zurück

Januar 2005

Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P.
phone +91 1892 223363 / 229225, fax: +91 1892 225874, e-mail: dsala@tchrd.org, www.tchrd.org




Kapitel Bildung

Jahresbericht über Menschenrechtsverletzungen in Tibet 2004

C. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte


Kapitel II: Das Recht auf Bildung

  • Einführung
  • Akzeptabilität der Bildung
  • Linguistische Identität gefährdet
  • Zugänglichkeit der Bildung
  • Verfügbarkeit von Bildungseinrichtungen
  • Bildungsfreiheit: Übrig bleibt nur das Exil
  • Schlußbemerkung
  • Interview mit Dawa Tashi

Einführung

“Der Erfolg unserer Erziehungspolitik liegt nicht in der Anzahl von Diplomen, die den Absolventen der Universitäten, Colleges, Technischen Hochschulen und höheren Schulen ausgestellt werden. Nein, er liegt vielmehr darin, ob diese der Dalai Clique Widerstand leisten oder ihr Herz an sie verloren haben, und ob sie unserem großen Mutterland und der großen Sache des Sozialismus treu sind oder ihnen gleichgültig gegenüberstehen. Dies ist das maßgeblichste und wichtigste Kriterium bei der Beurteilung von richtig oder falsch, bei den Leistungen oder Fehlern unserer Bildungspolitik in Tibet. Um dieses Problem erfolgreich zu lösen, müssen wir die politische und ideologische Arbeit in den Schulen intensivieren”[1].

Genau zehn Jahre sind es, seit Chen Kuiyuan, der damalige Parteisekretär der Autonomen Region Tibet (TAR), seine Ansicht zu dem wahren Zweck der Bildungspolitik in Tibet in so unmißverständlichen Worten darlegte. Sie stehen exemplarisch für die Richtlinien, die seit einigen Jahrzehnten das Bildungswesen in Tibet bestimmen: Es handelt sich um eine  ideologisch motivierte Erziehungspolitik, deren Ziel es ist, den Schülern Loyalität zu China und zum Sozialismus beizubringen.

Der Art. 14 des Gesetzes über die allgemeine Schulpflicht von 1986, dem zufolge sich alle Lehrer der Sache der sozialistischen Erziehung verpflichtet fühlen sollen, gibt der Idee einer “patriotischen Erziehung” und der Miteinbeziehung der Ideologie in den Unterricht weiteren Rückhalt.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß das Bildungssystem in der TAR nicht auf die freie und volle Entfaltung der Persönlichkeit, der Begabung und der geistigen und körperlichen Fähigkeiten tibetischer Kinder ausgerichtet sein kann. Vielmehr ist es ein Werkzeug in den Händen der Zentralregierung zur Gewährleistung politischer Stabilität und ethnischer Einheit in der Region. Im Hinblick auf die Erreichung dieser Ziele ist die junge Generation der Tibeter die Hauptzielgruppe der Bildungspolitik. Auf diese Weise wird ihre Identität durch eine verzerrte Darstellung der tibetischen Geschichte systematisch untergraben, sowie durch die Leugnung ihrer Kultur und Traditionen und die Degradierung von Tibetisch zu einer Sprache zweiten Ranges.

Bedauerlicherweise gab es in den letzten 12 Monaten keine Anzeichen dafür, daß die chinesische Regierung positive Maßnahmen ergreifen und ein Bildungssystem in der TAR einrichten würde, das die Erhaltung der historischen, kulturellen und linguistischen Identität der Tibeter garantiert.

Akzeptabilität der Bildung

Der Art. 4 der UN-Erklärung über die Rechte von Personen, die nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten angehören, besagt:

“Die einzelnen Staaten sollten dort, wo es angemessen ist, Maßnahmen auf dem Gebiet der Bildung ergreifen, um das Wissen über Geschichte, Traditionen, Sprache und Kultur der auf ihrem Staatsgebiet lebenden Minderheiten zu fördern”.

In der Praxis gibt es für tibetische Schüler jedoch nur selten Schulstunden in Kultur und Geschichte. Außer dem Neujahrsfest dürfen sie keine tibetischen Feste feiern und müssen statt dessen die chinesischen Feste begehen. Außerdem bleibt ihnen das Tragen tibetischer Kleider in der Schule untersagt.[2]

In ganz Tibet wird in den Schulen die tibetische Geschichte verzerrt dargestellt. Das geschichtliche Wissen sollte in positiver Weise vermittelt werden, um Toleranz und Respekt zu erwecken. Durch die voreingenommene Darstellung der tibetischen Geschichte im Schulunterricht verlieren die tibetischen Kinder die Achtung vor sich selbst, während sich in den Köpfen der han-chinesischen Kinder negative Klischees entwickeln. Wie immer wieder berichtet wird, gelten tibetische Kinder als Folge einer solchen negativen Darstellung ihrer Geschichte als zurückgeblieben und werden von ihren Lehrern und Mitschülern oft als Dummköpfe verhöhnt.[3]

Bei der entstellten Vermittlung der tibetischen Geschichte spielen natürlich die Lehrbücher eine große Rolle. So erzählte Chakjam Gyal, ein Schüler aus dem Dorf Bokor in der TAP Tsolho folgendes:

“An unserer Schule gab es alle Stufen, von der Grundschule bis zur höheren Schule. In unserem ersten Jahr an der höheren Schule mußten wir ein Buch mit dem Titel “Chinesische Sprache” lesen, in dem es ein separates Kapitel über den Potala Palast gab. Als Hauptmotiv für seinen Bau wurde die Pflege der unvergänglichen Freundschaft zwischen Tibet und China genannt”.[4]

