22. Januar 2009

Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P., India,
phone/fax: +91 1892 223363 / 225874 / 229225, e-mail: office@tchrd.org, www.tchrd.org


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  Pressemitteilung

Die Menschenrechtslage in Tibet – Jahresbericht 2008

Das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) legt seinen Jahresbericht 2008 vor: Die Menschenrechtslage in Tibet. Der Bericht, der in tibetischer und englischer Sprache vorliegt, behandelt in erster Linie drei Bereiche von Menschenrechtsverletzungen in Tibet: die bürgerlichen und politischen Freiheiten, das Recht auf Information und die Religionsfreiheit.

Rückblickend betrachtet wurde das Jahr 2008 im Gefolge des Geschehens vom 10. März Zeuge beispielloser Verletzungen der Menschenrechte der Tibeter, die in der sogenannten „Autonomen Region Tibet“ (TAR) und in den tibetischen Gebieten außerhalb davon in den Provinzen Sichuan, Gansu, Qinghai und Yunnan leben. Die chinesischen Behörden verweigern den Tibetern weiterhin und systematisch ihre Menschenrechte. Die politische Erhebung vom Frühjahr 2008, die sich auf alle tibetischen Gebiete erstreckte, war ein Ausbruch der allgemeinen Verbitterung über die nunmehr fünfzig Jahre währende Mißachtung der Gesetze  und die schlechte Behandlung durch die chinesischen Behörden in Tibet. Die Folge waren systematische und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen in jedem nur erdenklichen Lebensbereich.

Dem TCHRD liegen Informationen darüber vor, daß seit Beginn der Unruhen in der TAR und den außerhalb gelegenen von Tibetern bewohnten Gebieten ab dem 10. März 2008 über 120 Tibeter ums Leben kamen. Peking hat die Natur dieser Proteste wiederholt heruntergespielt, es hat sie als kriminelle Delikte wie Plünderung, Vandalismus, Brandstiftung, Diebstahl und Krawalle dargestellt und sich geweigert, die Realität der politischen Beweggründe für dieses Aufbegehren eines ganzen Volkes zur Kenntnis zu nehmen, das sich in unterschiedlicher Intensität in 99 Bezirken innerhalb und außerhalb der TAR manifestierte. Über 6.500 Tibeter wurden willkürlich festgenommen, weil sie sich an den landesweiten Protestaktionen beteiligt hatten oder man sie politischer Aktivitäten verdächtigte.

Der gegenwärtige Aufenthaltsort und Gesundheitszustand von mehr als eintausend Tibetern ist deren Angehörigen, Freunden oder Klöstern bis heute nicht bekannt. Der XI. Panchen Lama, Gedhun Choekyi Nyima, wird ebenso wie seine Eltern bereits seit 13 Jahren vermißt. Bis heute gibt es keinerlei Nachricht über sein Befinden oder seinen Aufenthaltsort.

Im Berichtsjahr verhielten sich die chinesischen Strafverfolgungsbehörden in Haftzentren, auf Polizeiwachen, in Gefängnissen und vor Ort bei den Demonstrationen äußerst skrupellos und repressiv. Tibet hat 2008 eine der höchsten jemals erlebten Raten an Toten durch Folter zu verzeichnen. Berichten zufolge wurden Tibeter vom Kugelhagel der paramilitärischen Polizei tödlich getroffen, sie wurden so lange geschlagen, bis sie starben, oder dem Tode nahe aus der Haft entlassen, nur weil sie ihre Verehrung für das tibetische Oberhaupt zum Ausdruck gebracht, seine baldige Rückkehr nach Tibet oder Freiheit und Menschenrechte gefordert hatten. Es gab sogar ein paar Fälle, wo sich Menschen das Leben nahmen, weil sie die grauenhafte Unterdrückung nicht mehr ertragen konnten, während andere nach unmenschlichen Folterungen ihr psychisches Gleichgewicht verloren haben.

