtig.

Bei der Demonstration wurde ich nicht verletzt und konnte mich der Verhaftung entziehen. Am 7. Mai gaben die Sicherheitsabteilungen der Präfektur und des Bezirks Kardze sowie die der Bezirke Drakgo und Serthar Fahndungslisten mit den Namen von 36 Personen heraus, die angeblich eine Bedrohung für die Staatssicherheit und die politische Stabilität darstellten, die Vorschriften zur Aufrechterhaltung der sozialen Sicherheit gebrochen und sich der schweren Sachbeschädigung schuldig gemacht hätten. Mein Name stand auch darauf. Die „Übeltäter“ aus dem Bezirk Kardze waren Madhu Gonpo, ich (Tsering Gyurmed), Tsering Nadmed Shawo, Tsetan Phuntsok, Tashi Namgyal und Kalsang. Am 18. März veröffentlichte die Sicherheitsabteilung des Bezirks Kardze den Steckbrief in den Medien und setzte 15-20.000 Yuan Belohnung für die Ergreifung der Schuldigen aus.

Wegen ihrer angeblichen Beteiligung an den gewalttätigen Protesten in Lhasa setzten die chinesischen Behörden auch Sonam Nyima und seinen Verwandten Tsering Jigme, 26, auf die Fahndungsliste. Beide sind bis heute untergetaucht. Der Bruder von Sonam Nyima wurde wegen der Teilnahme an den Protesten vom 20. Mai im Bezirk Kardze zu drei Jahren Haft verurteilt. Mein Bruder Tenzin Ngoedup und einer seiner Freunde, die ebenfalls bei den friedlichen Demonstrationen im Bezirk Kardze dabei waren, verbüßen gegenwärtig eine dreijährige Haftstrafe. Mein Onkel, Sonam Nyima, 43, wurde ebenfalls wegen mehrerer Delikten verhaftet, aber nach einigen Tagen wieder freigelassen. Weil die Existenz in Tibet sehr gefährlich ist, verließ ich meine Heimat im März 2009 und begab mich nach Lhasa, wo ich für 30.000 Yuan einen Guide anwarb, damit er mich über die Grenze brächte. Am 11. Mai 2009 traf ich unverletzt im Auffanglager für tibetische Flüchtlinge in Nepal ein.