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Januar 2005

Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P.
phone +91 1892 223363 / 229225, fax: +91 1892 225874, e-mail: dsala@tchrd.org, www.tchrd.org


Kapitel Entwicklung

Jahresbericht über Menschenrechtsverletzungen in Tibet 2004

C. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

China hat schon immer den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten mehr Bedeutung zugemessen als den bürgerlichen und politischen. Bezeichnend ist, daß China zwar das Internationale Abkommen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR)[1] ratifiziert hat, nicht jedoch das Internationale Abkommen über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR)[2]. Auf Grund der Ratifizierung des ICECSR ist China nunmehr verpflichtet, sich an die in diesem Abkommen vereinbarten Prinzipien zu halten.

Artikel 2(2) des ICESCR legt fest:

”Die Vertragsstaaten verpflichten sich, zu gewährleisten, daß die in diesem Pakt verkündeten Rechte ohne Diskriminierung hinsichtlich von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Status ausgeübt werden.”

Im Jahr 2003 erklärte die chinesische Regierung in Bezug auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte:

”Getreu ihrem Prinzip, den Menschen den Vorrang zu geben, hat die chinesische Regierung weitere Bemühungen zur umfassenden Entwicklung der städtischen und ländlichen Regionen, sowie der Wirtschaft und Gesellschaft allgemein unternommen, um auf diese Weise die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte des Volkes zu fördern”[3].

Trotz der Behauptung der chinesischen Regierung, diesen Grundsätzen getreu zu handeln, ist das TCHRD aufgrund von Ermittlungen und Nachrichten aus Tibet zu einer gegenteiligen Auffassung gekommen. Das TCHRD ist der festen Überzeugung, daß die Auswirkungen des Abkommens daran gemessen werden sollten, ob und inwieweit Einzelpersonen oder Volksgruppen wie etwa die Tibeter tatsächlich in den Genuß der durch das Abkommen garantierten Rechte kommen und ihre Meinung ohne Furcht vor Repressionen frei äußern können.

Die Verweigerung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte wie etwa des Rechts auf Unterricht in der eigenen Muttersprache, ebenso wie eine Politik, die mit Zwangsumsiedlungen einhergeht, zieht oft ganze Bevölkerungsgruppen in Mitleidenschaft. Menschenrechte sind erst dann wirklich umgesetzt, wenn die Menschen, um deren Rechte es geht, sich dieser nicht nur bewußt, sondern auch in der Lage sind, sie einzufordern und zu verteidigen. Es ist auch offensichtlich, daß dem Appell, etwas zur Verteidigung wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Rechte zu tun, eher Beachtung geschenkt wird, wenn die betroffenen Einzelpersonen oder Volksgruppen die Verbindung zwischen der Verweigerung ihrer Rechte und ihrer benachteiligten Existenz erkennen, und dann einen Rückbezug zu der grundlegenden und rechtlich verbindlichen Pflicht der Regierung herstellen können, die diese Rechte zu respektieren, zu schützen und umzusetzen hat.

Angeblich soll die Politik der chinesischen Regierung in Tibet der einheimischen Bevölkerung nutzen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Man muß sich ernsthafte Sorge machen, ob die Tibeter als ein Volk fortbestehen werden. Obwohl in Tibet durchaus die Entwicklung vorangetrieben wird und auch einige Erfolge zu verzeichnen sind, verhindert die vorrangige politische Bedeutung, die wirtschaftlichem Wachstum und Fortschritt beigemessen wird, daß irgend etwas von den Wohltaten des Fortschritts beim tibetischen Volk selber ankommt.

Überdies vernachlässigen ausländische Regierungen und multinationale Konzerne in ihrem Eifer, in Entwicklungsprojekte in Tibet zu investieren, weitgehend die Bedürfnisse und Interessen der dort lebenden Bevölkerung. Dieser Umstand trägt wesentlich zum verringerten Wachstum des Lebensstandards der Tibeter bei.

Die folgenden Kapitel über Entwicklung und das Recht auf Bildung[4] beleuchten, wie grundlegende Rechte verletzt werden, die im Internationalen Abkommen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR), bei dem auch China ein Vertragsstaat ist, verankert sind.

Kapitel 1: Entwicklung

  • Einführung
  • Entwicklung: Theorie und Praxis
  • Entwicklungsstrategie für den Westen (WDS)
  • Der Bevölkerungstransfer und seine Auswirkungen
  • Das Eisenbahnprojekt und seine Auswirkungen
  • Ökologischer Zustand: Fortschreitende Zerstörung
  • Umsiedlung und Vertreibung: Enteignung durch den Staat
  • Bodenschätze und Ressourcen: Der Staat als Ausbeuter
  • Weideland: Desertifikation
  • Chinas “menschliche Entwicklung” in Tibet
  • Die Mängel der Entwicklung
  • Erwerb des Lebensunterhaltes: Diskriminierung
  • Der Lebensunterhalt auf dem Land
  • Der Lebensunterhalt in der Stadt
  • Ineffizientes Gesundheitssystem
  • WTO und die Globalisierung: Wer hat etwas wovon?
  • Schlußbemerkungen

Einführung

Die Vereinten Nationen (UN) definieren das Recht auf Entwicklung als ein ”universales und unveräußerliches Recht, das als solches Teil des Gesamtkodex der grundlegenden Menschenrechte bildet”. Sie verstehen dabei Entwicklung als einen Prozeß, bei dem die ”Erfüllung der bürgerlichen und politischen Rechte und die Freiheit, sowohl am Entscheidungsprozeß als auch die Teilhabe am Erfolg der Entwicklung auf allen Gebieten teilzuhaben”, verwirklicht wird. Das Recht auf Entwicklung (UNDRD)[5] weist dem Menschen als solchem den zentralen Platz in der Entwicklung zu. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme – UNDP) definiert ”Entwicklung” als einen ”umfassenden Prozeß, der zur vollen Verwirklichung aller menschlichen Rechte und Grundfreiheiten führt”.

Das Recht auf Entwicklung steht grundsätzlich allen Völkern zu und leitet sich aus ihrem Recht auf Selbstbestimmung her. Der Art. 1.2 der Erklärung über das Recht auf Entwicklung garantiert die ”volle Verwirklichung des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung”, was, ausgehend von den Prinzipien der Gleichheit, Gerechtigkeit und sinnvollen Partizipation ”die Ausübung ihres unveräußerlichen Rechts auf die volle Souveränität über all ihren natürlichen Reichtum und ihre Ressourcen einschließt”. In seiner Rede von 1986 vor der UN-Vollversammlung konstatierte der chinesische Außenminister Wu Xueqian: ”Bei der Umsetzung der Ziele und Grundsätze der UN-Charta für die Achtung der Menschenrechte haben die zwei Verträge – das Internationale Abkommen über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) und das Internationale Abkommen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) – eine positive Rolle gespielt. Die chinesische Regierung hat diese Zielsetzungen und Grundsätze stets konsequent unterstützt”.[6] In beiden Verträgen ist das Recht auf Selbstbestimmung verankert.

Die VR China (PRC) ist einundzwanzig internationalen Menschenrechtsabkommen beigetreten bzw. hat sie ratifiziert, darunter auch den ICESCR, und in den meisten davon wird das Recht auf Entwicklung bestätigt. Den ICCPR hat China zwar 1999 unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Allerdings kommt es den aus den bereits ratifizierten Abkommen erwachsenden Verpflichtungen noch nicht ausreichend nach, insbesondere denen des ICESCR, dem Übereinkommen für die Rechte des Kindes und dem Übereinkommen gegen Folter. Nach der Wiener Erklärung von 1993 wurde das Recht auf Entwicklung wiederholt bekräftigt, etwa bei der Internationalen Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung in Kairo (Grundsatz 3 des Kairoer Aktionsprogramms), dem Weltgipfel für soziale Entwicklung in Kopenhagen, der Vierten Weltkonferenz für Frauen in Peking (Art. 213 der Pekinger Aktionsplattform, 1995) und dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg.

Die PRC betont, das ”Recht auf Leben und Entwicklung” sei das ”dringendste Bedürfnis des chinesischen Volkes”.[7] China sieht außerdem das ”Recht auf Lebensunterhalt als das wichtigste aller Menschenrechte an, ohne welches alle anderen irrelevant sind”.[8] Die Versorgung aller Chinesen mit dem Lebensnotwendigsten gilt als eine der größten Errungenschaften der chinesischen kommunistischen Revolution, wozu ”die Erhaltung der nationalen Unabhängigkeit und staatlichen Souveränität und das Freisein von imperialistischer Unterjochung”[9] grundsätzlich die Voraussetzungen sind. ”Erst wenn es keine Ausbeutung mehr gibt, die Produktion gesteigert wird und niemand mehr hungern und frieren muß, können die primären Rechte auf Leben und Entwicklung realisiert werden”.[10]

Auf dem dritten Arbeitsforum zu Tibet 1994 wurden die strategischen Schlüsselpositionen zur Beschleunigung der Entwicklung und zur Gewährleistung der sozialen Stabilität in Tibet formuliert. Seitdem gilt dieses Forum als Ausgangspunkt und als ein neuer Meilenstein für die Entwicklung Tibets. Die Verfassung Chinas und das Gesetz über ”Regionale Ethnische Autonomie” von 1984 enthalten Bestimmungen zur Autonomie Tibets in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Religion, Kultur, Handel, natürliche Ressourcen, Bildung usw. Chinas Weißbuch über ”Regionale Ethnische Autonomie” in Tibet, das vom Informationsbüro des Staatsrates am 23. Mai 2004 veröffentlicht wurde, hält fest: ”In den letzten vierzig Jahren hatte die Autonome Region Tibet in Übereinstimmung mit dem Gesetz volle Autonomie in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Basierend auf den tatsächlichen Gegebenheiten in Tibet hat sie den Zehnten Fünfjahresplan für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung erarbeitet und in die Tat umgesetzt. Sie führte ihre wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsprojekte in vollständiger Eigenständigkeit durch, und garantiert so einen schnellen und gedeihlichen Fortschritt und treibt die Modernisierung Tibets voran, ebenso wie die Entwicklung der Gesellschaft und Wirtschaft, und alles in Übereinstimmung mit den grundlegenden Interessen des tibetischen Volkes… Den Menschen in Tibet kommt diese Politik der Unterstützung und Hilfe direkt zugute”.

Die bei allen Äußerungen Pekings zu Tibet stereotyp wiederkehrende Aussage ist die ”entwicklungsorientierte und nutzbringende” Rolle der Chinesen in Tibet. Oftmals versuchte die chinesische Regierung, Kritik an ihrer Menschenrechtsbilanz zu entkräften, indem sie versicherte, das tibetische Volk habe durch die von ihr gebrachte Entwicklung ungeheuer profitiert. Peking betont, es würde durch seine Politik – unter Einhaltung der verfassungsmäßigen Garantien und der internationalen Bestimmungen, denen es verpflichtet ist – die wirtschaftliche und soziale Entwicklung beschleunigen und allen seinen Bürgern das Recht auf Entwicklung in gleicher Weise gewährleisten. Die Recherchen des TCHRD, bestätigt durch die Aussagen von Flüchtlingen und die Ergebnisse weiterer Nachforschungen zu Tibet, enthüllen jedoch ein bestimmtes Muster der systematischen Verletzung des Rechtes des tibetischen Volkes auf Entwicklung. Während China beansprucht, den wirtschaftlichen Rechten seines Volkes den Vorrang zu geben, betreibt es in Tibet eine Entwicklungspolitik, die sich weder um Menschenrechte noch um die Bedürfnisse der Bevölkerung schert.

Die Verletzung des Rechtes der Tibeter auf Entwicklung sollte im Zusammenhang damit gesehen werden, daß der Region absichtlich keine echte Autonomie gewährt wird, daß es eigentlich keine tibetische Partizipation gibt, und den Tibetern auf allen Ebenen die politische Entscheidungsmacht verweigert wird. Chinas Wirtschafts- und Entwicklungspolitik in Tibet wird nämlich von dem Hauptanliegen der Besatzungsmacht, nämlich der Aufrechterhaltung der Stabilität, bestimmt. Außerdem huldigt China bei seiner Entwicklungspolitik und deren Umsetzung dem Prinzip ”von oben nach unten”. Die Tibeter, welche die Hauptnutznießer der Entwicklungspolitik sein sollten, werden in ihrer Mehrheit marginalisiert und in allen Lebensbereichen diskriminiert.

China ist durch die Agenda 21 verpflichtet,[11] den Minderheiten bei politischen und strategischen Entscheidungen das Mitspracherecht zuzugestehen. Der Absatz 20.46 der Agenda 21 Chinas lautet: ”Es sollten Verfahren geschaffen werden, um nationalen Minderheiten und den Distrikten, in denen sie leben, die Mitwirkung an dem Prozeß der Formulierung einer geeigneten Politik und Strategie im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung, sowie deren Umsetzung auf staatlicher oder lokaler Ebene zu ermöglichen”.[12] In Wirklichkeit ist die Situation jedoch eine ganz andere, denn die Zentralregierung in Peking allein legt die Strategie fest und trifft alle Entscheidungen. Sie läßt der einheimischen Bevölkerung keinen Raum für eine Beteiligung und für eine eigenständige Beurteilung der geplanten Maßnahmen.

Durch die 1999 lancierte ”Entwicklungsstrategie für den Westen” (Western Development Strategy – WDS) soll die Entwicklung der westlichen Teile des Landes erfolgen. Schlüsselprojekte sind der Bau der Qinghai-Tibet-Eisenbahn, die Übertragung von Elektrizität und Erdgas von den westlichen Regionen des Landes in die östlichen, der Schutz der Wälder, Weidegründe und Flüsse, die Förderung der Grundschulen, der berufsorientierten Schulen und der höheren Bildung, die Einführung spezialisierter Anbaumethoden, der Abbau von Bodenschätzen, die Schaffung von touristischen Einrichtungen mit lokalem Kolorit, die Verbesserung der Infrastruktur in den großen Städten und schließlich die Ausweitung des digitalen Breitband-Datenübertragungsnetzes[13].

Peking setzt auf wirtschaftliches Wachstum und Entwicklung als Gegenmittel gegen den tibetischen Nationalismus. Seine Wirtschaftspolitik wird von dem Leitmotiv bestimmt, die tibetische Bevölkerung weiter auszudünnen und sie noch intensiver zu sinisieren. Sowohl das Vierte Arbeitsforum zu Tibet, das im Juni 2001 stattfand, als auch der zehnte Fünfjahresplan der TAR (2001-2005) befürworten für Tibet ein Entwicklungsmodell ”von oben nach unten”. Ungeachtet der Rechtslage und ihres Bekenntnisses zu echter Autonomie in Tibet hat die Regierung in Peking eine Wirtschaftspolitik für Tibet formuliert, die jegliche sinnvolle Mitwirkung der Tibeter ausschließt. Die Änderung des Gesetzes über ”Regionale Ethnische Autonomie” vom Februar 2001 besagt, daß die ”Entwicklung der ethnischen autonomen Regionen (so wie die TAR) nach den vereinheitlichten Plänen der Zentralregierung entsprechend der Nachfrage auf dem Markt erfolgen wird”. Mit all seinen wirtschaftspolitischen Entscheidungen und Bestimmungen verfolgt China vor allem den Zweck, Tibet durch ”vermehrte Zuwanderung und den Import von Ideen und Modellen aus China” in das Mutterland zu integrieren.

Mit ihrer Entwicklungspolitik, wie sie die chinesische Regierung in der tibetischen Region betreibt, verletzt sie viele ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen. Die Tibeter sind gerade infolge dieser regionalen Entwicklungsstrategie, die vielen Bedürfnissen ihrer Region zuwiderläuft, geradezu verarmt. Darüber hinaus erhalten die wesentlichen Prinzipien der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik, die von der WDS (Western Development Strategy) 1999 noch einmal bekräftigt wurden, viele der strukturellen Veränderungen, welche die meisten Tibeter in ihre jetzige Armutsfalle getrieben haben, aufrecht. Anlaß zu zusätzlicher Besorgnis gibt dabei, daß die chinesische Regierung zur Unterstützung der verschiedenen Aspekte ihrer Strategie um ausländische Hilfe und Investitionen wirbt[14].

Im Gegensatz zu den offiziellen Berichten über das rapide wirtschaftliche Wachstum, die Verbesserung der Lebensbedingungen und des Rechts auf Entwicklung sprechen die tatsächlichen Lebensumstände der Tibeter eine andere Sprache. Wie man es auch angeht, sind die Tibeter ausgesprochen arm, der Index für menschliche Entwicklung liegt sehr niedrig, sie werden systematisch vom Fortschritt ausgeschlossen, leiden Mangel in jeder Hinsicht und werden in allen Lebensbereichen diskriminiert.

Die großangelegte Entwicklung Tibets, genauer gesagt das Entwicklungsprogramm für den Westen, kommt nur selten den Tibetern vor Ort zugute. Von den für die Entwicklung des Westens bereitgestellten Geldmitteln profitieren im allgemeinen nichttibetische Unternehmen und han-chinesische Immigranten, oder sie dienen dem Bau von unproduktiver Infrastruktur und dem Abbau von Ressourcen. Durch neue Fernstraßen, Staudämme, Förderschäfte und Bohrturmtrichter werden die Naturschätze aus Tibet herausgeholt und zu diesem Zweck werden zig tausend Nicht-Tibeter als Arbeiter für die Großbaustellen angeheuert. Die Folgen sind enorme Umweltschäden und eine veränderte soziale Struktur, die am schlimmsten die einheimische Bevölkerung trifft[15].

Mehr jedoch als alle Entwicklung der Ressourcen ist die Entwicklung für die Menschen in Tibet wichtig. Das sogenannte Wirtschaftswachstum, das an der Mehrheit der Tibeter vorübergeht, konzentriert sich auf den staatlichen Sektor oder auf die ”harte Infrastruktur” wie Handel, Transport und Dienstleistungen, sowie auf die Verwaltung und den Parteiapparat. Die produktiven Sektoren wie Landwirtschaft, Bergbau und Industrie stagnieren oder wachsen viel langsamer als die Wirtschaft insgesamt. Da über 80% der tibetischen Bevölkerung Nomaden und Bauern sind, hat sie der Wirtschaftsboom an den Rand gedrängt. Dies führte zu großer Ungleichheit zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung, und in den urbanen Gebieten zwischen den zugewanderten Han-Chinesen und den einheimischen Tibetern.

Selbst nach 20 Jahren Bemühungen der Zentralregierung um die TAR, einschließlich großzügiger staatlicher Subventionen, ist diese immer noch eine der ärmsten Verwaltungseinheiten Chinas[16]. Eine systematische Diskriminierung in den Bereichen Beschäftigung, Gesundheit, Wohnung, Bildung und politischer Vertretung läßt die Tibeter nach wie vor nicht an der Entwicklung ihres eigenen Landes teilhaben. Die Diskriminierung, der sie ausgesetzt sind, und der permanente Zustrom von Han-Chinesen haben die Tibeter in ihrem sozialen Status abgewertet und an den Rand der Gesellschaft gedrängt.

Was die sozioökonomischen Verhältnisse und die Ausmerzung der Armut angeht, wird die tatsächliche Situation in Tibet durch übertriebene  Angaben über die wirtschaftliche Entwicklung und durch verfälschte Zahlenangaben über den gestiegenen Wohlstand entstellt. Gyaltsen Norbu, der frühere Vorsitzende der Autonomen Region Tibet, stellte 1997 fest: ”Wir sollten diesen ungesunden Hang zu Prahlerei und Übertreibung aufgeben und bei unserer Hilfeleistung für die Armen nicht länger die Wahrheit vor höheren Instanzen verbergen”.[17] Indem die Regierung Tatsachen leugnet, zensiert und verfälscht, verletzt sie das Recht der Menschen auf Information (chin. zhiqing quang) und verhindert, daß sich die Welt ein Bild von der tatsächlichen Lage machen kann.