Die chinesischen Behörden wiesen mehrfach hochangesehene Gremien ab, deren Auftrag es ist, die Menschenrechte zu schützen und die nach den Demonstrationen vom März um Zugang nach Tibet ersucht hatten. Anfang April 2008 wurde die Anfrage der damaligen UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Louise Arbour abgelehnt, die Tibet besuchen wollte, um sich aus erster Hand ein unabhängiges Bild der Lage zu machen. Zur Begründung gab die chinesische Regierung an, der Zeitpunkt sei „unpassend.“

Angesichts der Berichte über Schüsse von bewaffneten Polizeikräften auf Demonstranten legten sechs UN-Sonderberichterstatter eine gemeinsame Erklärung vor, in der sie ihrer tiefen Besorgnis Ausdruck verliehen. Darin forderten sie alle Seiten zur Zurückhaltung und Gewaltlosigkeit auf, mahnten besseren und ungehinderten Zugang für Journalisten und unabhängige Beobachter zu allen betroffenen Regionen an, verlangten Garantien für den freien Informationsfluß und die Einhaltung des internationalen Standards beim Umgang mit Demonstranten und Verhafteten. Jedoch wurden alle diese Forderungen ignoriert. Obwohl das Internationale Komitee des Roten Kreuzes mit dem Mandat ausgestattet ist, auf der ganzen Welt Haftanstalten zu besuchen und das Wohlbefinden von Häftlingen zu überprüfen, wurde ihm niemals Zugang nach Tibet gewährt.

Die Verweigerung der Zusammenarbeit mit dem UN-Komitee gegen Folter bei der Prüfung des Vierten Periodischen Berichts über Chinas Einhaltung der UN-Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Praktiken (CAT) brachte nur zu deutlich die Geringschätzung der chinesischen Regierung für die UN-Menschenrechtsinstitutionen zum Schutz der Menschen gegen Folter zum Ausdruck, obwohl sie ja selbst diese Konvention ratifiziert hat.

Den Unterlagen des TCHRD zufolge befinden sich Hunderte von Tibetern immer noch ohne Anklage in Haft und mindestens 190 Personen wurden bisher von verschiedenen Bezirksgerichten in der TAR und den tibetischen Regionen außerhalb derselben wegen der Teilnahme an den Demonstrationen von 2008 verurteilt. Sieben von ihnen wurden zu lebenslangem Freiheitsentzug verurteilt, weitere 90 erhielten Haftstrafen von 10 Jahren und darüber. Das TCHRD ist überzeugt, daß in Anbetracht des Umfangs der Protestaktionen und der grausamen Niederschlagung der Unruhen die tatsächlichen Zahlen um ein Vielfaches höher liegen. Das eigentlich ganz normale Verhalten, über Menschenrechtsverletzungen zu berichten, wird von der chinesischen Regierung häufig mit dem „Verrat von Staatsgeheimnissen“ und „Gefährdung der Staatssicherheit“ gleichgesetzt und durch langjährige Haftstrafen streng bestraft. Infolge dieser Informationsblockade ist der Informationsflußfast zum Versiegen gebracht worden.

Was das Recht auf Information betrifft, so kontrolliert China alle Medienveröffentlichungen strengstens und übt routinemäßig Zensur aus. Infolge der Kommunikationsblockade im Gefolge der Protestwelle ist Tibet weiterhin nahezu vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Nach wie vor wird der Empfang von Nachrichten über Radio und TV aus dem Ausland gestört oder scharf kontrolliert.

