27. Oktober 2004
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P., India
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Rettet Tulku Tenzin Delek vor der Hinrichtung!

Presseerklärung

TCHRD, Mittwoch, 27. Oktober, 2004. Das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy - TCHRD (Tibetisches Zentrum für Menschenrechte und Demokratie) gibt heute eine achtseitige Broschüre mit dem Titel "Rettet Tulku Tenzin Delek vor der Hinrichtung!" heraus. Die Broschüre enthält eine Zusammenfassung von Hintergrundinformationen über Tulku Tenzin Delek, seine Inhaftierung und Verurteilung zum Tode, sein Gerichtsverfahren und seine Gefangenschaft, sowie Empfehlungen für ein weiteres Vorgehen. Falls das Todesurteil mit zweijährigem Aufschub vorher nicht aufgehoben wird, wird am 25. Januar 2005 die Vollstreckung des Urteils angeordnet werden.

Tulku Tenzin Delek ist ein populärer religiöser Lehrer aus der Provinz Sichuan in Osttibet. Am 2. Dezember 2002 hat der Mittlere Volksgerichtshof von Kardze Tulku Tenzin Delek und seinen Schüler Lobsang Dhondup wegen "Verursachens von Explosionen" und "Aufhetzung zu separatistischen Bestrebungen" zum Tode verurteilt. Der Tulku wurde mit einem Aufschub von zwei Jahren zum Tode und lebenslanger Aberkennung seiner bürgerlichen Rechte verurteilt, während die Todesstrafe an Lobsang Dhondup sofort vollstreckt wurde und ihm seine bürgerlichen Rechte lebenslang entzogen wurden.

Die Verhaftung und das Gerichtverfahren gegen Tulku Tenzin Delek und Lobsang Dhondup machen die Mißachtung grundlegender Menschenrechte der Tibeter und die Verletzung internationaler Rechtsnormen ebenso wie der nationalen Gesetze in China deutlich: Die willkürliche Natur der Festnahmen, der Mangel an ausreichenden und konkreten Beweisen für eine Verurteilung, das Fehlen jeglicher Unschuldsvermutung, die Anwendung von Zwangsverhören und die Folterung der Häftlinge, die Verweigerung des Besuchsrechts und des Rechtes der Angehörigen auf Information, das Fehlen einer angemessenen Verteidigung der Häftlinge vor Gericht, das nicht-öffentliche und unfaire Gerichtsverfahren, die willkürliche Verhaftung und Verurteilung von Verwandten und der unmittelbare Vollzug der Hinrichtung an Lobsang Dhondup - all diese Faktoren beeinträchtigen die Chancen auf ein faires Wiederaufnahmeverfahren gegen den Tulku. Die widersprüchliche Berichterstattung in den Medien über die Sprengstoffexplosionen bestätigt nur, daß die von den chinesischen Behörden erhobenen Vorwürfe frei erfunden sind.

Die Gerichtsverhandlungen gegen Tulku Tenzin Delek und Lobsang Dhondup waren nicht öffentlich, und der Richter verweigerte Tulku Tenzin Delek das Recht auf einen Verteidiger. Dieses Vorgehen hat wegen der Nichteinhaltung eines Mindeststandards von Fairness bei Gerichtsverfahren in China einen weltweiten Aufschrei hervorgerufen. Die chinesischen Behörden haben nicht nur versäumt, Informationen zu den Beweisen vorzulegen, die zur Verurteilung führen sollten, noch über die Art und Weise, wie sie zu derartigen Beschuldigungen gelangten; sie konnten überhaupt nicht beweisen, daß es eine Verbindung zwischen den Explosionen und Lobsang Dhondup oder Tulku Tenzin Delek und ihrer angeblichen Verschwörung gab.

