12. September 2005
International Campaign for Tibet
1825 Jefferson Place NW, Washington, DC 20036, United States of America, Phone: (202) 785-1515, Fax: (202) 785-4343, e-mail: info@savetibet.org, www.savetibet.org

Übersetzung aus dem Englischen


Version in pdf.

Neue Informationen über Verhaftungen im Zusammenhang mit dem Gyatso Waisenhaus

Nach der Schließung des Gyatso Waisenhauses in Lhasa ist der Schulgründer im Gefängnis schwer erkrankt und die Kinder gehen auf den Straßen Lhasas betteln

Bangri Rinpoche mit einem Findelkind
im Sommer 2001 vor dem Heim

Große Sorge besteht um die Gesundheit und Sicherheit eines angesehenen tibetischen Lehrers und Rinpoches, der seit 1999 zu lebenslänglicher Haft verurteilt im Gefängnis sitzt. Es handelt sich hier um einen der schwerwiegendsten Fälle politischer Gefangenschaft der letzten Jahre in Tibet. Der 39 Jahre alte Bangri Tsamtrul Rinpoche (oder Jigme Tenzin Nyima), Gründer des Gyatso Kinderheims und der gleichnamigen Schule, wurde 1999 unter der Anklage der "Absicht zur Spaltung des Landes" verurteilt. Mindestens einmal wurde er seitdem ins Krankenhaus eingeliefert. Ein Augenzeuge sah ihn schwerkrank in einer geschlossenen Station liegen: Er war an Händen und Füßen ans Bett gefesselt, obwohl er viel zu schwach war, um sich wegzubewegen.

Der Fall ist Ausdruck davon, daß die Behörden in Tibet einen immer härteren Kurs einschlagen und die Leitung der örtlichen Gemeinwesen auszuschalten versuchen, indem sie angesehene Persönlichkeiten, die sich in besonderer Weise für die tibetische Sprache, Kultur und Religion engagieren, zu extrem harten Strafen verurteilen (Weitere Bilder von Bangri Rinpoche und seiner Schule, siehe: http://www.savetibet.org/news/newsitem.php?id=809).

Die Behörden in Tibet taten alles, um zu verhindern, daß Informationen über den Fall an die Außenwelt dringen – etwa durch die Einschüchterung der involvierten Tibeter. Dies ist der Grund, warum erst jetzt Einzelheiten über den Prozeß von Bangri Tsultrim Rinpoche und anderen ihm nahestehenden Personen ans Licht kamen. Westlichen Regierungen, die sich bei den chinesischen Behörden nach den genauen Umständen des Falls erkundigten, wurden über die Jahre hinweg unterschiedliche Angaben über die Verurteilung von Bangri Rinpoche und Nyima Choedron (chin. Nima Quzhen) gemacht. Die Schule wurde von mindestens zwei Wohlfahrtsvereinen und individuellen Sponsoren aus den USA und aus Großbritannien gefördert, weshalb Bangri Rinpoche vor Gericht der Verbindung zu "spalterischen" ausländischen Kräften beschuldigt wurde.

Die chinesischen Behörden brachten die Verhaftung von Bangri Tsamtrul Rinpoche und seiner Frau Nyima Choedron, einer 37-jährigen ehemaligen Nonne, die eine Strafe von 7½ Jahren verbüßt, mit der Absicht eines am Bau der Schule beteiligten Tibeters in Verbindung, der auf dem Hauptplatz von Lhasa eine tibetische Flagge aufziehen und sich selbst mittels Sprengstoff in die Luft sprengen wollte. Die Gyatso Schule und das Kinderheim, die unter der Obhut von Bangri Rinpoche und Nyima standen, wurden auf den Vorfall hin geschlossen, und auch andere Mitarbeiter wurden festgenommen und befinden sich seither in Haft.

Obwohl US Regierungsvertretern und ehemaligen ausländischen Sponsoren der Schule von den chinesischen Behörden zugesichert wurde, daß die Kinder nach Schließung der Schule in andere Heime kämen und dort versorgt würden, berichten inzwischen im Exil befindliche ehemalige Mitarbeiter der Schule, daß viele der Kinder einfach auf die Straße gesetzt wurden und nun betteln gehen, weil sie nicht wissen, wo sie sich hinwenden sollen.