Ein junger Mönch, der anläßlich einer von China organisierten Pressetour ausländischer Journalisten im August 2004 in der Nähe des Jokhang Tempels interviewt wurde, brachte seinen Unmut über den Mangel an Meinungsfreiheit in Tibet zum Ausdruck und klagte über die entstellte Version der tibetischen Geschichte, die den Schülern aufgezwungen wird. Er sagte:

“Wenn jemand aus China etwas über unsere Geschichte sagt, wissen wir, daß es nicht der Wahrheit entspricht, denn es ist nicht das, was unsere Lehrer uns als die wahre Geschichte gelehrt haben. Wir sind jedoch nicht frei, zu widersprechen, denn nur eine Version der Geschichte ist erlaubt”.[5]

Der voreingenommene Geschichtsunterricht und die Verleugnung tibetischer Kultur und Tradition im Bildungssystem stellen eine Verletzung der Grundsätze dar, denen China durch die Ratifizierung des Internationalen Abkommens über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (ICESCR) zugestimmt hat. Nach dem Art. 13(2) des ICESCR ist China verpflichtet, jeden der “Einzelaspekte” (Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Akzeptabilität, Anpassungsfähigkeit) des Rechtes auf Bildung zu schützen[6]. “Akzeptabilität” bedeutet, daß die Form und Substanz der Erziehung, also die Lehrpläne und die Lehrmethoden, für die Studenten akzeptabel sein müssen. China kommt der Erfüllung der Bedingung der Akzeptabilität der Bildung aber nicht nach, weil es in keiner Weise dafür sorgt, daß das Bildungswesen den tibetischen Kindern kulturell angemessen ist, sondern ihnen statt dessen das Wissen über ihre Geschichte, Kultur und Tradition vorenthält.

Linguistische Identität gefährdet

Das chinesische Gesetzerlaubt den Unterricht in denjenigen Sprachen, die bei bestimmten oder lokalen ethnischen Gruppen allgemein in Gebrauch sind. Dem Gesetz zufolge darf dieser Unterricht jedoch nur an solchen Schulen oder Erziehungseinrichtungen stattfinden, in denen die Schüler der betreffenden ethnischen Minderheit in der  Mehrheit sind. Infolge dieser Klausel könnte die tibetische Sprache eines Tages aus den Schulen der ganzen TAR verschwinden, nämlich dann, wenn die tibetischen Kinder infolge der demographischen Veränderungen in der Region in der Gesamtmasse der Schüler zur Minderheit geworden sind.

Aber selbst dort, wo die tibetischen Kinder die Mehrheit der Schüler stellen, wird der Tibetischunterricht zugunsten der chinesischen Sprache zurückgedrängt. Der Fall einer Oberschule im Kreis Shingha verdeutlicht, was für eine negative Auswirkung die chinesische Bildungspolitik auf die Verwendung und Bewahrung der tibetischen Sprache in der TAR hat. Diese Schule, die vom 10. Panchen Lama gegründet wurde, um die tibetische Sprache wiederzubeleben und zu fördern, wird ausschließlich von tibetischen Kindern besucht. Von den 70 Lehrern waren ursprünglich nur 10 Chinesen. Die Behörden rissen jedoch schrittweise die Verwaltung der Schule an sich, was zur Folge hatte, daß die tibetischen Lehrer durch chinesische ersetzt wurden.

Die 19-jährige Tsering Kyi, die bis Juli 2003 die Oberschule des Kreises Shingha besuchte, erzählt: “Seit dem Zeitpunkt (der Übernahme durch die chinesischen Behörden) hat sich der Standard der tibetischen Sprache bedeutend verschlechtert. Der Unterricht in den Klassen findet jetzt auf Chinesisch statt, Tibetisch wurde auf eine Schulstunde reduziert. Die Schulleitung erklärte den Schülern, daß sie nur dann, wenn sie die chinesische Sprache beherrschen, eine Karriere machen könnten, andernfalls wären sie kaum dazu in der Lage”[7].

Der Art. 4(3) der UN-Erklärung über die Rechte von Personen, die nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten angehören, lautet:

“Die einzelnen Staaten sollten geeignete Maßnahmen ergreifen, damit Angehörige von Minderheiten, wo immer es möglich ist, die Gelegenheit erhalten, ihre Muttersprache zu erlernen oder in dieser unterrichtet zu werden”.

 Was die linguistische Identität betrifft, hat China in der Praxis die Rechte der tibetischen Minderheit jedoch nicht in seine Bildungspolitik integriert. Und anstatt, wie sie es sollte, mit allen Mitteln sicherzustellen, daß die tibetische linguistische Identität erhalten wird, ignoriert die chinesische Regierung bewußt die Gefährdung der tibetischen Sprache in ihrer Existenz, weil sie nämlich fortschreitend durch Chinesisch als der alleinigen Unterrichtssprache an den Schulen der ganzen TAR ersetzt wird. Wie die Sonderberichterstatterin der UNO für das Recht auf Bildung, Katarina Tomasevski, richtig feststellt:

"Eine Bildungspolitik, welche die Rechte der Minderheiten respektiert, erfordert in allen Bereichen des Lebens die volle Anerkennung des Wertes der Sprache und Religion der Minderheiten durch die Mehrheit. Andernfalls ist Bildung eindeutig auf Assimilierung hin angelegt: Daher ist sie im Falle Tibets nicht mit Chinas Menschenrechtsverpflichtungen vereinbar".[8]

Die Lage wird sich noch weiter verschlechtern, wenn der Zehnte Fünfjahresplan Chinas (2001-2005) erst einmal voll realisiert ist; er betont nämlich die Wichtigkeit der Rekrutierung von Lehrern aus China, um das Bildungswesen in Tibet zu entwickeln[9]. Der Sinisierungsprozeß, der in den Schulen in ganz Tibet bereits eingesetzt hat, wird dann noch schneller vonstatten gehen.

