3. April 2003
Aus: World Tibet Network News
(nicht autorisierte Übersetzung)

Ansprache von Takna Jigme Sangpo an die UN-Menschenrechtskommission

59. Sitzung, Punkt 9: Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Aussage von Takna Jigme Sangpo für die "International Fellowship of Reconciliation" (IFOR)

(Die "Internationale Gemeinschaft für Versöhnung" ist eine NGO mit beratendem Status bei den Vereinten Nationen)

"Verehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren,

Ich mache diese Erklärung im Namen der 'International Fellowship of Reconciliation'.

Ich heiße Takna Jigme Sangpo und bin ein ehemaliger politischer Gefangener aus Tibet. Als ich 37 Jahre alt war, nahmen mich die chinesischen Behörden wegen Äußerungen über den 10. Panchen Lama Tibets fest, die sie als 'konterrevolutionäre Ansichten' bezeichneten. Im ganzen wurde ich zwischen 1965 und 1992 zu 41 Jahren Gefängnis verurteilt, wovon ich eigentlich noch 9 Jahre zu verbüßen hätte.

Meine Damen und Herren, trotz der in der chinesischen Verfassung garantierten Rechte und der Verpflichtungen Chinas ihm Rahmen verschiedener internationaler Menschenrechtsabkommen wurde ich ins Gefängnis geworfen, weil ich einen gewaltlosen Kampf zur Verteidigung der legitimen Rechte des sechs Millionen zählenden tibetischen Volkes führte. Ich wurde während mehr als drei Jahrzehnten meines Lebens als politischer Gefangener sowohl physisch als auch seelisch in einer Weise gequält, die jegliche menschliche Vorstellungskraft übersteigt. Meine Menschenwürde wurde verletzt und mit Füßen getreten. Meine jetzige körperliche Erscheinung ist ein Beweis für das ungeheure Leiden, das ich durchmachte. Die chinesischen Behörden sahen in mir einen Straftäter, der das ganze Leben lang zu leiden und im Gefängnis zu sterben hatte. Auf diese Weise gingen mir die besten Jahre meines Lebens verloren. Ich nahm niemals an, daß ich das Gefängnis lebend verlassen würde. Aber im Gegensatz zu den Tausenden von Tibetern, die ihr Leben für unsere gerechte Sache opferten, war es mein Schicksal zu überleben.

Herr Vorsitzender, die Lage in Tibet und die Not der tibetischen politischen Gefangenen verdienen die besondere Beachtung dieses Gremiums. Die Hinrichtung Lobsang Dhondups in Osttibet am 26. Januar dieses Jahres ist ein weiteres Beispiel dafür, wie gravierend die Menschenrechtsverletzungen sind, die heutzutage in Tibet stattfinden. Als ich im Gefängnis war, wurden wir gezwungen, eine Menge von Propagandamaterial zu lesen, wie etwa die Weißbücher der Chinesen über Tibet. Diese Dokumente leugnen durchweg alle Vorwürfe über die Haftbedingungen in Tibet und schildern die Gefängnisse als seien sie Luxushotels. Als unmittelbarer Zeuge möchte ich nur ein paar Beispiele aus dem Gefängnisleben anführen: Ein Häftling bekommt ein Hemd und eine Hose pro Jahr für den Sommer und einen Satz von Winterkleidung alle fünf Jahre, ebenso einen Satz Bettzeug alle fünf Jahre. Bis 1997 wurde den Häftlingen ein etwa 4 $ entsprechendes monatliches Taschengeld für Nahrungsmittel zugeteilt, wovon noch die Gebühren für Wasser und Strom abgezogen wurden. Während der ganzen Zeit meiner Gefangenschaft wurden mir die gebührende ärztliche Versorgung und die rechtmäßige Vertretung durch einen Anwalt verweigert. Nach 1975 verlor ich infolge der Zwangsarbeit, der Mißhandlungen und der harten Haftbedingungen mein Augenlicht. Erst 1981, als ich den Status eines 'Gefangenen in der Gesellschaft' bekam (das heißt, nur noch unter Polizeiaufsicht stand)*, gewann ich nach einer Operation dank der finanziellen Hilfe meiner Verwandten einen Teil meiner Sehkraft zurück. Mit meinem rechten Auge konnte ich jedoch erst wieder im August 2002 sehen, nachdem ich in der Schweiz operiert wurde. Das sind nur ein paar Beispiele dafür, wie die Verhältnisse in tibetischen Gefängnissen tatsächlich sind.