Eine Nonne in den Vierzigern, die in dem Heim arbeitete und ebenfalls festgenommen wurde, beschrieb, wie sie gewaltsam von der Sicherheitspolizei aus der Schule gezerrt wurde, obwohl die Kinder sich an ihre Beine klammerten und die Polizisten anflehten, sie nicht abzuführen. Im Polizeigewahrsam wurde sie geschlagen und gefoltert.

Etliche Mitarbeiter der Gyatso Schule und Verwandte des verstorbenen Tashi Tsering, jenes Tibeters, der auf dem Potala Platz seinen Protest mit der Flagge durchführen wollte, wurden ebenfalls inhaftiert, sind aber inzwischen wieder entlassen worden. Bangri Tsamtrul Rinpoche und seine Partnerin Nyima Choedron, eine 37-jährige ehemalige Nonne, sind als einzige noch im Gefängnis; Nyima verbüßt in Drapchi eine Haftstrafe von ursprünglich 10 Jahren, die nach zweimaliger Reduzierung nun 7½ Jahre beträgt.


Seite drucken

Bangri Tsamtrul Rinpoche und der Strafvollzug

Viele machen sich ernsthafte Sorgen um Tsamtrul Rinpoches Gesundheit und Wohlergeben, seit er am 27. August 1999 unter dem Verdacht der "Gefährdung der nationalen Sicherheit" verhaftet wurde. Am 26. September 2000 wurde Bangri Tsamtrul Rinpoche (chin. Jinmei Danzeng Nima, aka Renbuqin) wegen des "Verbrechens der versuchten Spaltung des Landes" zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt, wobei seine Gefängnisstrafe von dem Tag an, als das Urteil rechtskräftig wurde, gerechnet wird.

Berichte aus Tibet lassen schließen, daß Bangri Tsamtrul Rinpoche infolge der Haft körperlich sehr geschwächt ist. Jemand, der ihn besuchte und jetzt im Exil lebt, erzählte ICT, daß er im November 2002 einige zeitlang im Krankenhaus lag. "Er war an den Hand- und Fußgelenken ans Bett gefesselt, obwohl er viel zu schwach war, um sich wegzubewegen. Außer den Gefängniswärtern, die einen recht feindseligen Eindruck machten, war niemand auf der Station. Er schien nicht genau zu wissen, was für eine Behandlung er brauche oder was getan wurde, aber er hatte starke Bauchschmerzen. Er fürchtete sich vor einer Operation, weil er dem medizinischen Personal nicht traute und so schlecht behandelt wurde.

Zur Festnahme der Mitarbeiter und Schließung der Gyatso Schule schritten die Behörden nach dem Vorfall vom 26. August 1999, als ein tibetischer Bauunternehmer in den Dreißigern namens Tashi Tsering versuchte, die chinesische Flagge auf dem Potala Platz herunterzuziehen und statt dessen die tibetische Schneelöwen-Flagge zu hissen, die in Tibet verboten ist. Danach wollte er den Sprengstoff, den er sich umgebunden hatte, entzünden, um sich umzubringen, aber der Regen vereitelte seine Absicht. Der Vorfall ereignete sich drei Tage nach Abschluß der Nationalen Minderheitenspiele in Lhasa, die von den Behörden im Vorfeld zu den Feierlichkeiten am 1. Oktober, dem Gründungstag der Volksrepublik China, als ein Symbol der nationalen Einheit veranstaltet wurden.

Tashi Tsering wurde von Sicherheitskräften festgenommen, die ihn so brutal zusammenschlugen, daß ihm der Arm gebrochen wurde und seine Hand- und Fußknochen zersplitterten. Sie schmetterten seinen Kopf gegen die Rückwand des Fahrzeugs, er mußte in den Polizeiwagen gezerrt werden, denn er konnte nicht mehr auf seinen eigenen Füßen stehen(1). Tashi Tsering wurde im Oktober 1999 vor Gericht gestellt. Laut einer Mitteilung der Chinesen an eine westliche Regierung bereitete er am 10. Februar 2002 in seiner Zelle seinem Leben selbst ein Ende(2). Leider war keine nicht-offizielle Bestätigung über die Art und Weise, wie er zu Tode kam, zu erhalten. Man weiß nur, daß er in der Haft schwer mißhandelt wurde.

Nicht lange nach Tashi Tserings Protest wurde eine Reihe seiner Verwandten und Bekannten vorübergehend inhaftiert. Gegen die meisten Mitarbeiter der Gyatso Schule, von denen viele den Sponsoren aus den USA und Großbritannien als vertrauenswürdig bekannt waren, wurde Anklage erhoben, und sie wurden zu Gefängnisstrafen verschiedener Länge oder zur Zwangsarbeit im laojiao (Umerziehung-durch-Arbeit) verurteilt(3).

