26. Oktober 2007
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P., India
Phone/Fax: +91 1892 223363 / 225874/229225, e-mail: dsala@tchrd.org, www.tchrd.org


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Pressemitteilung:      TCHRD/Eng/PR/206/2007
Ansprechpartner:      Tashi Choephel (Englisch)
Tel. (Indien):              +91-1892-223363/225874/229225

Erneut Schüsse am Nangpa-La: Soldaten schiessen auf tibetische Flüchtlinge – neun Personen vermisst, drei festgenommen

Einer bestätigten Mitteilung zufolge, die dem Tibetischen Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) zuging, wurden drei Personen einer 46 Tibeter zählenden Flüchtlingsgruppe festgenommen, die im Oktober über den Nangpala-Paß fliehen wollte. Neun Tibeter werden vermißt, nachdem die chinesische bewaffnete Grenzpolizei das Feuer auf diese Gruppe eröffnet hatte.

Aus einer dem TCHRD nahestehenden Quelle in Kathmandu verlautet, daß eine Gruppe von 46 Tibetern, die am 18. Oktober 2007 über den Nangpala nach Solukhumbu in Nepal fliehen wollte, von den Grenzschutzsoldaten der Chinesischen Bewaffneten Volkspolizei (People’s Armed Police/PAP) beschossen wurde. Als die Gruppe nach einem mehrtägigen kräftezehrenden Marsch zu dem verschneiten und vereisten Paß aufgestiegen war und ausruhen wollte, wurde mehrere Male von der Grenztruppe der PAP auf sie geschossen. Anders als Ende September 2006 (siehe unten) wurde diesmal niemand tödlich getroffen. Doch als die Flüchtlinge mit scharfer Munition beschossen wurden, ließen sie ihre Sachen im Schnee liegen und rannten so schnell sie konnten davon, um sich in Deckung zu bringen. Sie wurden von den chinesischen Grenzsoldaten verfolgt, denen es gelang, drei von ihnen festzunehmen. Neun weitere Personen werden vermißt.

Über den Verbleib und das Wohlergehen dieser neun Personen aus der Gruppe von ursprünglich 46 Tibetern ist nichts bekannt.

Bei den drei festgenommenen Flüchtlingen handelt es sich um:

a) Ngawang Tsultrim, 21, aus Labrang in Amdo, Kreis Sangchu (chin. Xiahe), Tibetische „Autonome Präfektur“ („TAP“) Kanlho.

b) Lobsang Thaye, ein 33jähriger Mönch aus dem Kloster Rebkong in Amdo, Distrikt Rebkong (chin. Tongren), „TAP“ Malho (chin. Huangnan).

c) Tenzin Dorjee, 21, aus Bawa in Kham, Distrikt Lithang, „TAP“ Kardze.

Am 25. Oktober erreichte der Rest der Gruppe ohne weitere Zwischenfälle das Tibetan Reception Centre in Kathmandu, Nepal. Mit dem Herannahen des Winters nimmt die Zahl der Tibeter, die über den Himalaya nach Nepal fliehen, gewöhnlich deutlich zu, weil es dann weniger chinesische Grenzpatrouillen gibt. Es herrscht ein stillschweigendes Einvernehmen zwischen der nepalesischen Regierung und dem UNHCR (Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen): Flüchtlinge aus Tibet werden dem UNHCR überstellt, das sie in seine Obhut nimmt. Trotz der großen Gefahr festgenommen zu werden, unternehmen jedes Jahr Hunderte von Tibetern die beschwerliche Reise nach Nepal, das für sie ein Transitland auf dem Weg nach Indien ist, wo sie den Segen des Dalai Lama erhalten und dann eine Ausbildung machen.

Nach dem Todesfall am Nangpala im September letzten Jahres verschärften die chinesischen Behörden die Sicherheitsmaßnahmen und Auflagen an der Grenze zu Nepal, um die Tibeter von der Flucht abzuhalten. Im Dezember 2006 hielt das Büro für Öffentliche Sicherheit (PSB) der „Autonomen Region Tibet“ („TAR“) eine Sondersitzung ab, auf der eine schärfere Überwachung der Grenze und der „fliehenden Individuen“ (chin. toudou) beschlossen wurde sowie die Erneuerung der Kampagne „Hart-Zuschlagen“ für sechs Monate ab Januar 2007. Die offizielle chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtete am 4. Juni 2007, das Präsidium des PSB der „TAR“ habe am 5. Mai 2007 in Lhasa eine Video-Konferenz mit den einzelnen PSB-Abteilungen auf Präfekturebene abgehalten, um das Ergebnis der Kampagne „Hart-Zuschlagen“ in den Grenzgebieten, durch die die meisten Tibeter fliehen, zu analysieren. Polizeieinheiten und Offiziere, die besonders hart durchgegriffen, erhielten Auszeichnungen.