Trotz aller Appelle an das Höhere Volksgericht in Sichuan, die Todesstrafe aufzuheben, hielt das Gericht an dem früheren Urteilsspruch fest und vollzog die Hinrichtung Lobsang Dhondups am 26. Januar 2003. Dieser Urteilsspruch ist ein Verstoß gegen Chinas eigenes Strafrecht, das besagt, daß nur das Oberste Volksgericht eine Revision von Todesstrafen vornehmen oder sie bestätigen darf. Artikel 48 des Strafrechts sieht vor, daß "abgesehen von den Urteilen, die vom Obersten Volksgericht selbst gefällt werden, alle Todesurteile diesem zur Billigung vorgelegt werden müssen. Todesurteile mit einem Vollzugsaufschub von zwei Jahren können von einem höheren Volksgericht entschieden oder bestätigt werden". Artikel 199 des Strafverfahrensgesetzes gewährleistet, daß "Todesurteile durch das Oberste Volksgericht genehmigt werden müssen", und Artikel 202 schreibt vor, daß die Revision von Todesurteilen durch das Oberste Volksgericht sowie die Revision von Todesurteilen mit zweijährigem Aufschub durch ein höheres Volksgericht von einem jeweils aus drei Richtern bestehenden Ausschuß durchgeführt werden muß.

Ebenso wie Chinas gesetzliche Bestimmungen und Definitionen im bezug auf Begriffe wie "Staatsgeheimnisse" und "Gefährdung der Staatssicherheit" vieldeutig sind, findet man auch Widersprüche in der chinesischen Gesetzgebung, was die Revision von Todesurteilen und deren Bestätigung betrifft. Die das Oberste Volksgericht betreffende Klausel im "Gerichtsverfassungsgesetz", daß nämlich die Autorität für die Revidierung und Bestätigung von Todesstrafen an höhere Provinzialgerichte delegiert werden kann, steht in krassem Widerspruch zum Strafrecht und Strafverfahrensrecht [entspricht der Strafprozeßordnung]. Einerseits wurden sowohl das Strafrecht als auch das Strafverfahrensrecht vom Nationalen Volkskongreß verabschiedet und stellen daher grundlegende nationale Gesetze dar, andererseits wurde das "Gerichtsverfassungsgesetz" über das Oberste Volksgericht vom ständigen Ausschuß des Nationalen Volkskongresses verabschiedet und ist daher ein gewöhnliches nationales Gesetz. Nach Ansicht eines Professors der Pekinger Universität ist "die Rechtskraft des letztgenannten Gesetzes geringer als die des vorgenannten. Es ist zweifellos nicht verfassungsgemäß, wenn ein gewöhnliches Gesetz angewandt wird, das gegen ein grundlegendes Gesetz verstößt".

In einer Antwort des chinesischen Außenministeriums auf eine offizielle Anfrage der Europäischen Union (EU) zu dem Fall Tulku Tenzin Delek wurde dem deutschen Außenministerium mitgeteilt, daß der Tulku "im Chuandong Gefängnis im Distrikt Dazu in der östlichen Provinz Sichuan gefangen gehalten wird und bei guter Gesundheit ist". Das chinesische Außenministerium ließ weiterhin verlauten, daß das aufgeschobene Todesurteil "von dem Tag an gerechnet werde, an dem das Urteil rechtskräftig wurde, und in ein milderes Urteil umgewandelt werden könnte". Da die Urteilssprüche am 26. Januar 2003 gefällt wurden, läuft die zweijährige Aufschiebungszeit für Tulku Tenzin Delek am 25. Januar 2005 ab. Artikel 51 von Chinas Strafrecht besagt, daß ein Todesurteil in eine lebenslange Gefängnisstrafe umgewandelt werden kann, "wenn während der Periode der Aufschiebung" kein vorsätzliches Verbrechen von dem Häftling begangen wurde und "wenn dieser in lobenswerter Weise einen echten Dienst leistet, die Strafe in eine festgesetzte Haftzeit von nicht weniger als 15 Jahren und nicht mehr als 20 Jahren abgemildert werden kann".

Die Regierung in Peking argwöhnt, daß es zwischen dem Dalai Lama, dem tibetischen Buddhismus und dem politischem Aktivismus in Tibet einen Zusammenhang gebe. Aus dieser Furcht heraus hat Beijing alles darangesetzt, die Herzen und Gemüter der Tibeter umzuwandeln, es stößt dabei jedoch seit Jahrzehnten auf störrischen Widerstand und Ablehnung seitens der Tibeter. Chinas Strategien, um den tibetischen Buddhismus auszurotten und den Einfluß des Dalai Lama unschädlich zu machen, reichen von der tatsächlichen Zerstörung religiöser Einrichtungen in Tibet zwischen 1949 und 1979 bis hin zu der "patriotischen Umerziehungs-Kampagne", die 1996 gestartet wurde, dem Verunglimpfungs-Feldzug gegen den Dalai-Lama, der seit 1994 offiziell betrieben wird, und dem Vorgehen gegen einflußreiche religiöse Persönlichkeiten wie Tulku Tenzin Delek, den verstorbenen Khenpo Jigme Phuntsok, den vor kurzem freigelassenen Geshe Sonam Phuntsok, Chadrel Rinpoche und den XI. Panchen Lama Gedhun Choekyi Nyima.