Die Behörden beschuldigten Bangri Tsamtrul Rinpoche, sich mit Tashi Tsering verschworen zu haben, um den Protest durchzuführen. Sie behaupten, er habe "das von Zha Xi [Tashi] geplante Komplott unterstützt und ihm zur Ausführung 80.000 Yuan [9.880 $] gegeben". Tashi Tsering arbeitete als Bauunternehmer für die Gyatso Schule. ICT wurde bestätigt, daß er für die Instandsetzung des Daches entlohnt wurde, und daß Gelder zurückgelegt wurden, um ein zweites Waisenhaus zu bauen. Die Behörden werfen Bangri Tsamtrul Rinpoche auch vor, er habe Tashi Tsering ermutigt, Amtsträger der tibetischen Regierung-im-Exil in Indien aufzusuchen. Der Rinpoche wies diesen Vorwurf zurück, doch fand sein Prozeß hinter geschlossenen Türen statt.

Ebenso beschuldigten die Behörden ihn der Kontakte zu "" ausländischen Organisationen. In den neunziger Jahren hatte Bangri Tsamtrul Rinpoche Indien und die USA besucht, um Geldmittel für sein Schulprojekt zusammenzutragen. Dieses wurde von mindesten drei Organisationen gefördert, zwei gemeinnützigen Vereinen in Großbritannien und zwei amerikanischen Sponsoren-Gruppen.

Der Fall von Bangri Tsamtrul Rinpoche, der bei den Tibetern in Lhasa sehr angesehen war, weil er über 60 Kindern Unterkunft, Versorgung und Schulbildung vermittelte, weist Parallelen zu dem von Tenzin Delek Rinpoche auf, dem bekannten, ebenfalls aus Kham gebürtigen Lama und Wohltäter der Gesellschaft, dessen Todesurteil im Januar in lebenslängliche Haft umgewandelt wurde(4). Beide Fälle scheinen einem härteren Kurs der Behörden in Tibet zu entsprechen: Diese versuchen zu unterbinden, daß auf lokaler Ebene bestimmte Personen die Leitung der Gemeinschaften übernehmen, indem sie angesehene Persönlichkeiten, die sich besonders für tibetische Sprache, Kultur und Religion engagieren, zu harten Strafen verurteilen. Sowohl Bangri Tsamtrul Rinpoche als auch Tenzin Delek Rinpoche waren apolitisch in ihrer Arbeitsweise, sie distanzierten sich bewußt von allem Politischen und vermieden es, zu dem Thema Unabhängigkeit für Tibet Stellung zu nehmen. Westliche Regierungen, die im Rahmen des Menschenrechtsdialogs mit China versuchten, etwas über diese beiden Gefangenen in Erfahrung zu bringen, wurden abgewiesen(5).

Die Gyatso Schule – eine warme und liebevolle Atmosphäre

Bangri Tsamtrul Rinpoche ist eines von acht Kindern einer Familie aus Nangchen (chin. Nangqian), TAP Yushu, Qinghai, er wurde vom verstorbenen 10. Panchen Lama als Wiedergeburt eines Rinpoche aus der Präfektur Kongpo (chin. Nyingtri) im Südosten der TAR erkannt. Das Kloster dieses Rinpoches, das Bangri Kloster in Kongpo, wurde während der Kulturrevolution (1966-76) zerstört; Bangri Tsamtrul Rinpoche hatte die offizielle Erlaubnis zu seinem Wiederaufbau erhalten. Mit Hilfe der Bewohner der Gegend wurde eine Gebets- und Versammlungshalle errichtet, aber die Lokalbehörden stellten sich der Wiederherstellung des gesamten Klosterkomplexes entgegen.

Bangri Rinpoche, Nyima Choedron und ein Lehrer
vor dem Gyatso Kinderheim im Sommer 2001

Kurz darauf gründete Bangri Tsamtrul Rinpoche in dem zentralen Barkhor-Viertel von Lhasa eine Sprachschule für Englisch, um jungen arbeitslosen Tibetern zu mehr Bildung und damit besseren Chancen für eine Anstellung zu verhelfen. Mittellosen Studenten wurden die Schulgebühren erlassen. Von da an lebten Bangri Tsamtrul Rinpoche und Nyima Choedron aus dem Kreis Nyemo (chin. Nimo) im Bezirk Lhasa zusammen, und sie bauten Mitte der 90er das Gyatso Schulheim in Lhasa in der Gegend des Norbulingka. Sie hatten bereits Pläne für ein zweites Kinderheim mit Schule, wurden aber vor dessen Realisierung verhaftet.

