25. März 2008
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P., India
Phone/Fax: +91 1892 23363 / 25874, e-mail: dsala@tchrd.org, www.tchrd.org

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Zahl der Todesopfer auf 79 angestiegen, über 1200 Festnahmen und mehr als 100 Verschwundene in Tibet

Seit am 10. März 2008 buddhistische Mönche in Lhasa anläßlich des 49. Jahrestags des tibetischen Volksaufstands die ersten Proteste anführten, verfolgt das TCHRD die Lage in Tibet mit tiefer Besorgnis.

Die Zensur, der Mangel an aktuellen und bestätigten Informationen, das Ausbleiben einer unabhängigen Untersuchungskommission und das Fehlen freier Berichterstattung machen es äußerst schwierig, richtig einzuschätzen, wie viele Tibeter verhaftet und verletzt wurden, wie viele ums Leben kamen oder verschwunden sind. Dennoch gelang es dem TCHRD etliche auf Augenzeugenaussagen basierende Mitteilungen zu erhalten. Die daraus gewonnenen Informationen wurden nach genauer Auswertung und Bestätigung aus zusätzlicher Quelle an Menschenrechtsorganisationen, Medien und die zuständigen UN-Gremien weitergeleitet.

Diesen Augenzeugenberichten und Aussagen zufolge sind infolge der brutalen Niederschlagung der Proteste durch die chinesischen Sicherheits- und Streitkräfte bisher mindestens 79 Tibeter ums Leben gekommen. Über 1200 Tibeter wurden verhaftet und mehr als 100 sind verschwunden. Die geschätzten Opferzahlen steigen mit jedem Tag, an dem wir Neues aus Tibet erfahren.

Am 15.März hatten die Justizbehörden der TAR, der Volksgerichtshof, die Volksprokuratur und das Büro für Öffentliche Sicherheit (PSB) gemeinsam ein Ultimatum erlassen. Wie die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua am 19. März berichtet, sollen sich danach in der Stadt Lhasa bis zum 20. März über 170 Tibeter "ergeben" haben. Am 19. März haben sich im Kreis Phenpo Lhundup im Bezirk Lhasa angeblich weitere 94 Tibeter freiwillig den Behörden gestellt.

Bei einer nächtlichen Razzia am 16. März verhaftete das PSB den ehemaligen politischen Gefangenen und Mönch des Klosters Drepung Ngawang Namgyal in seiner Wohnung. Er wird beschuldigt, die Proteste in Lhasa "angefacht und unterstützt" zu haben. Gegenwärtig liegen keine Informationen über sein weiteres Schicksal vor.

Am 20. März veröffentlichte das PSB von Lhasa eine Fahndungsliste mit 21 Namen. Bei diesen Personen soll es sich um die Rädelsführer der Proteste in Lhasa handeln. Von 14 der Gesuchten, unter denen sich auch einige Mönche befinden, wurden Fotos veröffentlicht. Es ist derzeit nicht bekannt, ob die gesuchten Tibeter inzwischen verhaftet wurden oder ob sie sich noch auf freiem Fuß befinden.

Xinhua zufolge sollen sich in der Tibetisch Autonomen Präfektur Ngaba (chin: Aba Xian), Provinz Sichuan, über 381 Tibeter ergeben haben, nachdem die Vollstreckungsbehörden von Kanlho (chin. Gannan), der Volksgerichtshof dieser Präfektur, die Prokuratur und das PSB am 20. März den Tibetern gemeinsam ein Ultimatum gestellt hatten. Wie Quellen aus Tibet berichten, sind zahlreiche Mönche und Laien, die an den friedlichen Protesten in Ngaba beteiligt waren, aus ihren Klöstern und Häusern geflohen, um so der Verhaftung zu entgehen. Indessen machen die Sicherheitskräfte Jagd auf sie und durchwühlen ihre Häuser nach Lust und Laune. Seit Ausbruch der Proteste am 14. März sind viele Leute aus der Gegend verschwunden.