Meine Damen und Herren, viele Mitgefangene starben in der Haft oder wurden hingerichtet. Shol Dawa und Sonam Rinchen**, zwei meiner Leidensgenossen, starben vor nicht allzu langer Zeit im Gefängnis, weil sie nicht die notwendige ärztliche Behandlung erhielten. Am 4. Juni 1997 wurde ein weiterer Häftling, Sangye Tenphel, zu Tode gefoltert. Und im Mai 1998 kehrten nach den Protesten im Drapchi Gefängnis die zwei Mönche Khedup und Lobsang Wangchuk nach exzessiven Folterungen nicht mehr in ihre Zellen zurück, während ein dritter Mönch, Lobsang Jinpa, unter mysteriösen Umständen starb. Folter und entwürdigende Mißhandlungen, unmenschliche Verhöre, Isolationshaft, Zwangsarbeit und Indoktrinierungssitzungen sind die üblichen Praktiken, zu welchen die chinesischen Behörden in tibetischen Gefängnissen greifen.

Herr Vorsitzender, zwei weitere Gefangene, Sonam Tsewang und Tingka, sitzen seit 1999 in kleinen finsteren Zellen im Trakt zehn des Drapchi Gefängnisses, wo es 24 solche Einzelzellen gibt. Zusammen mit einem Mitgefangenen haben sie am 7. Oktober 1997, als die Arbeitsgruppe für Willkürliche Inhaftierung dieser Kommission das Drapchi Gefängnis besuchte, lauthals Parolen über die unmenschliche Zwangsarbeit im Gefängnis skandiert. Ich mache mir große Sorgen um ihr Schicksal, weil ich zwischen 2001 und Februar 2002 auch in einer solchen Folterzelle eingesperrt war. Ich kann der Arbeitsgruppe bestätigen, daß die Zusicherung, die ihr von der chinesischen Regierung gegeben wurde, vollkommen falsch ist, denn Sonam Tsewang und Tingka leiden noch immer im Drapchi Gefängnis. Ich hörte, daß die chinesische Regierung die Arbeitsgruppe zu einem weiteren Besuch eingeladen hat, der hoffentlich auch ein Programm für Tibet beinhaltet. Ich ersuche die Arbeitsgruppe dringend, das Drapchi Gefängnis aufzusuchen, um die Wahrheit direkt von Sonam Tsewang und Tingka zu erfahren, sowie ihre möglichst baldige Freilassung zu erreichen.

Ich bin der Kommission für all die themenbezogenen Eingaben*** dankbar, mit denen sie sich zu meinen Gunsten und zu den anderer tibetischer politischer Häftlinge in mehreren Interventionen bei der chinesischen Regierung eingesetzt hat. Mit Ihrer Unterstützung wurde ich am 31. März 2002 aus medizinischen Gründen freigelassen und erhielt später die Erlaubnis, in die Vereinigten Staaten auszureisen. Auch möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, um noch einmal den Völkern und den Regierungen der Schweiz und der USA zu danken, daß sie es mir ermöglichen, jetzt in Freiheit und Würde zu leben. Natürlich ist es meine Hoffnung, daß ich eines Tages auch in meinem Heimatland in Freiheit leben kann.

Herr Vorsitzender, abschließend appelliert dieser alte Mann aus Tibet an alle in diesem Saal vertretenen Nationen, sie möchten dazu beitragen, das Leid der Tibeter zu beenden. Fordern Sie bitte die chinesische Regierung zu ernsthaften Verhandlungen mit Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama auf, um die schon so lange anstehende Tibet-Frage im Interesse der Völker Tibets und Chinas zu lösen. Das unglückselige tibetische Volk, einschließlich seiner politischen Gefangenen, die ebenso menschliche Wesen wie jeder andere in diesem Saal sind, bedürfen dringend Ihrer Hilfe, ehe es zu spät ist.

Ich bete für ein Ende aller politischen Gefangenschaft in der ganzen Welt. Ich danke Ihnen, Herr Vorsitzender!"

* Jigme Sangpo wurde 1979 vom Sangyip-Gefängnis in das Arbeits-Reform-Lager in Nyethang verlegt, wo er kein strafrechtlich Inhaftierter mehr war.

** Siehe: www.igfm-muenchen.de/tibet/tin/Shol%20Dawa%20tot.html und www.igfm-muenchen.de/tibet/tin/Sonam%20Rinchen%20stirbt.html

*** Jigme Sangpo bezieht sich hier auf die entsprechenden Interventionen, in denen sich die Untergruppen der UN-Menschenrechtskommission für Folter, Willkürliche Verhaftung, Diskriminierung, religiöse Verfolgung usw. für einzelne Gefangene einsetzen.