Professor Dungkar Lobsang Trinley, eine der bedeutendsten kulturellen und intellektuellen Persönlichkeiten des modernen Tibets, der sogar von den chinesischen Behörden als "nationales Kleinod" geehrt wurde, sagte: "Unsere Hoffnungen auf die Zukunft, die Entwicklung im allgemeinen, unsere kulturelle Identität erhalten und unser Erbe bewahren zu können – all das hängt nur von dem Schicksal der tibetischen Sprache ab. Ohne gebildete Menschen, die fähig sind, sich auf allen Gebieten in ihrer eigenen Sprache auszudrücken, laufen die Tibeter unausweichlich Gefahr, assimiliert zu werden. Wir haben diesen Punkt bereits erreicht".[10]

Zugänglichkeit der Bildung

Die Exekutivdirektorin von UNICEF, Carol Bellamy, drückte in einer Presseerklärung vom 30. August 2004 ihre Besorgnis darüber aus, daß nur 31% der Kinder in Tibet die Möglichkeit haben, die neun vorgeschriebenen Schuljahre zu durchlaufen[11].

Zu den Faktoren, die Aufschluß geben könnten, warum nur so wenige Kinder in der TAR der Schulpflicht nachkommen, zählen gewiß die immensen finanziellen Hürden, welche die Eltern oft nicht überwinden können, um ihren Kindern eine Basis-Bildung zu ermöglichen.

Der Art. 10 des chinesischen Gesetzes von 1986 über die allgemeine Schulpflicht lautet, daß der Staat von Schülern, die ihrer Schulpflicht nachkommen, keine Gebühren erheben darf. Eine gebührenfreie, allgemeine Schulpflicht wurde in Tibet jedoch noch nicht realisiert.

Wie die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für das Recht auf Bildung, Katarina Tomasevski, feststellte, kennt China zwar die allgemeine Schulpflicht, aber sie ist nicht schulgeldfrei[12]. Obwohl Katarina Tomasevski nicht spezifizierte, ob sie bei ihrer Beurteilung der Schulpflicht auch die TAR mit einbezog, ist das TCHRD aufgrund der vielen gesammelten Beweise überzeugt, daß sich ihre Aussage ganz gewiß auch auf das Schulsystem in der TAR bezieht.

Im Laufe der vergangenen 12 Monate hat das TCHRD zahlreiche Interviews mit tibetischen Flüchtlingen geführt. Immer wieder enthüllen ihre Aussagen, daß den Kindern in der ganzen TAR überhöhte Schulgebühren und andere informelle Bildungskosten abverlangt werden, die ihre Familien nicht aufbringen können.

Die 14-jährige Tenzin Nyima aus Lhasa ging sechs Monate in eine Mittelschule in Lhasa, bis ihre Eltern sie wieder herunternahmen, um sie um einer besseren Erziehung willen nach Indien zu schicken. Von ihrer kurzen Zeit in der Mittelschule berichtet sie:

“Das Schulgeld dort ist doppelt so hoch wie in der Grundschule, für Bücher und Schreibmaterial müssen die Schüler selbst aufkommen”.[13]

Die 19-jährige Tsering Kyi, die bis Juli 2003 die Oberschule vom Kreis Shingha besuchte, erzählt:

“Die Schüler müssen zweimal jährlich 270 Yuan Schulgeld zahlen, zusätzlich müssen sie auch für ihre Verpflegung einen gewissen Betrag entrichten, der sich mit der zusätzlichen Ration für jede weitere Klasse erhöht. Außerdem treibt die Schulleitung oft noch Geld für diverse andere Posten von den Schülern ein”.[14]

Das hohe Schulgeld und andere Zuzahlungen, die es den Eltern unmöglich machen, ihre Kinder zur Schule zu schicken, sind einer der Gründe, warum die Forderung nach der Zugänglichkeit der Erziehung nicht verwirklicht wird. Dies steht im Widerspruch zu Chinas Verpflichtungen aus der Ratifizierung des ICESCR, dessen Art. 13(2) verfügt, daß “der Grundschulunterricht für jedermann Pflicht und allen unentgeltlich zugänglich sein muß” und daß “die verschiedenen Formen des höheren Schulwesens … auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, allgemein verfügbar und jedermann zugänglich gemacht werden müssen”.[15]

Verfügbarkeit von Bildungseinrichtungen

Ein weiterer Grund für die geringe Beteiligung tibetischer Kinder am Schulbesuch ist, daß es in einigen entlegenen Landstrichen der Region einfach keine Schulen gibt. Das ist vor allem ein Problem der ländlichen Gebiete, wo die Kinder weite Strecken zu Fuß gehen oder zu Pferde reiten oder andere Transportmittel benutzen müssen, um zur Schule zu gelangen. Oft ist es für sie sehr schwierg, den weiten Weg zurückzulegen. Die Folge ist, daß etliche Kinder die Schule einfach abbrechen; es bleibt ihnen dann nichts anderes übrig, als zu Hause in der Landwirtschaft zu arbeiten.

