11. August 2022
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD), www.tchrd.org

Ein Mönch, der im Zusammenhang mit einer Selbstverbrennung von 2013 festgenommen wurde, wird an einem unbekannten Ort gefoltert

Ein tibetischer Mönch namens Tseta, 25, wurde etwa sieben Monate lang inhaftiert, kurz nachdem Tenzin Sherab, ein 33-jähriger tibetischer Nomade, im Mai 2013 im Kreis Chumarleb (chin. Qumalai) in der tibetischen autonomen Präfektur Kyegu (chin. Yushu) in der tibetischen Provinz Kham angeblich infolge einer Selbstverbrennung gestorben war (1).

Tenzin Sherab

Neue Informationen, die dem TCHRD zugingen, belegen, daß Tseta, ein Disziplinarbeauftragter (tib. ghe-gheu / Dekan eines Klosterinstituts) des örtlichen Klosters Adril, in Gewahrsam genommen wurde, weil er Fotos von Sherabs Leiche gemacht und sie an Außenstehende weitergegeben hatte. Er wurde in der Haft schwer geschlagen, gefoltert und gezwungen, zu gestehen, daß er an der Veröffentlichung der Informationen über die Selbstverbrennung beteiligt war.

Als eine Art kollektiver Strafe setzten die chinesischen Behörden eine große Zahl bewaffneter Polizisten im Kloster Adril ein und ordneten die Schließung des Klosters an, falls ein anderer Mönch bei „spalterischen Aktivitäten“ erwischt würde. In einer Reihe von politischen Schulungen wurden die Mönche gezwungen, ihre „Dankbarkeit und Loyalität“ gegenüber der Kommunistischen Partei Chinas zu bekunden.

Die Polizei des Bezirks beschuldigte Tseta, zusammen mit zwei von Sherabs Schwestern, Thubten Dolma und Jigkay, Fotos von der Leiche des Verstorbenen gemacht zu haben, nachdem diese den Familienmitgliedern übergeben worden war. In dem Chaos bei den Beerdigungsritualen in Sherabs Haus hatte Tseta sein Handy verloren.

Während Tseta in Gewahrsam war, suchte die Polizei intensiv nach dem verlorenen Telefon, jedoch vergeblich. Thubten Dolma und Jigkay wurden ebenfalls zu dem verschwundenen Telefon befragt.
Zwei einheimische Frauen, die keine Verbindung zu Sherab oder seiner Familie hatten, wurden ebenfalls mehrmals auf die Polizeiwache vorgeladen. Damals dachten die Tibeter, es handele sich um eine Routineuntersuchung. Im Nachhinein sind sie der Auffassung, daß die Frauen dazu angehalten wurden, die offizielle Darstellung von Sherabs angeblichem Selbstmord zu unterstützen.

Weniger als einen Monat nach der Selbstverbrennung behaupteten die chinesischen Behörden in den örtlichen staatlichen Medien, Sherab habe sich das Leben genommen, weil seine Freundin mit ihm Schluß gemacht hat. In demselben Bericht wurden die Behörden mit der Aussage zitiert, Sherab sei seit vielen Jahren alleinerziehender Vater seiner 8-jährigen Tochter gewesen. Sie warfen Tseta auch vor, „Selbstmord als Selbstverbrennung darzustellen“.

Örtliche tibetische Quellen in Chumarleb meinten dem TCHRD gegenüber, daß die offizielle Behauptung über Sherabs Selbstmord eine „reine Erfindung“ sei. Eine Quelle, die mit dem Verstorbenen vertraut war, sagte: „Er war ein sensibler Mann, der gut Bescheid wußte über die vielen Selbstverbrennungen, die vor ihm stattgefunden hatten. Jede Selbstverbrennung bereitete ihm großen Kummer, und die völlige Verzweiflung der Tibeter, die unter der chinesischen Herrschaft leiden, schmerzte ihn tief.

Frühere Berichte handelten auch von seiner großen Unzufriedenheit über die chinesische Politik in Tibet und ihre katastrophalen Folgen für das Überleben der tibetischen Kultur und Religion.

Auch Sherabs Familie gehört zu den Tausenden von tibetischen Nomaden, die im Rahmen der chinesischen Politik zur Beendigung der nomadischen Lebensweise zwangsumgesiedelt wurden. Angesichts einer ungewissen Zukunft ohne Landrechte und Ernährungssicherheit waren viele ehemalige Nomaden wie Sherab gezwungen, sich auf das Pflücken von Raupenpilzen als wichtigste Quelle für ihren Lebensunterhalt zu verlassen, die jedoch den autoritären Launen des chinesischen Staates unterworfen ist.

Der Entwicklungsökonom Andrew Fischer stellte 2012 fest, daß es in und um die Gebiete, in denen eine intensive Umsiedlung von Nomaden stattgefunden hatte, zu zahlreichen Selbstverbrennungsprotesten gekommen war, was eindeutig auf die Härte der Umsiedlungspolitik für Nomaden in tibetischen Gebieten hinweist.

Daß die chinesischen Behörden wiederholt versucht haben, tibetische Selbstverbrennungen zu diskreditieren, ist nicht neu. Es ist eine gängige Praxis der chinesischen Behörden, tibetische Exilanten und „feindliche ausländische Kräfte“ für die Reihe der Selbstverbrennungsproteste verantwortlich zu machen, die entgegen den Behauptungen der chinesischen Regierung aber alle politisch motiviert sind. Die chinesischen Behörden kriminalisieren solche Proteste als „Mord“ oder verharmlosen sie als Verzweiflungstaten geistig verwirrter Individuen oder führen sie auf persönliche Probleme wie „kleinliche Streitigkeiten“, „verschmähte Liebe“ oder „Diebstähle“ zurück. Diese Taktik zielt darauf ab, die Einzelpersonen, die sich verbrannten, zu verteufeln, und eine nicht vorhandene Verbindung zwischen den feurigen Protesten und ihren so genannten Anstiftern aus dem Ausland herzustellen, damit die seit langem bestehenden Mißstände, die ihnen zugrunde liegen, unangesprochen bleiben.
(1) 29.5.2013, „Tibetan nomad self-immolates and dies in Yushu“, https://savetibet.org/tibetan-nomad-self-immolates-and-dies-in-yushu/