3. Mai 2008

Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P., India
Phone/Fax: +91 1892 23363 / 25874, e-mail: dsala@tchrd.org, www.tchrd.org


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Pressemitteilung

Kontaktperson: Tenzing Norgay (Englisch) / Jampa Monlam (Tibetisch und Chinesisch): Tel: +91 1892 223363 / 229225

Chinas Rechtsdebatte über die tibetische Volkserhebung: Eine kritische Untersuchung

Seit dem 10. März erlebte Tibet in der "Autonomen Region Tibet" ("TAR") und den von Tibetern bewohnten Gebieten außerhalb der "TAR" Volkserhebungen in ungekanntem Ausmaß. Die pantibetische Volkserhebung ist als Ausbruch lange angestauter Erbitterung gegen die seit fünf Jahrzehnten andauernde Mißwirtschaft der chinesischen Behörden zu verstehen, die in nahezu allen Lebensbereichen schwere Menschenrechtsverletzungen zur Folge hatte und dem tibetischen Volk eine unqualifizierte Entwicklungspolitik aufzwang. Die anhaltenden pantibetischen Proteste sind Ausdruck der Unzufriedenheit der tibetischen Bevölkerung und ihrer Empörung über die Politik der Zentralregierung der Volksrepublik China.

Seit die Proteste im März ausbrachen, hat Peking wiederholt versucht, sie als kriminelle Aktivitäten wie Plünderung, Brandstiftung, Diebstahl und Ausschreitungen darzustellen. Peking weigert sich, die Realität der politischen Natur der pantibetischen Protestbewegung zu sehen.

Gerichtsverhandlungen

Am 29. April verkündete das Mittlere Volksgericht in Lhasa harte Urteile gegen eine Gruppe von 30 Tibetern. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua behauptet in ihrem letzten Bericht "Richter und Rechtsanwälte: An den Unruhen in Lhasa beteiligte Randalierer erhalten ein faires Gerichtsverfahren", der am 29. April 2008 veröffentlicht wurde: "Sie (die Tibeter) wurden der Brandstiftung, des schweren Raubes, der Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Zusammenrottung zum Angriff auf Staatsorgane, die diese von der Ausübung ihrer Funktionen abhalten, und des Diebstahls für schuldig befunden."

Die Art der Prozeßführung und die offizielle Interpretation der Aktivitäten der Tibeter werfen ganz offensichtlich die Frage nach der Kompetenz des Gerichtes und der offiziellen Umdeutung der Natur der Aktivitäten der Tibeter auf. Das Schnellgericht in Lhasa hat, in der Rekordzeit von anderthalb Monaten, drei Tibeter (Pasang, Sonam Tsering und Tsering) zu lebenslänglichen Gefängnisstrafen, sieben weitere zu Strafen zwischen 15 und 20 Jahren und den Rest zu Gefängnis zwischen drei und fünfzehn Jahren verurteilt. Dieses Urteil spricht eindeutig aller Rechtsprechung und den Vorstellungen eines ordentlichen Verfahrens mit rechtlichem Gehör Hohn. Angesichts der Tatsache, daß ein ordentliches Verfahren, wie es in einem Rechtsstaat üblich ist, voraussetzt, daß Akteneinsicht gewährt wird, unabhängige Rechtsanwälte hinzugezogen, Überprüfungen des Falles zugelassen werden, Konsultationen von beiden Partei möglich sind, die Erpressung von Aussagen durch Folter jedoch unzulässig ist usw., sind Zweck und Beschaffenheit des Gerichtes in Lhasa einzig darauf abgestellt, vorher beschlossenen Urteilen eine automatische Absegnung zukommen zu lassen, ohne daß es dort auch nur den Begriff der Unschuld bis zum Beweis des Gegenteiles gäbe.