Das Gyatso Kinderheim zählte etwa 60 Kinder im Alter zwischen 3 und 15 Jahren, die dort versorgt wurden und zur Schule gingen. Viele von ihnen waren Waisen, während bei anderen die Eltern wegen Armut oder sozialer Probleme nicht in der Lage waren, für sie zu sorgen. In der Schule wurden Tibetisch, Chinesisch, Englisch, Thangka-Malen, Gesang und Tanz, Rechnen und Zeichnen unterrichtet. Unterhalten wurde sie durch Spenden der einheimischen Tibeter, ebenso von Wohltätigkeitsvereinen aus dem Ausland, die Patenschaften für die Kinder vermittelten. Ausländische Sponsoren bestätigten ICT, daß die Schule unter der Leitung von Bangri Tsamtrul Rinpoche und Nyima stets einen hervorragenden Eindruck gemacht hätte.

Einer der westlichen Sponsoren der Schule, der Lhasa im Herbst 1998 besuchte, erzählte ICT: "Das Heim war von einer warmen, liebenvollen Atmosphäre geprägt. Die Kinder waren glücklich und lächelten, sie trugen saubere (wenn auch zuweilen abgetragene) Kleidung und lernten willig und eifrig. Sie erhielten Unterricht in Chinesisch ebenso wie in Tibetisch, Englisch, Mathematik und Kunsterziehung. Sie schienen Rinpoche und Nyima sehr zugetan zu sein, sie rannten lachend auf sie zu und ließen sich umarmen und herzen. Sowohl der Rinpoche als auch Nyima waren ihrer Aufgabe voll und ganz ergeben, denn sie wollten den Kindern zu einem besseren Leben verhelfen. Derselbe Sponsor fügte hinzu, daß die Schule sich auch um Kinder mit gesundheitlichen Problemen und Behinderungen kümmerte – ein Kind hatte beispielsweise einen deformierten Brustkorb, und ein anderes hatte Lernprobleme. Er sagte: "Die Anzahl der Kinder betrug offiziell 60, aber tagsüber kamen noch mehr. Bangri Tsamtrul Rinpoche und Nyima hatten keinen Platz mehr, um sie aufzunehmen, und das war einer der Gründe, warum sie ein weiteres Heim bauen wollten. Ein anderer Förderer, der die Schule besuchte, berichtet, daß die Schlafsäle überfüllt gewesen seien und in jeder Schlafkoje drei Kinder geschlafen hätten, während die Klassenzimmer so mit Schreibpulten vollgestopft gewesen seien, daß man sich kaum durch die Reihen bewegen konnte. "Dennoch waren wir überrascht von den guten Leistungen der Kinder in Mathematik, in Englisch und in tibetischer Schönschrift, es machte Freude zu sehen, mit welchem Enthusiasmus sie bei der Sache waren", fügte er hinzu.

Bangri Tsamtrul Rinpoche hatte in den Neunzigern Indien mindestens einmal besucht, noch im Monat vor seiner Festnahme war er auf Einladung eines der Sponsoren in den USA gewesen, um Spenden für die Schule zu sammeln. In dem Prozeß wurde er beschuldigt, "große Summen aus dem Ausland" angenommen zu haben. Das Gericht konstatierte: "Korrespondenz zwischen der Jiacuo (Gyatso) Schule und dem Ausland, Empfangsbestätigungen für Spendengelder, Überweisungsformulare aus dem Ausland, Bankbelege für die Überweisungen, Telefon-Auskunfts-Listen, Suchzettel und reaktionäre Literatur – dies alles sind Beweise dafür, daß die Jiacuo Schule in enger Beziehung zu ausländischen Organisationen stand, daß sie riesige Beträge von ausländischen Unterstützern kassierte und reaktionäre Schriften von externen spalterischen Kräften annahm".