Die Entwicklungspolitik der Chinesen hat daher ihren Zweck in Tibet verfehlt. Sie hat der einheimischen Bevölkerung keinen Nutzen gebracht, was auf verschiedene Faktoren zurückzuführen ist: den Einsatz der Volkswirtschaft als ein Mittel zur politischen Kontrolle; den Widerspruch zwischen dem, was offiziell geplant ist und dem, was in die Tat umgesetzt wird; das Entwicklungsmodell ”von oben nach unten”; die  auf ein schnelles Wachstum der urbanen Zentren ausgerichtete Strategie, deren einziges Resultat die Einkommensdisparität ist; den massiven Bevölkerungstransfer, der die Marginalisierung und Diskriminierung der tibetischen Bevölkerung zur Folge hat; die Verweigerung einer sinnvollen Partizipation für die Tibeter; die Mißachtung der Interessen der Lokalbevölkerung bei dem Entwicklungsprozeß und schließlich die Entstellung der Fakten durch fragwürdiges Zahlenmaterial.

Entwicklung: Theorie und Praxis

Sowohl der Prozeß der Entwicklung als auch das Recht auf Entwicklung sind undenkbar ohne Freiheit. Entwicklung wurde sogar gesehen als ”der Prozeß der Ausweitung der tatsächlichen Freiheiten, welche die Menschen genießen”.[18] Dieser Begriff von Entwicklung hat im Falle Tibets eine besondere Brisanz, wo die Tatsache, daß der tibetischen Bevölkerung keine Partizipation gewährt wird und ihr grundlegende Freiheitsrechte vorenthalten werden, zu einer Art Stagnation auf einem Entwicklungsstand und zum Verlust an Lebensqualität geführt hat.

In Chinas Weißbuch über regionale Autonomie wird behauptet, die Zentralregierung gewähre den Minderheiten bei ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung volle Autonomie. Im Sinne der ”Internationalen Konvention über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung” und der ”Erklärung über die Rechte von Angehörigen nationaler, ethnischer, religiöser und linguistischer Minderheiten” sind die einzelnen Staaten verpflichtet, die Rechte der ethnischen Minderheiten in jedem Bereich des Lebens – im politischen und wirtschaftlichen, im kulturellen und religiösen, im sozialen und im Bildungsbereich – zu schützen.[19] Die Vollversammlung der UNO erklärte, um eine soziale Entwicklung herbeizuführen, müßten die Mitgliedstaaten ”eine erneute Verpflichtung zu einer wirksamen, transparenten und verantwortungsvollen Regierungs- und Verwaltungsführung sowie zur Schaffung bürgernaher demokratischer Institutionen eingehen, die auf die Bedürfnisse der Menschen reagieren und sie befähigen, aktiv an der Entscheidungsfindung hinsichtlich der Prioritäten, Politik und Strategien teilzunehmen”.[20]

In den achtziger Jahren wurden zwei Entwicklungsmodelle für Tibet diskutiert. Das eine Modell der wirtschaftlichen Entwicklung legte nahe, daß die Tibeter entsprechend gut ausgebildet und motiviert werden sollten, damit sie in der Marktwirtschaft der TAR und im Rahmen des Modernisierungsprozesses eine führende Rolle übernehmen könnten. Eine solche Entwicklung würde zwar etwas moderater verlaufen, aber die Bürger der autonomen Minderheiten-Gebiete hätten in erster Linie den Nutzen davon, und sie könnten aktiven Anteil an dem Wirtschaftswachstum nehmen. Bei dem anderen Modell lag die Betonung auf rascher Entwicklung für Tibet, wobei allen Chinesen ohne Einschränkung Tür und Tor geöffnet wird. Folglich würden die Han-Chinesen, die hinsichtlich eines schnellen wirtschaftlichen Wachstums und Reformen mehr Erfahrung besitzen, besonders im Anfangsstadium die führende Rolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung spielen. Die Diskussion über diese zwei Alternativen fand Mitte der 80er Jahre ihr Ende, als China sich für das zweite Modell entschied.

Auf dem ”Dritten Arbeitsforum zu Tibet” von 1994 gab es insofern einen Paradigmenwechsel in Chinas Entwicklungspolitik für Tibet, als nun der Sicherheitskontrolle mittels wirtschaftlicher Entwicklung vorrangige Bedeutung beigemessen wurde. Der sozialdeterministischen Position im chinesischen Marxismus liegt die Auffassung zugrunde, daß Menschen, die eine höhere soziale Ebene erreicht haben, nicht mehr von Unabhängigkeitsgelüsten in Versuchung geführt werden.[21] Der frühere Parteisekretär der TAR, Chen Kuiyian, sagte: ”Wenn die Menschen erst einmal durch die wirtschaftliche Entwicklung reich geworden sind, haben sie kein Interesse mehr, das Land zu spalten”.[22] Auch im Bericht des ”Vierten Arbeitsforums” vom Juni 2001 wird betont, daß es ohne ”Stabilität” keine wirtschaftliche Entwicklung geben könne.

1980 besuchte der damalige Generalsekretär der KPC, Hu Yaobang, Tibet. Er gab offen zu, daß die chinesische Herrschaft in Tibet mehr Schaden als Nutzen angerichtet hatte. Er sagte, den Tibetern müßte das eigene Handeln ermöglicht werden, indem ihnen die Entscheidungsmacht zurückgegeben und die Anzahl der chinesischen Kader verringert werde. Bedauerlicherweise kehrte Peking bald wieder zu seinem alten Entwicklungsmuster für Tibet zurück. Nach Pekings Logik mangle es Tibet an ”qualitativen Humanressourcen”, weshalb die Chinesen das Vorrecht hätten, den Tibetern Entwicklung und Fortschritt zu bringen.[23] China fährt fort, seine Fachkräfte und Leute mit Pioniergeist nach Tibet zu bringen, damit sie bei der Entwicklung der tibetischen Wirtschaft Hilfestellung leisten.

Eine Reihe von wirtschaftlichen Reformen wurden eingeführt, um Han-Chinesen, die ihr Glück in der TAR versuchen wollen, die Einwanderung zu erleichtern – etwa die Vereinfachung der Registrierungsverfahren für Han-Unternehmer, flexiblere Bedingungen für chinesische Fachleute und die Ernennung Lhasas zu einer Sonderwirtschaftszone.[24] Das Resultat war ein gewaltiger Zustrom nicht-tibetischer Wanderarbeiter und Geschäftsleute. Heutzutage sind die meisten Bürger Lhasas Han-Chinesen, wobei der Trend in anderen Städten in dieselbe Richtung geht.

China machte große Worte über die Partizipation der Tibeter, die Übertragung politischer Entscheidungsmacht und die Bedeutung echter Autonomie, aber in Wirklichkeit werden die Tibeter vollkommen übergangen. An der Markwirtschaft in ihrem Lande dürfen sie keinen Anteil nehmen, denn sie untersteht praktisch der unmittelbaren Oberaufsicht der VR China und wird von ihr dirigiert. Seit das Entwicklungsprogramm für den Westen 1999 lanciert wurde, hat China die natürlichen Ressourcen Tibets kontinuierlich zu seinem eigenen Vorteil ausgebeutet und Kohle, Erdöl, Erdgas und andere Bodenschätze in die Industriezentren in der östlichen Küstenregion abgeleitet. Die größten Gewinne haben die in der Region lebenden chinesischen Zuwanderer eingesteckt und nicht die einheimische Bevölkerung, womit ”die Kluft zwischen arm und reich”, wie es in einem Artikel in ”USA Today” vom 19. September 2003 heißt, ”größer geworden ist als je zuvor ” .[25]

Die chinesischen Behörden haben den leichtesten Weg für die Entwicklung Tibets gewählt, der zugleich auch der destruktivste ist. Im Grunde genommen bedeutet dies eine gewaltige Investition in den administrativen Sektor, während gleichzeitig eine riesige Anzahl chinesischer Siedler unterhalten werden muß, die von staatlicher Unterstützung lebt. Umgekehrt werden die natürlichen Ressourcen Tibets, wie Holz, Erdöl und Erdgas, Bodenschätze und Elektrizität, aus dem Lande befördert und der chinesischen Industrie außerhalb Tibets zugeliefert, womit diese und der Staat zu den Hauptnutznießern der tibetischen Naturschätze geworden sind.

Aus der Perspektive der menschlichen Sicherheit verschiebt sich der Schwerpunkt im Entwicklungsdiskurs und in der Entwicklungspolitik von nationalistischen Zielen auf die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse der Menschen. Es sollten Daseinsverhältnisse geschaffen, in denen die menschliche Würde, zu der eine vernünftige Teilhabe am Leben der Gemeinschaft gehört, Verwirklichung findet. Man kann jedoch deutlich feststellen, daß Pekings Entwicklungspolitik für Tibet aufgrund seiner hohen Sicherheitsinteressen in der TAR nur die Anliegen der Zentralregierung vertritt – was der Erfüllung der Entwicklungsbedürfnisse des tibetischen Volkes diametral entgegengesetzt ist.

Das chinesische Entwicklungsmodell und die ihm zugrunde liegende Logik basieren auf chinesischen Erfahrungen und Verhältnissen und setzen voraus, daß die Verfahren und Gegebenheiten im ganzen Land die gleichen sind.[26] Infolgedessen läßt ein solches Modell die Möglichkeit, daß unterschiedliche soziale und natürliche Bedingungen in Tibet bei der Festlegung des Modells und der Art der Entwicklung ebenfalls von Wert sein könnten, völlig außer Acht.

Entwicklungsstrategie für den Westen (WDS)

Der westliche Teil Chinas umfaßt einschließlich Tibets zehn Autonome Regionen und Provinzen und einen Bezirk (municipality). Im Juni 1999 lancierte Chinas früherer Präsident Jiang Zemin offiziell die ”Entwicklungsstrategie für den Westen” (chin. xibu da kaifa), mit der die Regierung den Zweck verfolgt, das Mißverhältnis zwischen den Küsten- und den inneren Regionen Chinas auszugleichen[27] und eine allgemeine und ökologisch nachhaltige Entwicklung der westlichen Regionen des Landes in Gang zu setzen. Dieses Programm hat fünf Hauptkomponenten – Infrastruktur, Umweltschutz, Neuausrichtung des industriellen Sektors, Förderung von Wissenschaft, Technik und Bildung, und außerdem wirtschaftliche Reformen und eine Politik der offenen Tür.

Weltpolitisch gesehen, erfolgte der Start der WDS etwa zeitgleich mit dem erfolgreichen Kampf Osttimors um Selbstbestimmung und der Intervention der NATO im Kosovo. Jiang Zemin betonte stets die enge Beziehung zwischen dem WDS und der nationalen Einheit und der sozialen Stabilität in Tibet. Der chinesische Volkswirtschaftler Hu Angang äußerte sich in ähnlicher Weise: ”Das schlimmste Szenario, das wir uns aber bemühen zu vermeiden, ist, daß China wie Jugoslawien in Stücke zerbricht. Die [wirtschaftliche] Disparität zwischen den einzelnen Regionen ist bereits genauso groß – oder gar noch größer – als sie in Jugoslawien vor seinem Zerfall war”. Es ist also ganz deutlich, daß auch die WDS eine politische Komponente hat, nämlich die Wahrung der Stabilität und die Integration der widerspenstigen Regionen im Westen Chinas.

Durch das Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft kam es in der Praxis zu einer Vermehrung des urbanen Reichtums in Tibet, was die Armutsschere zwischen Stadt und Land nur noch vergrößerte. Darüber hinaus wurde die Produktion auf dem Primär- und dem Sekundärsektor angekurbelt, während dem wachsenden Bevölkerungsanteil der chinesischen Immigranten in der Region die Kontrolle der Wirtschaft zufiel. Robert Barnett, ein Tibet-Spezialist und Dozent für Neueste Geschichte an der Columbia Universität New York, nannte diese Wirtschaftspolitik eine ”Rückkehr zu den Methoden einer Planwirtschaft, die sozial-politische Resultate zu erzielen hat”.

Die zwei politisch renitentesten Regionen im Westen Chinas, Tibet und Xinjiang, sind zugleich die von Peking entferntesten. Es wurde für China äußerst wichtig, seine Kontrolle über diese Regionen zu festigen und sie zu stabilisieren. Die Globalisierung sowie strategische und militärische Erwägungen wirkten als ein weiterer Ansporn. Peking meint, durch wirtschaftliche Entwicklung und ein leistungsfähiges Transportnetz seien alle ”nationalen Probleme” zu lösen und die Kontrolle zu konsolidieren. Doch im Namen der Aufrechterhaltung der Stabilität verletzen die Behörden viele grundlegende Menschen- und die Freiheitsrechte des tibetischen Volkes.

Chinas wirtschaftliche Revolution, die bereits den Osten des Riesenreichs völlig veränderte, bewegt sich nun westwärts. Sie bringt internationales Kapital und Technologien in einem in diesen entlegenen Regionen noch nie gesehenen Ausmaß mit sich. Ihr Objekt sind die natürlichen Ressourcen Tibets –der Goldstaub, der sich im Bett der ausgetrockneten Seen befindet, die Lager mit Kupfer, Zink und anderen Bodenschätzen und die reichen Öl- und Erdgasfelder. China beutet diese Ressourcen aus, um seine eigenen nationalen Entwicklungsziele zu verfolgen – Ziele, die dem Volk der Tibeter fremd sind.[28] So waren auch die zu erwartenden wirtschaftlichen Gewinne aus den westlichen Regionen mit ein Grund für den Start der WDS. Die Rolle der westlichen Regionen ist wesentlich die von Rohstofflieferanten, mit dem Ziel durch den Transfer der Ressourcen von West nach Ost die Entwicklung in den zentralen und östlichen Regionen zu beschleunigen.

Peking beschreibt die WDS als ein Entwicklungsmodell für Tibet, das Stadien der Entwicklung überspringt, weshalb die Regierung der Region besonderen Beistand leistet, damit sie ihre Rückständigkeit überwinden kann.[29] Dieses Ziel scheint jedoch nicht einfach zu erreichen sein, da Investitionen in die örtliche Land- und Viehwirtschaft, sowie in die weiche Infrastruktur, wie Gesundheitswesen, Bildung, Beschäftigung und Partizipation der Einheimischen, leider keine Priorität genießen. Kaum etwas der großzügigen Entwicklungshilfe erreicht die achtzig Prozent der auf dem Land lebenden Tibeter. Die WDS konzentriert sich auf Investitionen in ”harte Infrastruktur”, also in Fernstraßen, Eisenbahnstrecken, Pipelines, Abbau von Bodenschätzen, Bau von Staudämmen, Kraftwerken und Bewässerungsanlagen.

Die Wohltaten der WDS kommen nicht der großen Mehrheit der tibetischen Landbevölkerung zugute. Sie erreichen eher den urbanen Sektor und sind eine Quelle neuer Arbeitsplätze geworden, was wiederum zu einer größeren Einkommensdisparität zwischen chinesischen Zuwanderern und einheimischen Tibetern führte. Wesentlich wäre, daß diese Entwicklung, welcher Art auch immer sie sein mag, vorrangig dem Aufbau von Kapazitäten bei den Tibetern gelte. Chinas Politik des Bevölkerungstransfers unter dem Vorzeichen der Entwicklung macht die Marginalisierung der Tibeter aber noch schlimmer und birgt die Gefahr, daß das Wesen der tibetischen Kultur und Identität schließlich völlig untergeht.

Lama Dorjee, ein 38-jähriger Bauer aus dem Dorf Bugod, Distrikt Gonjo, Präfektur Chamdo, berichtete dem TCHRD über die Auswirkungen, die der Straßenbau in seiner Heimatgegend hatte:

”Im April 2004 begannen die chinesischen Behörden über eine Strecke von 120 km Länge mit dem Ausbau der bereits vorhandenen Piste zur Landstraße. Die Bauern machen sich deswegen große Sorgen, denn die Straße wird quer durch ihre Äcker verlaufen. Viele von ihnen haben bereits ihr Land verloren. Trotzdem haben die meisten zuviel Angst, um in dieser Sache bei den Behörden vorstellig zu werden. Die etwa 400 Bauernfamilien im Distrikt Gonjo haben sich viele Generationen lang vom Ackerbau ernährt. Sie bauten Getreide, Senf, Bohnen, Kartoffeln usw. an. Eigentlich wird die Straße nur ausgebaut, um das geschlagene Holz abtransportieren zu können. In der Gegend Sa-ngan Med des Distrikts Gonjo gibt es viele Bäume. Der Straßenbau erleichtert den Chinesen den Holztransport. Sie haben schon 30 % des Baumbestands abgeholzt, und wenn die Landstraße fertig ist, können sie sich den Rest auch noch mühelos holen”.[30]

Chinas WDS steht im Spannungsfeld einer bedeutenden zweifachen Herausforderung, nämlich einmal der Festlegung von Richtlinien und zum anderen ihrer Umsetzung. Dies macht sich erstens bei den Entscheidungsprozessen in der politischen “Zentrale” selbst, das heißt, durch Spannungen zwischen den daran beteiligten Eliten und den verschiedenen zuständigen Behörden bemerkbar, und zweitens an den Spannungen zwischen der Zentrale und den lokalen Behörden, wenn es um die Umsetzung der WDS geht. Insgesamt beeinträchtigen diese Spannungen die Effizienz, Konsistenz und Kohärenz dieser jüngsten regionalen Entwicklungsinitiative Chinas. Seit dem offiziellen Start der WDS 1999 versuchte die Regierung, die Entscheidungsfindung, Grundsatzüberprüfung, Verwaltung und die  Evaluation der Projekte der WDS vermittels eines dreistufigen Kernmodells zur Entscheidungsfindung zu institutionalisieren.[31]  Im Kernbereich werden Politik und Strategien der WDS formuliert, ohne die Tibeter nach ihren Bedürfnissen und Wünschen zu fragen. Die wichtigste und notwendigste Vorbedingung für den Erfolg der WDS in Tibet wäre aber die aktive Mitwirkung der Tibeter selbst. Gegenwärtig sind sie jedoch nicht frei, auszusprechen, was sie denken. Die sonst üblichen Methoden der Konsultation, Begutachtung und Auswertung werden deshalb in den tibetischen Gebieten solange nicht verläßlich funktionieren, wie die Tibeter die Allgegenwart der Staatsmacht fürchten müssen und ihre Meinung nicht offen ausdrücken können.[32]

In einem Land, in dem die freie Meinungsäußerung dermaßen eingeschränkt ist wie in Tibet, hat die Bevölkerung kein Mitspracherecht und keinen Anteil an den politischen Entscheidungen, die ihre Entwicklung und ihre wirtschaftlichen Rechte betreffen. Ein ehemaliger Entwicklungshelfer erklärte dem Tibet Information Network (TIN) gegenüber, Chinas Entwicklungspolitik komme wie ”aus heiterem Himmel”. Wörtlich: ”Diese Politik ist nur die jüngste in einer Reihe von zentral gesteuerten Initiativen und wie gewöhnlich ist der Input der Lokalbevölkerung gleich Null”.[33] In diesem Zusammenhang schließt die von oben nach unten konzipierte Strategie, die eher politisch als entwicklungsorientiert ist, die einheimische Bevölkerung der westlichen Regionen von der Beteiligung an der Gestaltung ihrer Umwelt und der Entwicklung ihrer Wirtschaft praktisch aus. Die WDS hat deswegen dabei versagt, den Tibetern eine angemessene Entwicklung zu bringen, die so dringend nötig wäre.

Bevölkerungstransfer: Auswirkungen

Bevölkerungstransfer wird definiert als die ”Bewegung von Menschen als Folge politischer und/oder wirtschaftlicher Prozesse, für welche die Regierung eines Staates oder vom Staat autorisierte Organe verantwortlich sind”. Bevölkerungstransfer wurde verurteilt als ”prima facie” illegal und als eine Reihe von Rechten verletzend, die in Menschenrechtsnormen und im humanitären Völkerrecht zugesichert werden – sowohl die Rechte der Zwangsumgesiedelten selbst als auch die der sie aufnehmenden Bevölkerung”.[34] Artikel 49 der Vierten Genfer Konvention bestimmt, daß ”die Besatzungsmächte nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihnen besetzte Territorium deportieren oder transferieren dürfen”. Der UN-Sonderberichterstatter für Bevölkerungstransfer stellte in seinen Berichten ebenfalls fest, daß Bevölkerungstransfer eine Verletzung der grundlegenden Prinzipien der vertraglich vereinbarten und gewohnheitsrechtlichen internationalen Menschenrechtsgesetze darstellt”.

