21. März 2006

International Campaign for Tibet
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Seltener Augenzeugenbericht: Der UN-Sonderberichterstatter für Folter verurteilt die Misshandlung von tibetischen Gefangenen

Nichtautorisierte Übersetzung aus dem Englischen

Nachdem der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Dr. Manfred Nowak, während seines Besuchs im November letzen Jahres in der TAR drei der größten Gefängnisse aufsuchen und dabei unmittelbar mit tibetischen politischen Gefangenen sprechen konnte, erklärte er, Folter sei “in Tibet und China immer noch weitverbreitet” (Sein vollständiger Bericht kann abgerufen werden unter http://www.ohchr.org/english/bodies/chr/docs/62chr/ecn4-2006-6-Add6.doc).

Dr. Nowak ist der erste internationale Beobachter, der das in der Nähe von Lhasa neu errichtete Gefängnis Chushur, in das mehrere bekannte tibetische politische Gefangene verlegt wurden, besuchen konnte. Wie er feststellte, herrscht dort, genau wie in den anderen von ihm besuchten Gefängnissen “eine spürbare Atmosphäre der Furcht und Selbstzensur”. In seinem detaillierten Bericht über die Ergebnisse seines Aufenthalts vom 20. November bis zum 2. Dezember 2005 in der VR China erwähnt Dr. Nowak eine Begegnung mit einem tibetischen politischen Gefangenen, dessen Strafe um zwei Jahre verlängert wurde, weil er im Gefängnis “Lang lebe der Dalai Lama” gerufen hatte.

Dr. Nowak, der in seinem Bericht schwere Mißhandlungen an tibetischen politischen Gefangenen dokumentiert, bringt seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, daß inhaftierten tibetischen Mönchen und Nonnen ebenso wie Laien die Ausübung ihrer Religion verwehrt wird. Dr. Nowak empfiehlt die Abschaffung politischer Straftatbestände wie “Gefährdung der Staatssicherheit” oder “Untergrabung der Einheit des Landes” usw., die den Vollzugs- und Strafverfolgungsorganen immensen Ermessensspielraum lassen. Er sagte, die Folterpraxis und die Haftbedingungen in den Gefängnissen stellten eine “systematische Form unmenschlicher und erniedrigender Behandlung” dar und seien “unvereinbar mit einer modernen Gesellschaft, die auf einer Kultur der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beruht”.

Tsering Jampa, die Vorsitzende von ICT Europe, kommentierte: “Dieser fundierte Bericht, der auf den direkten Interviews eines erfahrenen UN-Menschenrechtsexperten mit einigen der bekanntesten tibetischen politischen Gefangenen basiert, wie sie bisher noch nicht möglich waren, bietet ein bedrückendes Bild von Angst, Folter und Einschüchterung in den Haftanstalten Tibets. Wir unterstützen Dr. Nowaks Empfehlungen an die Behörden in Peking und hoffen wie er, daß die chinesische Regierung sie im Zusammenhang mit den in Aussicht genommenen strafrechtlichen Reformen zur Beseitigung von Folter und Mißhandlungen berücksichtigten wird.”

Dr. Nowak besuchte während seines Besuchs in der VR China insgesamt zehn Haftanstalten, von denen sich drei im Bezirk Lhasa, TAR, befinden: Chushur (Qushui), Drapchi (TAR-Gefängnis) und das Lhasa-Gefängnis Nr. 1 (früher Utritru). Über seine Besuche in diesen tibetischen Haftanstalten berichtet er Folgendes:

In dem Gefängnis Chushur, das im April 2005 in Betrieb genommen wurde, befinden sich über 300 männliche Häftlinge. Die Behörden informierten Dr. Nowak, dieses Gefängnis sei für Häftlinge bestimmt, die “schwerwiegende Verbrechen” begangen hätten und zu mehr als 15 Jahren verurteilt worden seien. In Chushur traf er mit drei politischen Gefangenen zusammen. Einer von ihnen ist der 29 Jahre alte Mönch Lobsang Tsultrim, der eine 14-jährige Haftstrafe verbüßt. Dr. Nowak forderte die Freilassung aller drei Gefangenen, weil sie “wegen eines politischen Delikts für schuldig befunden wurden, und ihre Verurteilung möglicherweise auf Aussagen beruht, die durch Folter erzwungen wurden.”