Das TCHRD bezweifelt die Authentizität der "Kapitulationsmitteilung", welche durch die chinesischen Behörden in der Autonomen Region Tibet (TAR) und den außerhalb ihrer liegenden Gebieten tibetischer Bevölkerung bekannt gemacht wurde. Das TCHRD steht auf dem Standpunkt, daß "Kapitulation" unter normalen Bedingungen einer Bereitschaft auf der Seite der sich Ergebenden entspricht, aber hier werden die Menschen gezwungen „sich zu ergeben“ und die Machthabenden drohen ihnen damit, daß sie im Falle einer ausbleibenden Kapitulation noch weit schlimmere Konsequenzen zu erwarten hätten.

Aus diesem Grund betrachtet das TCHRD die Bekanntmachung offizieller Informationen bezüglicher kapitulierender Protestteilnehmer als versteckte Drohung zur Einschüchterung und zur Schaffung einer tief greifenden Angst unter der ohnehin schon hochgradig unterdrückten Bevölkerung.

Nach heutigem Kenntnisstand haben sich nach offiziellen Mitteilungen 645 Tibeter aus verschiedenen Regionen Tibets den chinesischen Behörden "ergeben". Nur von wenigen wurde bekannt, daß sie ohne offizielle Anklageerhebung wieder freigelassen wurden. Vor dem Hintergrund von Chinas üblichen Praktiken im Umgang mit inhaftierten Verdächtigen ist das TCHRD auf das Tiefste besorgt, daß jene, die "freiwillig kapitulierten" oder in der Nachfolge der Demonstrationen in den verschiedenen Teilen Tibets festgenommen wurden, grausamen Vernehmungen unter Mißhandlung in Gefangenenlagern ausgesetzt werden. Es ist damit zu rechnen, daß die Gefangenen in den Lagern gefoltert und extrem inhumanen Behandlungen ausgesetzt werden, um Geständnisse und relevante Informationen über andere zu gewinnen. Folter ist sehr weit verbreitet und eine übliche Praxis im Netzwerk der von den Chinesen betriebenen Gefängnisse und Gefangenenlager. Das TCHRD ist um den Zustand der nach den jüngsten Demonstrationen Verhafteten sehr besorgt, insbesondere gilt diese Sorge jenen, die als "Anstifter" verdächtigt werden. Weiter fürchtet das Zentrum, daß die Behörden extreme Maßnahmen ergreifen werden, um die Tibeter gänzlich mundtot zu machen, damit keine Informationen mehr nach außen dringen und es keine internationale Kritik an ihrem erschreckenden Umgang mit den Menschenrechten in Tibet mehr geben kann.

Die chinesischen Behörden sollten den Verhafteten sowie denjenigen, die sich selbst gestellt haben oder in Folge der Demonstrationen inhaftiert wurden, öffentliche und faire Gerichtsverfahren garantieren. Bei völligem Fehlen einer Verteidigung vor Gericht, einer fairen juristischen Verfahrensweise und Mißachtung internationaler rechtlicher Normen gilt es als sicher, daß die grundlegenden Menschenrechte von tibetischen Inhaftierten massiv verletzt werden.

Berichten zufolge sind Hunderte Militärtransporter, Panzer und Soldaten in die gesamte Gegend von Lhasa sowie die nordöstlichen Teile von Tibet, speziell in die Präfektur Ngaba vorgedrungen, wo die größte Zahl von Protesten, Verhaftungen und Todesfällen zu verzeichnen ist.

Das TCHRD wird die Fälle jener Tibeter, die getötet und verhaftet wurden oder vermißt sind, dem Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Menschenrechte und dessen themenbezogenen Kommissionen mit dem Hinweis auf dringlichen Handlungsbedarf vorlegen.

Das TCHRD appelliert dringend an die internationale Gemeinschaft, Solidarität mit Tibet zu zeigen und für die verhafteten tibetischen Protestteilnehmer und unschuldigen Gefangenen einzutreten.

Das TCHRD stellt auf seiner Website zwei Plakate zum Download zur Verfügung mit Bildern der Proteste und der Todesopfer. Die einzelnen Bilder sind groß genug, um ausgedruckt zu werden, sie stehen zur freien Verwendung und Veröffentlichung zur Verfügung.