Am Abend des 27. August, einen Tag nach Tashi Tserings Protest auf dem Potala Platz, wurden Bangri Tsamtrul Rinpoche und Nyima Choedron zur Vernehmung in eine in der Nähe befindliche Polizeistation abgeführt. An diesem Abend durfte er noch ins Schulheim telefonieren; er bat seine Mitarbeiter, gut auf die Kinder aufzupassen und ihnen genügend zu essen zu geben. Bangri Tsamtrul Rinpoches ältere Schwester, die 44-jährige Nonne Dechen Choezom, die als Hausmutter in dem Schulheim tätig war, erschrak dermaßen über die Festnahme ihres Bruders und die zu erwartenden Folgen, daß sie einige Briefe und Dokumente von Sponsoren verbrannte, denn sie fürchtete, die Polizei könnte daraus falsche Geschichten über die Beziehungen zu "spalterischen" Organisationen im Ausland zusammenbrauen.

Dechen Choezom, auch als Ani (Nonne) Dechen bekannt, wurde am 16. September 2000 wegen "Vernichtung von Beweismaterial" zu drei Jahren Haft verurteilt. Am 17. Oktober 2002 wurde sie entlassen.

Bangri Tsamtrul Rinpoche und Nyima Choedron waren anfänglich im Haftzentrum No. 7 des Public Security Bureau von Lhasa inhaftiert, nach ihrer Verurteilung wurden sie in das Drapchi Gefängnis (Gefängnis der Autonomen Region Tibet) verlegt. Die Volksprokuratur der Stadt Lhasa konstatierte in ihrer Anklageschrift gegen Bangri Tsamtrul Rinpoche, daß er und Nyima Choedron „Zha Xi (Tashi) und sein Komplott enthusiastisch unterstützt hätten und ihm 80.000 Yuan, das sie zur Tarnung als 'Ingenieurshonorar' auswiesen, gegeben hätten". Zu seiner Verteidigung sagte Bangri Tsamtrul Rinpoche, er habe kein Komplott mit Zha Xi gemacht, daß dieser zu dem Platz gehen und die Flagge austauschen wolle, und er habe ihm die 80.000 Yuan nicht als Ingenieurshonorar, sondern zum Bau eines Hauses gegeben.

Vor ihrer Festnahme waren Bangri Tramtrul Rinpoche und Nyima eifrig dabei, die Schule zu renovieren und zu verschönern. Sie hatten auch ein Grundstück für ein zweites Heim gefunden, um mehr bedürftige Kinder aufnehmen zu können. Tashi Tsering war ein bekannter Bauunternehmer aus der Präfektur Lhoka (chin. Shannen) in der TAR, dem die Bauarbeiten für die Gyatso Schule übertragen wurden. Früher war Tashi Tsering einmal von seiner Gemeinde für sein Geschick beim Errichten neuer Gebäude und der Möblierung einer Schule in der Nähe des Klosters Sera ausgezeichnet worden. Westliche Sponsoren bestätigten ICT, daß sie 1998 speziell Tashi Tsering mit finanziellen Mitteln versorgt hatten, damit er das Dach der Schule instand setzen könne. Andere erzählten, daß sie im Juni 1999 das Grundstück, das für die neue Schule vorgesehen war, besichtigten und besprachen, wie eine dort befindliche Ziegelmauer abgetragen und entfernt werden könnte, damit die Kinder einen größeren Spielplatz bekommen. Um den Sponsor zu zitieren: "Es war bekannt, daß Tashi Tsering in der Vergangenheit Bauarbeiten für das Gyatso Kinderheim ausgeführt hatte, weshalb ausländische Sponsoren es für angemessen hielten, daß in dem Haushaltsplan von Bangri Rinpoche ein Posten für Tashi Tsering reserviert worden war, auch der nächste Schritt im Hinblick auf den Bau des zweiten Waisenhauses, nämlich eine Anzahlung für die Bauarbeiten, wäre fast überall auf der Welt als ganz normal gesehen worden".

