6. Januar 2023

Tibetan Centre for Human Rights and Democracy, www.tchrd.org
6. Januar 2023

„Dorje Tashi ist unschuldig“: die Schwester des tibetischen Unternehmers, der eine lebenslange Haftstrafe verbüsst, protestiert vor dem Gerichtsgebäude

Familienangehörige von Dorje Tashi, einem bekannten tibetischen Unternehmer, der eine lebenslange Haftstrafe verbüßt, haben mit anhaltenden öffentlichen Protesten gegen die chinesischen Behörden, die für das ungerechte Urteil verantwortlich sind, seine sofortige Freilassung gefordert.

Dorje Tashi, der einst als einer der reichsten Menschen in Tibet galt, wurde 2003 Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas. Der renommierte Unternehmer wurde nach dem pan-tibetischen Aufstand 2008 unter dem Verdacht, Spenden an die exiltibetische Gemeinschaft geleistet und damit angeblich die Bewegung unterstützt zu haben, in Lhasa festgenommen. Von den Chinesen wurde Dorje als „Abtrünniger“ gebrandmarkt. Obwohl er später von den politischen Vorwürfen freigesprochen wurde, verurteilte ihn ein chinesisches Gericht 2010 wegen „Kreditbetrugs“ zu einer lebenslangen Haftstrafe.
Dorje Tashi wurde am 10. Juli 2008 in der Stadt Lhasa in der Autonomen Region Tibet (TAR) verhaftet und anschließend fälschlicherweise wegen Kreditbetrugs für schuldig befunden. Ein im Oktober 2018 von einer chinesischen Anwaltskanzlei veröffentlichtes Gutachten kam zu dem Schluß, daß Dorje Tashis Urteil zu lebenslanger Haft „unfair“ und vorher „fabriziert“ worden sei, und der Fall einer gründlichen Überprüfung bedürfe.

Dorje Tashi

Anfang 2020 berichtete einer seiner Anwälte auf Weibo über die zunehmenden Hindernisse, denen er sich gegenübersah, als er - trotz zahlreicher mißlungener Versuche - auf ein Treffen mit seinem Mandanten bestand, und darüber, wie die Behörden Dorje Tashis Berufungsverfahren sechs Jahre lang aufgeschoben haben.

Vor kurzem protestierte Dorje Tashis Schwester Gonpo Kyi vor dem Mittleren Volksgerichtshof in Lhasa, während sein Bruder Dorje Tsetan sich in einer öffentlichen Erklärung an hochrangige TAR-Beamte wandte und sie beschuldigte, Fakten gefälscht und seinen Bruder zu Unrecht verurteilt zu haben.

Aussagen von mindestens zwei Quellen in Lhasa bestätigten, daß Gonpo Kyi am Morgen des 19. Dezember gegen 10.30 Uhr Ortszeit vor dem Mittleren Volksgerichtshof in Lhasa stand und ein Plakat mit der Aufschrift „Dorji Tashi ist unschuldig“ auf Chinesisch in die Höhe hielt. Es dauerte keine fünf Minuten, bis sich die Sicherheitskräfte auf sie stürzten, während sie weiterhin laut die Unschuld ihres Bruders beteuerte. Sie wurde schließlich hinter das Gerichtsgebäude gezerrt; ihr Zustand und ihr Verbleib sind nach wie vor unbekannt.

Das TCHRD mahnt die chinesischen Behörden, die Menschenrechte und Grundfreiheiten der Familienmitglieder von Dorje Tashi, einschließlich Gonpo Kyi, voll zu garantieren, und fordert die Freilassung ihres Bruders Dorje Tashi aus unbilliger und ungerechtfertigter Haft. Die chinesischen Behörden in der TAR, die für die unrechtmäßige und diskriminierende Verurteilung von Dorje Tashi verantwortlich sind, müssen zur Rechenschaft gezogen werden, damit wieder Rechtsstaatlichkeit einkehrt und solche flagranten Menschenrechtsverletzungen nicht wiederholt werden.  

Auf einer Abbildung sieht man, wie Gonpo Kyi hält vor dem Lhasa People's Intermediate Court ein Plakat mit dem Slogan „Dorje Tashi ist unschuldig“ in chinesischer Sprache hält. Im Juni letzten Jahres hatte sie bereits einen ähnlichen Protest vor dem Gericht veranstaltet. Zuvor hatte sie in den sozialen Medien eine Videobotschaft veröffentlicht, in der sie gegen die ungerechte und diskriminierende Inhaftierung von Dorje Tashi und Dorje Tsetan protestierte. Letzterer war nach Beendigung seiner Haftstrafe freigelassen worden.