Während sich das Völkerrecht im Hinblick auf Bevölkerungstransfer in erster Linie mit den Rechten der von dem Transfer betroffenen Personengruppen beschäftigt, wurde ebenso klargestellt, daß Bevölkerungstransfer in keiner Weise politisch ausgenutzt werden darf, so daß Identität, Kultur und Lebensunterhalt einer Minderheitengruppe, in deren Siedlungsgebiet die Menschen angesiedelt werden sollen, bedroht sind.

Chinas Volkszählung von 2000 zufolge hat das Land eine Bevölkerung von 1,26 Milliarden, die sich auf 31 Provinzen und Bezirke (municipalities)und Autonome Regionen verteilt. Etwa 38,9% davon wohnen im östlichen Teil des Landes und 28,1% im westlichen (Innere Mongolei, Guangxi, Sichuan, Chongqing, Guizhou, Yunnan, Tibet, Shaanxi, Gansu, Qinghai, Ningxia und Xinjiang). Die Einwohnerzahl der einzelnen Provinzen variiert zwischen 92,56 Mio. in Henan, 90,79 Mio. in Shangdong, 86,42 Mio. in Guangdong und 5,18 Mio. in Qinghai und 2,62 Mio. in Tibet.

Chinas Politik, Tibet mit Menschen nicht-tibetischer Herkunft zu besiedeln, stellt die allergrößte Gefahr für das Überleben Tibets dar. Der Dalai Lama erklärte am 3. Dezember 1996 in einem Interview mit der Internationalen Juristenkommission in Dharamsala: ”Die schlimmste Bedrohung für das Überleben der tibetischen Kultur und seiner nationalen Identität ist gegenwärtig Chinas Programm des Bevölkerungstransfers, wodurch die Tibeter in alarmierendem Tempo zu einer unbedeutenden Minderheit in ihrem eigenen Land reduziert werden”.

Die chinesische Regierung hat konsequent alle Behauptungen zurückgewiesen, sie betreibe eine Politik des Bevölkerungstransfers nach Tibet. Doch amtliche Verlautbarungen und sonstige Beweise bestätigen, daß der immer größer werdende Zustrom von Chinesen in tibetische Gebiete auf die Politik der Regierung und ihre Sonderprogramme zum Transfer von Chinesen zurückzuführen ist, vorrangig sollten Kader und Fachleute angesiedelt werden, aber auch ganz normale Leute. Im Laufe des letzten Jahrzehnts und besonders seit 1992 hat der Staat mittels administrativer, wirtschaftlicher und infrastruktureller Maßnahmen die Migration von Chinesen, sogar von nicht gelernten Arbeitern und Hilfskräften, nach Tibet erleichtert und weiterhin begünstigt. [35]

Das Dritte Arbeitsforum zu Tibet bestätigte 1994 offiziell die Politik des Bevölkerungstransfers. Gyaltsen Norbu, der damalige Vorsitzende der TAR, bekannte sich zu dieser Politik, als er sagte, man müsse ”über verschiedene Kanäle qualifiziertes Personal nach Tibet holen und eine gewisse Anzahl von Fachkräften hierher bringen”.[36] Im Juni 2001 teilte das Vierte Arbeitsforum zu Tibet 10.000 Kader in Arbeitsgruppen für Ackerbau- und Nomadengebiete ein, um die Organisation der Partei an der Basis neu auszurichten und effizienter zu gestalten.[37] Im Juni 2002 berichtete die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua von der Verabschiedung einer neuen Politik, der zufolge mehr Regierungskader, Soldaten und qualifiziertes Personal nach Tibet und in die anderen Regionen des Westens entsandt werden, um dort die Entwicklung voranzutreiben.

Über die Jahre hat die Regierung unzählige chinesische Migranten in die westlichen Regionen des Landes und auch nach Tibet gelockt, indem sie ihnen Beschäftigungsmöglichkeiten, höhere Löhne und Pensionen, Lockerung bei der Familienplanung, sowie verschiedene Zulagen und finanzielle Anreize bot. Die nachsichtigere Handhabung des ”Haushalts-Registrierungs-Systems” (houkou) und die zahlreichen riesengroßen Infrastruktur-Projekte in der Region Tibet lockten noch viel mehr chinesische Siedler ins Land. Viele Tibeter schreiben es dem ungehemmten Zustrom nicht-tibetischer Wanderarbeiter zu, daß sie ohne Arbeitsplatz sind oder diesen verloren haben. Auch Experten wie Goldstein, Arthur Holcombe und andere machen Chinas gegenwärtige Entwicklungspolitik für den gewaltigen Zustrom chinesischer Immigranten verantwortlich.

China wird auch vorgeworfen, die tatsächliche Anzahl der Chinesen in Tibet durch ”bewußte Fehlinformation und Vorenthaltung von Informationen” oder dadurch zu verschleiern, daß die fluktuierende chinesische Bevölkerung von der Registrierungspflicht entbunden wird[38]. Unter Ausklammerung der nichtregistrierten fluktuierenden Bevölkerung und der PLA (Volksbefreiungsarmee), die auf 100.000 bis 300.000 Mann geschätzt wird, – beide bleiben in den Zensus-Statistiken unberücksichtigt – erklärte die Regierung, die Bevölkerung der TAR weise weit über 90 % Tibeter auf.[39]

Der Bevölkerungstransfer hat große Auswirkungen auf den Entwicklungsprozeß der Tibeter gehabt. Die Regierung erachtet diese Politik als von zentraler Bedeutung für die Integration Tibets in die chinesische Wirtschaft. Die Tibeter ihrerseits werden allerdings im Hinblick auf den Zugang zum Erwerb von Grund und Boden, Nahrungsmitteln und zur Beschäftigung dermaßen diskriminiert, daß sie sogar in ihrer Existenz selbst bedroht sind. Sie werden zu einer Minderheit in ihrem eigenen Land, sie sind ausgeschlossen von einer effektiven Partizipation, und die sogenannte Entwicklung geht an ihnen vorbei. Die von China finanzierten Infrastrukturprojekte verfolgen in erster Linie den Zweck, ”die Niederlassung von Chinesen voranzutreiben, militärischen Zielen zu dienen und den Abbau der Ressourcen zu beschleunigen”.

Die Politik des Bevölkerungstransfers hat tiefgreifende Auswirkungen. Erstens kann die Ökologie Tibets in keiner Weise einen so gewaltigen Zustrom von Menschen verkraften, besonders wenn diese das für chinesische Städte typische Konsumdenken mitbringen. Bisher wurden noch keine Berechnungen angestellt, wie viele Menschen das Hochplateau überhaupt aushalten kann, ohne zerstört und überlastet zu werden. Zweitens bedeutet die chinesische Entwicklungsaktivität auch, daß das tibetische Volk nicht bloß zu einer Minderheit in seinem eigenen Land wird, sondern zu einer marginalisierten, ausgeschlossenen, unterdrückten und politisch nicht repräsentierten Minderheit. Drittens bedroht die Degradation der Umwelt Tibets die Gesundheit und das Wohlergehen von 85 % der Bewohner Asiens, die, was ihre Wasserversorgung betrifft, vom tibetischen Hochplateau abhängen.[40]

Die Inbetriebnahme der Eisenbahnlinie von Qinghai nach Tibet wird die Migration von Chinesen nach Tibet weiter beschleunigen. Der Ausschuß für Umwelt und Entwicklung (Environment and Development Desk, EDD) der Abteilung für Information und Internationale Beziehungen (DIIR) der tibetischen Regierung im Exil äußert sich in seinem Bericht ”Environment and Development in Tibet: A Crucial Issue” zutiefst besorgt über den gewaltigen Bevölkerungsdruck, der in Lhasa und den umliegenden Gebieten zu erwarten ist, wenn die Eisenbahn einmal die Hauptstadt erreicht hat. Derselbe Bericht erwähnt auch, daß die TAR-Behörden vorhergesagt hätten, die Stadt Lhasa würde sich in den nächsten 15 Jahren von ihren derzeitigen 53 qkm Fläche auf 272 qkm ausdehnen. Daraus ist Pekings Absicht ersichtlich, noch mehr Menschen aus China nach Tibet umzusiedeln.

Um den Entwicklungsprozeß in Tibet noch mehr zu beschleunigen, arbeitet China nun mit dem United Nations Development Programme (UNDP) zusammen: Tausende von qualifizierten Kräften sollen für die verarmten westlichen Regionen ausgebildet werden. Im Zeitraum von 2002-2004 führte China gemeinsam mit dem UNDP Untersuchungen durch und hielt Seminare und 57 Spezialkurse ab, um insgesamt 1.050 Personen im eigenen Land und 345 in anderen Ländern auszubilden.[41] Ebenfalls ist die Einladung von 29 Experten aus dem Ausland geplant. Personal, das sich permanent niederläßt, wird als sehr wichtig erachtet, aber auch die Förderung von Talenten, die nur vorübergehend in den Regionen bleiben, gilt als eine gute Strategie.[42]

Viele der Migranten in die westlichen Regionen und nach Tibet sind allerdings keine ”hochqualifizierten” Fachleute. Sie sind Händler, Bauern, Kader und Verwaltungsleute, die mit den Tibetern unmittelbar um ihre wirtschaftlichen Chancen konkurrieren und in vielen Fällen auch gewinnen. Tibet gilt als eine politisch sehr brisante Region, in der friedliche Demonstrationen für seine Unabhängigkeit bei den Pekinger Behörden häufig große Beunruhigung im Hinblick auf die Stabilität der politischen Lage hervorrufen. Um die Kontrollmechanismen zu verstärken, werden daher Soldaten und Angehörige der paramilitärischen Polizei unter den Migranten zu den Handlangern eines ausgefeilten ”staatlichen Apparates von Kontrolle und Strafe” gemacht.

In dem Maße, wie die chinesischen Behörden die Kontrolle über die Wirtschaft gewinnen, wird Chinesisch immer mehr zur gängigen Sprache im Geschäftsleben und in der Verwaltung. Tibetisch ist zu einer Minderheitensprache geworden und wurde sogar im Bildungssystem auf den zweiten Platz verwiesen. Im Bildungswesen, das eigentlich ein maßgebliches Instrument zur Erhaltung der Kultur sein sollte, wird die einheimische Bevölkerung benachteiligt. Diskriminierende Praktiken - eine Konsequenz des massiven Bevölkerungstransfers - drängen die tibetische Sprache zurück und beeinträchtigen nicht nur die Beschäftigungschancen für Tibeter, sondern auch ihre eigentliche kulturelle Identität.

Das Eisenbahnprojekt und seine Auswirkungen

1994 erörterten Spitzenfunktionäre in Peking das Projekt, Lhasa, das Herz Tibets, mit dem übrigen China durch eine Eisenbahn zu verbinden. Während des Neunten Fünfjahresplans (1996-2000) wurden Untersuchungen zum Streckenverlauf und Machbarkeitsstudien für eine Eisenbahn nach Lhasa durchgeführt. Im Rahmen des Zehnten Fünfjahresplans (2001-2005) wurden die Gelder zum Bau der Eisenbahnlinie von Gormo nach Lhasa zugeteilt.[43] Neben der Eisenbahn wurden drei weitere Projekte als vorrangig eingestuft: der Erdgastransfer von West nach Ost, die Elektrizitätsübertragung von West nach Ost und die Wasserumleitung von Süd nach Nord.

Im Neunten Fünfjahresplan stellte China Mittel für eine Reihe von Studien über die Durchführbarkeit des Eisenbahn-Projektes bereit. Das ”Survey and Design Institute I” des chinesischen Eisenbahn-Ministeriums wurde beauftragt, Pläne für die Strecke Gormo-Nagchu-Lhasa und für die Strecke Lanzhou-Nagchu-Lhasa auszuarbeiten, während dem ”Survey and Design Institute II” die Studien für die Strecken Chengdu-Nagchu-Lhasa und Dali-Nyintri-Lhasa übertragen wurden.[44] Im Februar 2001 verglichen die Zentralbehörden die Pläne dieser vier verschiedenen Möglichkeiten für den Streckenverlauf der geplanten Eisenbahn und entschieden sich für die Route Gormo-Nagchu-Lhasa. Ungefähr 485 Meilen der Strecke liegen auf einer Höhe von über 14.765 Fuß (4.500 m) ü.d.M. und 342 Meilen (550 km) verlaufen über Permafrostböden.

Chinas Vize-Eisenbahnminister Sun Yonfu, der am 22. Oktober 2000 vor dem Western Forum in Chengdu sprach, sagte, China werde eine Eisenbahn nach Lhasa bauen, um ”die Autonome Region Tibet wirtschaftlich besser zu erschließen und die Verteidigung der Nation zu stärken”.[45] Das allgemeine Muster beim Ausbau des Eisenbahnnetzes in China zeigt, daß Peking wirtschaftlichen Faktoren relativ wenig Aufmerksamkeit beimißt, und es der Regierung in erster Linie um die nationale Verteidigung und Sicherheit geht.[46] In offiziellen Statements hieß es, eine Eisenbahn sei notwendig, um ”die nationale Verteidigung zu stärken” und die ”Nationalitäten zu einigen”. Außerdem ermöglicht die Eisenbahn im Falle einer militärischen Bedrohung von jenseits der Grenze eine schnelle Truppenbewegung oder die Unterdrückung von Unruhen in der Region.

Die Regierung in Peking behauptet, die Eisenbahn reduziere die Transportkosten nach Tibet von 6 Cent pro Kilometer und Tonne auf weniger als 2 ½ Cent, wodurch die wirtschaftliche Entwicklung angekurbelt werde, dadurch würden fast 500 Mio. $ an direktem und indirektem Einkommen generiert, was wiederum zur Neugründung von Wirtschaftsunternehmen führen und außerdem 900.000 Touristen pro Jahr nach Tibet locken würde. Entlang der gesamten Strecke der Eisenbahn von Golmud nach Lhasa macht die Arbeit Riesenfortschritte, und auf großen Plakattafeln wird die Wichtigkeit des Projekts durch Slogans propagiert wie ”Baut die Qinghai-Tibet Eisenbahn, schafft Wohlstand für die Menschen aller Nationalitäten”.[47]

Die Infrastrukturprojekte verfolgen offiziell den Zweck, die nationale Verteidigung und die Stabilität im Lande zu festigen und die tibetische Wirtschaft in die wirtschaftliche Entwicklung Gesamtchinas zu integrieren. Der Bau der Eisenbahn stellt eine ungeheure Belastung für die lokalen Ressourcen dar. Wenn sie erst einmal fertig ist, wird das empfindliche Ökosystem in Tibet durch Erosion, Versandung und Umweltverschmutzung beeinträchtigt werden. Eine so billige und zuverlässige Transportmöglichkeit bedeutet ebenfalls die massenhafte Einwanderung von Han-Chinesen nach Zentraltibet, wodurch die kulturelle Identität Tibets noch mehr gefährdet wird.[48]

Diese Eisenbahn wird die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Tibets durch einen billigeren und leichteren Transport der Rohmaterialien vom tibetischen Hochland nach China beschleunigen. Umweltexperten haben davor gewarnt, daß durch die Eisenbahn viele endemische Tierarten wie die tibetische Antilope und der Wildyak gefährdet, der Vegetation in der Region langzeitiger Schaden zugefügt und das Migrationsverhalten der Wildtiere in den Reservaten beeinträchtigt würden. Außerdem werde der durch die Eisenbahn hervorgerufene Bevölkerungszustrom der Wilderei und Verunreinigung in der Region Vorschub leisten und die wirtschaftliche Diskrepanz zwischen China und Tibet noch mehr vertiefen.

Nach einem von International Campaign for Tibet verfaßten Sonderbericht über die Qinghai-Tibet-Eisenbahn sind die für die Eisenbahn veranschlagten Kosten über dreimal so hoch wie der Gesamtbetrag, den die chinesische Regierung während der vergangenen 50 Jahre für Gesundheitsversorgung und Bildung in Tibet ausgegeben hat.

Der überwältigende Bevölkerungsanteil der Han-Chinesen in Qinghai ist ein Resultat des Baus der Eisenbahn in diesem ursprünglich tibetischen Siedlungsgebiet. Tausende und Abertausende von arbeitslosen Chinesen überfluten Tibet, nehmen der einheimischen Bevölkerung die Arbeitsplätze weg und verwässern deren Tradition und Kultur. Der Tibet-Spezialist Dr. Robert Barnett sagt dazu: ”In der Öffentlichkeit wagen die Tibeter keine Kritik zu äußern, aber im privaten Gespräch erklären sie einem, daß dies das Ende Tibets bedeutet”.  Ebenfalls auf dem Beschäftigungssektor sehen sich die Tibeter durch die Eisenbahn diskriminiert und ins Abseits gedrängt. Chinesische Zuwanderer usurpieren den Hauptteil der Beschäftigungsmöglichkeiten mit der Ausrede, den Tibetern mangle es an den notwendigen Fertigkeiten und dem technischen Know-how. Die überall grassierende Korruption und die Mißachtung der Rechte der Arbeiter machen die Umstände für die Tibeter noch viel ungünstiger. Der folgende Vorfall wirft ein Licht auf die tatsächliche Lage:

„Eine Gruppe von etwa 30 Wanderarbeitern aus Qinghai sagte, die Eisenbahn-Baugesellschaft gebe ihrem Chef 2.000 Yuan (ungefähr 245$) pro Arbeiter und Monat. Dieser, ein Hui-Moslem aus Qinghai, behalte die Hälfte davon ein und zahle jedem Arbeiter nur 1.000 Yuan für einen Monat erschöpfender Tätigkeit aus. Bei fünf Arbeitsmonaten im Jahr stecke der Chef 150.000 Yuan (18.315$) in seine Tasche, während die Arbeiter mit etwa 5.000 Yuan (610$) nach Hause kämen.

Als der Chef danach gefragt wurde, warum man in Amdo keine tibetischen Eisenbahnarbeiter sehe, antwortete er: ’Die Eisenbahn-Gesellschaft beschäftigt nur ungern tibetische Arbeiter, denn die Tibeter meinen, das Land gehöre ihnen und sie könnten bestimmen, wie schnell gearbeitet wird’.[49]

In dem etwa 60 Meilen nördlich von Lhasa liegenden Dorf Zazique bestreiten die Leute ihren Lebensunterhalt durch Viehhaltung; die 18 Familien dort haben etwa 1000 Yaks und 1500 Schafe. Die Eisenbahn soll durch ihr Tal verlaufen, weshalb sie nun ihre Tiere durch einen kleinen den Bahndamm unterquerenden Tunnel zu den höher gelegenen Sommerweiden treiben müssen.

”Wir wissen nicht, ob die Tiere überhaupt durch den Tunnel gehen werden”, meinte der Dorfvorsteher. ”Wir sind nicht gegen dieses Projekt, aber für uns bedeutet es einen riesigen Verlust”. ”Im Radio hieß es, wir könnten 30$ am Tag verdienen, wenn wir für die Eisenbahn arbeiteten”, meinte eine Hausfrau im Dorf. ”Wir waren ganz glücklich und dachten, wir könnten jetzt endlich etwas Geld verdienen. Aber nur fünf oder sechs Leute bekamen Arbeit, und sie erhielten nur 9 – 12$ am Tag. Das ist ungerecht, aber wir haben keine Möglichkeit uns zu beschweren”.[50]

Andere Beobachter verweisen auf die militärischen Implikationen der Qinghai-Tibet-Eisenbahn und sagen, sie könne zum Transport und Einsatz von taktischen Nuklearwaffen benutzt werden. Im Juni 2001 berichtete Jane’s Intelligence Digest, daß die chinesische Volksbefreiungsarmee (PLA) ”es für notwendig erachtet, ein Netz von Straßen und Maultierpfaden anzulegen, um militärisches Gerät und Truppen nahe an die umstrittene Grenze zu Indien zu schaffen”. Der Verteidigungsexperte William Triplett schreibt: ”Schon mit einer eingleisigen Linie könnte die PLA innerhalb von 30 Tagen etwa 12 Infanteriedivisionen nach Tibet bewegen, wo sie zu ihrer vorstationierten Ausrüstung stoßen würden”.[51]

Wie in einem BBC Beitrag mit Titel Letter: Modernising Tibet vom 22. Dezember 2004 berichtet wurde, verbrachte der chinesische Journalist Lin Gu einen Monat in der tibetischen Hauptstadt Lhasa. Als die tibetischen Bewohner der Stadt nach den Folgen des Eisenbahnbaus gefragt wurden, äußerten sie sich besorgt über den vermehrten Zustrom von Leuten von außerhalb, denn dadurch könnten ”Arbeitsplätze und die öffentliche Sicherheit” bedroht sein. Ein Tibeter kommentierte: ”Was ich gewonnen habe, ist eine bedeutende Erweiterung meines Horizonts, aber verloren habe ich dabei meine eigene kulturelle Tradition. Angenommen, Sie würden mich bitten, Ihr Fremdenführer in Lhasa zu sein, so könnte ich Ihnen nur eine kurze oberflächliche Einführung geben, aber niemals tiefer gehen.”

