11. Oktober 2021
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD), www.tchrd.org

Neuer Bericht warnt vor aussichtsloser Zukunft für traditionelle Landwirte unter Chinas Öko-Kompensationspolitik


Nicht nachhaltige Zukunft: Chinas Öko-Kompensation auf tibetischem Grasland

Der Klimawandel auf dem tibetischen Hochplateau hat große Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen der Tibeter, obwohl ihre Produktionsmethoden nur einen geringen Anteil an den Emissionen ausmachen, die den Klimawandel hervorrufen.

Als weltweit größter Produzent und Nutzer von Kohle, Zement, Stahl, Aluminium, Kupfer und vielem mehr ist China der Hauptverursacher von den Emissionen, die den Klimawandel fördern. Obendrein greift China auf Tibet zurück, um seine Auswirkungen auf das Klima geringer erscheinen zu lassen, indem es riesige Wassereinzugsgebiete zu Nationalparks erklärt, und so die laufenden und immer noch steigenden Emissionen auszugleichen und den Schaden an seinem Image zu reparieren versucht.

Tibetische Nomaden


Ein neuer Bericht (1), der heute von TCHRD veröffentlicht wurde, zeigt indessen, daß die Nutzung des tibetischen Hochlands zum Ausgleich für den chinesischen CO2-Ausstoß zu keiner ökologischen Entschädigung der tibetischen Landbewohner für ihren Beitrag zu einem schonenden Umgang mit der Umwelt geführt hat. Statt das ökologische Verhalten der Tibeter zu respektieren, hat die chinesische Regierung tibetische Nomadengemeinschaften umgesiedelt und gewaltsam von ihrem Land vertrieben.

Chinas Öko-Kompensationspolitik wirft Fragen zu Menschenrechten und nachhaltiger Entwicklung sowie zur Bedeutung der Natur für die Menschheit auf, die globale Auswirkungen und Konsequenzen haben. Das tibetische Hochplateau nimmt fast zwei Prozent der Landfläche der Erde ein, es ist so groß wie Westeuropa und hat eine ebenso große globale Bedeutung wie andere vergleichbare Gebiete, vielleicht sogar eine größere, denn die große Höhenlage des Plateaus hat einen globalen Einfluß auf den Jetstream, die Monsun-Dynamik und den Wasserkreislauf der gesamten nördlichen Hemisphäre. Die Natur Tibets ist von außerordentlicher Bedeutung für die gesamte Menschheit.

Was China unter Öko-Kompensation versteht, ist bestenfalls vage und vernachlässigt dabei, wie wichtig es ist, die lokalen Nutznießer auf ihrem Land zu belassen und sie die Praktiken fortsetzen zu lassen, die dem Schutz der biologischen Vielfalt und der Bereitstellung von Ökosystemleistungen dienen. Schlimmstenfalls, und das ist die gängige Praxis, erreichen die meisten Transferzahlungen, die als Ökoausgleich bezeichnet werden, nie die lokalen Gemeinschaften, sondern werden dafür verwendet, daß Nomaden zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts von ihrem Land wegziehen.

Die biologische Vielfalt ist weltweit stark bedroht. Die Welt erwartet von der Biodiversitätskonvention oder dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) (2) wirksame Maßnahmen, bevor es zu spät ist. Doch Chinas neues System der Nationalparks, vor allem in Tibet, betrifft nicht die tibetischen Gebiete mit der größten Artenvielfalt. Im ersten Teil der Vertragsstaatenkonferenz (COP) (3) des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt, die Mitte Oktober Online in Kunming stattfand, sollte China der Festlegung des Ziels No. 9 (über den Nutzen für die Menschen durch nachhaltige Bewirtschaftung) für den Zeitraum 2020 bis 2030 Priorität einräumen.

Indigene und traditionelle lokale Gemeinschaften, die seit langem eine nachhaltige Landbewirtschaftung betreiben, müssen die Hauptnutznießer und gesetzlich definierten Empfänger von Öko-Ausgleichszahlungen sein, wie der CBD-Artikel 8(j) seit langem fordert. Diese Forderung gilt insbesondere für Staaten, die bis vor kurzem abgelegene Gegenden wie die Weidegebiete des tibetischen Plateaus vernachlässigten und wenig Interesse an traditionellem Wissen, traditionellen Bewirtschaftungspraktiken und Ritualen zum Schutz von heiligem Land zeigten.

Ziel 10 der CBD-Ziele für 2020-2030, das die nachhaltige Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen, und forstwirtschaftlichen Flächen sowie Aquakultur vorsieht, sollte ebenso ausdrücklich auch die Fischerei und die Viehzucht sowie die nomadische Weidewirtschaft mit einschließen.