Im Gefolge von Chinas Paranoia hinsichtlich des vermeintlichen Einflusses des Dalai Lama und eines Wiederauflebens des Nationalismus bei den tibetischen Buddhisten sind populäre religiöse Personen in den letzten Jahren verdächtigt und intensiv überwacht worden. Mehrere der führenden Lamas Tibets sahen sich wegen ihrer vermeintlichen Verbindung zu "spalterischen" Aktivitäten und ihrer Loyalität zum Dalai Lama schier unüberwindlichen Hindernissen und der Verfolgung durch die chinesischen Behörden ausgesetzt. Die Festnahme und Verurteilung von Tulku Tenzin Delek läßt vermuten, daß charismatische und einflußreiche religiöse Persönlichkeiten in Tibet von den Behörden als Bedrohung empfunden werden - gerade wegen ihrer Fähigkeit, Respekt und Vertrauen unter der Bevölkerung zu gewinnen.

Es wird allgemein angenommen, daß Tulku Tenzin Delek durch die Beschuldigungen fälschlicherweise einer Mittäterschaft bei den Sprengstoffattentaten bezichtigt wird. Der Tulku ist ein entschiedener Befürworter der Wiederbelebung und Wiederherstellung der tibetischen Kultur und Religion und hat sich aktiv für Werke sozialer Wohlfahrt engagiert. Die steigende Popularität des Tulku wegen seiner ausgesprochenen Treue zum Dalai Lama und seiner zahlreichen sozialen Leistungen - dem Aufbau von sieben Klöstern, eines Altersheims und einer Waisenschule im Kreis Nagchuka (chin. Yaijing Xian) im heutigen Sichuan - waren der Auslöser für Chinas Sorge um die "nationale Sicherheit". Wie es heißt, habe der Tulku auch den Kandidaten des Dalai Lamas für das Amt des Panchen Lama unterstützt.

Angesichts der vielen Beweise, die dem TCHRD zugingen, ist es der festen Überzeugung, daß Tulku Tenzin Delek unschuldig ist und vor der Hinrichtung, lebenslänglicher Gefangenschaft oder auch vor einer zeitlich begrenzten Inhaftierung bewahrt werden sollte. Als Menschenrechtsorganisation verurteilt das TCHRD die Todesstrafe, weil sie die allergrausamste, unmenschlichste und entwürdigendste Bestrafung überhaupt ist und eine Verletzung des grundlegenden Rechtes auf Leben darstellt. Tulku Tenzin Deleks Verfahren ist sowohl aus juristischer Sicht unfair als auch ungerecht wegen des Fehlens jeglicher Beweise, die ein so hartes Urteil rechtfertigen würden. Daher ersucht das TCHRD die Regierung in Peking dringend, von einer Hinrichtung und lebenslanger Gefangenschaft Tulku Tenzin Deleks abzusehen und ihn bedingungslos freizulassen oder ihm zumindest eine angemessene Wiederaufnahme des Verfahrens unter fairen Bedingungen mit den üblichen Rechtsmitteln und einer ordentlichen Verteidigung zu gewähren.

Anmerkung: Kopien dieser Broschüre zum Verteilen und für Kampagnen können beim TCHRD, e-mail dsala@tchrd.org, angefordert werden.


Brief deutsch


Brief englisch

Ein vorgefertigter, einer urgent action der Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft (GSTF, www.tibetfocus.com) vom 24. November entnommener Appellbrief an die chinesische Botschaft in Bern auf Englisch und Deutsch kann von nebenstehendem pdf. ausgedruckt werden. Derselbe Brief kann natürlich auch an die Botschaft der VR China in Berlin gesandt werden:

S. E. Herrn Ma Canrong
Kanzlei der Botschaft der VR China,
Märkisches Ufer 54, 10179 Berlin
Fax: 030 2758 8221