Ngawang Lhamo, ein 19-jähriges Mädchen aus dem etwa 50 km südöstlich von Lhasa gelegenen Dorf Samye, erzählt:

“Die Kinder haben einfach keine Bildungsmöglichkeit, weil es keine Schulen in ihrem Umkreis gibt. Als Folge wenden sie sich dem Ackerbau zu. Es gibt zwar Schulen in unserm Landkreis, aber ich mußte drei Stunden per Traktor fahren, um die Schule zu erreichen. Deshalb ist der Schulbesuch für die Jugendlichen ein Problem”.[16]

Der 18-jährige Tenzin aus dem Dorf Lhagog im Kreis Chatren, Provinz Sichuan, erzählt:

“Die Kinder meines Dorfes und des Nachbardorfes haben keine Möglichkeit zur Schule zu gehen. Man sieht fast keine Schüler in den Kreis-Schulen, weil es keine ordentlichen Straßen für Fahrzeuge gibt. Das Ergebnis ist, daß die Kinder wie eh und je in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Die  Dorfbewohner beantragten den Bau einer Schule in ihrer Nähe, aber die chinesischen Behörden haben keine diesbezüglichen Schritte unternommen”.[17]

Die 15-jährige Kyizon aus demselben Dorf stellt fest:

“Bis vor kurzem gab es gar keine Schule bei uns, weshalb die meisten Leute hier Analphabeten sind. Vor ein paar Jahren verlangte der Dorfchef, daß in jeder Familie ein Kind zwischen 7 und 14 Jahren zur Schule geschickt würde. Die Kinder müssen jedoch einen ganzen Tag zu Pferde reiten, um die Schule zu erreichen. Außerdem läßt der Bildungsstand der Lehrer zu wünschen übrig, und die Schule selbst ist in einem jämmerlichem Zustand. Die Schüler werden demoralisiert und machen ihren Familien Probleme”.[18]

Gemäß Art. 13(2) des ICESCR ist China gesetzlich verpflichtet, allen seinen Bürgern Bildung zugänglich zu machen. Das Versäumnis der chinesischen Regierung, genügend Schulen in ganz Tibet zur Verfügung zu stellen, bedeutet, daß sie ihrer Verpflichtung, die wesentlichen Forderungen des Rechtes auf Bildung zu erfüllen, nicht nachkommt.

Bildungsfreiheit: Übrig bleibt nur das Exil

Die UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Bildung, Katarina Tomasevski, kommentierte:

“Chinas Gesetze definieren Bildung sowohl als Recht wie auch als Verpflichtung.[19] Die weitere Spezifizierung von neun Schuljahren als Schulpflicht bekräftigt die Definition von Bildung als einer Verpflichtung[20]… Die Lokalbehörden berufen sich oft auf das Gesetz der allgemeinen Schulpflicht, um die Eltern zu zwingen, ihre Kinder zur Schule zu schicken, und sie verhängen Geldstrafen, wenn die Eltern dieser Aufforderung nicht nachkommen”.[21]

Die Eltern werden durch das Gesetz gezwungen, ihre Kinder zur Schule zu schicken, aber sie können nicht wählen, welche Art der Erziehung ihren Kindern zuteil wird.[22] Es wird immer schwieriger für sie, einen Bildungsweg für ihre Kinder zu finden, bei dem Kultur, Geschichte und Tradition des tibetischen Volkes, sowie sein sprachlicher Reichtum respektiert werden. Daher haben sie oft keine andere Wahl, als ihre Kinder über den Himalaya nach Indien zu den dortigen tibetischen Schulen zu schicken.

Tsamchoe Lhamo, die aus Tibet floh und am 25. April 2004 das Tibetan Reception Centre in Kathmandu erreichte, bezeugt:

“Im Juni 2003 gab das PSB der Präfektur Shigatse in den 29 Dörfern des Distrikts Dingri bekannt, daß es den Familien untersagt sei, ihre Kinder auf tibetische Schulen nach Indien zu schicken und sie diese statt dessen in chinesisch verwalteten Schulen unterbringen müßten. Die Behörden warnten auch, daß Eltern, die dieser Aufforderung nicht nachkämen, mit Gefängnis bestraft würden. In dem Dorf Yujong mußten etwa 20 Familien je 1.500 Yuan Strafe zahlen, weil sie ihre Kinder nicht auf die chinesische Schule geschickt hatten. Frau Pasang, eine dreifache Mutter, mußte gar 6.000 Yuan Strafe zahlen, weil sie ihre Kinder auf eine Schule in Indien geschickt hatte”.[23]

In Verletzung des in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankerten Grundsatzes (Art. 13), daß “jeder Mensch das Recht hat, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen”, schränkt die chinesische Regierung die Tibeter in ihrer Freizügigkeit so sehr ein, daß es ihnen fast unmöglich ist, aus China auszureisen, um tibetische Schulen im Exil zu besuchen. Trotz allem setzen tibetische Kinder weiterhin ihr Leben aufs Spiel und verlassen Tibet auf der Suche nach einer Schulbildung, die ihrer Sprache, Kultur, Geschichte und ihren Traditionen gerecht wird.