In seiner Antwort auf die Anklage stellte Bangri Tsamtrul Rinpoche weiterhin fest, daß er die Kinder in die Schule aufgenommen habe, weil einige Eltern nicht richtig für ihre Kinder sorgten, und diese daher in Gefahr standen, zu Bettlern oder gar zu Dieben zu werden. Er sagte: "Zu dieser Zeit hatte die Schule die Stadtverwaltung von Lhasa um Instruktionen gebeten, und viele leitende Verwaltungsbeamte besuchten unsere Schule. Wir lehrten die Kinder Tibetisch, Han-Chinesisch und Englisch. Wir mahnten sie, der kommunistischen Partei treu zu bleiben. Daraus wird ersichtlich, daß die Unabhängigkeit nicht zu den Zielen der Schule gehörte". Nyima Choedron, die von ehemaligen Gefangenen, die ihr in Drapchi begegnet waren, als hoch gebildet beschrieben wird, und die fließend Englisch, Chinesisch und Tibetisch spricht, wurde die Strafe zweimal reduziert, nämlich 2003 um 18 Monate und im Februar 2004 um ein weiteres Jahr. Nach ihrer Ankunft in Drapchi wurde sie annähernd ein Jahr lang in Isolationshaft gehalten. Wie es heißt, muß sie jetzt leichte Handarbeit wie Stricken verrichten, doch sie sieht sehr schlecht und hat wahrscheinlich noch andere, ernstere gesundheitliche Probleme. Einer offiziellen Mitteilung aus Peking an die Dui Hua Stiftung in San Francisco zufolge steht Nyima Choedrons Entlassung für den 26. Februar 2007 an.

Bangri Tsamtrul Rinpoche und Nyima Choedron haben eine Tochter, die zum Zeitpunkt ihrer Festnahme ein Baby war und jetzt von einem Familienmitglied in Tibet versorgt wird.

Tashi Tserings Frau Lhadron (chin. La Zen) aus Lhasa wurde wegen des Delikts der "Hilfeleistung für Kriminelle und der Deckung von Straftätern" zu zwei Jahren verurteilt: Sie hatte nämlich Tashi Tsering nicht bei der Polizei denunziert, ehe er mit seinem Protest begann. Lhadron wurde am 25. August 2001 entlassen. Sie hatte an das Gericht appelliert, daß sie drei Kinder zu Hause habe, und es niemanden gäbe, der für sie sorgen würde.

Ein Verwandter von Tashi Tsering, Nyima, Ende vierzig und gebürtig aus der Präfektur Lhoka (chin. Shannan), TAR, wurde unter dem Verdacht, daß er etwas von Tashi Tserings Plan, die chinesische Flagge herunterzuholen, gewußt habe, festgenommen. Er saß wegen des Delikts der "Unterstützung Krimineller und der Deckung ihrer Verbrechen" ein Jahr und sechs Monate im Gefängnis.

Die 38 jährige Choedron (chin. Qu Zen) aus Shigatse, eine Bekannte von Tashi Tsering, wurde ebenfalls der "Unterstützung Krimineller und Deckung ihrer Verbrechen" angeklagt und zu einer zweijährigen Haftstrafe ab dem 26. August 1999 verurteilt. Choedron hatte bei der Vernehmung zugegeben, von dem von Tashi Tsering auf dem Potala Platz geplanten Protest gewußt zu haben.

Die Verhaftung des Personals und die Schließung der Schule

Bangri Tsamtrul Rinpoches ältere Schwester Dechen Choezom, eine ehemalige Nonne aus dem Kloster Yangchenling in Nangchen, die seit 1996 als Hausmutter in dem Gyatso Heim tätig war, berichtete, Polizisten hätten am Abend des 26. August 1999 nach der Festnahme von Bangri Tsamtrul Rinpoche und Nyima am Tor der Schule Wache gestanden. Am folgenden Tag kamen mehrere von ihnen und begannen das ganze Gelände zu durchsuchen. Sie nahmen nebst anderen Dokumenten und Photographien das Schreiben mit, in dem der 10. Panchen Lama Bangri Tsamtrul Rinpoche anerkannt hatte. Zwei Tage später wurde Dechen Choezom festgenommen.

Bangri Rinpoche, Bild TCHRD

Sie erzählte ICT: "Die Kinder versuchten die Polizisten daran zu hindern, mich abzuführen – sie klammerten sich an meine Beine und flehten weinend: 'Nehmt uns nicht unsere Mutter weg!'. Ich wurde in eine Zelle eingeschlossen und übel geschlagen. Es war so schlimm, daß ich dachte, ich würde sterben. Sie setzten mir ununterbrochen mit ihren Fragen zu, denn sie meinten, als ein Mitglied von Bangri Tsamtrul Rinpoches Familie müsse ich alle Geheimnisse der Familie kennen. Ich erklärte ihnen, daß mein Bruder kein Separatist gewesen sei. Manchmal schlugen sie mich mit elektrischen Viehstöcken, bis ich bewußtlos umfiel. Nach diesen Mißhandlungen ging es mit meiner Gesundheit bergab, und ich leide seitdem an Magen- und Rückschmerzen."

