12. Juli 2005

Renato Palmi
Mail & Guardian Online, Südafrika


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Chinesische Wirtschaftspolitik versus tibetische Kultur

Für die Tibeter und ihre Unterstützer rund um den Globus ist und bleibt das unter chinesischer Besatzung stehende Tibet die größte Kolonie auf der Welt. Umgekehrt ist Tibet für Peking ein "untrennbarer Bestandteil Chinas". Heutzutage ist es keine rein politische Frage mehr: für China liegt der Fokus auf der Aufrechterhaltung und dem Ausbau seiner wirtschaftlichen Herrschaft über Tibet. Für die im Lande und im Exil lebenden Tibeter geht der Kampf darum, daß sie durch diese ökonomische Dominanz nicht noch weiter marginalisiert werden.

Im Grunde genommen ist das Ringen um ein freies Tibet noch viel komplexer. Die Tibet-Unterstützungsgruppen (Tibet support groups = TSGs) in aller Herren Länder sind sich uneins. Die einen lehnen die Beschwichtigungspolitik des Dalai Lama ab, während andere seinen Ansatz des mittleren Weges befürworten.

Im Laufe der Zeit hat sich die internationale Tibet-Bewegung für ihre Forderung nach religiöser und politischer Freiheit sowie der Beachtung der Menschenrechte der Tibeter weltweit moralische Unterstützung erworben. Man muß sich allerdings die Frage stellen, ob die auf moralischer Verpflichtung und ethischen Werten basierende Eigendynamik einer gewaltfreien Freiheitsbewegung in einer Welt, in der sich die Wirtschaft offenkundig über die Ethik hinwegsetzt, von Dauer sein kann.

Die leichte Erreichbarkeit des Dalai Lama für ein westliches Publikum hat eine ganze Reihe von westlichen Buddhisten dazu gebracht, sich der Sache eines freien Tibets moralisch verpflichtet zu fühlen. Leider ziehen es viele Südafrikaner, die sich zum Buddhismus bekennen, jedoch vor, den politischen Kampf der Tibeter nicht einzubinden, ja, sie bringen nicht einmal den an sie persönlich gerichteten Aufruf des Dalai Lama zum "Handeln" mit der von ihnen angenommenen Religion des Buddhismus in Zusammenhang. Es ist ihnen offensichtlich nicht klar, daß sie gegenüber den Tibetern insofern privilegiert sind, als sie die durch ihre Verfassung verbrieften Freiheitsrechte genießen, d.h. sie können ungehindert ihre Rechte auf Religionsfreiheit und gewaltfreien Protest ausüben, die in Tibet stattfindenden Greuel anprangern oder sich zu den Verbindungen der südafrikanischen Wirtschaft mit der VR China kritisch äußern.

Infolge der fortschreitenden Globalisierung und der von China in Tibet betriebenen wirtschaftlichen Entwicklung ist die Tibet-Bewegung in Konflikt geraten zu globalen Organisationen, Regierungen und multinationalen Körperschaften, denn ihnen geht es um China als das Neue Imperium - eine militärische und ökonomische Kolonialmacht, die Tibets natürliche und menschliche Ressourcen ausbeutet.

Der Dalai Lama ist am Mittwoch 70 Jahre alt geworden. Ist für ihn die Zeit gekommen, sich von der tibetischen Freiheitsbewegung zu lösen? Die wichtigste Waffe der chinesischen Regierung zur Schädigung des Rufs des Dalai Lama als spirituelles wie auch weltliches Oberhaupt der Tibeter besteht in dem wiederholt geäußerten Vorwurf, Seine Heiligkeit sei ein "Politiker im Exil, der unter dem Deckmantel seiner religiösen Rolle gegen China gerichtete separatistische Aktivitäten betreibe".

Es gibt Befürchtungen, China könnte dem Dalai Lama die Rückkehr nach Tibet gestatten, um sich internationale Sympathien zu erwerben und gleichzeitig die Pro-Tibet-Bewegung mundtot zu machen. Die Annahme, die Kommunistische Partei Chinas würde dem Dalai Lama erlauben, sich als freier Mann in Tibet zu bewegen, ist allerdings naiv. Wenn dem tatsächlich so wäre, sollte man sich ernsthaft fragen, welche Zugeständnisse der Dalai Lama und seine Regierung-im-Exil denn noch machen müssen.

Die Tibeter sollten, um in ihrem Kampf weiterzukommen, über den Westen hinaus schauen, und analysieren, warum bisher so wenige Entwicklungsländer, vor allem in Afrika, ihre Interessen auf Regierungsebene vertreten. Die tibetische Regierung-im-Exil und die TSGs überall auf der Welt müssen ihre Allianzen, ihre Kommunikation und ihre Politik überprüfen und neue Strategien im Umgang mit einem China entwickeln, das sich begeistert dem Kapitalismus öffnet, die Demokratie jedoch ablehnt.

Renato Palmi gründete vor 10 Jahren die Tibet Society of South Africa.

vom selben Autor: Die Zukunft Tibets hängt nicht vom Dalai Lama ab