23. September 2003
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
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Klosterschule von Ngaba Kirti geschlossen und ihr Sponsor verschwunden

Laut einer bestätigten Nachricht aus Tibet schlossen die chinesischen Behörden am 29. Juli 2003 die Klosterschule Kirti (tib. kirti nangten lobling), während Soepa Nagur, ihr Schirmherr, seit dem 31. Juli verschwunden ist.

Die Schüler im Alter von 7 - 20 Jahren sind bekümmert, weil sie nicht wissen, wie sie ihre schulische Ausbildung fortsetzen sollen. Viele sind nach Hause zurückgekehrt, während andere in das Kloster eingetreten sind, um dort das Studium der buddhistischen Philosophie aufzunehmen.

Offizielle Schliessung der Schule und Verschwinden ihres Hauptförderers

Gemäß der dem TCHRD zugegangenen Informationen wurde die Klosterschule Ngaba Kirti bereits im März 2002 kurzzeitig geschlossen, aber auf die wiederholten Bitten der Bevölkerung hin später wieder geöffnet. Diese Schule, die den lokalen chinesischen Behörden seit 1998 ein Dorn im Auge ist, wurde nun am 29. Juli offiziell geschlossen.

Als die Schule am 29. Juli die Schüler in die Ferien schickte, kamen Behördenvertreter dorthin, holten die chinesische Nationalflagge herab, die im Schulhof wehte, und erklärten die Schule offiziell für geschlossen. Da der Unterricht eigentlich am 20. August wieder beginnen sollte, erklärten sie den Schülern, sie sollten, falls sie weiterlernen wollten, von nun an die Bontse Schule (eine staatliche Gemeinschaftsschule in dem Landkreis) besuchen, und verboten ihnen, in ihre bisherige Schule zurückzukehren.

Am 31. Juli 2003 wurde Soepa Nagur, der Hauptförderer der Schule, nach Chengdu, Provinz Sichuan beordert, um dort die Schule betreffende Fragen zu besprechen. Von dort ist er aber nicht mehr zurückgekehrt. Man weiß nichts über seinen Verbleib, und die anderen Sponsoren sind um seine Sicherheit besorgt. Soepa Nagur ist ein großzügiger Geschäftsmann, der einen Teil seines geschäftlichen Gewinns für den Bau von Klöstern, für die Erhaltung der tibetischen Kultur und für Bildungsinfrastruktur ausgab. 1996 reiste er nach Indien, wo er an den Kalachakra-Belehrungen teilnahm. Damals hatte er auch eine Audienz beim Dalai Lama und traf den in Indien lebenden Kirti Rinpoche.

Hintergrundinformation über die Ngaba Kirti Klosterschule

Diese im Distrikt Ngaba (chin. Aba xian), Präfektur Ngaba, Sichuan, gelegene Schule wurde 1994 dank der großzügigen Spenden von Soepa Nagur eingerichtet. Anfänglich beherbergte sie über 300 Novizen, die von über 20 Lehrern unterrichtet wurden. Fast alle Schüler kamen aus armen ländlichen Gegenden, wo es keine Bildungseinrichtungen gibt. Diese Schule war ein Segen für die armen Bauern und Nomaden, die von ihren täglichen Einkünften gerade überleben können und für die Bildung ihrer Kinder nichts mehr erübrigen können. Die Einrichtung wurde immer populärer und Ende 1998 zählte sie an die 800 Schüler.

Die Schule wurde von dem Ngaba Kirti Kloster verwaltet, und die täglichen Geschäfte wurden von vier Tibetern (dem Rektor Choephel, dem stellv. Rektor Gedun Tenzin, dem ersten Zuchtmeister Tulku Jigme und dem zweiten Zuchtmeister Dakpa Jinpa) geführt. Der Lehrplan beinhaltete die Grundlagen der buddhistischen Philosophie und Dialektik, Geschichte, Astrologie, Grammatik, Poesie, Weisheitslehre, Gebete und tibetische Kalligraphie. Auch wurde eine Zeitschrift mit Titel "Choedhung", sowie ein Newsletter herausgeben. Gelehrte verschiedener Disziplinen pflegten als Gastlehrer zu kommen, um den Schülern eine breit gefächerte Bildung zu vermitteln. Schreibwettbewerbe, deren Gewinner in die Schule aufgenommen wurden, wie auch andere Aktivitäten wurden innerhalb des Verwaltungsbezirks organisiert.