Viele Tibeter sitzen seit Jahren im Gefängnis und verbüßen langjährige Strafen. In letzter Zeit hat es keine Strafnachlässe oder frühzeitige Haftentlassung mehr gegeben. Der übliche Ablauf der Gerichtsverfahren und die offizielle Interpretation der Handlungen der Tibeter werfen Fragen nach der Kompetenz der Gerichte und dem Herunterspielen der tatsächlichen Bedeutung der politischen Aktivitäten der Tibeter seitens der Behörden auf. Ferner bestehen Zweifel über die Rechtmäßigkeit der Urteile, weil die Tibeter keinen Zugang zu einer ordentlichen Verteidigung hatten und viele von ihnen in nichtöffentlichen Prozessen verurteilt wurden. Mehrere hundert Tibeter werden immer noch ohne Anklage festgehalten.

Im religiösen Bereich haben die Behörden – ganz abgesehen von den am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen „Durchführungsanweisungen für die Regelung religiöser Angelegenheiten“ und den ins Detail gehenden „Bestimmungen für den Umgang mit reinkarnierten lebenden Buddhas im tibetischen Buddhismus“– nach der Protestwelle im April vergangenen Jahres eine auf zwei Monate angelegte Neuauflage der Kampagne für Patriotische Erziehung gestartet. Diese äußerst rigorose und intensive Kampagne richtete sich diesmal nicht nur gegen die Klöster, die schon seit langem als Bastion des politischen Dissens gelten, sondern auch gegen Regierungsangestellte, Sicherheitskräfte, Bauern, Nomaden, Geschäftsleute und Bildungseinrichtungen. Das TCHRD dokumentierte zahlreiche Verhaftungen, nur weil sich die Betroffenen der Kampagne, bei der sie ihr geistliches Oberhaupt den Dalai Lama diffamieren und der Kommunistischen Partei Loyalität geloben müssen, widersetzten.

Die Volksregierung der TAP Kardze führte in Hunderten von Klöstern drastische Säuberungsmaßnahmen durch. Damit haben die Behörden dem Kern und der Identität der tibetischen klösterlichen Gemeinschaften einen harten Schlag versetzt und die Religionsausübung noch viel empfindlicher eingeschränkt. Es handelt sich dabei um einen erneuten systematischen Angriff auf den tibetischen Buddhismus – sozusagen die Antwort auf die Proteste.

Das UN-Komitee gegen Folter (CAT) hat der VR China empfohlen, die Fälle zu untersuchen, bei denen im Frühjahr 2008 Tibeter ums Leben kamen oder seither vermißt werden, und zu Maßnahmen geraten, die verhindern sollen, daß künftig Menschen unter Zwang verschwinden. Dem schließt sich das TCHRD an und fordert China auf, sicherzustellen, daß alle im Zusammenhang mit den Protestaktionen vom Frühling 2008 inhaftierte Personen umgehend Zugang zu einem Rechtsanwalt sowie sofortige medizinische Versorgung erhalten und Beschwerden einreichen können, ohne Repressalien oder Schikanen seitens der Behörden befürchten zu müssen. Es sollte ab sofort kein erzwungenes Verschwinden mehr geben, keine willkürlichen Verhaftungen, keine Folter und keine Informationsblockaden. China sollte die internationalen Menschenrechtsstandards einhalten und sich an seine eigenen verfassungsmäßigen Garantien halten. Es reicht nicht aus, daß China die internationale Menschenrechtskonvention ratifiziert oder mündliche Zusicherungen für die Einhaltung der Menschenrechte abgibt; es ist an der Zeit, den Menschen in China konkrete Verbesserungen zuteil werden zu lassen und ihre Menschenrechte wirklich zu respektieren und aktiv zu fördern.

Einhergehend mit dem Jahresbericht 2008 veröffentlicht das TCHRD zwei Sonderberichte:

Bei "Uprising in Tibet 2008: Documentation of protests in Tibet"** handelt es sich um eine Übersicht über die Ereignisse vom 10. März zum 16. Juli 2008 in chronologischer Reihenfolge.

Ferner haben wir „Briefing Papers for Travellers to Tibet“ aktualisiert und neu aufgelegt.

Tibetische Version des Jahresberichtes

Alle drei Plakate gibt es in Druckgröße auf der Website des TCHRD