Ökologischer Zustand: fortschreitende Zerstörung

Der Leitsatz 23 der ”Rio-Erklärung”, dem Abschlußdokument des ”Umweltgipfels”[52] lautet: ”Die Umwelt und die Naturschätze von unterdrückten, von anderen beherrschten und besetzten Völkern sind zu schützen”.[53] Die Deklaration betont ebenfalls, wie wichtig es ist, die Bürger an dem Entscheidungsprozeß auf allen Ebenen zu beteiligen und ihnen Zugang zu Informationen über die Umweltprobleme innerhalb ihrer Gemeinschaft zu verschaffen.[54]

Das Prinzip der Umwelt-Gerechtigkeit in seiner ursprünglichen Bedeutung besagt, daß die Menschen ungeachtet ihrer Rasse oder Kultur dasselbe Maß an Schutz vor Gefährdung ihrer Umwelt und Gesundheit genießen sollten.[55] Peking verwendet die Umweltdiplomatie als ein Vehikel, um sein internationales Ansehen als Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO) aufzupolieren und als eine respektable Weltmacht zu erscheinen. Tatsache ist jedoch, daß es in China um Umweltschutz, Umweltgesetzgebung und die Umsetzung einer diesbezüglichen Politik schlecht steht. Besonders in Tibet wird eine Entwicklung forciert, die den Aspekt des Umweltschutzes eklatant mißachtet.[56]

Die chinesische Regierung behauptet, sie lege bei der Entwicklung der ärmeren Gegenden des Landes großen Wert auf das ökologische Gleichgewicht und den Umweltschutz. Bei einer Konferenz in Bangkok im Februar 2002 sagte Li Bingiong, Professor für Agrarwirtschaft an der Universität für Landwirtschaft in Peking: ”Die Armutsbekämpfung mit Hilfe von Wissenschaft und Technik hat zwar die bisherige Produktionsweise, die eher willkürlicher Art war, verändert, aber in den armen Gegenden geschah dies auf Kosten der Ökologie”,[57]

Im Falle Tibets wurden die ökologischen und kulturellen Bedingungen in sehr autokratischer Manier, nach  bewährter Von-oben-nach-unten-Methode einfach beiseite geschoben. Chinas Entwicklungsprogramm für den Westen dient gleichfalls als Mittel zur Festigung der Nation und ihrer Präsenz in den westlichen Grenzprovinzen. Obwohl von offizieller Seite eingeräumt wird, daß es nun ökologische Probleme als Folge der gigantischen Entwicklungsprojekte, wie der Eisenbahn und der neuen Fernstraßen und der Energie- und Ressourcennutzung  gebe, wurden keine spezifischen Maßnahmen oder Methoden eingesetzt, um dieser Probleme Herr zu werden – abgesehen von den riesigen Schautafeln und den Reklamespots in den Medien, auf denen die Wichtigkeit und Notwendigkeit von Umweltschutz propagiert wird.

Die massive und rapide Urbanisierung hat zusammen mit Entwicklungsprojekten wie dem Abbau von Mineralien und Erzen in riesigem Ausmaß, den gigantischen Wasserkraftwerken und dem Ausbau der Infrastruktur schwere Umweltschäden verursacht, die einheimische tibetische Bevölkerung verdrängt und den Wildtieren ihren Lebensraum genommen. Ökologische Krisen wie Wasserverschmutzung, Entwaldung, Ausrottung seltener endemischer Arten, Bodenerosion, Klimawandel, Ablagerung von spaltbarem Nuklearmaterial und giftigen Abfallprodukten, sowie die ungehemmte Ausbeutung der Bodenschätze bedrohen nicht nur Tibet, sondern auch die benachbarten und flußabwärts gelegenen Regionen[58].

Umsiedlung und Vertreibung: Enteignung durch den Staat

Nach Angaben des Vize-Direktors der ”Führungsgruppe für die Entwicklung der westlichen Regionen” im Staatsrat der VR China, Li Zibin, wurden (Stand Mai 2004) 920.000 ha kultivierter Flächen wieder zu Wald und Weideflächen umgewandelt, wozu noch 680.000 ha Boden mit neuem Pflanzenwuchs kommen.[59] Wie in einem Xinhua-Artikel vom 21. November 2004 mit dem Titel ”Wiederaufforstung läßt Sandstürme in Tibet weniger werden” steht, erklärten die Behörden, die Anzahl der Sandsturm-Tage in Lhasa sei dank der Wiederaufforstungsprojekte von 53,8 in den frühen Fünfzigern auf 5,2 im Jahr 2004 zurückgegangen. Li Zibin betonte, daß die ”Politik der Rückführung von urbar gemachtem Ackerland zu Wald in den nächsten Jahren unverändert beibehalten werde”.[60]

In Wirklichkeit werden die Bauern und Nomaden jedoch durch die Aufforstungs- und Rückführungsprogramme entweder umgesiedelt oder gezwungen, Ackerbau und Viehhaltung ganz einzustellen. Eine Entwicklung, die verheerende Auswirkungen auf den Lebensunterhalt tibetischer Nomaden und Viehhirten hat. Von der 2,3 Mio. zählenden tibetischen Bevölkerung leben 1,9 Mio. in den ländlichen Regionen, während 80 % der Produktionserträge der gesamten Region aus Ackerbau und Viehzucht kommen.[61]

Die Tibeter betrachten diese Art von Umweltpolitik als eine Bedrohung ihrer traditionellen Art und Weise, ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften, und ihres nomadischen Lebensstils, nach dem sie seit Generationen gemeinsam gelebt haben. Ein von diesen Neuerungen betroffener Nomade sagt, er fühle sich wie ”ein Fisch, der aus dem Wasser geworfen wurde”.[62] Andere zwangsumgesiedelte Tibeter klagten über den schlechten Ackerboden, die sozialen Probleme und die Bodenerosion.[63] Die traditionellen Fertigkeiten und das Wissen der Bewohner über die Erhaltung des Graslandes finden keine Beachtung mehr. Solche Maßnahmen werden einen durchaus lebensfähigen und lebensnotwendigen Teil der traditionellen Nomadenkultur Tibets endgültig zerstören.

Die chinesische Regierung behauptet, daß sie in den achtziger Jahren eine neue Politik und neue Bestimmungen eingeführt habe, die uneingeschränkt als ein Modell für die Umsiedelung in Entwicklungsländern gelten könnten. In Wirklichkeit sind jedoch die Vorkehrungen, die für die infolge der ökologischen und Wasserkraft-Projekte vertriebene Bevölkerung getroffen wurden, nur sehr unzureichend. Eine von Wu Ming, einem chinesischen Soziologen, durchgeführte Untersuchung bestreitet die Aussagen der Regierung. Aufgrund seiner Untersuchungen kam er in seiner Studie über die Auswirkungen von Umsiedlungsmaßnahmen als Folge von Staudammprojekten in China zu dem Ergebnis, daß es viele ernste Probleme gibt: die offizielle Vertuschung von Unzulänglichkeiten und Mißständen bei den Umsiedlungsprogrammen, die Fälschung von Zahlen über ihren Fortschritt, der Mißbrauch von bereitgestellten Geldern, die systematische Diskriminierung der Landbewohner bei der Zuteilung der Geldmittel, die mangelhafte Information, ganz zu schweigen von der fehlenden Konsultation der von der Umsiedlung betroffenen Bevölkerung.[64]

In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Zwangsumsiedlungen tibetischer Nomaden und Bauern. So berichtete TIN, daß annähernd 1000 Familien aus den Distrikten Jomda, Markham und Gonjo in der Präfektur Chamdo weichen mußten, um ”die Wälder intakt zu halten”.[65] Im Dezember 2001 wurden 60 Familien aus dem Distrikt Gonjo, Präfektur Chamdo, von ihrem heimatlichen Boden in die Präfektur Nyingtri (Kongpo) umgesiedelt.[66] Ein 38-jähriger Bauer aus dem Dorf Bugod, Distrikt Gonjo, Präfektur Chamdo, berichtete dem TCHRD:

”Die chinesischen Behörden hatten die Umsiedlung von ungefähr 2400 Familien aus den Dörfern Jangsum, Langmed, Khori, Shiri, Motsa und Jamsam des Distrikts Gonjo nach Kongpo angeordnet. Nach der Vertreibung dieser Menschen von ihrem angestammten Land ließen die Behörden die Bäume fällen und fuhren das Holz in Lastwagen ab. Die Behörden hatten die Umsiedlung der Tibeter aus Gonjo damit begründet, daß viele der Dörfer zu dicht am Drichu Fluß lägen”.[67]

Die eigentliche Schuld an der ökologischen Verschlechterung und Bodendegradation des tibetischen Hochlandes trägt die Reformpolitik des Staates und das Mißmanagement der Behörden.[68] Ungerechterweise werden die tibetischen Nomaden und Bauern für die Zerstörung des Graslandes und der Wälder verantwortlich gemacht, wobei ”die von ihren Vorfahren ererbte Lebensweise höchstens am Rande dazu beitrug”. Bislang wurden die Tibeter weder zu Rate gezogen, noch wird bei diesen Wiederaufforstungsprojekten danach gefragt, was sie wissen und einbringen könnten.

Bodenschätze und Ressourcen: Der Staat als Ausbeuter

Die Chinesen bezeichnen Tibet als ”Xizang”, was ”Schatzhaus des Westens” bedeutet. Über 126 verschiedene Mineralien wurden identifiziert: Tibet verfügt über bedeutende Lager an Uran, Chrom, Bor, Lithium, Borax und Eisen. Außerdem gehören seine Vorkommen an Korund, Vanadium, Titan, Magnesium, Schwefel, Glimmer, Caesium, Rubidium, Arsen, Graphit, Lepidolith und Kalium zu den größten in ganz China. Ebenso sind die Reserven an Kupfer, Gold, Silber, Zink, Erdöl und Erdgas von globaler Bedeutung, was auch für die anderen Bodenschätze des Hochplateaus gilt. Die Ressourcen befinden sich hauptsächlich im Tsaidam Becken, in Nagchu, Golok, Chamdo, im Chang Thang, in Kardze und Lhoka. Die wertvollen Minerallagerstätten sind also über die drei traditionellen Provinzen Tibets verteilt.[69]

Die chinesische Verfassung betont, daß alle natürlichen Ressourcen Eigentum des Staates seien. Von 1979 bis 1999 erließ China 16 Umweltgesetze zu einer ganzen Reihe von Problemen, welche die Verschmutzung der Meere, den abnehmenden Waldbestand und die Energieausnutzung mit einschlossen.[70] Chen Kuiyian, der ehemalige Parteisekretär der TAR, sagte auf dem Regionalen Wirtschaftsforum zu Tibet, das am 17. Dezember 1999 in Lhasa stattfand: ” ... für den Aufbau von anspruchsvolleren Industriezweigen in Tibet ist die Erschließung möglicher mineralischer Ressourcen eine der wichtigsten politischen Entscheidungen zur weiteren Entwicklung Tibets”.

Chinas Zehnter Fünfjahresplan und das ”Projekt 2020” umreißen ebenfalls die Nutzung der Ressourcen Tibets, wobei massive staatliche Investitionen in den Bereichen Transport und urbane Infrastruktur vorgesehen sind, um einen besseren Zugang zu diesen Ressourcen und ihren Abtransport zu gewährleisten. China baut, zusammen mit anderen ähnlichen Infrastrukturprojekten, welche den Abbau von Tibets Naturschätzen nur noch beschleunigen, und mit Unterstützung internationaler Energiekonzerne eine extrem lange Erdgaspipeline vom Tsaidam Becken in Amdo bis nach Shanghai. Das gegenwärtige Eisenbahnprojekt von Gormo nach Lhasa wird, sobald es vollendet ist, bei der Ausbeutung der Bodenschätze und Erdölvorkommen in den entlegenen Teilen Tibets ebenfalls eine große Rolle spielen.[71]

In den letzten Jahren hat das Vordringen chinesischer Produkte auf dem internationalen Markt der Bergbauindustrie in Tibet Aufschwung verliehen: Multinationale Konzerne haben in bisher unbekanntem Ausmaß investiert. Auch internationale Hilfsorganisationen leisten zunehmend Beistand in Tibet.[72] Mit jeder Neuerschließung von Bodenschätzen und jeder neuen Investition in deren Abbau, komme sie nun von chinesischer oder ausländischer Seite oder gar von beiden, nimmt die Belastung für Tibets natürliche Ressourcen beträchtlich zu. Nach der Fertigstellung der Gormo-Lhasa-Eisenbahnlinie geht die Ausbeutung von Mineralien und anderen Naturschätzen noch schneller vonstatten, und noch mehr Chinesen werden nach Tibet ziehen.

In China ist die Bergbauindustrie  verstaatlicht, was bedeutet, daß der Staat gleichzeitig ”die Gewinne macht und für die Umwelt zuständig ist”. Durch diesen Interessenkonflikt floriert die Korruption, während die legitimen Anliegen der Arbeiter und der einheimischen Bevölkerung in den Bergbaugebieten vernachlässigt werden. Der forcierte Abbau von Bodenschätzen hat in Tibet zu einem bislang noch nicht dagewesenen Ausmaß an ökologischen und sozialen Problemen geführt.

Den größten Gewinn aus dem Abbau natürlicher Ressourcen wie Kohle, Erdgas und der zahlreichen Bodenschätze in Tibet zieht natürlich Peking. Bedauerlicherweise werden die Entwicklungsprojekte und der Mineralabbau durchgeführt, ohne daß die Tibeter nach ihrer Meinung gefragt, oder die Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der einheimischen Bevölkerung und ihren Lebensunterhalt untersucht würden. Die Tibeter werden kaum am Entscheidungsprozeß oder der Umsetzung des beschlossenen Vorgehens beteiligt. Im Gegenteil, eine ganze Reihe von Tibetern wurde willkürlich verhaftet, gefoltert und ins Gefängnis geworfen, weil sie das Recht auf freie Meinungsäußerung beanspruchten.

”Im Juli 2004 besuchten Mitarbeiter der Bergbauabteilung der Präfekturverwaltung von Nagchu das Dorf Sari, Gemeinde Yongnak, Distrikt Sog, TAR, um dort nach Bodenschätzen zu graben. Die dort ansässigen Tibeter protestierten jedoch gegen ihre Absichten und konnten sie zur Einstellung ihrer Arbeit bewegen. Es wurde berichtet, daß es dabei zu hitzigen Wortgefechten zwischen den Tibetern und den Angestellten der Präfektur  kam. Daraufhin erstatteten die Vertreter der Bergbauabteilung an die Behörden des Distrikts Sog einen Bericht über den Vorfall. Ende August trafen Beamte der Distriktverwaltung von Sog begleitet von Beamten des PSB in dem Dorf ein, um den Vorfall zu untersuchen. Dejor, Tsering Dawa und Thartsok wurden als die Anführer des Protestes identifiziert. Sie wurden am 4. September 2004 verhaftet und im Haftzentrum der Präfektur von Nagchu eingesperrt.

Auf diese Verhaftung hin richtete eine Gruppe von Tibetern ein Gesuch an die Behörden, die drei Männer freizulassen, mit der Begründung, ihr Protest sei lediglich ihrer Sorge um die Erhaltung der Umwelt zuzuschreiben. Die Behörden schlugen den Appell jedoch in den Wind, denn sie argwöhnten, daß politische Motive hinter dem Protest steckten. Die Angehörigen der drei Verhafteten sollen in großer Unruhe gewesen sein, denn den dreien drohte eine sehr harte Gefängnisstrafe”.[73]

Die Bergbauunternehmen legen auf die Partizipation der Lokalbevölkerung keinen Wert, genauso wenig wie Arbeitsplätze für sie geschaffen werden. Es wurde jedoch berichtet, daß die Bewohner in der Umgebung Zwangsarbeit leisten müßten. Das Heranziehen der einheimischen Bevölkerung zur Zwangsarbeit bedeutet einen Verstoß gegen die Konventionen 29[74] und 105[75] der Internationalen Arbeitsorganisation. Ein vor kurzem geflohener Tibeter berichtete dem TCHRD am 21. Oktober 2004: ”Wenn die Chinesen jemand zum Handanlegen brauchen, dann sind die Tibeter gefordert, und wenn sie nicht hingehen, werden sie mit 50 Yuan Geldstrafe belegt”.

Der exzessive Bergbau führte zur Schädigung der Weideflächen, zu Entwaldung und Umweltverseuchung, wodurch die Gesundheit und der Lebensunterhalt der örtlichen Bevölkerung erheblich bedroht sind. Als unmittelbare Auswirkungen der Förderung von Bodenschätzen in Tibet sind Todesfälle, Verletzungen, Mißbildungen bei Neugeborenen von Mensch und Tier, zu denen es in der Nähe der Bergwerke und Aufbereitungsanlagen kam, zu betrachten.[76] Die Verwendung von Zyanid und Quecksilber bei dem Abbau und der Weiterverarbeitung einiger Mineralerze, besonders bei Golderz, sowie das Entstehen von giftigen Abfallprodukten und Staub bei der Gewinnung im Tagebau wurden als Ursache für den Verlust des Augenlichts, der Haare, für die Ausbildung von Geschwüren auf der Haut, Atemwegserkrankungen und die Zerstörung des Nervensystems und des Knochengerüsts identifiziert.[77]

Der bereits erwähnte Tibeter sagte dem TCHRD weiterhin: ”Wegen der schädlichen Auswirkungen auf Flora und Fauna sowie die Gesundheit unserer gesamten Gemeinschaft appellierten wir immer wieder an die Behörden, den Erzabbau einzustellen. Diese wiesen jedoch darauf hin, daß der Erzabbau den Gesetzen entspreche und genehmigt sei und drohten den sich beschwerenden Menschen damit, daß jedem Protest mit Härte begegnet würde.”

Weideland: Desertifikation

Hochlandsteppen machen über 60 % der Landmasse Tibets aus. Die immer mehr um sich greifende  Desertifikation des Weidelandes ist die schlimmste Umweltschädigung seit Tibet unter chinesischer Kontrolle steht, ja ihre Auswirkungen bedrohen die tibetische Zivilisation in ihrer Existenz und Zukunftsfähigkeit.[78] Die Bodendegradation beeinträchtigt den Lebensunterhalt in den betroffenen Regionen und wirkt sich nachteilig auf die Klimastruktur Chinas und der ganzen Erde aus. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), die Asiatische Entwicklungsbank, die Weltbank und andere renommierte Gremien machen die chinesische Regierung und ihre Entwicklungspolitik für die Degradation des Graslandes verantwortlich.

Auf Grund einer Analyse von Satellitenbildern schätzt die chinesische Akademie der Wissenschaften, daß zu Anfang der 90er Jahre bereits 375 Mio. Hektar, fast 40 % des Landes, durch Erosion geschädigt waren. Die hauptsächlichen und unmittelbaren Opfer der Erosion sind die Bauern, die nun Böden von geringerer Qualität kultivieren müssen. Schätzungsweise 331 Mio. Hektar, grob ein Drittel der Landmasse Chinas, ist von Desertifikation bedroht. Das Landwirtschaftsministerium schätzt, daß etwa 34 % aller Grassteppen Chinas bereits mittel bis schwer und 90 % bis zu einem gewissen Grad degradiert sind. Da läßt sich nur schwer die Schlußfolgerung vermeiden, daß die Hauptursache hierfür in der miserablen Entwicklungspolitik der Regierung zu suchen sei.[79]

Das Weidelandgesetz der VR China, dessen Ziel und Zweck es ist, ”die Beschaffenheit der lokalen Wirtschaftssysteme in den nationalen autonomen Regionen zu verbessern (Art. 1)”, trat 1985 in Kraft. Der Art. 4 desselben Gesetzes bekräftigt indessen, daß der Staat Eigentümer des Graslandes ist. Dieser Strategie liegt die Auffassung zugrunde, das traditionelle nomadische System der Migrationsbeweidung würde dem Grund und Boden Schaden zufügen. Selbst die Tatsache, daß internationale Landwirtschaftsexperten, darunter auch von der Weltbank, zu dem Schluß gelangten, daß das traditionelle Viehhaltungssystem der Tibeter die nachhaltigste und effizienteste Nutzung des Bodens gewährleistet, konnte den chinesischen Staat nicht davon abbringen.