Seit Beginn der achtziger Jahre haben über 7.000 Kinder das Äußerste riskiert und sind über den Himalaja geflohen in der Hoffnung, im Exil die Art von Bildung zu erhalten, die ihnen in ihrer Heimat verwehrt wird. Von Januar bis August 2004 trafen 2.416 Flüchtlinge im Tibetan Refugee Reception Centre in Dharamsala ein. Fast 21% davon waren Kinder unter 13 Jahren, während der Prozentsatz von Jugendlichen zwischen 14 und 25 Jahren ein wenig über 40% liegt. Kinder und Jugendliche machen daher 61% der in acht Monaten neu eingetroffenen Flüchtlinge aus. Allein im September kamen 328 Flüchtlinge in Dharamsala an, von denen 82% unter 25 Jahren waren. Die Gesamtzahl der vom Tibetan Refugee Reception Centre von 1991 bis Juni 2004 registrierten Flüchtlinge beträgt 43.634 – knapp 60% davon waren unter 25 Jahren.

Schlussbemerkung

1996 brachte das UN-Komitee für die Rechte des Kindes (CRC) in seinem Abschlußkommentar zu dem von China vorgelegten periodischen Rechenschaftsbericht seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, “daß der Schulbesuch in Minderheitengebieten, einschließlich der Autonomen Region Tibet, viel zu wünschen übrig läßt, weil die Qualität der Erziehung minderwertig ist und nicht genügend Anstrengungen unternommen wurden, um ein bilinguales Erziehungssystem zu schaffen, das einen adäquaten Unterricht auf Chinesisch mit einschließt. Alle diese Mängel bilden einen Nachteil für tibetische und andere Schüler von Minderheiten, wenn es um die Aufnahme in höhere Schulen und Fachschulen geht”.[24]

Bedauerlicherweise treffen diese Bemerkungen auch heute, nach fast 10 Jahren, noch genauso auf die Lage des Bildungswesens in Tibet zu.

Es steht außer Frage, daß die chinesische Regierung im Laufe der letzten acht Jahre finanzielle Mittel in beachtlichem Umfang zur Verbesserung des Bildungswesens in Tibet bereitgestellt hat. In ihrem ersten dem UN-Ausschuß für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte vorgelegten Bericht hob sie die Aufstockung der Ausgaben im Staatshaushalt für die Bildung der “Minderheitennationalitäten” besonders hervor.[25] Nirgends steht jedoch etwas davon, daß die Regierung konkrete Maßnahmen unternommen hätte, um bei ihrer Bildungspolitik die Rechte der Minderheiten zu berücksichtigen.

In Chinas Rechenschaftsbericht spiegelt sich die eindimensionale Vorgehensweise bei der Verwirklichung des Rechts auf Bildung in Tibet deutlich wieder. Die chinesische Regierung scheint nicht begriffen zu haben, daß die bloße Bereitstellung von Geldern für Bildung, so notwendig sie auch sein mag, nicht genügt, um zu gewährleisten, daß den tibetischen Kindern gemäß dem ihnen zustehenden Recht eine Erziehung zuteil wird, die ihre Kultur und Identität achtet und wahrt.

Asbjørn Eide, Vorsitzender der Arbeitsgruppe für Minderheiten bei der UN-Unterkommission für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte, schrieb:

“Durch den Schutz von Minderheiten soll gewährleistet werden, daß Integration nicht zu einer unerwünschten Assimilation wird, d.h. daß die Identität von Volksgruppen, die auf dem Territorium eines Staates wohnen, nicht untergraben wird”.[26]

Aus der Sicht der Menschenrechte haben die Tibeter als “Minderheiten-Nationalität” daher Anspruch auf einen besonderen Schutz. Tibetische Kultur, Geschichte und Tradition erfordern nicht nur, daß sie in ihren besonderen Charakteristika akzeptiert und toleriert werden, sondern auch, daß ihnen von der chinesischen Regierung eine positive Haltung entgegengebracht wird. Schutz der tibetischen Identität würde bedeuten, daß China von jeglicher Politik Abstand nimmt, welche die Assimilation der tibetischen Minderheit in die dominierende Kultur bezweckt oder bewirkt. Ausschlaggebend ist hier die Bildungspolitik Pekings. Wenn die chinesische Regierung den Tibetern die Möglichkeit verweigert, ihre eigene Sprache zu erlernen und in ihrer eigenen Sprache unterrichtet zu werden, wenn sie die Vermittlung der tibetischen Kultur, Geschichte, Tradition und Sprache aus ihrem Bildungsweg ausschließt, verstößt sie eindeutig gegen ihre Pflicht, die Identität einer bestimmten Minderheit zu schützen.

Interview mit dem ehemaligen Studenten der Tibet-Universität Dawa Tashi

Am 9. Juni 2003 erschienen unvermittelt Beamte des Public Security Bureau (PSB) in Zivil auf dem Campus der Tibet-Universität in Lhasa, der Hauptstadt der TAR. Sie durchsuchten die Schlafsäle der Studenten, wobei sie eine Reihe von politischen Schriftstücken und einen an die Vereinten Nationen gerichteten Brief fanden. Fünf Studenten wurden wegen “Spaltung des Mutterlandes, Untergrabung der Einheit der Nationalitäten und Verletzung der Verfassung” auf der Stelle festgenommen und in das PSB-Haftzentrum der TAR geschafft. Diese fünf hatten im Verborgenen politische Aufsätze geschrieben und eine geheime Gruppe namens “Tibetischer Demokratischer Jugendverein” gegründet. Da diese Gruppe mit ihren politischen Aktivitäten noch im Vorbereitungsstadium war, aber noch keine davon zur Ausführung gebracht hatte, wurden vier der Mitglieder nach einem Monat freigelassen und zur Universität zurückgeschickt. Der fünfte Student, Dawa Tashi – als der Rädelsführer verdächtigt – wurde zunächst in Gewahrsam gehalten, bis auch er am 12. August 2003 freigelassen wurde. Bei seiner Rückkehr zur Universität warfen ihm der Rektor und der Dekan der Tibet-Fakultät vor, den guten Ruf der Universität geschädigt und Mitstudenten gegen die Regierung aufgebracht zu haben. Eine allgemeine Versammlung von 3.000 Studenten und Angehörigen der Fakultät wurde einberufen, bei der Dawa wegen seiner “spalterischen Tätigkeiten” verurteilt wurde. Daraufhin wurde er, obwohl ihm zu seinem akademischen Abschluß nur noch eine Prüfung gefehlt hätte, am 25. August 2003 von der Universität verwiesen. Er beschloß ins Exil zu gehen und traf Anfang 2004 in Dharamsala ein.