Vor einem Jahr, am sonnigen Morgen des 30. September, wurde die Welt Zeuge eines blutigen Zwischenfalls, als eine junge Tibeterin über die Grenze fliehen und im Exil die Freiheit suchen wollte. Als 75 Flüchtlinge sich anschickten, den 5.716 m hohen vergletscherten Nangpala in der Nähe des Cho Oyu Base Camp unweit des Mt. Everest zu überqueren, feuerten die chinesischen Grenztruppen mit scharfer Munition auf die Gruppe und töteten dabei die 17jährige Kelsang Namtso aus dem Distrikt Driru, Präfektur Nagchu, „TAR“. Kunsang Namgyal, ein 20jähriger junger Mann aus Kardze, wurde von einer Kugel ins Bein getroffen, so daß er nicht mehr wegrennen konnte. Außer ihm wurden 32 weitere Tibeter, darunter 14 Minderjährige, von den Soldaten festgenommen und in das PSB-Haftzentrum von Shigatse gebracht. Der jüngste von ihnen war acht Jahre alt. Von den 75 Tibetern erreichten 41 (davon 27 Minderjährige unter 18 Jahren) Kathmandu, wo sie vom UNHCR in Obhut genommen wurden.

Aufgrund des großen internationalen Drucks und der ausführlichen Berichterstattung der Medien über diesen Vorfall, bei dem unbewaffnete Tibeter von chinesischen PAP-Grenzsoldaten beschossen wurden, erklärte das chinesische Außenministerium schließlich groteskerweise, die Grenzschutztruppen hätten nur aus Notwehr geschossen. Es bestätigte, daß mehrere Tibeter bei einem Grenzzwischenfall verletzt worden waren, bestritt jedoch, daß irgend jemand durch Schüsse ums Leben gekommen sei. Die Behörden behaupteten, eine Person sei wegen „Sauerstoffmangels“ im Krankenhaus gestorben. Die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua meldete, die tibetischen Flüchtlinge hätten, als sie von den Soldaten zur Umkehr aufgefordert worden seien, „dem Befehl keine Folge geleistet, sondern die Soldaten angegriffen, so daß diese gezwungen waren, sich zu verteidigen und dabei zwei Flüchtlinge verletzten“. Das Außenministerium stimmte der Version zu, daß jegliche Gewaltanwendung seitens der PAP aus Notwehr geschehen sei. Derartige Vorfälle gibt es immer wieder, aber dies war eines der seltenen Male, wo ausländische Bergsteiger Zeugen des Geschehens wurden.

Angesichts der Aussagen der Flüchtlinge und der ausländischen Augenzeugen, die durch eine Videoaufzeichnung belegt wurden, können sich die Chinesen der Verantwortung nicht mehr entziehen, eine unschuldige junge Tibeterin getötet zu haben. Jamyang Samten, ein Jugendlicher, dem es bei seinem zweiten Fluchtversuch gelang, Dharamsala zu erreichen, berichtete dem TCHRD, daß „die anderen jungen Leute und die Erwachsenen brutal geschlagen wurden, und daß einige Kinder, die nicht sogleich von ihren Eltern nach Hause geholt wurden, über drei Monate lang in Gewahrsam gehalten wurden“.

Das TCHRD ist tief besorgt um das Schicksal der drei festgenommenen Tibeter und der anderen neun, die nach der durch die Schüsse der chinesischen Grenzsoldaten ausgelösten Panik nicht mehr gesehen wurden. Die Regierung der VR China sollte sicherstellen, daß sie keiner Mißhandlung und Folter ausgesetzt werden, was in den von China verwalteten Haftzentren und Gefängnissen in Tibet gang und gäbe ist. Mit ihrem Vorgehen haben die PAP-Kräfte eine Reihe internationaler wie nationaler Gesetze verletzt. Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verfügt, daß „jedermann das Recht hat, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen“. Auch die Flüchtlingskonvention von 1951 gesteht rechtmäßigen Flüchtlingen dieselben Menschenrechte zu, wie sie alle übrigen Bürger des jeweiligen Landes genießen.

Das TCHRD bittet die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Louise Arbour, und den Menschenrechtsrat, sich für die körperliche Unversehrtheit und die baldige Freilassung der Festgenommenen aus chinesischer Haft einzusetzen. Es appelliert auch an die Regierung der VR China, den Tibetern zu ermöglichen, im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards friedlich und ohne Furcht vor Schikanen, Einschüchterung und willkürlicher Verhaftung ihre grundlegenden Menschenrechte wahrzunehmen. Das Zentrum wird die Situation weiter beobachten und die Öffentlichkeit über den Gang der Entwicklung informieren.