Bangri Tsamtrul Rinpoche und Nyima Choedron sind die einzigen Personen der Gyatso Schule, die noch in Haft sind. Zu den anderen Mitarbeitern, die nach dem 26. August 1999 inhaftiert und inzwischen freigelassen wurden, gehört auch Gelek Nyima, ein Mönch und Thangka-Maler in den Vierzigern, der an der Schule Kunsterziehung lehrte und zu drei Jahren verurteilt wurde. Thubten Dargyal, der aus derselben Gegend in Kham wie Bangri Tsamtrul Rinpoche stammt, wurde auch zu drei Jahren verurteilt. Karma Yeshi, eine Nonne in den Vierzigern und aus derselben Gegend von Kham wie der Rinpoche gebürtig, war ebenfalls Hausmutter im Gyatso Kinderheim. Wahrscheinlich verbüßte auch sie drei Jahre im Gefängnis. Khadija, ein Tibeter, der im Exil lebte, ehe er Englischlehrer an der Gyatso Schule wurde, soll viereinhalb Jahre inhaftiert gewesen sein. Einzelheiten über die Inhaftierung von Dawa Dondrup aus dem Kreis Toelung Dechen (Duilongdeqing) im Bezirk Lhasa, einem der Hauptlehrer an der Schule, konnten nicht in Erfahrung gebracht werden. Mindestens sechs weitere Tibeter, entweder Verwandte oder Bekannte von Tashi Tsering, Bangri Tsamtrul Rinpoche und Nyima Choedron, wurden auf deren Verhaftung hin vorübergehend festgehalten.

Die Kinder des Gyatso-Heims

Nach der Festnahme des Personals und der Lehrer der Schule fror der Sicherheitsdienst die Bankkonten der Gyatso-Schule ein und versiegelte die Gebäude. So gut wie alle Kinder wurden auf die Straße gesetzt und wußten nicht, wohin sie gehen sollten. Einige wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen und verhört. Vertrauenswürdigen Berichten aus Lhasa zufolge stellte die Polizei die Vernehmung der Kinder erst ein, als besorgte Vertreter des öffentlichen Lebens darauf hinwiesen, daß die Kinder durch die Einschüchterung psychischen Schaden erleiden könnten.

Die chinesischen Behörden erklärten der US Regierung und ausländischen Unterstützern, die Kinder würden gut versorgt, obwohl die Schule geschlossen wurde. Die ICT gemachten Mitteilungen lauten jedoch anders: Wie Tibeter berichten, die jetzt im Exil sind, wurden in den letzten Jahren mehrere frühere Gyatso-Kinder gesehen, die ohne eine feste Bleibe bettelnd durch die Straßen Lhasa ziehen.

Kinder des Gyatso Waisenhauses, Bild von ICT

Einer der früheren Schüler von Gyatso, Rigzin Dorjee, der jetzt in Indien im Exil lebt und zur Zeit der Schließung des Heims 11 Jahre alt war, berichtet: "Auf den 26. August 1999 hin wurden unsere Lehrer und die Angestellten der Schule der Reihe nach festgenommen. Am 17. Oktober 1999 trafen Militär und Polizei in unserer Schule ein. Sie nahmen alle Kinder unter dem Vorwand einer medizinischen Untersuchung mit. Mein Freund Tenzin und ich wurden in ein Regierungsbüro in Nagchu gebracht. Der Beamte dort sagte uns, wir würden bald auf eine andere Schule geschickt werden. Sie gaben uns zwar zu essen, aber von einer Schule sahen wir nichts. Zwei Wochen mußten wir in dem Büro ausharren, ohne irgend etwas tun zu können". Rigzin Dorjee meinte, er sei nur in der Hoffnung, wieder eine Schule besuchen zu können, in dem Büro der Chinesen geblieben, aber dann sei doch nichts geschehen. So kehrte er nach Lhasa zurück, wo er einige ehemalige Schulfreunde traf: "Ihre Situation war äußerst miserabel. Tamdin Wangyal und Rigzin Dhondup lungerten auf den Straßen der Stadt herum. Tamdin Wangyals Kleider waren abgetragen und zerschlissen. Bhutima schälte Sonnenblumenkerne in ein Gefäß, um sie zu verkaufen, Chonzom, Norzom und Tsesung versuchten zu überleben, indem sie Papier und Plastikteile aus dem Müll zogen und verkauften".