In einem Interview mit dem TCHRD berichtet Dawa von seiner Zeit als Student in Tibet, wobei er auch einige das Bildungswesen auf Hochschulebene betreffende Fragen berührt.

Frage: Was bewog Sie zu Ihrem Entschluß, Tibet zu verlassen?

Antwort: Nachdem ich als “Separatist” gebrandmarkt und von der Universität gejagt worden war, wäre es für mich ziemlich unmöglich gewesen, in Tibet ein normales Leben zu führen. So jemand wie ich wird ständig durch die Behörden überwacht, und auch auf seine Angehörigen wird immenser Druck ausgeübt. Ich verlor allmählich die Hoffnung und fühlte mich nutzlos. Deshalb entschloß ich mich, ins Exil zu fliehen, damit wenigstens meine Familie des ständigen Druckes enthoben sein würde. Außerdem dachte ich, vom Exil aus könnte ich der Sache Tibets besser dienen.

F: Glauben Sie, Ihre Entscheidung, Tibet zu verlassen, war richtig?

A: Ja. Hier im Exil bekomme ich Informationen, ich höre Nachrichten und Geschichten aus aller Welt, was in Tibet nicht möglich ist. Ich bin so glücklich, Neues zu lernen und mehr Wissen zu erwerben. Aber es war sehr schmerzhaft für mich, mich von meiner Familie trennen zu müssen.

F: Meinen Sie, wenn Sie zurückblicken, daß etwas schief gelaufen sein könnte? Bereuen Sie irgend etwas?

A: Ich bereue nichts, mir tut es nur leid, daß ich nicht die Möglichkeit hatte, das, was wir geplant hatten, in die Tat umzusetzen.

F: Welche Auswirkungen könnten Ihre Aktivitäten, Ihre Verhaftung und schließlich der Verweis von der Hochschule auf andere tibetische Studenten Ihrer Universität haben?

A: Die Art und Weise, wie die Behörden mit Fällen wie dem meinen umgehen, flößt jedermann Respekt und Furcht ein. Ich wurde als “Separatist” gebrandmarkt und vor dreitausend Studenten und Lehrern gedemütigt und beschimpft. Man warf mir vor, der Universität einen schlechten Ruf eingebracht zu haben, und wegen meiner Handlungen wurde ich ausgestoßen. Anderen Studenten wurde unmißverständlich klar gemacht, daß ihnen dasselbe blühte, wenn sie ebensolchen Aktivitäten nachgehen sollten. In der Vergangenheit stellte man uns oft zur Abschreckung den Fall Lobsang Tenzin vor Augen, der wegen seiner “spalterischen” Tätigkeiten lebenslang hinter Gittern sitzt. Man warnte uns, daß uns dasselbe Schicksal drohe, wenn wir es ihm gleich täten. Die Studenten bekamen natürlich große Angst. Keiner will in eine solche Lage geraten, aber ich glaube, daß diejenigen, die fühlen, daß sie um des höheren Interesses ihres Volkes willen protestieren müssen, es dennoch tun werden.

F: Was verstehen Sie unter Menschenrechten? Werden die Menschenrechte in Tibet irgendwie wahrgenommen?

A: Hier hören wir im Radio und Fernsehen von der UNO und den Menschenrechten. Manchmal kommt auch in den Teesalons oder Restaurants jemand auf diese Begriffe zu sprechen. Wir wissen nicht, wer sie sind. Im allgemeinen sind sich die Leute aber keiner solchen Rechte bewußt. Sie wissen nichts davon, sie sprechen nicht über Menschenrechte. Sie wissen nur, was sie in den offiziellen Medien hören, das ist alles.

F: Nun, da Sie über ein Jahr in Indien sind und gesehen haben, wie die Tibeter hier leben, wie nehmen Sie den Unterschied hinsichtlich der menschlichen Freiheit zwischen hier und Tibet wahr?

A: Ich kann sagen, daß der Unterschied wie der zwischen Himmel und Erde ist. Kurz nach meiner Ankunft in Indien hatte ich Gelegenheit, bei der jährlichen Sitzung der Versammlung der tibetischen Volksdeputierten (ATPD) anwesend zu sein. Die Abgeordneten brachten die Beschwerden und Sorgen der Bevölkerung zur Sprache und diskutierten sie frei und offen mit den Vertretern der Regierung im Exil, ohne sich fürchten zu müssen. In Tibet oder China wäre so etwas nicht möglich. Dort wird bei den Meetings sogar beobachtet, wie der Gesichtsausdruck der Teilnehmer ist. Man darf sich nicht ansehen lassen, daß man mit der Regierungspolitik nicht einverstanden ist oder sie in Frage stellt. So etwas wäre sehr gefährlich.

F: Können Lehrer und Studenten an der Universität in Tibet ihre Gedanken frei ausdrücken?