Die Tatsache, daß auf Aufnahmen einer der Tibeter während der Verhandlung in einem Stuhl sitzend zu sehen ist, deutet darauf hin, daß er in der Haft gefoltert worden ist, was von den chinesischen Behörden bedenkenlos geleugnet wird. Tibeter, die wegen politischer Straftaten inhaftiert werden, werden in den Haftzentren von der Polizei auf das Schlimmste gefoltert und mißhandelt, um Geständnisse zu erpressen und ihr Nationalbewußtsein zu zerstören. In Anbetracht der üblichen unmenschlichen Praktiken der Polizei in den von Chinesen verwalteten Haftzentren und Gefängnissen und der Tatsache, daß auf einem offiziell veröffentlichten Bild ein Tibeter während der Gerichtsverhandlung sitzend abgebildet ist, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Anwendung von Folter und unmenschlicher Behandlung der Angeklagten zu schließen. Im chinesischsprachigen Bericht über dieselbe Gerichtsverhandlung werden einige Details berichtet, so wird Migmar Dolma, die Anwältin von Lobsang Samten, wie folgt zitiert: "Am 17. April besuchte ich meinen Mandanten. Als ich das Haftzentrum betrat, kümmerten sich zwei Ärzte um die Häftlinge. Zu dieser Zeit wurden etwa 10 Häftlinge medizinisch versorgt und zwei der Gefangenen hingen am Tropf." Diese Erklärung der Rechtsanwältin bestätigt, daß die Tibeter im Haftzentrum mit hoher Wahrscheinlichkeit stark gefoltert wurden.

Während es allseits bekannt ist, daß die Tibeter dafür bestraft werden, daß sie politisch anderer Meinung sind, haben die staatlichen Medien deren Aktivitäten ihrem ganzen Charakter nach immer als Bagatelldelikte hingestellt, indem sie behaupteten, es habe sich dabei um Plünderung, Brandstiftung, Diebstahl, Zusammenrottung usw. statt um den Ausdruck politischer Unzufriedenheit und Ablehnung gehandelt. Wie auch immer, der Artikel 293 des chinesischen Strafgesetzbuches bedroht mit "einer auf fünf Jahre befristeten Freiheitsstrafe oder Polizeiaufsicht" Akte, die "Unruhe stiften und so die öffentliche Ordnung stören". Doch die staatlichen Medien verkünden, daß drei Tibeter eine lebenslängliche Freiheitsstrafe erhielten, sieben zu Gefängnisstrafen zwischen 15 und 20 Jahren verurteilt wurden und der Rest Strafen zwischen drei und vierzehn Jahren verbüßen muß. Die Härte der verhängten Strafen beweist klar und deutlich, daß es hier nicht um Kleinkriminalität geht, sondern um ein sehr viel umfassenderes Problem, nämlich das der politischen Ablehnung - was die staatlichen Medien natürlich nicht erwähnen.

Die seit dem 10. März andauernden pantibetischen Proteste sind spontane Reaktionen der Tibeter in Tibet, die lange Zeit unter der Brutalität und der Unterdrückung durch die Behörden gelitten haben. Tibeter aus allen Lebensbereichen und Altersgruppen haben an dieser Erhebung teilgenommen. So war zum Beispiel Pasang, einer der in dem jüngsten Prozeß zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe Verurteilten, ein normaler Mönch des Klosters Dingka in der Gemeinde Dechen des Kreises Toelung Dechen, Bezirk Stadt Lhasa, "Autonome Region Tibet". Er ging am 17. März 2008 um etwa 15 Uhr (Pekinger Normalzeit) zusammen mit 12 anderen Mönchen aus seinem Kloster zum Marktplatz der Gemeinde und sie skandierten Parolen, mit denen sie die Unabhängigkeit für Tibet forderten. Als Zeichen für ihren politischen Standpunkt nahmen sie Produkte aus den Läden chinesischer Siedler und zündeten sie an. Sie wurden später von der Bewaffneten Volkspolizei verhaftet und Augenzeugen haben gesehen, wie etwa 30 Tibeter von den Volkspolizisten heftig geschlagen und wie Sandsäcke in die Polizeifahrzeuge geworfen wurden.

Das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) betrachtet die Urteile des Mittleren Volksgerichts in Lhasa über die 30 Tibeter als willkürliches und unangemessenes Schnellverfahren in einem Strafprozeß. Der Strafprozeß wird damit von den chinesischen Behörden als staatliches Repressionsinstrument mißbraucht, anstatt zum Schutz der fundamentalen Menschenrechte der Tibeter zu dienen. Das TCHRD bringt seine Besorgnis über die nicht der gesetzlichen Norm entsprechenden Verfahren im von China besetzten Tibet zum Ausdruck, und befürchtet die schlimmsten Szenarien für die tibetischen Demonstranten, die in den beiden letzen Monaten ihre fundamentalen Menschenrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit aktiv in Anspruch nahmen.