Gonpo Kyi
 
In der Videobotschaft wird das Fehlurteil angefochten

In der Videobotschaft, die im September 2022 verbreitet wurde, sagte sie: „Mein Bruder Dorje Tsetan wurde aufgrund haltloser Anschuldigungen sechs Jahre lang inhaftiert. Mein anderer Bruder Dorje Tashi wurde unter dem Vorwand von geschuldeten 1.500.000 Yuan zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Dieser Betrag wurde jedoch zuzüglich Zinsen von 500.000 Yuan zurückgezahlt. Insgesamt zahlten wir also 2.000.000 Yuan. Mein Bruder wurde nicht nur lebenslänglich eingesperrt, sondern fälschlicherweise auch des Kreditbetrugs beschuldigt. Die Beamten der TAR erhoben Beschuldigungen gegen uns, die es in China gar nicht gibt. Ich frage mich, ob von einem Kreditbetrug die Rede sein kann, wenn die geforderte Summe bereits gezahlt wurde. Auch Beamte nehmen Kredite auf, genauso wie es die einfachen Leute tun. Wenn es solche Vorwürfe im [chinesischen Rechtssystem] gibt, sind wir bereit, uns daran zu halten. Wir werden uns fügen. Und das habe ich auch vor Gericht gesagt. Ich brauche ein Schreiben, das bestätigt, daß dies das Gesetz der Kommunistischen Partei Chinas ist. Denn ich habe nicht das Recht die Unschuld meiner eigenen Leute zu beweisen. In der Tat hat man [im chinesischen Rechtssystem] das Recht, seine Unschuld zu beweisen. Wer ist für die Verweigerung dieses Rechts verantwortlich? Die Beamten der TAR sind dafür verantwortlich. Wenn es ein solches Recht nicht gibt, dann geben Sie mir einen Brief, in dem dies steht, zusammen mit den Einzelheiten des angeblichen Kreditbetrugs. Und ich werde mich nie wieder vor die Türen des Gerichts stellen“.

Seit 2016, als Dorje Tashis Familienmitglieder begannen, ein Berufungsverfahren zusammen mit seinen Anwälten Wang Fei und Hao Chen in Peking einzuleiten, wird er von den Gefängnisbehörden verstärkt überwacht und kontrolliert.

Offener Brief deckt politische Manipulation auf

Im September 2022 schrieb Dorje Tsetan, der ebenfalls Opfer einer ungerechtfertigten Inhaftierung geworden war, in einem offenen Brief an hochrangige Beamte der TAR: „Mein Name ist Dorje Tsetan. Unter Verwendung meines richtigen Namens werde ich Norbu Dhondup, den ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichts der TAR, Yang Guangming, den ehemaligen stellvertretenden Direktor des Büros für öffentliche Sicherheit der TAR, und Dorjee, den ehemaligen stellvertretenden Direktor des Büros für öffentliche Sicherheit der Präfektur Shigatse, bloßstellen. Mittels politischer Manipulation fälschten sie Fakten und mißachteten die Verfassung, um den tibetischen Privatunternehmer Dorje Tashi fälschlicherweise des Kreditbetrugs zu beschuldigen. Das Hypothekendarlehen in Höhe von 1,44 Millionen Yuan wurde zusammen mit den entsprechenden Zinsen an die Bank zurückgezahlt.
Die Bank hat nie einen Verlust geltend gemacht. Ein einfacher zivilrechtlicher Fall wurde zur Strafsache aufgebauscht, und das Mittlere Volksgericht Lhasa verurteilte Dorje Tashi zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Im gleichen Jahr wurde der chinesische Angeklagte He Xingyou wegen eines Hypothekenbetrugs in Höhe von 53 Millionen Yuan zu nur 15 Jahren Haft verurteilt. Wie könnte eine solch diskriminierende Justiz Vertrauen in den Menschen schaffen? Dorje Tashi hat sich nicht schuldig bekannt. Seine lebenslange Freiheitsstrafe wurde nicht verringert. Seit seiner Inhaftierung sind 15 Jahre vergangen. Ist das nicht die Nachricht des Jahrhunderts? Ist das nicht ein seltsamer Fall, der sich in Tibet ereignet? Ein solch ungerechtes Urteil wird in der heutigen auf gesetzlicher Basis aufgebauten Gesellschaft unverfroren verhängt!“

Gonpo Kyi, die gegen die ungerechte und diskriminierende Inhaftierung ihres Bruders Dorje Tashi protestiert

 

Hintergrund

Dorje Tashi, 49, ist der ehemalige Präsident der Tibet Mapham Yutso Group. Am 10. Juli 2008 wurde er in Lhasa von Sicherheitsbeamten festgenommen, weil er angeblich die Proteste vom 14. März 2008 finanziert habe, die in vielen Teilen Tibets einen Aufstand auslösten. Er wurde in einem Haftzentrum des Büros für öffentliche Sicherheit in Lhasa festgehalten, wo er vier Monate lang von einem Beamten namens Liu, der ausdrücklich vom zentralen Büro für öffentliche Sicherheit abgeordnet war, verhört und brutal gefoltert wurde. Während seiner Haft bekam er nur ungenügend zu essen und zu trinken, seine Wunden wurden nicht versorgt, er wurde gezwungen, ohne Schlaf wach zu bleiben, und später wurde er in Einzelhaft gesteckt. Einzelheiten über seine Mißhandlung und Folter während dieser Zeit wurden durch seine im letzten Jahr veröffentlichte Aussage bekannt (1).

Am 16. August 2021 erzählte Dorje Tsetan einem Reporter eines chinesischen Online-Portals, daß Dorje Tashi anfangs in einen 15-tägigen Hungerstreik getreten war, um gegen seine ungerechtfertigte Inhaftierung zu protestieren, aber von den Gefängniswärtern intravenös ernährt wurde. Als er sich 2012 sechs Monate lang weigerte, eine Gefängnisuniform zu tragen, durfte er seine Familie nicht sehen. Als seine Frau und andere Familienangehörige ihn unter dem Druck der Gefängnisbehörden dann überredet hatten, die Anweisungen zu befolgen, trug Dorje Tashi die Uniform wieder, und seine Familie durfte ihn wieder besuchen. Dorje Tashi hat sich nach den Angaben seiner Anwälte auch nach 15 Jahren nicht schuldig bekannt.

16.8.21, Testimony reveals pre-trial torture of Tibetan businessman-philanthropist https://savetibet.org/testimony-reveals-pre-trial-torture-of-tibetan-businessman-philanthropist/