Einmischung der Behörden in die schulischen Angelegenheiten

1998 machten die chinesischen Behörden erstmals ihrem Ärger über die Schule Luft und verlangten, daß in der Schule auch die chinesische Sprache und sozialistische Theorie gelehrt werden müssen. Sie legten ihr nahe, sich mit der Bontse Schule zusammenzuschließen und dem staatlichen Lehrplan zu folgen. Die Verwalter der Klosterschule Kirti widersetzten sich den Auflagen der Behörden, weil die Schule nur für Novizen sei und die Miteinbeziehung von Laienschülern die mönchische Lebensweise der Schüler beeinträchtigen würde. Einige der älteren Novizen sagten, sie würden die Schule verlassen, sollte sie mit einer anderen zusammengelegt werden.

Am 28. August 1998 gliederten die Behörden das Ngaba Kirti Kloster aus und übernahmen die Verwaltung der Schule, die sie in "Chathang Nubsang" Schule umbenannten. Die Übernahme wurde von Feierlichkeiten begleitet, bei denen hochrangige Behördenvertreter anwesend waren und die Schüler gezwungen wurden, die chinesische Nationalflagge zu hissen und die chinesische Nationalhymne zu singen. Der Unterricht der bisherigen Lehrer wurde eingeschränkt, vier chinesische Lehrer eingestellt und der Lehrplan neu gefaßt, so daß Chinesisch das Hauptfach geworden ist. Darüber hinaus wurde den Mönchs-Schülern im Oktober 2001 befohlen, statt ihrer Mönchsroben normale chinesische Schuluniformen zu tragen. Schüler, welche den bisherigen Namen der Schule auf ihre Hefte schrieben, wurden bestraft und die Artikel in dem Schulmagazin und dem Newsletter streng zensiert. Viele Schüler, die sich diesem Reglement nicht fügen konnten, gingen von der Schule.

Als sie 2002 schließlich mit der Bontse Schule fusioniert werden sollte, war keiner der Schüler bereit, dorthin zu gehen. Sie wurde daher aufgelöst, und besorgte Eltern und andere Leute aus der Gegend hielten eine Versammlung ab, bei der sie ihre Bedenken zum Ausdruck brachten. Durch einen Mittelsmann unterbreiteten sie diese der Regierung, wonach die Schule für eine kurze Zeit zur Normalität zurückkehren konnte. Als die Lage sich aber nicht besserte, zogen die Eltern ihre Kinder mit dem Kommentar, "ungebildet zu bleiben sei besser, als sinisiert zu werden", zurück.

Fazit: Die Washington Post berichtete am 19. September, die UN Sonderberichterstatterin für Erziehung, Catarina Tomasevski, habe die Bildungspolitik der Chinesen schwer kritisiert. Als sie nach zwei Wochen von Treffen und Interviews in Peking zu Reportern sprach, beanstandete sie, daß die Regierung die religiös ausgerichteten Schulen völlig verbiete und prangerte das System der willkürlichen Schulgebühren an, weshalb viele Familien sich in Schulden stürzen müßten.

Monastische Schulen waren in Tibet bisher das Rückgrat des Bildungssystems. Solche Schulen deckten immer das Bildungsbedürfnis der breiten Masse, welche das von der Regierung geforderte exorbitante Schulgeld nicht zahlen konnte. Die chinesische Regierung geht nun besonders gegen die monastischen Schulen vor, weil sie diese verdächtigt, "spalterische" Ideen zu lehren, wo ihr Lehrplan doch in Wirklichkeit auf tibetischer Kultur und buddhistischer Philosophie basiert. Die monastische Schule Ngaba Kirti ist die letzte dieser Reihe, die geschlossen wurde.

Das TCHRD macht sich große Sorge um das Schicksal der Schüler und den Verbleib und das Wohlergehen ihres Sponsors Soepa Nagur. Es appelliert an die chinesische Regierung, Auskunft über den Aufenthaltsort und das Befinden von Soepa Nagur zu geben und die Schule wieder zu öffnen, damit die auf dem traditionellen Lehrplan basierenden Studien weiter an ihr betrieben werden können.