Im Rahmen des Weidelandgesetzes bekommen die Nomaden und Bauern abhängig von ihrem Standort ein bestimmtes Stück Land zugeteilt – hoch gelegene Bergdörfer erhalten hoch gelegenes Land, während die niedriger liegenden Dörfer das Land weiter unten erhalten. Von den Bauern und Hirten wird erwartet, daß sie für die Kosten der Einzäunung ihres Weidestücks selbst aufkommen. Die chinesische Regierung behauptet, ein seßhaftes Leben und die Einzäunung der Weiden seien notwendig, um das Land vor Überweidung zu schützen und seine Ertragsfähigkeit zu steigern. Diese Verfahrensweise hat jedoch bereits die Qualität der Weiden beeinträchtigt, denn Mobilität und Flexibilität bei der Beweidung wurden eingeschränkt, während gleichzeitig die Degradation der Weiden zunahm: Als Folge gingen die Erträge zurück und sehr viele Familien sind dadurch Mangelernährung und Armut ausgesetzt. Diese willkürliche und planlose Politik der Seßhaftmachung der Nomaden hat auch zu ernsthaftem Streit zwischen den Familien geführt.

Aus Sicht der chinesischen Regierung sind Überweidung und exzessive Viehhaltung die Ursachen für die Krise. China plant mit den Nomaden nicht nur per Strafgesetz umzugehen, sondern auch für die Nutzung von Staatseigentum Gebühren zu erheben, womit ihnen ein schonender Umgang mit den Weiden beigebracht werden soll. In Wirklichkeit wird die Einführung einer Landnutzungssteuer zusätzlich zu all den anderen Steuern die Nomaden nur zwingen, noch mehr aus dem Land herauszuquetschen, das sie niemals ihr eigen nennen können. Die offizielle Beurteilung der Lage insgesamt und die daraus abgeleiteten Maßnahmen zeigen, wie ”realitätsfern die Planer in Peking sind, aber in China wird eben immer noch zentral geplant, selbst für so entlegene Regionen wie Tibet”.[80]

Chinas “menschliche Entwicklung” in Tibet

Der Begriff ”menschliche Entwicklung” wird im Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP),[81] als ein Prozeß definiert, der den Menschen sowohl mehr Möglichkeiten geben, als auch den Grad ihres Wohlergehens anheben soll. Der Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index – HDI) versucht den durchschnittlichen Entwicklungsstand eines Landes durch die Messung grundlegender Faktoren für die menschliche Entwicklung zu ermitteln. Aus dem HDI geht hervor, wie es mit der Lebenserwartung der Menschen steht, wie weit ihre Bildung und ihr Wissen reichen und ob sie einen annehmbaren Lebensstandard haben.[82]

1997 veröffentlichte die chinesische Regierung ihren ”Nationalen Bericht über nachhaltige Entwicklung”, aus dem deutlich wurde, daß sie unter ”nachhaltiger Entwicklung” einen Entwicklungsstand versteht, der Chinas boomenden Wachstumsraten entgegenkommt. Der Report stellt fest: ”In Chinas Agenda 21 wird die schnelle wirtschaftliche Entwicklung des Landes als unerläßlich für die Ausrottung von Armut, die Verbesserung des Lebensstandards der Menschen und die Konsolidierung der allgemeinen nationalen Stärke betrachtet”.[83]

In seinem Essay ”Entwicklung und Freiheit” fordert der berühmte Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen, Entwicklung müsse frei sein von den Hauptindikatoren für Unfreiheit, wie Armut, Tyrannei, geringe wirtschaftliche Möglichkeiten, ebenso wie von systematischen Mängeln auf sozialem Gebiet, das heißt, der Vernachlässigung öffentlicher Einrichtungen, sowie der Intoleranz oder Hyperaktivität einer repressiven Staatsmacht. Er weist die ”Windschatten-These” zurück, der zufolge autoritäre Politik angeblich hilfreich für wirtschaftliches Wachstum sei.

Die Mängel der Entwicklung

Der Report über die menschliche Entwicklung von 1997 benennt drei Indikatoren des Indexes für menschliche Armut (Human Poverty Index – HPI): Überleben, Wissen und einen angemessenen Lebensstandard.[84] In seinem Artikel von 1993 ”Verringerung der Armut in China: Verpflichtung, Vorgehensweise und Kosten” gliedert Amei Zhang die Armut in ”Einkommensarmut” und ”menschliche Armut”.[85] Das UN Komitee für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte hat Armut definiert als einen ”menschlichen Zustand, charakterisiert durch einen anhaltenden oder chronischen Mangel an Ressourcen, Fähigkeiten, Möglichkeiten, Sicherheiten und Vollmachten – also Faktoren, die für einen angemessenen Lebensstandard und für die Wahrnehmung bürgerlicher, kultureller, politischer und sozialer Rechte notwendig sind”.

Die Regierung der TAR startete ihr erstes Programm zur Verringerung von Armut 1994. Ziel war, die absolute Armut von 275.000 Menschen zu beseitigen, die in 18 national und regional als arm eingestuften Distrikten lebten und deren jährliches Pro-Kopf-Einkommen in einer Durchschnittsfamilie unter 500 RMB lag.[86] Der Zehnte Fünfjahres-Entwicklungsplan Chinas (2000-2005) sieht vor, daß die Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut im Wert von 6,46 Mrd. RMB (782 Mio. US$) auf alle 75 Distrikte in Tibet (die ursprünglichen 18 wurden erweitert) ausgedehnt werden. Das Entwicklungsprogramm für den Westen wurde als Bemühung gesehen, die Armut auszurotten und das Einkommensgefälle zwischen den östlichen und westlichen Regionen Chinas zu verringern.

Die chinesische Regierung gab offiziell eine Richtlinie zur Armutsbekämpfung und Entwicklung der ländlichen Gebiete (2001-2010) heraus, worin die Ziele, Aufgaben, Leitgedanken, die Vorgehensweise und Grundsätze für die Arbeit der nächsten 10 Jahre erläutert werden.

In ihrem Weißbuch zur regionalen ethnischen Autonomie spricht die chinesische Regierung von einem sprunghaften Fortschritt in Tibet. Das Weißbuch betont, von 1965 bis 2003 sei das Bruttosozialprodukt (BSP) in Tibet von 327 Mio. Yuan auf 18,459 Mrd. Yuan gestiegen und das Bruttoinlandprodukt habe sich von 241 Yuan pro Kopf auf 6874 Yuan vermehrt. In einem weiteren Weißbuch mit dem Titel ”Human Rights Cause in 2003” behauptet die Regierung der VR China, mit der allgemeinen Anhebung des Lebensstandards hätte sie auch die Rechte der Menschen auf den Erwerb ihres Lebensunterhalts und auf Entwicklung verbessert.

Bei der Weltkonferenz zur  Einstufung der Armutsminderung, die vom 26.- 27. Mai 2004 in Shanghai stattfand,[87] erklärte der chinesische Premier Wen Jiabao, daß es China gelungen sei, die Armut mit Hilfe des Programms ”Bekämpfung der Armut durch Entwicklung” erfolgreich zu reduzieren. Im selben Atemzug sagte er, daß das ”Land 29 Millionen Menschen zählt, die nicht über die Runden kommen können, und daß es schwierig ist, die Armut gänzlich auszurotten”. Der Premier gab zu, daß die meisten der armutsgeplagten Chinesen auf dem Lande wohnen, und meinte, die verarmten Bauern seien daher die Hauptnutznießer des Programms zur Armutsbekämpfung. China behauptet, Landwirtschaft und moderne Viehhaltung würden neue Wege beschreiten und Reorganisation und Umstrukturierung der herkömmlichen Industrien hätten an Geschwindigkeit zugenommen.[88] Der Westen Chinas verzeichnete im letzten Jahr einen Zuwachs des GDP von 8,5%, und in der ersten Hälfte dieses Jahres einen solchen von 8,7%, was einen guten Start für die strategische Entwicklung des Westens des Landes bedeute.[89]

Offiziell wird die Anzahl der Einwohner der TAR, die unter der Armutsgrenze leben, bei einer Gesamtbevölkerung von 2,6 Mio. mit nur 70.000 beziffert; außerdem sei sie in ständiger Abnahme begriffen.[90] Statistische Erhebungen unter der Landbevölkerung ergaben, daß die Armut, in absolute und extreme Armut aufgegliedert,[91] in der TAR bis 1999 zurückging, in Qinghai 2000 jedoch heftig anstieg.[92] Eine Studie über urbane Armut in China, die der Wirtschaftswissenschaftler Athar Hussein an der London School of Economics durchführte, zeigt, daß die urbane Armutsrate in der TAR 1998 mit etwa 11 Prozent der offiziellen Stadtbevölkerung in der Tat die dritthöchste in China war.[93] Die ärmsten Teile des Landes, nämlich die westlichen Provinzen, sind von großer menschlicher Armut gekennzeichnet.[94] In Tibet ist daher ein Entwicklungsmodell zu besichtigen, bei dem trotz der gewaltigen Summen, die durch das WDS in das Land gesteckt werden, gleichzeitig Armut und Ungleichheit zunehmen.

Die für Ackerbau genutzte Fläche in der TAR ist nur geringfügig größer als die Fläche des gesamten Bezirks Peking. Sie beträgt nur 0,28 % der landesweit kultivierten Flächen, obwohl die TAR fast 13 % des gesamten Territoriums Chinas ausmacht.[95] Traditionell ist die Landwirtschaft das Fundament der tibetischen Wirtschaft. Die Tibeter sind hauptsächlich als Hirten- und Nomaden (tib. drogpa), im Getreideanbau (tib. shingpa) oder als Halbnomaden (tib. samadrok) tätig. Die Bauern findet man zumeist in den Tälern, während die Hirten und Halb-Nomaden auf den Hochebenen und in den Bergen umherziehen.

Wang Lixiong, ein chinesischer Gelehrter, der 15 Jahre lang in verschiedenen Gegenden Tibets Datenmaterial zusammentrug, kommt zu dem Ergebnis, daß Modernisierung und Entwicklung ein Fehlschlag sind, weil sie ohne Rücksichtnahme auf die Interessen und die Kultur der einheimischen Bevölkerung von der Führungsspitze aufoktroyiert wurden. Er sagt, mit dem Straßenbau in Tibet werde bezweckt, ”eine stabilisierende Gruppe [wending jituan] von Han-Chinesen, Verwaltungspersonal und Soldaten zu schaffen”, während er ”für das Leben der großen Mehrheit der Tibeter, die in kleinen verstreuten Gemeinschaften auf den Hochebenen wohnen”, kaum von Bedeutung ist.

Unabhängige Forschungen und Zeugnisse von Flüchtlingen bestätigten, daß das sogenannte wirtschaftliche Wachstum in Tibet auf den staatlichen Sektor oder die urbanen Gebiete beschränkt ist, während das Gros der tibetischen Bevölkerung wenig oder gar nichts davon abbekommt. Es stellte sich heraus, daß die Regierung der TAR verhältnismäßig wenig für Bildung, Gesundheit und Landwirtschaft ausgibt, die Prioritäten vielmehr bei den großen, kostenintensiven Projekten setzt, die nichts zur Mehrung des Einkommens der einheimischen Bevölkerung beitragen. Durch die staatliche Subventionierung Tibets wurde zwar das Bruttoinlandsprodukt angehoben, aber nicht der tatsächliche Lebensstandard der Bevölkerung und ihr Einkommen. Eine Studie von TIN vom 8. April 2003 mit dem Titel ”Deciphering Economic Growth in the Tibet Autonomous Region” bestätigt den oben dargestellten Sachverhalt. Es heißt darin, daß das Wirtschaftswachstum in Tibet von dem Geldfluß der Zentralregierung angekurbelt wird und daß es hauptsächlich auf den staatlichen Sektor konzentriert ist. Das bekräftigt die Tatsache, daß wirtschaftliches Wachstum ein Mittel zur Entwicklung und nicht ihr Ziel sein sollte. Ein hohes Bruttosozialprodukt muß nicht automatisch mit einem Fortschritt  bei der menschlichen Entwicklung Hand in Hand gehen.

So werden durch die chinesische Politik in Tibet eine Zwei-Klassen-Wirtschaft und eine Zwei-Klassen-Gesellschaft geschaffen: die urbane, reiche chinesische Wirtschaft und die ländliche, arme, kapitalschwache tibetische Wirtschaft. Der offizielle Diskurs über die Entwicklung und das Leben der Menschen klaffen weit auseinander, was oft mit beeindruckenden Fakten und Zahlen verschleiert wird. Was immer es an Entwicklung in Tibet gab, hat daher, statt dem Volk Nutzen zu bringen, tatsächlich auf seine Kosten stattgefunden und damit seine sozioökonomischen Rechte, oder genauer gesagt, sein Recht auf Entwicklung verletzt.[96]

Experten vertreten die Meinung, diese Art von Entwicklungspolitik sei für die tibetische Bevölkerung verfehlt. Pierre-Antoine Dunnet sagt dazu: ”Was die wirtschaftliche Leistung betrifft, ist die Lage Tibets – nach 40 Jahren chinesischen Marxismus – von jedem Blickwinkel aus betrachtet, verheerend”.[97] Der Tibetexperte Gabriel Lafitte ist der Auffassung, daß trotz der enormen Gelder, die Peking in die Region pumpt, Tibet, was die Entwicklung betrifft, ganz unten auf der Staaten-Liste der UNO rangieren müßte, wenn es denn ein eigenständiger Staat wäre, und zwar neben Ländern wie Ruanda, dem Sudan, Somalia, Afghanistan und Mosambik.[98] Ein anderer Experte meint: ”Selbst ein flüchtiger Blick auf das statistische Jahrbuch Chinas bestätigt einem, daß die TAR bei fast jedem Indikator  an letzter Stelle kommt: Gesamteinkommen, Steueraufkommen, Pro-Kopf-Einkommen, Alphabethisierung, ja sogar bei der Lebenserwartung”.[99]

Bis Mitte der Achtziger befolgte China eine auf die Landwirtschaft ausgerichtete Entwicklungsstrategie. Seitdem wurde sie ganz deutlich auf eine exportorientierte Industrialisierung hin umstrukturiert.[100] Es heißt auch, daß dieser Paradigmenwechsel in Chinas Entwicklungsstrategie den Fortschritt bei der Armutsbekämpfung verlangsame. In der Absicht, die Armut in Tibet auszurotten, konzentrierte sich China besonders auf Einkommensgenerierung in gewissen Gegenden Tibets. Dies geschah in der Hoffnung, daß höhere Zahlen in der Einkommensstatistik – herausgelöst aus dem Kontext der Armutsindikatoren – beweisen würden, daß die Armut erfolgreich bekämpft wurde. Daher wird Entwicklung in großem Maßstab betrieben und nicht im Einklang mit den traditionellen Wirtschaftsformen und den Bedürfnissen großer Teile der Bevölkerung.

Im Gegensatz zu dem Haushaltseinkommen auf dem Lande lag in der TAR das Haushaltseinkommen in der Stadt immer über dem nationalen Durchschnitt Chinas. Die urbane Bevölkerung besteht größtenteils aus han-chinesischen Immigranten und viel weniger aus Tibetern. Wachstum und die Entwicklung haben also vornehmlich die urbane Wirtschaft begünstigt, in der die Han-Immigranten, jedoch nicht die einheimischen Tibeter die Mehrheit bilden.

Der Erwerb des Lebensunterhaltes: Diskriminierung

Unter dem ”Recht auf Lebensunterhalt” versteht man die Grundrechte der Menschen auf eine befriedigende, menschenwürdige Arbeit oder auf andere Quellen der Existenzbestreitung, wozu auch der Zugang zu Grund und Boden und anderen Produktionsmitteln zählen, sowie das Recht auf grundlegenden Arbeitsschutz.

Das Recht auf Lebensunterhalt wird in dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) genau definiert: Es umfaßt solche Rechte wie das Recht einer Person, ihrer eigenen Existenzmittel nicht beraubt zu werden (Art. 1,2), das Recht auf Arbeit (Art. 6,1), das Recht auf angemessenen Lohn und gleiches Entgelt (Art. 7) und vor allem das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard einschließlich ausreichender Ernährung (Art. 11). Der erste Artikel des ICESCR garantiert das Recht aller Völker auf Selbstbestimmung und das Recht auf die Gestaltung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung in Freiheit. Auch das chinesische Recht sieht die Sicherung des Rechtes auf Lebensunterhalt vor. Art. 13 der chinesischen Verfassung bestimmt, daß der Staat das Recht seiner Bürger auf Eigentum an ihrem legal erworbenen Einkommen, ihren Ersparnissen, Häusern und anderem legalen Vermögen schützt.

Entgegen den gesetzlichen Bestimmungen auf dem Papier macht China kaum Anstalten, diese auch aktiv umzusetzen. Erstens erkennt die VR China das Recht der Tibeter auf Selbstbestimmung und ihr Recht auf die Gestaltung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung in Freiheit nicht an. Zweitens sorgt die vom Staat durchgesetzte Entwicklungspolitik nicht für lokale Partizipation und nimmt keine Rücksicht auf die Bedürfnisse der ortsansässigen Bevölkerung. Drittens wirkt sich die Ansiedlung großer Massen von Chinesen sehr negativ auf den Lebensunterhalt der Tibeter aus: Sie werden an den Rand gedrängt und diskriminiert, sowohl auf dem Land als auch in der Stadt haben sie keine Aufstiegsmöglichkeiten.

China veröffentlicht viele Statistiken über die Anzahl von Schulen und Krankenhäusern, aber es schweigt über die tatsächlichen Erfahrungen der Schüler und Patienten. Statistiken über die Anzahl von Gebäuden und Angestellten in diesen Institutionen sagen nichts über die Qualität der angebotenen Dienstleistungen aus, über die Kosten für den Nutzer, oder über die Qualifikation der Dienstleistenden. Wenn man genauer auf Qualität, Qualifikation, den Etat und die entscheidende Frage schaut, wer denn nun für all dies bezahlt, ergibt sich ein ganz anderes Bild.[101] Es ist klar, daß die wirtschaftliche Entwicklung in Tibet nicht richtig beurteilt werden kann, wenn man nur die offiziellen Wachstumsstatistiken des BSP und des BIP oder andere allgemeinwirtschaftliche Indikatoren im Auge hat.

Der Lebensunterhalt auf dem Lande

Über 80 % der Tibeter bestreiten ihren Lebensunterhalt durch Ackerbau und nomadische Viehzucht. Die Bauern kultivieren Gerste, Weizen, Erbsen und Raps, während die Nomaden Yaks, Schafe und Ziegen züchten[102]. Da die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung Tibets in der arbeitsintensiven Landwirtschaft tätig ist, ist es besorgniserregend, daß die groß angelegten Entwicklungsprojekte den Einheimischen selbst für ihren Lebensunterhalt keinen Vorteil gebracht haben. Zuzuschreiben ist dies sowohl der verfehlten Politik als auch dem Umstand, daß der einheimischen Bevölkerung kein Mitspracherecht bei dem Entscheidungsprozeß eingeräumt wird.