A: Allgemein gesagt, sind Lehrer und Studenten frei, ihre Meinung auszudrücken, solange sie nicht über politische Themen sprechen, besonders nicht über die Forderung nach Unabhängigkeit für Tibet.

F: Können sich die Studenten in ihrer Universität zu Studentenvereinigungen oder anderen Vereinen dieser Art frei zusammenschließen?

A: Ja, Studenten dürfen Vereine bilden, die auf die Verbesserung des allgemeinen Status der Studenten ausgerichtet sind, aber eine Vereinigung, die eine politische Zielsetzung hat, können sie nicht so ohne weiteres gründen.

F: Haben Studenten, als einzelne oder über ihre Vereinigungen, ein Mitspracherecht bei den Angelegenheiten der Verwaltung der Universität und ihrer Politik?

A: Die Studenten können ihre Wünsche in gewissen Dingen vorbringen, sie können etwa die Einführung von Tibetisch als Unterrichtssprache fordern. Ich würde jedoch nicht sagen, daß sie echten und wirksamen Druck auf die Universitätsleitung ausüben können. Gar keinen Einfluß haben sie auf jeden Fall auf die Bildungspolitik, und wirklich ändern können sie die Dinge an ihrer Universität auch nicht.

F: Was für einen Grad an politischem Druck, falls es ihn gibt, üben die Behörden auf die Universitätsleitung aus?

A: Im allgemeinen hat die Universitätsleitung ein gewisses Maß an Eigenständigkeit bei der Entscheidung von Angelegenheiten, die den Unterricht in ihrer Institution betreffen. Sie muß sich jedoch streng an die Vorschriften und Richtlinien halten, die vom Bildungsministerium herausgegeben werden und darf bei deren Umsetzung die Grenze nicht überschreiten. Und wenn sehr ernste Dinge zur Entscheidung anstehen, muß die Universitätsverwaltung üblicherweise der Regierung Bericht erstatten.

F: Auf welche Weise werden Fächer wie Politik und Geschichte an der Universität gelehrt?

A: Wenn ein Lehrer Unterrichtsstunden in tibetischer Geschichte gibt, bleibt ihm nichts übrig als den offiziellen Vorgaben zu folgen, die für den Geschichtsunterricht formuliert wurden, vor allem darf er nicht von dem abweichen, was in den Lehrbüchern steht. Er hat keine Möglichkeit, darüber hinauszugehen.

F: Können die Studenten den Inhalt der Lehrbücher in Frage stellen und mit ihrem Lehrer darüber diskutieren?

A: Als ich im Geschichtsunterricht saß, schienen Lehrer und Studenten zu glauben, daß das, was in den Büchern steht, richtig sei, weshalb es keinen Anlaß für Widerspruch gab. Die Studenten können die Geschichte, wie sie ihnen in offizieller Version vorgetragenen wird, zwar anzweifeln, doch scheinen sie von der Wahrheit dessen, was sie hören, überzeugt zu sein.

F: Können die Studenten in der Universitätsbibliothek überhaupt Bücher finden, die eine alternative Version von Geschichte und Politik bieten?

A: Bücher nichtpolitischen Inhalts gibt es gewöhnlich genug in den Büchereien. Was Politik und Geschichte betrifft, so sind der Öffentlichkeit nur Bücher zugänglich, die von der Regierung gebilligt wurden.

F: Ist es überhaupt möglich, Bildungseinrichtungen auf Hochschulebene zu gründen?

A: Soviel ich weiß, gibt es einige Initiativen, um Bildungseinrichtungen aus privaten Mitteln aufzubauen, jedoch nicht auf Hochschulebene.

F: Gibt es Ihrer Ansicht nach überhaupt eine Möglichkeit für ein College-Studium, das sich von dem vom Staat angebotenen Studium wesentlich unterscheidet?

A: Leider nicht. In Tibet gibt es keine Spur von privaten akademischen Institutionen. Alle Hochschulen werden von der Regierung eingerichtet und geführt.

F: Was sind die grundlegenden Voraussetzungen, um in einem College Aufnahme zu finden?

A: Die Hauptbedingung ist, daß man die für die Zulassung national festgesetzte Punktezahl erreicht; sie wird auf der Basis der Noten errechnet, die man in seinem Schulabgangszeugnis erzielt hat. Die für die Zulassung erforderlichen Zensuren sind in ganz China dieselben. In Tibet liegt die Schwelle für die Zulassung jedoch etwas niedriger. Mit dieser Sonderregelung sollen Studenten aus der tibetischen Minderheit ermutigt werden, sich an der Universität einzuschreiben.

F: Sind die Gebühren für den Universitätsbesuch erschwinglich?

A: Die jährlichen Studiengebühren betragen etwa 3.000 Yuan, dazu kommen ungefähr 800 Yuan für Unterkunft. Bücher und Schreibmaterial kosten außerdem bis zu 150 Yuan.

F: Halten Sie diese Forderungen angesichts des Lebensstandards der Tibeter für zumutbar.

A: Ich könnte nicht behaupten, daß diese Summe dem durchschnittlichen Tibeter sehr hoch erscheint. Ich weiß jedoch, daß die Universitätsgebühren in China doppelt so hoch wie in Tibet sind. Und ebenso kann ich mit absoluter Gewißheit sagen, daß derartige Gebühren für eine durchschnittliche tibetische Familie auf dem Land mehr oder weniger unerschwinglich wären.

F: Was sind Ihrer Meinung nach die negativsten Aspekte des universitären Bildungswesens in Tibet?