Ziel 2 der CBD-Ziele bis 2030 fordert die Wiederherstellung degradierter Ökosysteme, was am effektivsten erreicht werden kann, wenn die Inhaber von Grundbesitzerrechten auf ihrem Land wohnen bleiben und sie mit der Aussaat einheimischer Gräser beauftragt werden, so daß die Bodenbedeckung wiederhergestellt wird. Der Ausschluß von Nomaden und die weit verbreitete Vergiftung der Pfeifhasen sind falsche Maßnahmen, die mit Ziel 2 unvereinbar sind.

Chinas Politik des „geordneten Rückzugs“ der Hirten von dem tibetischen Weideland ist unwissenschaftlich, widerspricht den zugänglichen Beweisen und sollte als Verstoß gegen Artikel 8 (j) des CBD behandelt werden.
China behauptet, daß seine derzeitige Politik der Vertreibung, Ausgrenzung, Umsiedlung und Ruhigstellung der tibetischen Landbevölkerung dem CBD-Ziel 3 entspreche, das den Schutz von mindestens 30 % der Land- und Meeresgebiete fordert. Dieses Ziel kann besser durch die Einbeziehung und nicht durch den Ausschluß der lokalen Gemeinschaften erreicht werden.

Im September dieses Jahres sprachen sich die Delegierten auf einer vorläufigen CBD-Sitzung nachdrücklich dafür aus, daß alle in Schutzgebieten lebenden lokalen Gemeinschaften ihre freie, vorherige und auf Kenntnis der Sachlage begründete Zustimmung zu allen Programmen für den großflächigen Schutz von Landschaften im Rahmen von Ziel 3 geben müssen. Dies sollte nun als verbindlicher CBD-Beschluß angenommen werden.

Ziel 21 der CBD-Ziele für das Jahrzehnt bis 2030 verlangt eine wirksame Beteiligung an der Entscheidungsfindung im Bereich der biologischen Vielfalt. Die tibetischen Viehhirten und Bauern kennen die biologische Vielfalt in ihren Regionen sehr genau, doch ihr traditionelles Wissen wurde weitgehend ignoriert, von Wissenschaftlern nicht erfaßt und routinemäßig übersehen.

Yak-Herde in Amdo

Auf der 26. UN-Klimakonferenz (COP26), die vom 31. Oktober bis 12. November dieses Jahres in Glasgow stattfindet, wird die große Kluft zwischen Chinas Rhetorik und seinen tatsächlichen Plänen zum Bau zahlreicher weiterer Kohlekraftwerke ein Hauptanliegen der Weltöffentlichkeit sein. Chinas anhaltende, nicht nachlassende Abhängigkeit von der Kohleverstromung ist maßgeblich für seinen Handel mit Klimarechten verantwortlich, wobei versucht wird, Kritik abzuwenden, indem man erklärt, die Emissionen würden durch Zahlungen für Ökosystemleistungen ausgeglichen, die CO2 in Tibet binden.

Die Vertreibung der Nomaden von ihrem Land ist daher für die ganze Welt von Bedeutung, die wissen muß, daß das, was allgemein als Öko-Ausgleich bezeichnet wird, tatsächlich Emissionen reduzieren und diejenigen, die Ökosystemleistungen erbringen, belohnen sollte.

Würde China die Macht seines autoritären Stils nutzen und die Umweltverschmutzer direkt besteuern, gäbe es keine Farce, wobei vorgegeben wird, daß die Tibeter auf dem Lande für die Erbringung von Ökosystemleistungen bezahlt würden. Der Einparteienstaat ist allgegenwärtig und setzt all diese Strategien bewußt ein.

Das wirft Fragen zu Pekings ausgeprägter Vorliebe für den marktorientierten Emissionshandel und den Öko-Ausgleich auf. Was bedeutet marktbasiert, wenn der Einparteienstaat seine Zuteilungsbefugnisse so stark ausübt, daß er Gewinner auswählt, seine Favoriten begünstigt, die Finanzierung dominiert und auf einer aktiven Beteiligung der KPCh an Managemententscheidungen besteht sowie fast alle großen Produktionsunternehmen direkt besitzt. Warum verordnet der Einparteienstaat angesichts seiner Allgegenwart nicht schlicht und einfach, wer die Emissionen um wie viel zu reduzieren hat und erlegt den Emittenten eine direkte Steuer auf?

(1) https://tinyurl.com/m36ukht6

(2) https://www.cbd.int/

(3) https://unfccc.int/event/cop-26