Der amerikanische Anthropologe Melvyn Goldstein und andere internationale Sozialwissenschaftler beschrieben das traditionelle tibetische System der Viehwirtschaft als ein seit langer Zeit erprobtes und raffiniertes Modell, das so gut entwickelt ist, daß es eine brauchbare und nachhaltige Bewirtschaftung der knappen Weideflächen gewährleistet. Die New Rangeland Management (NRM)[103] Doktrin lehrt, daß die Nomaden besser als die Stadtbewohner wissen, wie man bei Flächen, die für Intensivnutzung ungeeignet sind, sowohl die Ertragsfähigkeit als auch die Nachhaltigkeit aufrechterhalten kann. Doch in China hat man noch nichts von dieser Doktrin gehört, weshalb es auch weder eine Würdigung des nomadischen Erfahrungsschatzes gibt, noch die geringste Achtung für die herkömmlichen Hüter der Weidegründe, nämlich die Nomaden.[104]

Es gab Berichte, denen zufolge in gewissen Regionen Tibets die lokalen Behörden Anordnungen erließen, durch welche die Anzahl der Tiere, die jede Familie halten darf, begrenzt wurde. Wer sich nicht an diese Obergrenze hielt, wurde mit einer Geldstrafe belegt. Offiziell wurde diese Anordnung damit gerechtfertigt, daß die großen Herden eine Überweidung des Bodens bedeuteten. Eine solche Politik wendet sich jedoch gegen die traditionelle Nomadenkultur, und der Landbevölkerung wird die Grundlage für ihren Lebensunterhalt entzogen.

Die nomadische Lebensweise ist ein wesentlicher Teil der tibetischen Identität. Die Politik der Regierung, die Nomaden zur Seßhaftigkeit zu zwingen, bedroht nicht nur die Existenzgrundlage eines großen Teils der tibetischen Gemeinschaft, sondern auch die Umwelt Tibets, denn sie gibt Land für den Bergbau frei.

Peking behauptet in offiziellen Veröffentlichungen wie ”China’s Tibet 2004: Facts and Figures”, die Menschen in Tibet erfreuten sich einer Bevorzugung durch die Steuerpolitik, das heißt, der lokale Steuersatz liege um 3 % niedriger als in anderen Teilen des Landes. Außerdem beansprucht die Regierung, sie habe ”Bauern und Hirten sämtliche Steuern und Gebühren erlassen”, und diese würden ”kostenlos medizinisch versorgt”. Die Berichte tibetischer Bauern und Hirten über die vielen und harten Steuern, die auf ihnen lasten, sprechen eine andere Sprache. Steuern werden auf Ernteerträge erhoben, die Zahl der Tiere, tierische Produkte, die Anzahl der Personen in einem Haushalt sowie auf Wasser und Gras. Und schließlich gibt es noch eine Bausteuer.

Chinas Steuerpolitik ist für ihre Willkür und für ihren auffälligen Mangel an Transparenz und Verantwortlichkeit bekannt; ebenso fehlt eine Bestimmung, nach der Einspruch gegen harte und unfaire Steuern eingelegt werden könnte. Es gibt keine offiziellen Statistiken, die genaues Zahlenmaterial oder eine Aufschlüsselung der auf Distriktsebene oder darunter eingetriebenen Steuern liefern würden. Es scheint, daß die Dezentralisierung des Steuerwesens den lokalen Behörden größere Vollmachten eingeräumt hat, aber es ist nicht klar, wieviel Steuern diese erheben und wieviel davon sie an die Zentralregierung abführen müssen.

Wie sich Seßhaftmachung der Nomaden, Begrenzung der Herdengrößen und willkürliche Besteuerungspolitik auf Land und Lebensunterhalt der Tibeter auswirken, kann man den Aussagen der Flüchtlinge entnehmen. Dhondup, ein Nomade aus dem Distrikt Golog, Provinz Qinghai, berichtete dem TCHRD über die Probleme, welchen die Nomaden in seiner Heimat beim Erwerb ihres Lebensunterhalts gegenüberstehen:

"Das Nomadenleben war die maßgebliche Lebensweise gewesen, viele Generationen lang lebten die Menschen in Golog als Nomaden und erwarben sich so ihren Lebensunterhalt. Heutzutage sehen sich die Nomaden mit vielen Härten konfrontiert. Die Chinesen haben den Familien das Weideland nicht nach der Größe ihrer Herden, sondern nach der Anzahl der Familienmitglieder zugewiesen. Die Regierung erlaubt jedem Familienmitglied die Aufzucht von fünf Stück Vieh, aber diese Vorgabe entbehrt jeder Grundlage. Eine Familie mit einer großen Herde kann aus nur wenigen Menschen bestehen und umgekehrt. Diejenigen mit großen Herden haben Wasser- und Weidelandprobleme und verlieren jährlich fünf bis sieben Stück Vieh. Vielen Familien geht es auf Grund derartiger Probleme ziemlich schlecht.

2003 haben die Chinesen eine neue Aufsichtsbehörde in Golog eingerichtet, die für das Weideland in den Nomadengebieten zuständig ist. Diese Behörde führte zwei neue Bestimmungen ein, die in allen Distrikten der Region bekanntgegeben wurden. Die erste besagt, daß jedes Familienmitglied nur fünf Stück Vieh besitzen darf, und daß alle diejenigen, die mehr Vieh halten, für jedes Tier 500 Yuan Geldstrafe bezahlen müssen. Die zweite verpflichtet jede Familie dazu, das ihr zugewiesene Land einzuzäunen. Diese neue Richtlinie trifft die ärmeren Familien hart, denn auf Grund der hohen Kosten können sie es sich nicht leisten, ihr ganzes Land einzuzäunen. Für einen Kilometer Zaun sind 7400 Yuan erforderlich. Diese Richtlinie entbehrt jeder Grundlage und beeinträchtigt die tibetischen Bauern und Nomaden stark.

Des weiteren fordert die chinesische Regierung von jeder Familie mindesten 1500 Yuan an Steuern, welche die Steuern für Weideland, den Boden und das Wassereinschließt. Das Landwirtschaftsamt hat bereits allegewarnt, daß, wenn sie diese Steuern nicht entrichten, die betreffenden Personen vor Gericht gestellt und zu einer Geldstrafe verurteilt werden, deren Betrag sich jedes Jahr, in dem sie nicht zahlen, verdoppelt. Fast alle Familien stehen dadurch vor schweren existentiellen Problemen und verkaufen ihr Vieh, um die Steuern bezahlen zu können.

Golog leidet gegenwärtig unter schwerer Wasser- und Futterknappheit. Wenn eine Familie ihr Vieh auf dem Land einer anderen weiden läßt, muß sie täglich 10 Yuan für jedes Pferd, 5 Yuan für ein Rind und 3 Yuan pro Schaf bezahlen. Wie viele andere Leute begann ich damit, im Sommer Yartsa Gunbhu (Raupenkeulenpilze – cordyceps sinensis) zu sammeln, um so die täglichen Ausgaben für meine Familie bestreiten zu können. Aber man verlangte von uns, daß wir den Gemeinde- und Distriktsbehörden von unserem hart erarbeiteten Verdienst Steuern in Höhe von 1500 Yuan bezahlten. Weil ich die ständige Unterdrückung und eine Politik, deren Ziel es ist, die nomadische Lebens- und Wirtschaftsweise auszurotten, nicht mehr ertragen konnte, floh ich schließlich ins Exil.”[105]

Harte Besteuerung, die Pflicht zur Einzäunung der Weiden und zur Niederlassung hat in der Provinz Qinghai viele Nomadenfamilien in die Verschuldung getrieben. Sonam Tsering, ein 25-jähriger Nomade aus der Provinz Qinghai, berichtete dem TCHRD:

”Bis 2003 mußten wir jährlich zwei oder drei Schafe als Fleischtaxe an die örtlichen Behörden liefern. Außerdem mußten wir noch 1500 Yuan in bar abgeben. Alle Nomadenfamilien versuchen, ihre Steuern fristgerecht zu zahlen, andernfalls wird im nächsten Jahr doppelt so viel von ihnen gefordert. 2003 teilten die Behörden jeder Nomadenfamilie ein Stück Grasland zu. Wir bekamen fünf mu (1 mu = 67 m2) für unser Vieh zum Grasen. Die Behörden befahlen uns, das Weidestück einzuzäunen; unsere Familie mußte 2000 Yuan von anderen leihen, um den dazu benötigten Stacheldraht kaufen zu können. Das uns zugeteilte Stückchen Erde wird in kürzester Zeit von unseren Tieren leer gefressen, so daß sie schwächer und schwächer werden. Immer mal wieder sterben uns zwei oder drei Schafe weg, weil sie nichts zu fressen haben. Die Sache wird dadurch noch verschlimmert, daß wir 2000-3000 Yuan Steuern an die Behörden entrichten müssen. Darin sind die Abgaben auf Fleisch, Besitz und Weideland enthalten.”[106]

Ebenso wie in Tibet die Besteuerung ziemlich willkürlich gehandhabt wird, scheint es, daß auch die Durchsetzung der Richtlinien zur Begrenzung der Viehhaltung dem Belieben der Lokalbehörden überlassen bleibt. Damit erhebt sich wieder die Frage der Transparenz und Verantwortlichkeit, denn die staatlichen Anordnungen werden nicht einheitlich umgesetzt. Während in einigen Regionen eine Obergrenze von 5 Stück Vieh pro Familienmitglied festgesetzt wurde, liegt die Grenze in anderen Regionen bei 3 Stück. Eben dies berichtete Ngawang Palden, ein 19-jähriger Nomade aus dem Dorf Marong, Gemeinde Rusho, Distrikt Jyekundo, Provinz Qinghai, dem TCHRD:

”Die Menschen in der Nomadengegend von Marong ernähren sich von der Viehzucht. Im August 2003 führten die Distriktsbehörden plötzlich eine Obergrenze für die Anzahl der Tiere pro Haushalt ein. Diese neue Verordnung über die vorgeschriebene Zahl an Tieren, die jede Familie halten darf, hat uns in eine sehr schwierige Lage gebracht und macht den Nomaden allgemein große Sorgen. Vor der Einführung der neuen Regelung nannte meine Familie über 80 Haustiere ihr eigen, doch die neue Regelung beschränkte die Anzahl der Tiere pro Familienglied auf drei, so daß unsere Familie nur noch 18 Tiere behalten durfte. Die übrigen 62 Tiere wurden zum Verkauf an diverse chinesische Schlachthäuser abtransportiert.”[107]

Die geballte Auswirkung von Erosion, Einzäunung, Seßhaftmachung, Verschuldung, Armut, Besteuerung, großflächigem Einsatz von toxischen Unkrautvernichtungsmitteln, Verlust von Erdreich und dem Fehlen der grundlegenden sozialen Dienstleistungen bedroht schlichtweg das Überleben der Nomaden.[108] Konzipiert wird diese ganze Politik in Peking, fast ohne Heranziehung der Tibeter, deren Leben ja betroffen ist. Ihr Resultat ist die zunehmende Unzufriedenheit im ländlichen Sektor der tibetischen Gesellschaft, der von den enormen Investitionen der Chinesen in Tibet kaum profitiert, Diskriminierung von Tibetern in der Marktwirtschaft, Verlust der Lebensgrundlage sowohl auf dem Land als auch in der Stadt und schließlich das Potential für eine massive Umweltverwüstung.

Der Lebensunterhalt in der Stadt

Der tibetische Bevölkerungsanteil in den urbanen Gebieten der TAR beträgt etwas über 15-20 %. Während der ländliche Teil Tibets unter großen Schwierigkeiten leidet, sehen sich auch die Tibeter in der Stadt mit zunehmender Arbeitslosigkeit, Marginalisierung und Diskriminierung in allen Lebensbereichen konfrontiert. Die Dominanz der chinesischen Sprache in Wirtschaft und Verwaltung macht es den Tibetern von vornherein unmöglich, mit den chinesischen Migranten um Arbeitsplätze zu konkurrieren.

Die VR China ist verpflichtet, ”das Recht eines jeden auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen anzuerkennen”, wozu auch angemessene Löhne und die gleiche Entlohnung für gleichwertige Arbeit ohne Unterscheidung irgendeiner Art gehören, sichere und gesunde Arbeitsverhältnisse, eine zumutbare Anzahl von Arbeitsstunden und außerdem bezahlter Urlaub. Die chinesische Verfassung erklärt, daß die Bürger der VR China das Recht wie auch die Pflicht zur Arbeit haben, und daß alle Bürger gleich zu behandeln sind.

Trotzdem sind die Tibeter überall der Konkurrenz chinesischer Zuwanderer ausgesetzt, die bevorzugt behandelt werden. Die Erleichterungen beim Haushaltsregistrierungssystem (chin. hukou) und flexiblere Arbeitsregelungen für aus China kommende han-chinesische Arbeitnehmer machen es Tibetern vom Lande fast unmöglich, die Gelegenheiten, welche die Stadt bietet, voll zu nutzen. Darüber hinaus hat das stadtorientierte Wachstum, das auf wirtschaftlicher Reform und Öffnung beruht, zu einer immer größer werdenden Einkommensdisparität zwischen Stadt und Land, sowie zwischen Han-Immigranten und einheimischen Tibetern geführt.

Der Zustrom von Han-Chinesen auf das tibetische Hochplateau hatte zur Folge, daß Tibeter bei Bildung und Ausbildung weniger berücksichtigt werden. Die Tibeter blieben also von den meisten qualifizierten Arbeitsplätzen oder denen für angelernte Arbeiter, die höhere Löhne und die Möglichkeit bieten, über die Armutsgrenze hinaus zu kommen, ausgeschlossen. Sie sind weitgehend auf die Arbeitsstellen angewiesen, die am wenigsten Fertigkeiten voraussetzen und geringsten bezahlt werden.

Die Arbeitsplatzfrage ist eng verbunden mit dem Zugang zu urbanem Wirtschaftswachstum und der Kontrolle über dieses, so daß sich die Diskriminierung der Tibeter weitgehend auf diesem Gebiet abspielt, sie also vom Zugang zum Arbeitsmarkt und der Kontrolle über das Wirtschaftswachstum ausgeschlossen bleiben.

Tibeter erhalten geringere Löhne als ihre chinesischen Arbeitskollegen und werden zuweilen in demütigender Weise behandelt. Kunsang Tenphel, ein 19-jähriger Bauer aus der Provinz Chamdo, berichtete dem TCHRD:

”Als ich zehn Jahre alt war, wurden wir, d.h. mein Vater und ich, als Hilfsarbeiter bei einer Baustelle angeheuert. Jeder von uns bekam schäbige 25 Yuan pro Tag, und wir arbeiteten von früh morgens bis spät abends. Wir mußten den chinesischen Arbeitern sogar ihre schmutzige Kleidung waschen und wurden mit Bambusstöcken geschlagen, wenn wir sie nicht ordentlich wuschen. Wir sprachen wegen der ungleichen Entlohnung mit dem Bauherrn, denn die chinesischen Arbeiter, welche dieselbe Arbeit verrichteten wie wir, verdienten 60 Yuan am Tag.”

Die Bildungspolitik in Tibet wird von der chinesischen Sprache beherrscht, die sowohl im öffentlichen Bereich als auch im Geschäftsleben überwiegend verwendet wird. Die meisten der Geschäfte und Unternehmen in Tibet sind in chinesischen Händen und werden vom Staat kontrolliert, woraus folgt, daß chinesische Arbeiter oft bevorzugt behandelt werden. Weil sie durch ihre mangelnden Sprachkenntnisse und geringere Bildung im Nachteil sind, können die Tibeter außerhalb ihrer traditionellen Beschäftigungsbereiche nicht voll am Wirtschaftsleben teilhaben. Damit wird der Grundsatz von Gleichheit und Nicht-Diskriminierung verletzt, der im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) verankert ist. China hat diesen Vertrag ratifiziert und sich zu seiner Einhaltung verpflichtet.

Die Zahl der tibetischen Frauen aus ländlichen Gebieten, die als Prostituierte arbeiten, hat in der TAR beträchtlich zugenommen. Die Zunahme der Prostitution ist eine direkte Folge von Arbeitslosigkeit und Armut, ebenso all der Entwicklungsprojekte, die eine gewaltige Einkommensdisparität zwischen Stadt und Land hervorgerufen haben. Welche üblen Auswirkungen die Prostitution im Hinblick auf die Verbreitung von HIV/AIDS und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten hat, ist allgemein bekannt.

Es wurde berichtet, daß in einigen Gegenden Tibets die Beschäftigungsrate bei nur 40 % liegt. Obwohl Peking ständig behauptet, daß die Western Development Strategy und andere Programme Tibet einen gewaltigen Fortschritt beschert hätten, sehen die Tibeter kaum etwas von den Früchten dieser Entwicklung. Sie haben weder die wirtschaftlichen Voraussetzungen noch die notwendige Ausbildung, um mit den Chinesen um die neuen, durch die WDS entstandenen Arbeitsplätze und Posten konkurrieren zu können.

Ineffizientes Gesundheitssystem

Gesundheit wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als ”ein Zustand vollkommenen physischen, mentalen und sozialen Wohlergehens und nicht nur als Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechlichkeit definiert”. Gesundheit ist die Voraussetzung für Leistung am Arbeitsplatz, für Lernfähigkeit in der Schule und für intellektuelles, physisches und emotionales Wachstum. Wirtschaftlich ausgedrückt, sind Gesundheit und Bildung die zwei Eckpfeiler der menschlichen Ressourcen.[109] Das Recht auf einen angemessenen Gesundheitszustand ist auch Teil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UDHR), des Internationalen Übereinkommens über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR), des Internationalen Paktes über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (ICESCR), der Konventionen über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung (ICERD), der Konvention über die Beseitigung aller Formen von Diskriminierung gegen Frauen (CEDAW)[110] und der Konvention über die Rechte des Kindes (CRC).

Während die chinesische Verfassung das Recht auf Gesundheit nicht ausdrücklich garantiert, anerkennt sie ”das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich selbst und seine Familie, einschließlich einer stetigen Verbesserung der Lebensbedingungen”[111] und ”das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit”. Chinas Gesetzesänderung zur regionalen ethnischen Autonomie von 2001 besagt, daß die Selbstverwaltungsorgane nationaler autonomer Gebiete ”unabhängige Entscheidungen” über die Verbesserung der regionalen medizinischen und gesundheitlichen Versorgung sowie über die Förderung der modernen und traditionellen Heilkunde treffen können (Art. 40).

Der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen sieht in Gesundheit einen integralen Bestandteil aller Entwicklungsprogramme. Er sagt, daß der Verlust der Gesundheit auch für die Wirtschaft nachteilig sei, weil die Leistungsfähigkeit der Menschen von dem Niveau ihrer Ernährung und Gesundheit abhängt. Schlechte Gesundheit und Krankheit sind sowohl Ursache als auch Folge von Armut.

In seinem Weißbuch über Regionale Ethnische Autonomie behauptet China, die Situation der medizinischen und gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung habe sich mit der Zunahme der diesbezüglichen Einrichtungen erheblich verbessert.[112] Der Zehnte Fünfjahresplan (2001-2005) sieht auch die Einrichtung von Netzwerken für die medizinische Versorgung und öffentliche Gesundheit auf Landes-, Kreis- und Gemeindeebene vor, sowie ein System, das ”medizinische Vorsorge und Krankenversicherung umfaßt”. 2002 kündigte Peking seinen Plan an, bis 2004 eine grundlegende Grundgesundheitsversorgung für die 900 Millionen zählende Landbevölkerung bereitzustellen, um seiner Pflicht nachzukommen, die von der WHO gestellte globale Forderung ”Gesundheit für alle” zu erfüllen. Doch der Schein, daß für die Tibeter etwas getan werde, trügt: Mangelnde Gesundheitsversorgung und die düstere Realität einer abschreckenden Menschenrechtslage sind stets wiederkehrende Themen in den Aussagen der Flüchtlinge.

Bei der Gesundheitsfürsorge in Tibet gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen. Das System operiert auf den Ebenen von Präfektur, Distrikt, Gemeinde und Dorf. In jedem Distrikt wird die Gesundheitsversorgung auf andere Weise geregelt, was besagt, daß die Lokalpolitik hier eine große Rolle spielt. Trotz der hohen staatlichen Zuschüsse und der hochtrabenden Worte der Regierung berichten tibetische Flüchtlinge, die in Indien ankommen, daß der Löwenanteil der Gelder, die für den Gesundheitssektor bestimmt sind, in die Entwicklung harter Infrastruktur fließt. Die in letzter Zeit eingetroffenen Flüchtlinge nennen die hohen Kosten und die mangelhafte Qualität der Behandlung, die entfernte Lage der Einrichtungen und die ethnische Diskriminierung als die Schlüsselprobleme bei der Gesundheitsversorgung in Tibet.

