6. September 2008
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Nachruf auf Taktser Rinpoche

Taktser Rinpoche, auch als Thupten Jigme Norbu bekannt, der älteste Bruder des Dalai Lama, verschied am 5. September 2008 im Alter von 86 Jahren nach längerer Krankheit an seinem Wohnsitz im Bundesstaat Indiana in den USA. Er wurde 1922 in dem kleinen Dorf Taktser in der Provinz Amdo als Sohn von Choekyong Tsering (1899–1947) und Dekyi Tsering (1900–1981) geboren.

Thupten Jigme Norbu wurde im zarten Alten von drei Jahren vom 13. Dalai Lama als die Reinkarnation des Taktser Rinpoche erkannt und im Kloster Kumbum in Amdo [chin. Ta’er si im heutigen Qinghai, A.d.Ü.] aufgenommen, einem der bedeutendsten Klöster Tibets, wo er seine monastischen Studien begann und mit 27 Jahren zu dessen Abt ernannt wurde. Er war daher schon vor der Geburt des 14. Dalai Lama 1935 eine wichtige Figur in der religiösen Hierarchie Tibets.

Unmittelbar nach der chinesischen Invasion Tibets 1949­50 spielte Taktser Rinpoche eine entscheidende Rolle als Vermittler zuerst zwischen dem Dalai Lama und der chinesischen Regierung und später, als er  in Indien war, zwischen dem US-Außenministerium und dem Dalai Lama im Hinblick auf die sich über längere Zeit hinziehenden Verhandlungen zwischen Lhasa und Beijing über die Unterzeichnung des kontroversen 17-Punkte-Abkommen, das der Herrschaft Chinas über Tibet Legitimität verleihen sollte.

1950, kurz nach der Invasion, wollten chinesische Regierungsvertreter Taktser Rinpoche überreden, nach Lhasa zu reisen, um den Dalai Lama dazu zu bewegen, die „friedliche Befreiung“ Tibets zuakzeptieren. Sie versprachen sogar, ihn zum Gouverneur von Tibet zu machen, falls ihm dies gelänge. Taktser Rinpoche erklärte sich schließlich bereit, nach Lhasa zu reisen, um den Dalai Lama zu treffen, konnte sich aber unterwegs seiner chinesischen Eskorte entledigen. Statt seinen „Auftrag“ zu erfüllen, teilte er dem Dalai Lama seine bösen Vorahnungen bezüglich des chinesischen Einflusses in Tibet mit und riet ihm, sich in Grenznähe zu Indien zu begeben.

Noch im selben Jahr floh Taktser Rinpoche aus Tibet, um die Menschen in aller Welt über die Grausamkeiten, die in seinem Heimaland vor sich gingen, in Kenntnis zu setzen. Ehe er 1951 in die USA übersiedelte, reiste er in der Welt herum und traf mit Vertretern von Regierungen und den Vereinten Nationen zusammen, um Unterstützung für Tibet zu suchen. Leider fand er kein Gehör.

Taktser Rinpoche spielte eine wichtige Rolle bei der Entscheidung des Dalai Lama, Tibet zu verlassen, weil er den Absichten der Chinesischen Kommunistischen Partei nicht traute. Obwohl er selbst entschieden für die Unabhängigkeit Tibets eintrat, womit er in scharfem Widerspruch zur Politik des Mittleren Weges des Dalai Lama stand, stellte Taktser Rinpoche sein ganzes Leben in den Dienst des Dalai Lama und des tibetischen Volkes. 1995 gründete er die International Tibet Independence Movement (ITIM, http://www.rangzen.org) und führte in den nächsten Jahren drei Unabhängigkeitsmärsche in Indiana, Washington und Toronto an.

„Meine Hochachtung und mein Respekt für Taktser Rinpoche sind grenzenlos. Seine Taten und sein unermüdlicher Einsatz, für Tibet die Unabhängigkeit zu gewinnen, zeugen von seiner wahrlich patriotischen Haltung. Er ist eine Inspiration für alle Tibeter,“ sagte Sonam Wangdu, der Vorsitzende des US Tibet Committee in New York, einem auf der Website von ITIM veröffentlichten Bericht zufolge. Darin wird auch Prof. Larry Gerstein, der Präsident der ITIM, zitiert, der über Rinpoche sagte: „Seit er Tibet verließ, war Rinpoche immer ein entschiedener und stetiger Verfechter der Unabhängigkeit Tibets.“

Eine Zeitlang war er der Repräsentant des Dalai Lama und der Tibetischen Regierung-im-Exil in Japan und in Nordamerika. Er war der erste Tibeter, der sich ständig in den USA niederließ.

Er wirkte als Professor für Tibetstudien an der Universität von Indiana in Bloomington und betätigte sich auch als Schriftsteller. 1959 verfaßte er zusammen mit Heinrich Harrer seine Autobiographie „Tibet is my Country“, eines der ersten Bücher von Ruf über das jüngste Geschehen in Tibet. 1970 kam das Buch „Tibet“ heraus, das er gemeinsam mit Colin Turnbull schrieb, und 1994 erschien eine Sammlung von Essays von im Exil lebenden Tibetern mit dem Titel „The Issue Is Independence - Tibetans-in-Exile Address the Key Tibetan Issue the World Avoids“, zu der Rinpoche das Vorwort schrieb.

1979 gründete Rinpoche das Tibetische Kulturzentrum in Bloomington, das 2006 in „Tibetisch-Mongolisches Buddhistisches Kulturzentrum“ umbenannt wurde.

Seit er 2002 mehrere Schlaganfälle eerlitt, war er leidend. Aber selbst in seinem gebrechlichen Zustand blieb Rinpoche aktiv und widmete sich dem Erhalt der tibetischen Kultur und der Wahrung der Rechte des Tibetischen Volkes. Noch im Juni 2008 nahm er am Empfang der Fackel der Freiheit teil.

Thubten Jigme Norbu hinterläßt seine Frau Kunyang Norbu und die Söhne Lhundup Norbu, 46, Kunga Norbu, 45, und Jigme, 42.