Der ebenfalls in Chushur inhaftierte politische Gefangene Jigme Gyatso sagte Dr. Nowak, seine Strafe sei im Anschluß an ein Vorkommnis im März 2004, als er “Lang lebe der Dalai Lama” gerufen hatte, um zwei auf 17 Jahre verlängert worden, nachdem man ihn zuerst getreten, geschlagen und mit elektrischen Stöcken traktiert habe. Jigme Gyatso, der Anfang Vierzig ist, wurde im März 1996 verhaftet und der Gründung einer “illegalen” tibetischen Organisation beschuldigt.

Der tibetische politische Gefangene Bangri Chogtrul Rinpoche (Jigme Tenzin Nyima), der ehemalige Leiter und Gründer der Gyatso-Schule und des gleichnamigen Kinderheims, berichtete Dr. Nowak, bei seinem ersten Verhör sei er die ganze Zeit über mit Handschellen gefesselt gewesen. Dabei sei ihm ein Arm über die Schulter und der andere nach hinten gezerrt worden, zudem habe man ihm leere Flaschen zwischen Arme und Körper gezwängt. Während der ersten drei Monate, in denen er ständig verhört wurde, war er fast immer in Hand- und Fußschellen gefesselt, sogar während des Essens und Schlafens.

Der Sonderberichterstatter für Folter war entsetzt darüber, daß manche Häftlinge in Chushur ihre Zellen, in denen während der Sommer- und Wintermonate oft extreme Temperaturen herrschen, nur für 20 Minuten am Tag verlassen dürfen, und daß sie auf Grund des Mangels an körperlicher Betätigung im allgemeinen sehr geschwächt sind.

Die Gefangenen, die der Sonderberichterstatter in Drapchi befragte, baten ihn, ihre Aussagen vertraulich zu behandeln. Die ersten Gefangenen, mit denen er im Lhasa-Gefängnis Nr. 1 ein Interview führen wollte, lehnten es alle ab, mit ihm zu sprechen. Im Drapchi Gefängnis gäbe es – so sagte man ihm dort – “zehn Isolationszellen, die alle über ein Fenster im Dach und daher über Tageslicht“ verfügten. Wie die ehemalige Gefangene Ngawang Sangdrol berichtet, gibt es dort aber weit mehr als zehn Einzelzellen, und viele haben gar kein Fenster und sind ganz dunkel, weshalb sie die “kleinen finsteren Zellen” genannt werden.

In dem Bericht ist nichts über die Razzia im Kloster Drepung in Lhasa zu finden, die während der Zeit von Dr. Nowaks Besuch stattfand, und deren Anlaß der friedliche Protest der Mönche gegen die gerade im Kloster durchgeführte “Kampagne für patriotische Erziehung” war. Derartige Proteste gibt es gegenwärtig nur selten. Mindestens ein Mönch ist in diesem Zusammenhang gestorben – wie es heißt durch Selbstmord, weil er gezwungen wurde, den Dalai Lama zu denunzieren. Obwohl Dr. Nowak die chinesischen Behörden um Auskunft über diesem Vorfall gebeten hatte, schweigt er in seinem Bericht über eine etwaige Antwort der Chinesen.

Dr. Nowak erklärte, Sicherheitskräfte und Geheimdienstmitarbeiter hätten ständig versucht, seine Ermittlungen zu vereiteln oder zu behindern. So heißt es in seinem Bericht: “Da es dem Sonderberichterstatter nicht gelang, eine schriftliche Erlaubnis der zuständigen Behörden zu erhalten, die es ihm ermöglicht hätte, die Haftanstalten alleine zu besuchen (wie es bei seinen früheren Besuchen in anderen Ländern üblich war), begleiteten ihn Beamte des Außenministeriums zu den Haftanstalten, um sicherzustellen, daß er uneingeschränkten Zutritt erhielt. Da die Gefängnisleitungen in der Regel etwa eine Stunde vor seinem Eintreffen informiert wurden, kann man nicht so ganz von ‚unangekündigten’ Besuchen sprechen.”

Der Besuch von Dr. Nowak in China und Tibet war der erste eines UN-Sonderberichterstatters für Folter und wurde erst nach zehnjährigen Verhandlungen über die Modalitäten möglich. Die VR China hat die UN-Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche und entwürdigende Behandlung (UN Convention against Torture and other Cruel, Inhumane or Degrading Treatment = CAT) im Oktober 1988 ratifiziert.