Obwohl ein großer Fortschritt bei der Basis-Gesundheitsfürsorge festzustellen ist, bleibt sie für die Mehrheit der Tibeter außerhalb ihrer Reichweite. Entgegen der Behauptung der Chinesen, daß die Gesundheitsversorgung ”in den Bauern- und Nomadengegenden kostenlos” sei, bleibt die Gesundheit der Tibeter infolge der überhöhten Gebühren weiterhin gefährdet. Dazu kommt noch die diskriminierende Behandlung, der allgemeine Mangel an geeigneten Einrichtungen und die fehlende öffentliche Gesundheitserziehung bei den Tibetern. Medizinische Einrichtungen konzentrieren sich auf die Städte. In die oft abgelegenen ländlichen Gegenden, in denen die Mehrheit der Tibeter lebt, sind sie noch nicht genügend vorgedrungen.

Viele Probleme in Tibet, wie etwa der Mangel an gut ausgebildetem Personal, ähneln denen in anderen armen ländlichen Gebieten Chinas. Der miserable Gesundheitszustand in tibetischen und chinesischen Familien, die unter der Armutsgrenze leben, ist ausweglos mit der schlechten Ernährung und den fehlenden sanitären Basis-Einrichtungen verbunden, was zu Unterernährung, Zwergwuchs, Rachitis, Anämie, Magen-Darm-Beschwerden, Diarrhoe, Parasitenbefall, chronischen Atemwegsinfektionen und Jodmangel führt. Ein Hauptgrund hierfür mag sein, daß die Gesetze, die China in bezug auf Gesundheitsversorgung erließ, keine Maßnahmen spezifizieren, die sich mit der Umsetzung des Rechts auf Gesundheit befassen.[113]

In Tibet treten Krankheiten wie Tuberkulose, Kaschin-Beck[114], Lepra und Hepatitis in alarmierender Häufigkeit auf. Nach den Schätzungen aus einer Quelle sind in einigen Gegenden Tibets bis zu 20 % der Bevölkerung an Tuberkulose erkrankt, und die Krankheit wird mit Prozentzahlen, die weit über denen in China liegen, weiterhin endemisch bleiben.[115] Störungen infolge Jodmangels sind recht häufig. Außerdem verzeichnet Tibet weltweit die höchste Rate an Fällen von Kaschin-Beck – in manchen Gegenden bis zu 80 %.[116] In Lhasa liegt die Verbreitung von Hepatitis B bei bis zu 15 %.[117] Obwohl HIV und AIDS noch kein Thema in der TAR sind, wird sich die Lage aufgrund der großen mobilen Bevölkerung der Nachbarregionen wahrscheinlich ändern. Die Fertigstellung der Eisenbahnverbindung von Qinghai nach Lhasa könnte sich auch negativ auf die Verbreitung von HIV und anderen Infektionskrankheiten in der TAR auswirken.[118]

Andere häufig auftretende Beschwerden auf dem Hochplateau sind diverse Atemwegsbeschwerden, Durchfallerkrankungen, Verdauungsprobleme, Rachitis, Kropfbildung, Augeninfektionen, Herz-, Lungen- und Lebererkrankungen. Die weite Verbreitung dieser heilbaren und vermeidbaren Krankheiten beweist, daß Chinas System der Gesundheitsversorgung bzw. der gesundheitlichen Aufklärung jenseits der urbanen Zentren nicht besonders effektiv ist.

Der jüngste Bericht über die Müttersterblichkeit in Tibet dokumentiert, daß die außerordentlich hohe Rate von Frauen, die bei der Geburt sterben, der mangelhaften gesundheitlichen Betreuung zuzuschreiben ist. ”Der Standard der medizinischen Versorgung in Tibet liegt eine Stufe unter dem übrigen China”, sagten Bonds und Rosenbloom bei einem elektronisch geführten Interview aus Lhasa.[119] Dem Amt für öffentliche Gesundheit der TAR zufolge sterben in Tibet im Durchschnitt 325 Frauen pro 100.000 Lebendgeburten. Der ”Tibet Poverty Alleviation Fund” in Cambridge, Massachusetts, setzt die Müttersterblichkeit sogar auf 500 pro 100.000 Lebendgeburten an.[120]

Um Arlen Samen,[121] die Gründerin von H.E.A.R.T., zu zitieren: ”In China selbst haben die meisten Frauen nur ein Kind. Sie wohnen nicht irgendwo in der Wildnis ohne medizinische Betreuung und Aufklärung. Es gibt Krankenhäuser, genügend Ärzte und andere Einrichtungen, und sie gehen wahrscheinlich rechtzeitig dorthin”. All das bedeutet, daß, je nachdem welcher Statistik man Glauben schenkt, tibetische Frauen sechs- bis zehnmal häufiger im Wochenbett sterben als chinesische. Und die Kinder tibetischer Frauen haben eine bis zu dreimal geringere Chance zu überleben. Weil die große Mehrheit der Frauen in Tibet ihre Kinder zu Hause zur Welt bringt, und sie wenig oder gar keine pränatale Betreuung erfahren, weiß eigentlich niemand von uns genau, wie viele Todesfälle von Wöchnerinnen oder Neugeborenen statistisch gar nicht erfaßt werden”, sagte Dr. Michael Varner, Professor für Gynäkologie und Geburtsmedizin an der University of Utah und zugleich der medizinische Direktor von H.E.A.R.T.

Die Anzahl der in der TAR im Gesundheitsbereich Tätigen wirkt beeindruckend – fast 11.000 und über 3.000 ”Barfußärzte”, d.h. Helfer mit einer drei- bis sechsmonatigen Grundausbildung.[122] Den Krankenhäusern fehlt jedoch die entsprechende Infrastruktur und Ausrüstung. In der Tat kann eines von fünf städtischen Krankenhäusern nicht einmal einfache operative Eingriffe vornehmen, und in ganz Tibet gibt es nur einen einzigen Computer-Tomographen (CT-Scanner).[123] Wo die Krankenhäuser einigermaßen eingerichtet sind, muß vom Patienten vor der Behandlung auf dem Land eine Kaution von 1000 Yuan und in der Stadt bis zu 3000 Yuan[124] hinterlegt werden – für Tibeter der Arbeitslohn vieler Monate.

Was die Gesundheitsversorgung und die Menschenrechte des tibetischen Volkes angeht, wird die Lage noch dadurch verschlimmert, daß es keine zuverlässigen medizinischen Daten gibt, abgesehen von den offiziellen Quellen und ein paar in Tibet tätigen NGOs. Die NGO ”Ärzte ohne Grenzen” zog sich Ende 2002 aus der Region zurück, weil sie zu dem Schluß gekommen war, daß sie bei einer derart mangelhaften medizinischen Infrastruktur die gesundheitliche Situation der Tibeter nicht verbessern könne.

Einem Bericht von Tibet Daily vom 7. Juni 2004 zufolge wurde 1994 der erste Fall von AIDS in der TAR konstatiert. Seither wurden 11 weitere Fälle registriert.[125] Von AIDS betroffen sind hauptsächlich die ärmsten Länder der Erde, und Tibet ist so ein verarmtes Land. Infolge der wachsenden Prostitution und des Zustroms der Han-Immigranten muß befürchtet werden, daß sich AIDS in Tibet rasch ausbreitet. Die Tibeter auf dem Land leben in Unkenntnis über die Krankheit, und viele tibetische Mädchen lassen sich aus wirtschaftlichen Gründen vom Sexgeschäft in den Städten anlocken. Es gibt weder Programme zur AIDS-Aufklärung in Tibet noch Labors für einen HIV-Test. Die Provinz Yunnan gilt als die am schlimmsten von AIDS betroffene in ganz China, gefolgt von Sichuan. In beiden Provinzen ist der Anteil an tibetischer Bevölkerung verhältnismäßig groß, da die ehemalige tibetische Provinz Kham in diesen beiden Provinzen aufging. Daher stehen Tibeter außerhalb der TAR infolge ihrer geographischen Nähe zu diesen beiden Provinzen in größerer Gefahr, angesteckt zu werden.

Die WTO und die Globalisierung: Wem nutzt es?

Als China am 11. Dezember 2001 in die World Trade Organisation (WTO) aufgenommen wurde, feierte man dies als ein Ereignis mit beiderseitigem Gewinn.[126] Die Regierung in Peking sieht den Beitritt zur WTO in erster Linie als ein Vehikel für weitere Reformen und Zugewinn an internationalem Ansehen für China. Durch das Wirken der WTO zustande gekommene gesetzliche Reformen in China sollen zu einer gerechten Verteilung von Gewinnen führen, sie schließen allerdings die grundlegende Frage nach dem politischen Willen und der internationalen Überwachung mit ein.

Die Globalisierung ist im Grunde genommen nichts Neues. Sie ist ein von Handel und Verkehr untrennbarer Vorgang, wobei sich kulturelle Einflüsse ausdehnen und Wissen und Verständnis sich unter den Völkern verbreiten. Die wirtschaftliche Globalisierung wird dahingegen allgemein als ein Phänomen verstanden, bei dem das internationale Handelsvolumen zunimmt und der freie Handel auf dem Weltmarkt floriert. Die Rolle, die internationale Institutionen wie die WTO, der IMF (Internationaler Währungsfonds) und die Weltbank dabei spielen, führte zum Entstehen einer zentralisierten globalen, die Weltwirtschaft bestimmenden Handelsbürokratie.[127]

Mehrere Experten und internationale Menschenrechtsorganisationen brachten ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck, daß Chinas Aufnahme in die WTO, zusammen mit dem laufenden Prozeß der Globalisierung, negative Auswirkungen auf die Wirtschaft, den Lebensunterhalt und die Kultur der Tibeter haben könnte. In ihrem Weißbuch über Armutsbekämpfung räumt die VR China ein, daß ihr Beitritt zur WHO sich auf arbeits- und ressourcenintensive Industrien, wie Ackerbau und Viehhaltung ”negativ auswirken könnte”. Ein Volkswirtschaftler an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften drückte es genauer aus: ”Kein Zweifel, es wird den Bauern unter dem Regiment der WTO schlechter gehen”.[128]

Außer den gesetzlichen Änderungen im Hinblick auf wirtschaftliche Reformen infolge des WTO-Beitritts wird dieser China auch in seiner Betonung der Aufrechterhaltung sozialer Stabilität bestärken und die Zentralisierung der politischen Autorität der Regierung weiter konsolidieren. Der Vorsitzende des politischen und juristischen Ausschusses des Politbüros, Lu Gan, erläuterte in seiner Rede vom 5. Dezember 2001 die politisch-gesetzgeberische Arbeit und betonte das Gewicht, das die Partei, der Justiz beimesse, um Arbeiterunruhen und sozialer Instabilität im Gefolge des Beitritts zur WTO vorzubeugen.[129]

Zu den diversen negativen Auswirkungen der Globalisierung gehören Mißachtung der Arbeiterrechte, Umweltschädigung, Privatisierung von Gesundheits- und anderen sozialen Diensten, vermehrte Armut und Verlust der Autonomie u.a., aber auch die grundlegenden Systeme der Kultur und des religiösen Glaubens der Tibeter geraten unter Beschuß.[130] Die Globalisierung wurde als eine Maschine beschrieben, die ”Reichtum in Hülle und Fülle ausschüttet, dabei aber große Trümmerfelder hinterläßt”.[131] Von der Globalisierung sagt man, sie mache die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer. Im Falle Tibets ist dies um so besorgniserregender, als die Tibeter kein Mitspracherecht haben bei den politischen Entscheidungen, die ihr Leben bestimmen.

Es könnte auch allgemein zu vermehrten Verstößen gegen die Menschenrechte kommen, wenn die von der WTO diktierten gesetzlichen Reformen nur in Richtung sozialer Stabilität und Konsolidierung der Kontrolle der Zentralregierung interpretiert werden. Eine solche Entwicklung könnte für die marginalisierten und politisch widerspenstigen Volksgruppen wie die Tibeter noch schlimmere Folgen haben. Infolge ihrer Marginalisierung sind die Tibeter von den wirtschaftlichen Möglichkeiten weitgehend ausgeschlossen, gleichzeitig werden sie aber wegen der politischen Brisanz der Sache Tibets zu den Opfern politischer Kontrolle.

In Chinas Weißbuch von 2001 über Modernisierung steht, daß die ”Waren von anderen Teilen des Landes und der Welt in einem stetigen Strom nach Tibet fließen und sowohl die Märkte in der Stadt als auch auf dem Land und das Leben der Menschen vor Ort bereichern”. Nach Chinas Beitritt zur WTO versprach Zeng Peiyan, der für die staatliche Kommission für Entwicklungsplanung zuständige Minister, gemäß den multilateralen und bilateralen Vereinbarungen werde China seinen Markt, besonders in den westlichen Regionen, weiter öffnen. Außerdem wolle China auch seine geschäftlichen Unternehmungen nach Westen ausdehnen, um mehr ausländisches Kapital anzuziehen.[132]

Die Erfahrung anderer Länder, die der WTO beitreten oder die mit den wirtschaftlichen Folgen der Globalisierung zu kämpfen haben, zeigt, daß Bevölkerungsgruppen, die bereits von den etablierten nationalen Märkten ausgeschlossen sind, noch weiter ins Abseits gedrängt werden.[133] Von daher gesehen wird die Überflutung des Landes mit Waren und Gütern den Tibetern kaum helfen, da sie bereits in ihrem eigenen Land eine marginalisierte Gemeinschaft sind. Angesichts der sozialen Diskrepanzen, die gegenwärtig in Tibet herrschen und der diskriminierenden Politik Chinas, die den Tibetern keine Mitwirkung an ihrer eigenen Entwicklung zugesteht, werden der Beitritt zur WTO und die Billiglöhne in seinem Gefolge eine abträgliche und verarmende Wirkung auf Tibet ausüben.

Die WTO-Mitgliedschaft wird sich in noch stärkerem Maße auf die tibetischen Erzeuger von Primärprodukten auswirken. Gemäß den WTO-Bestimmungen kann die chinesische Regierung örtliche Erzeugnisse nicht mehr schützen, indem sie Importe aus dem Ausland mit hohen Zöllen belegt. Bisherige Schutzzölle auf landwirtschaftliche Importe nach China werden gestrichen, dafür werden von großen und Hi-Tech Farmen produzierte Nahrungsmittel hereingelassen, die viel billiger sind als die von kleinen tibetischen Bauern gelieferten. Ohne einen derartigen Zollschutz werden die Marktpreise für wichtige tibetische landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Gerste, Weizen, Rapssamen und Fleisch ins Bodenlose sinken. Experten sagen, daß auch ”die Märkte der Nomaden in Mitleidenschaft gezogen werden, da sie von einer ständig wachsenden Konkurrenz bedrängt werden”.

Von den gegenwärtigen Vereinbarungen im Rahmen der WTO könnte sich das Abkommen über Landwirtschaft (Agreement on Agriculture – AOA) am unmittelbarsten auf Tibet auswirken, weil über drei Viertel aller Tibeter dem landwirtschaftlichen Sektor angehören, wobei die meisten von der Viehzucht leben.[134] Das AOA fordert von den Regierungen der Mitgliedstaaten, die Handelsverzerrungen zu reduzieren, Zölle und Subventionen abzubauen und allen Ländern, die in der WTO sind, einen Mindestzugang zu ihrem Markt zu gewähren. Eine weitere wichtige WTO-Vereinbarung mit Folgen für Tibet ist das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (Trade Related Intellectual Property – TRIP).[135] In Tibet gibt es viele einheimische Pflanzen und Kräuter. Mit Chinas Beitritt zur WTO besteht die Gefahr, daß gewisse Firmen Monopolrechte oder Patente an diesen Pflanzen beanspruchen könnten.

Chinas Entwicklungsmodell für Tibet wirft auch die Frage einer gemeinsamen sozialen Verantwortung hinsichtlich der ethnischen Trennung zwischen Tibetern und Chinesen auf. Kleinere örtliche Projekte könnten den Tibetern mehr Entscheidungsmacht und mehr Nutzen bringen als harte Infrastruktur und Großindustrie.

Eindeutig tragen die Unternehmen, die sich entschließen, in Tibet zu investieren, die große Verantwortung, China zu dem allgemein üblichen wirtschaftlichen Gebaren zu bewegen und dafür zu sorgen, daß marginalisierte Gemeinschaften wie die Tibeter mehr Entscheidungsmacht erhalten und daß ihren Bedürfnissen Genüge getan wird. Ohne die Verhältnisse insgesamt zu berücksichtigen, wird internationales Engagement in China nur dessen Fernziel der Assimilierung der Minderheiten begünstigen, was wiederum negative Auswirkungen auf die Lebensweise der Tibeter, die Möglichkeit, ihr Auskommen zu finden, ihre Kultur und ihre Religion hat.

Um ein Beispiel zu nennen: Wie dem TCHRD bekannt wurde, hat Carlsberg mit einer chinesischen Gesellschaft einen viele Millionen Dollar schweren Vertrag zur Herstellung von Bier in Tibet abgeschlossen. Chinas Börsen-Journal berichtete, die neue Firma, Tibet Lhasa Brewery, sei eine fifty-fifty Partnerschaft zwischen Carlsberg International und Tibet Galaxy Science Technology Development. Bier ist weitaus das populärste alkoholische Getränk in Tibet. Der Gesamtverbrauch stieg in den letzten Jahren drastisch an, das heißt zwischen 1997 und 2002 um 40 % auf 16,5 Liter pro Kopf. Ausländische Bierhersteller gingen nach dem Fall der Handelsbarrieren in der Region mit Eifer auf den tibetischen Mark.[136] Wenn Bier in großem Umfang hergestellt wird, dann steht es überall billig zur Verfügung, was eine ganze Reihe von sozialen Übeln und gesundheitlichen Schäden für die Tibeter mit sich bringt.

Bedauerlicherweise wird die einheimische Bevölkerung ins Abseits gedrängt, während chinesische Firmen die Verträge, und chinesische Arbeiter oftmals dank ihrer besseren Ausbildung die Arbeitsplätze an sich reißen. Mure Dickie, der Pekinger Korrespondent der Financial Times, schrieb in einem langen Artikel über Tibet, trotz aller diesbezüglichen Zusicherungen der Regierung habe er an größeren Baustellen und Projekten in der Nähe von Lhasa keinen einzigen tibetischen Arbeiter entdecken können[137].

Schlussbemerkung

China treibt gegenüber Tibet eine Politik, die nicht nur die bürgerlichen und politischen Rechte der Tibeter, sondern auch ihre wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verletzt. Sozial gesehen läuft Chinas Wirtschaftspolitik in Tibet auf die Verletzung des Rechts des tibetischen Volkes auf Lebensunterhalt und Entwicklung hinaus. Das autoritäre Machtsystem, Mißmanagement und eine von oben aufgezwungene Entwicklungspolitik brachten dem tibetischen Volk weder den gewünschten Fortschritt noch eine Verbesserung seines Lebensstandards.

Die grundlegende Frage für die TAR und für die politischen Entscheidungsträger in der Zentralregierung sollte sein, wie der aus dem raschen Wachstum und der Modernisierung entstandene Nutzen am besten an die relativ arme tibetischen Bevölkerung, die von der Landwirtschaft lebt und Ackerbau und Viehzucht für ihren eigenen Bedarf betreibt, weitergegeben werden kann.[138] Die Aktivitäten zur Entwicklung der TAR sollten dem Aufbau von Kompetenzen, der Eigenverantwortung und der Mitwirkung der Tibeter Priorität einräumen.