Wangchen Choegyal, ein anderer ehemaliger Gyatso-Schüler, der zur Zeit des Geschehens 10 Jahre alt war, lebt jetzt auch im Exil. Er wurde von Bangri Tsamtrul Rinpoche aufgenommen, nachdem sein Vater durch einen Unfall ums Leben gekommen und seine Mutter an einer Krankheit gestorben war. Er erzählte Gu Chu Sum: "Die Gyatso Schule bot mir die Gelegenheit, etwas zu lernen und außerdem fand ich dort ein Zuhause, wo ich mit Liebe umhegt wurde. Die Hausmutter Ani Dechen Choezom sorgte gut für uns Kinder, und wir sahen unsere eigene Mutter in ihr. Als die Armee und Polizei kamen, wurde ich zu meinen Verwandten geschickt, aber sie hatten nicht genügend Mittel, um mich zu ernähren. So landete ich wieder auf der Straße und wußte nicht, wohin gehen. Nach langer Zeit eines solchen Daseins erbarmte sich ein gütiger Tibeter meiner und schickte mich nach Indien, wo ich nun zur Schule gehen kann."

Dechen Choezom erzählte ICT: "Ehe ich Tibet verließ, sah ich mit eigenen Augen, daß einige der Kinder, die wir im Gyatso liebevoll umsorgt hatten, noch immer auf den Straßen der Stadt herumliefen, sie sind sehr arm, ohne Schule und ohne Zuhause. Meine Familie und unser Kinderheim wurden zertrümmert, die größte Sorge mache ich mir jedoch um meinen Bruder im Gefängnis. Er war kein Separatist, er glaubte einfach, daß er seine Pflicht als Tibeter tue, wenn er den Kindern hilft und ihnen Bildung und ein Heim verschafft.

Fußnoten 1) Der diensthabende Verkehrspolizist, der Tashi Tsering zuerst ergriff, wurde später von den Behörden für seinen Beitrag zur öffentlichen Sicherheit ausgezeichnet (TIN, 13 Oct. 1999).

2) Im Zusammenhang mit Bangri Rinpoches Prozeß wurde berichtet, daß Zha Xi (Tashi Tsering) Selbstmord begangen habe, um der Bestrafung zu entgehen.

3) Bangri Tsamtrul Rinpoches Schwester, Dechen Choezom, berichtet von diesen Festnahmen in ”The Tragic fate of Bangri Tsamtrul Rinpoche, Nyima Choedron and the Gyatso Orphanage School”, Englisch von GuChuSum Movement of Tibet (Vereinigung ehemaliger Gefangener in Dharamsala), 2005. Der Bericht kann bei GuChuSum bestellt werden: e-mail: guchusum@sancharnet.in. Zur Umerziehung-durch-Arbeit werden Personen auf administrativem Wege durch Beamte des Büros für Umerziehung-durch-Arbeit verurteilt.

4) Einzelheiten zu diesem Fall, siehe ”Trials of a Tibetan monk: the case against Tenzin Delek”, unter http://hrw.org/reports/2004/china0204/, und 'The Execution of Lobsang Dondrub and the Case Against Tenzin Delek: The Law, the Courts, and the Debate on Legality', ein Arbeitspapier der ”Congressional-Executive Commission on China” unter http://www.cecc.gov/pages/news/lobsang.php. Zu Kampagnen für Tenzin Delek, siehe: http://www.savetibet.org/campaigns/tdr/index.php.

5) Einige Tibeter zogen Vergleiche zwischen Bangri Tsultrim und Tenzin Delek. So schrieb die tibetische Schriftstellerin Oezer in ihrem Gedicht ”Geheimnisse Tibets”: ”Ich weiß von zwei schrecklichen Fällen von Gefangenen, die im Kerker schmachten, beide sind sie Tulkus, und beide sind sie Khampas aus dem Osten: Jigme Tenzin und Angang Tashi oder Bangri und Tenzin Delek, mit ihren Geburts- und ihren Dharmanamen. Als ob die vergessene Losung ins Gedächtnis zurückkehrt: Diese Namen stoßen die Tür zu Erinnerungen auf, die einst eifrig gehütet wurden”. (Secrets of Tibet, neues Gedicht von Oezer, TIN, 9 Feb. 2005, http://www.tibetinfo.net/news-updates/2005/0902.htm).

frühere Texte