A: Ich denke, am Schlimmsten ist, daß nur noch eine geringe Zahl von Fächern, wie tibetische Geschichte, Kultur und traditionelle Medizin auf Tibetisch unterrichtet werden. Alle anderen Fächer werden ausschließlich auf Chinesisch unterrichtet. Die Studenten haben absolut keine Möglichkeit, Wirtschaft, politische Wissenschaften, Recht usw. durch das Medium ihrer eigenen Sprache zu studieren.

F: Denken Sie, die Lage an den Universitäten wäre besser, wenn das Bildungswesen in Tibet nicht der chinesischen Regierung unterstünde?

A: Ich kann definitiv sagen, daß das Bildungssystem in Tibet dann besser wäre, hauptsächlich, weil alle Fächer auf Tibetisch unterrichtet würden. Ich denke, für die Studenten wäre das Studium interessanter und leichter. Außerdem hätten sie die Gelegenheit, politische Fragen zu diskutieren, wovon sie jetzt ausgeschlossen sind. Ich meine auch, daß es mehr tibetische Studenten an den Universitäten gäbe, wenn Tibet nicht von China beherrscht würde. Chinesische Studenten nehmen nämlich immer häufiger die Plätze ein, die für tibetische Studenten vorgesehen sind.

Der heute 25-jährige Dawa Tashi wurde im Distrikt Nagartse, Präfektur Lhoka, TAR, geboren. Er ging von 1988 bis 1991 zur dörflichen Elementarschule und von 1991 bis 1994 zur staatlichen Grund- und Hauptschule von Nagartse. Nachdem er 2000 die höhere Schule abgeschlossen hatte, studierte er an der Abteilung für tibetische Sprache der Tibet-Universität in Lhasa, bis er im August 2003 von dieser ausgeschlossen wurde.

Fußnoten

[1] Chen Kuiyuan, Ansprache an die 5. Konferenz der TAR zum Bildungswesen, 26. Oktober 1994.

[2] A Generation in Peril, The Lives of Tibetan children under Chinese rule”, ICLT 2001, deutsche Übersetzung: http://www.igfm-muenchen.de/tibet/tjc/Kinderreport.html

[3] Ibid.

[4] TCHRD Interview, 13. April 2004.

[5] A Report by Robert Marguand, The Christian Science Monitor, 25 August 2004.

[6] Umsetzung des ICESCR, Allgemeiner Kommentar No. 123, Das Recht auf Bildung, UN Doc E/C.12/1999/10, Para 50, 8. Dez. 1999.

[7] TCHRD Interview 17. Mai 2004.

[8] Menschenrechtskommission, 60. Sitzung. Das Recht auf Bildung, Bericht vorgelegt von der Sonderberichterstatterin Katarina Tomasevski, Addendum: Mission to China, UN Doc E/CN 4/2004/Add.1, Para 36; 21. Nov. 2003.

[9] “China investiert 30 Mrd. Yuan in die Grundschulbildung”, Xinhuanet, August 2001. Dem chinesischen Erziehungsministerium zufolge “müssen die Bildungsabteilungen in den besser entwickelten östlichen Regionen mobilisiert werden, um den zentralen und westlichen Regionen bei der Förderung der Bildung zu helfen, indem sie Geld und Lehrmittel liefern und auf der Basis eines Rotationssystems Lehrer dorthin entsenden”.

[10] Central Tibetan Administration, ”Education’s policy of Intend”, http://tibet.com, 19 March 2004.

[11] “UNICEF goes West to help children”, by Meng Yan, The China Daily, 3 Sept. 2004.

[12] Menschenrechtskommission, 60. Sitzung. Das Recht auf Bildung, Bericht vorgelegt von der Sonderberichterstatterin Katarina Tomasevski, Addendum: Mission to China, UN Doc E/CN 4/2004/Add.1, Para 17; 21. Nov. 2003.

[13] TCHRD Interview, 15. Dez. 2004.

[14] TCHRD Interview, 17. Mai 2004.

[15] Umsetzung des Internationalen Paktes über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte, Allgemeiner Kommentar No. 13, Das Recht auf Bildung, UN Doc e/C.12/1999/10, Para 6, 8. Dez. 1999.

[16] TCHRD Interview, 13 Dez. 2004.

[17] Ibid.

[18] Ibid.

[19] Der Art. 46 der chinesischen Verfassung besagt, daß die Bürger der VR China das Recht wie auch die Pflicht haben, Bildung zu genießen; Art. 9 des Bildungsgesetztes besagt, daß die Bürger der VR China das Recht und die Pflicht haben, Bildung zu empfangen, und daß alle Bürger, ungeachtet ethnischer Zugehörigkeit, Rasse, Geschlecht, Beruf, Eigentumsstatus oder religiöser Überzeugung in Übereinstimmung mit dem Gesetz die gleichen Möglichkeiten zur Bildung haben müssen.

[20] Der Art. 5 des Schulpflicht-Gesetzes besagt, daß alle Kinder, die das Alter von 6 Jahren erreicht haben, in einer Schule eingeschrieben werden müssen und ungeachtet von Geschlecht, Nationalität oder Rasse während der vorgeschriebenen Anzahl von Jahren Pflichtunterricht erhalten müssen.

[21] Menschenrechtskommission, 60. Sitzung. Das Recht auf Bildung, Bericht vorgelegt von der Sonderberichterstatterin Katarina Tomasevski, Addendum: Mission to China, UN Doc E/CN 4/2004/Add.1, Para 17; 21. Nov. 2003.

[22] Ibid.

[23] TCHRD Interview, 25. April 2004.