Was das tibetische Hochland betrifft, so sind zwei Problemkreise besonders signifikant: Der erste ist die Wertschätzung und das Verständnis für die traditionelle Beziehung zwischen Natur und Wirtschaft. Zweitens muß China verstehen, wie wichtig die nachhaltige Nutzung des Landes und seiner natürlichen Ressourcen ist, um eine ökologisch verträgliche Entwicklung sicherzustellen. Bedauerlicherweise hat China die traditionelle Art und Weise des Warenaustauschs und der Produktion falsch eingeschätzt und vernachlässigt. Die jetzt praktizierte Entwicklungsmethode, die Lebensqualität der Landbevölkerung durch die Verbreitung moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischen Know-hows  anzuheben, hat den Tibetern nicht aus der Armut und ungesicherten Ernährungslage herausgeholfen. Wissen verbreitet sich im allgemeinen nur in einer Richtung, nämlich abwärts, von denen, die “stark”, gebildet und "aufgeklärt" sind hinunter zu den Schwachen, Ungebildeten und in der Dunkelheit des Unwissens Lebenden.[139] Auch was Tibet anbetrifft, sollten volkswirtschaftliche Kenntnisse nicht nur den oberen Gesellschaftsschichten vorbehalten bleiben, sondern nach unten weitergegeben werden.

Das Recht auf Entwicklung ist ein ”aus Grundrechten abgeleitetes Konzept, das auf der Befähigung und Mitwirkung (der Nutznießer) bei der Entscheidungsfindung und deren Ausführungsprozeß beruht”. Chinas Ausbeutung der Naturschätze Tibets und die sogenannte Entwicklung des Landes durch diverse Großprojekte, ohne die Partizipation der einheimischen Bevölkerung und ohne wirtschaftlichen Nutzen für sie, ist mit der Achtung vor dem Recht auf Entwicklung nicht vereinbar. Erst wenn das tibetische Volk sich echter Selbstbestimmung erfreut, kann es sein Recht auf Entwicklung auch wahrnehmen.

Fußnoten

[1] International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights.

[2] International Covenant on Civil and Political Rights.

[3] www.china.org.cn/e-white/20040330.

[4] Siehe auch: ”State of Education: A human rights perspective – special report by TCHRD”, www.tchrd.org.

[5] United Nations Declaration on the Right to Development: ”Das Recht auf Entwicklung ist ein unveräußerliches Menschenrecht, kraft dessen alle Menschen und Völker Anspruch darauf haben, an einer wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Entwicklung, in der alle Menschenrechte und Grundfreiheiten voll verwirklicht werden können, teilzuhaben, dazu beizutragen und daraus Nutzen zu ziehen”.

[6] ”Human Rights in China”, Beijing Review, 4 Nov. 1999, p. 43.

[7] ”Human Rights Progress in China”, PRC State Council Information Office, Beijing, Dec. 1995.

[8] Human Rights in China, 8.

[9] Ibid. 9.

[10] Ibid. 12.

[11] Die Agenda 21 wurde bei der Konferenz der UNO 2002 in Rio de Janeiro verabschiedet.

[12] www.acca21.cn/indexe12.html.

[13] ”Breakthroughs planned for Nation’s Western Development”, People’s Daily online, www.english.peopledaily,com.cn.

[14] Andrew Fischer, Poverty by Design: Economics of Discrimination, Canada Tibet Committee (CTC), Aug. 2002.

[15] The Milarepa Foundation and Project Underground, Raiding the Treasure House: Oil and Mineral Extraction in China’s Colonisation of Tibet, www.milarepa.org.

[16] June Teufel Dreyer, ”Economic Development in Tibet under the People’s Republic of China”, Journal of Contemporary China (2003), 12 (36).

[17] Text des ”Berichts über Regierungsarbeit” von Gyaltsen Norbu, dem Vorsitzenden der TAR, vorgetragen bei dem 6. Regionalen Volkskongreß am 15. Mai 1997 und veröffentlicht in der Regionalzeitung Tibets ”Xizang Ribao”, Quelle Xizang Ribao, Lhasa, chin. 29. März 1997.

[18] Amartya Sen, Development as Freedom, Oxford University Press, 1999.

[19] Aussage von Mr Sita, Berater der chinesischen Delegation, zu dem Punkt 14 bei der 59. Sitzung der Menschenrechtskommission in Genf am 14. April 2003.

[20] Bericht des Ad Hoc Komitees über die 24. Sondertagung der Generalversammlung UN Doc. A/S-24/8/Rev.1.

[21] Robert Barnett, ”Chen Kuiyian and Marketisation of Policy”.

[22] Chen Kuiyian, Erfordernisse und Hoffnungen für das Dritte Arbeitstreffen zu Tibet, 28. Juni 1994, Xizang de Jiaobu, 1999.

[23] ”Die Lage der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in Tibet”, schriftliche Eingabe der Federation of Associations for Defence and Promotion of Human Rights, einer NGO mit Konsultativstatus beim EcoSoc, General E/CN.4/2003/NGO/50, 28 Feb 2003, Menschenrechtskommission, 59. Sitzung, Punkt 10 der vorläufigen Tagesordnung.

[24] Arthur N. Holcombe, ”Die Auswirkungen der Wirtschaftsreformen und der Öffnungspolitik auf den Lebensstandard lokaler ethnischer Volksgruppen in China: Der Fall Tibets”, August 2001.

[25] ”Das Recht auf Entwicklung”, Eingabe von der Transnational Radical Party, eine NGO mit allgemein konsultativem Status, 2 Feb. 2004, 60. Sitzung, Punkt 7 der vorläufigen Tagesordnung.

[26] DIIR, Environment and Development in Tibet, A crucial issue, 2003.

[27] Die westliche Entwicklungsstrategie wurde lanciert, um die immer größer werdende Kluft zwischen den östlichen Küsten- und den inneren westlichen Provinzen zu verringern.

[28] The Milarepa Fund and Project Underground, Raiding the Treasure House: Oil and Mineral Extraction in China’s Colonization of Tibet, www.milarepa.org.

[29] ”Initial Reports on Fourth Work Forum”, Tibet Information Network (TIN), News Update, 27 July 2001.

[30] ”Bauern besorgt wegen Straßenbauprojekt”, Human Rights Update July 2004, www.tchrd.org/hrupdate/2004/hr200407.htm#anxious.

[31] Das Büro der Führungsgruppe für ”Western Region Development” steht an der Basis dieser Struktur, die nächste Ebene ist die Führungsgruppe WRD selbst, und die höchste Ebene ist die Parteielite mit Präsident und Premierminister.

[32] Gregory T Chin, ”The Politics of China’s Western Development Initiative” in China’s West Region Development; Domestic Strategies and Global Implications.

[33] China’s Great Leap West”, www.tibetinfo.com.

[34] UN Sub-Commission resolution 1990/17; 1991/28; 1992/28, 1993/34. See also Meindersma, ”Legal Issues surrounding

Population Transfers in Conflict Situations,” Netherlands Institute Law Rev., Vol XLI, 1994, 31-84.

[35] International Commission of Jurists, ”Tibet: Human Rights and the Rule of Law”, December 1997, p.119.

[36] Address of 15 May 1995, Xizang Raibao, 8 June 1995, SWB FE/2363 S2/1-16, 24 July 1995.

[37] June Teufel Dreyer, ”Economic Development in Tibet under the People’s Republic of China”, Journal of Contemporary

China (2003), 12 (36), August 411?30.

[38] Aussage eines für die Haushaltsregistrierung im Ministerium für Öffentliche Sicherheit tätigen Kaders. Renmin Ribao, SWB FE/1332 B2/6, 18. März 1992. Chinesische Offizielle gaben zu, daß die meisten Chinesen in Tibet der fließenden Bevölkerung zugerechnet werden müssen. Xinhua, 22 July 1995, SWB FE/2365 G/7 26 July 1995.

[39] ”An influx deemed good for Tibet’s economic development?”, Far Eastern Economic Review, 19 Feb 1998, p. 29.

[40] DIIR, Environment and Development in Tibet: A Crucial Issue, 2003.

[41] China, UNDP to train professionals for Western Regions.

[42] ”Accelerated Personnel Training Vital to Western Development”, People’s Daily, June 7, 2000.

[43] Environment and Development Desk (EDD) of DIIR, ”China’s Railway Project: Where will it take Tibet?”

[44] Ibid.

[45] South China Morning Post, 23 Oct 2000.

[49] Erling Hoh, ”Bridging Beijing to Tibet with each new track”, Washington Times, 19 Nov. 2004.

[50] Ibid.

[51] Erling Hoh, ”For Tibetans, railroad brings doom”, Washington Times, 26 Nov. 2004.

[52] United Nations Conference on Environment and Development, Rio de Janeiro, 3-14 June 1992.

[53] UN Doc.A/CONF.151/5.3.

[54] Grundsatz 10, ebenda.

[55] R. Jaheil, ”Globalization and the violation of environmental justice”, 22 Feb 2003.

[56] DIIR, China’s current Policy on Tibet, 29 Sept. 2000.

[57] Prof. Li Bingjiong, ” The Progress of Poverty Alleviation in China; Experience, Problems and Implications for the Asia –Pacific”, Department of Agricultural Economics, China Agricultural University, Beijing, 100094, P.R. of China, Bangkok, February 2002.

[58] DIIR, Chinas derzeitige Politik zu Tibet, 29 Sept. 2000.

[59]"GDP Growth Tops 8.5 Percent in Western Region in First Half”, People’s Daily Online, http;//english.peopledaily.com.cn.

[60] ”Land-Forest Conversion continues in West”, China Daily.

[62] Umweltaktivitäten bedrohen den Lebensunterhalt der Nomaden, TCHRD Pressemitteilung, 21. August 2003.

[63] Bauern und Nomaden in Chamdo und Sichuan im Zuge einer Umweltschutz-Aktion umgesiedelt, TIN News 29. Juli 2003.

[64] Human Rights in China, ”Major problems found in three gorges dam resettlement program”, 1 March 1998.

[65] TIN News Update 23 July 2003: ”Nomads and farmers resettled in environment protection drive in Chamdo and Sichuan”

[66] ”Environmental drive threatens nomadic culture”, TCHRD Press Release, 21 Aug. 2003.

[68] Die Lage der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in Tibet. Schriftliche Eingabe der ”Federation of Associations for Defence and Promotion of Human Rights”, einer NGO mit beratendem Status bei dem Wirtschafts- und Sozialrat, Genera, E/CN.4/2003/NGO/50, 28 Febr. 2003, Menschenrechtskommission, 59. Sitzung, Punkt 10 der vorläufigen Tagesordnung.

[69] DIIR, Tibet 2000: Environment and Development Issues, 2000.

[70] The Milarepa Fund, Raiding the Treasure House: Oil and Mineral Extraction in China’s Colonization of Tibet, www.milarepa.org.

[71] Ibid.

[72] DIIR, Tibet 2000: Development and Environment Issues, 2000.

[73] HRU Sept. 2004, www.tchrd.org/hrupdate/2004/hr200409.html#arrested.

[74] Die Konvention 29 beschreibt die Zwangsarbeit als ”eine von Personen unter Androhung von Strafe erpresste Arbeit, oder eine Arbeit, zu der sie sich nicht freiwillig angeboten haben”.

[75] In der Konvention 105 geht es um das Verbot von Zwangsarbeit als einem ”Mittel politischer Nötigung oder als einer Strafe für abweichende politische Ansichten, als einer Methode der Mobilisierung von Arbeit zu Zwecken wirtschaftlicher Entwicklung oder als einem Mittel rassischer, nationaler oder religiöser Diskriminierung”.

[76] International Campaign for Tibet, 1993.

[77] Free Tibet Campaign, 1997.

[78] Chen Shan, ”Inner Asian Grassland Degradation and Plant Transformation”, 111, in Humprey ed, ”Culture and Environment in Inner Asia”, Vol 1.

[80] ”Speaking for Tibet”, ein Schattenreport welcher dem UN Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung (WSSD) im August 2002 unterbreitet wurde.

[81] United Nations Development Programme, www.undp.org/undp/hdro/anatools.htm

[82] Der Index für menschliche Entwicklung (HDI) setzt sich aus drei für die menschliche Entwicklung grundlegenden Komponenten zusammen: Lebensdauer, Wissen und Lebensstandard. Die Lebensdauer wird durch die Lebenserwartung gemessen. Wissen wird durch eine Kombination von Erwachsenen-Alphabethisierungsrate (zwei Drittel Gewicht) und durchschnittlichen Schuljahren (ein Drittel Gewicht) gemessen. Der Lebensstandard wird durch die Kaufkraft, basierend auf dem realen BIP per Kopf, angepaßt an die örtlichen Lebenshaltungskosten (purchasing power party = PPP) gemessen.

[83] www.acca21.org/cn/nreport.html.

[84] www.undp.org/undip/hdro/anatools.htm.

[85] Einkommens-Armut wird als der Mangel an den lebensnotwendigen Gütern für das materielle Wohlbefinden definiert, der Maßstab für ihre Bemessung ist die Häufigkeit ihres Vorkommens. Menschliche Armut bedeutet auch, daß den Menschen keine Wahl gelassen wird und sie keine Möglichkeiten für ein erträgliches Leben haben, was die Aspekte angeht, die nichts mit dem Einkommen zu tun haben, wie z. B. eine verkürzte Lebenserwartung, weniger Gesundheit, Bildung und eine schlechtere Unterbringung, den Mangel an politischer Partizipation und persönlicher Sicherheit.

[86] Arthur N. Holcombe, ”The Impacts of Economic Reform and Opening up policies on local ethnic population living standards in China: The case of Tibet”, August 2001.

[87] Global Conference on Scaling Up Poverty Reduction, Shanghai, May 25-27, 2004

[88] Beijing’s Magazine on Human Rights, vol. 4, No. 5, Sept. 2004.

[89] GDP Growth Tops 8.5 Percent in Western Region in First Half”, People’s Daily Online, http;//english.peopledaily.com.cn

[90] June Teufel Dreyer, ”Economic Development in Tibet under the People’s Republic of China, Journal of Contemporary China, 2003, 12 (36), August.

[91] Zwei Begriffe werden in der PRC verwendet, um die Armut zu definieren – die absolute und die extreme. Die absolute Linie ist das Minium-pro-Kopf Einkommen, das ein Mensch zum Leben und Überleben braucht. Die extreme Linie erfaßt die grausamste Form von Armut, die sogar beachtlich unter der Schwelle absoluter Armut liegt und daher ernste Unterernährung oder andere Formen äußersten Elends anzeigt.

[92] The rich gets richer, and the poor poorer. Rural Poverty and inequality in Tibet – indications from recent official surveys, TIN 31 May 2003.

[93] A Hussain, ”Urban Poverty in China – Measurement, Patterns and Policies”, in Focus Programme on Socio-Economic Security, ILO, Geneva http://www.ilo.org/public/english/protection/ses/index.htm.

[94] Amei Zhang, ”Poverty Alleviation in China: Commitment, Policies and Expenditures”, 1993.

[95] ”Die Reichen werden reicher, und die Armen ärmer. Armut auf dem Lande und Ungleichheit in Tibet nach den jüngsten offiziellen Erhebungen”, TIN News Update, 31 Mai 2003.

[96] Andrew Fischer, Poverty by Design: Economics of Discrimination, Canada Tibet Committee.

[97] Pierre Antoine Dunnet, Tibet: Survival in Question, London, Zed Books 1994, p.139. Ronald Schwartz ”The Reform Revisited: The implications of Chinese economic policy and the future of Rural producers in Tibet”, in Development, Society and Environment in Tibet, ed. Graham Clarke (Graz, Austria :Austrian Academy of Sciences Press 1995).

[98] Gabriel Lafitte, ”Tibet as a Developing Society”, Paper presented to the Future of Tibet Colloquium, Canberra, Australia, 2 September 1995, p.4.

[99] June Teufel Dreyer, ”Economic Development in Tibet under the People’s Republic of China”, Journal of Contemporary China (2003), 12 (36), August.

[100] Amei Zhang, ”Poverty Alleviation in China: Commitment, Policies and Expenditures”, 1993.

[101] Speaking for Tibet. A Shadow Report bei dem Weltgipfel über Nachhaltige Entwicklung, Aug. 2002.

[102] “Right to Livelihood” in TCHRD Annual Report on Human Rights Situation in Tibet, 2001.

[103] Die New Rangeland Management Doktrin anerkennt, was die Nomaden der Erde schon längst wissen: Daß diese einheimischen Kulturen nämlich für die Erhaltung des Weidelands sorgten, und es eine sehr lange Zeit gute Erträge lieferte.

[104] Speaking for Tibet: A Shadow Report, der bei dem UN Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung im August 2002 vorgelegt wurde.

[105] ”Vorgaben der Behörden führen zu miserablen Lebensbedingungen für Nomaden”, TCHRD: Human Rights Update July 2004, www.tchrd.org/hrupdate/2004.

[106] ”Nomaden in der Provinz Qinghai durch hohe Steuerbelastung in ihrer Existenz gefährdet”, TCHRD, Human Rights Update August 2004, www.tchrd.org/hrupdate/2004/hr200408.htm.

[107] http://www.tchrd.org/hrupdate/2004/hr200408.htm.

[108] DIIR, Environment and Development in Tibet: A Crucial Issue, 2003.

[109] World Health Organisation. www.who.org.

[110] Convention on the Elimination of Discrimination against Women.

[111] Art. 11 des ICESCR (International Convention on Economic, Social and Cultural Rights).

[112] China’s White Paper on Regional Ethnic Autonomy in Tibet by Information Office of the State Council of the People\s Republic Of China, 21 May 2004.

[113] Delivery and Deficiency; Health and Health care in Tibet, TIN.

[114] Kaschin-Beck: Symmetrische Deformierungen der Extremitätengelenke, Minderwuchs, Polyneuritis.

[115] ”Health policy challenges in the Tibet Autonomous Region”, US Embassy Beijing, December 2000 report, http//www.usembassy-china.org.cn/sand/tib-health.htm

[116] Ibid.

[117] Ibid.

[118] Sonal Singh, ”Tears from the land of snow; Health and Human Rights in Tibet”, 22 November 2004, www.phayul.com

[119] Juhie Bhatia ”US Team takes Aim at Tibet’s Maternal Death Rate”, Women’s e News, Tuesday, 21 September 2004. Bonds und Rosenbloom vom ”Circle of Health International” aus Austin, Texas, begaben sich erst neulich als Gesundheitshelfer nach Tibet.

[120] Ibid.

[121] Eine Geburtshelferin an der University of Utah, Salt Lake City.

[122] Delivery and Deficiency, Health and Healthcare in Tibet, TIN, London, November 2002.

[123] ”Health policy challenges in the Tibet Autonomous Region”, US Embassy Beijing, December 2000 report http//www.usembassy-china.org.cn/sand/tib-health.htm

[124] Tibet Justice Centre (TJC), A Generation in Peril; The lives of Tibetan children under Chinese rule, http//www.tibetjustice.org/reports/children/index.html, deutsch: http://www.igfm-muenchen.de/tibet/tjc/Kinderreport.html

[125] http://www.tchrd.org/hrupdate/2004/hr200407.htm#Aids

[126] Erklärung von Vizeminister Long Yongtu bei der 18. Sitzung der WTO Arbeitskommission zu China, 17. Sept. 2001.

[127] Tashi Tsering, Globalisation to Tibet, Paper published by the Himalayan Research Bulletin of the Geography Department of Portland State Universit.

[128] Zitate von Yuan Gangmin, Chinese Academy of Social Sciences.

[129] Ibid.

[130] Tenzin P. Atisha, ”Tibetan Approach to Ecology”, Tibetan Government-in-exile, http;//www.Tibet.com/Eco/eco7.html.

[131] William Greider,” One World, Ready or Not; The Manic of Global Capitalism”, Simon and Schuster, 1997.

[132] ”China’s Western Development makes good start”, People’s Daily online.

[133] ICLT, Human Rights and the Long Term Viability of Tibet’s Economy, paper presented at PEC People’s Summit, Vancouver, Canada, November 1997.

[134] J Charles,” Livelihood Lost, Globalisation, WTO Accession and the Future of the Tibetan People”, Free Tibet Campaign, http//www.freetibet.org/menu.htm.

[135] Tashi Tsering, Globalisation to Tibet, published in the Himalayan Research Bulletin of the Geography Department of Portland State University.

[136] http://tchrd.org/hrupdate/2004/hr/200408.

[137] Financial Times, 2. August 2004.

[138] Arthur N. Holcombe, ”The Impacts of Economic Reforms and Opening up Polices on Local Ethnic Population Living Standards in China: The case of Tibet” August 2001.

[139] Namgyal, ”China’s West Development Strategy and Rural Empowerment”, in China’s West Development Program: Domestic Strategies and Global Implications edited by Ding Lu and William A. W. Neilson, 2004.