Oktober 2007
Human Rights Update
Inhalt:

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  1. Ngawang Phulchung nach 18 Jahren endlich aus dem Gefängnis entlassen
  2. Verleihung der Medaille des US-Kongresses an den Dalai Lama:
  3. Verschärfung der Kontrollen in Tibet
  4. Rongye Adrak vor chinesisches Gericht gestellt
  5. Zwei Tibeter in Lithang nach "patriotischer Umerziehung" festgenommen
  6. Erneut Schüsse am Nangpa-La: Soldaten schießen auf tibetische Flüchtlinge - neun Personen vermißt, drei festgenommen

Ngawang Phulchung nach 18 Jahren endlich aus dem Gefängnis entlassen

Einer bestätigten Mitteilung zufolge, die dem Tibetischen Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) zuging, wurde Ngawang Phulchung um den 21. Oktober herum aus dem Chushul Gefängnis (chin. Qushui) nach Verbüßung seiner Strafe entlassen. Er war einer der tibetischen politischen Gefangenen mit der längsten Haftstrafe. Der heute 48Jährige war eine der Schlüsselfiguren der friedlichen Unabhängigkeitsdemonstration vom 27. September 1987 und außerdem Mitglied der "Zehnergruppe" von Drepung.

Seine auf 19 Jahre lautende Gefängnisstrafe wurde am 22. September 2005 um sechs Monate reduziert, so daß er schließlich 18 Jahre und 6 Monate in diversen Haftanstalten Tibets verbrachte. Es heißt, er sei infolge der unmenschlichen Behandlung und Folter, denen er über die Jahre in der Haft unterzogen wurde, äußerst gebrechlich. Berichten zufolge befindet er sich nun bei seiner Familie im Kreis Toelung Dechen.

Ngawang Phulchung stellt im Kampf der Tibeter um die Menschenrechte und Gerechtigkeit einen Sonderfall dar. Wie Jamphel Monlam, der stellvertretende Leiter des Zentrums erklärt, erhob er beharrlich seine Stimme gegen das repressive System der Chinesen, was ihm mehrmals Strafverlängerung, Isolationshaft, Schläge und Folter einbrachte: "Diese Entlassung ist eine weitere symbolische Geste der chinesischen Regierung im Vorfeld zu wichtigen internationalen Ereignissen. Fakt bleibt, daß er die besten Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht hat und nun für den Rest seines Lebens physisch und psychisch gezeichnet ist".

Kurzbiographie:

Ngawang Phulchung (Laienname Anu) wurde in dem Dorf Yamda im Kreis Toelung Dechen, Bezirk Lhasa, geboren. 1984 trat er ins Drepung Kloster ein. Er wurde erstmals 1987 wegen einer friedlichen Demonstration festgenommen. Da er in jungen Jahren Mönch wurde, konnte er sich ein profundes Wissen in buddhistischer Philosophie aneignen, und es hätte ihm nicht mehr viel zum Erwerb des Geshe-Titels (Doktor in buddhistischer Philosophie) gefehlt. Doch er fühlte, daß er seine Energie auf den tibetischen Kampf um politische und religiöse Freiheit konzentrieren sollte.

Am 27. September 1987 veranstalteten Ngawang Phulchung und 20 weitere Mönche des Klosters Drepung im Zentrum von Lhasa eine friedliche Demonstration; sie forderten Achtung vor den Menschenrechten, Religionsfreiheit und das Recht auf Selbstbestimmung für die Tibeter. Diese Demonstration war ein Wendepunkt im tibetischen Kampf und der Auftakt zu einer Reihe von weiteren öffentlichen Protesten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten nämlich nur wenige Tibeter es gewagt, öffentlich für ihre Meinung einzutreten, weil sie genau wußten, welch erbarmungslose Vergeltung sie erwartete.

Die Chinesen gingen gewaltsam gegen die Demonstranten vor, schlugen sie und nahmen sie fest. Ngawang wurde vier Monate lang ohne Klageerhebung im Gutsa-Haftzentrum festgehalten, bis er am 22. Januar 1988 infolge des internationalen Druckes und der weltweiten Berichterstattung in den Medien sowie auf die persönliche Intervention des verstorbenen X. Panchen Lama hin auf freien Fuß gesetzt wurde. Er begab sich wieder in sein Kloster. Kurz darauf erklärte er, er hätte 1987 demonstriert, um seine Loyalität zum Dalai Lama zu bekunden und gegen die Verwerfung des Fünf-Punkte-Friedensplans zu protestieren, den die Chinesen als einen Versuch zur Spaltung des Mutterlandes bezeichneten. Als er und seine Kameraden von den Behörden gefragt wurden, ob sie denn keine Angst gehabt hätten, als sie demonstrierten, lautete seine Antwort: "Nein, wir fürchteten uns nicht… Wir waren bereit, unser Leben für die sechs Millionen Tibeter hinzugeben. Sein Leben zu opfern, ist schließlich nicht gegen die buddhistische Lehre".

Ngawang gehörte der "Gruppe der zehn" aus dem Kloster Drepung an, die heimlich politische Literatur herstellten und diese Ende 1988 verteilten. Die anderen neun Mitglieder wählten ihn einstimmig zu ihrem Anführer. Am 22. April 1989 wurden Ngawang Phulchung und drei weitere Mönche wegen Bildung einer "konterrevolutionären Gruppe", die im Untergrund Flugblätter politischen Inhalts hergestellt hatte, im Kloster Drepung festgenommen. Alle vier kamen in das Sangyip Gefängnis, das auch als das Haftzentrum des Public Security Bureau der "TAR" bekannt ist. Zu der von dieser Gruppe veröffentlichten "reaktionären Literatur" zählte u.a. eine tibetische Übersetzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Die Gruppe hatte zudem über politische Unruhen in Tibet berichtet, die von den chinesischen Behörden verübten Menschenrechtsverletzungen verurteilt, Namen von Tibetern, die von Polizei und Militär verhaftet oder getötet worden waren, zusammengetragen und den Tibetern klar gemacht, daß ihre Sache international unterstützt wird. Ein weiteres von der Gruppe herausgebrachtes Dokument trug den Titel "Die Bedeutung der wertvollen demokratischen Verfassung Tibets". Darin wird unter Zuhilfenahme der traditionellen Prinzipien der buddhistischen Dialektik der Begriff Demokratie analysiert und dargelegt, wie ein parlamentarisches System für ein unabhängiges Tibet aussehen würde, außerdem werden die Tibeter aufgerufen, mit "der Kraft von innen" zu kämpfen. Die chinesischen Behörden stempelten die Gruppe als "Abschaum der religiösen Zirkel" ab und, um ein Exempel zu statuieren, veranstalteten sie einen Schauprozeß.

Die übrigen Mitglieder der "Zehnergruppe" wurden am 18. Juli 1989 festgenommen und im PSB-Haftzentrum der "TAR" eingesperrt. Alle hatten unter schweren Folterungen und Mißhandlungen durch die Gefängnisaufseher zu leiden, besonders hatten diese es jedoch auf Ngawang Phulchung als den Anführer der Gruppe abgesehen.

Als die Gruppe vor einer Menge von ca. 1.500 Tibetern, die man gewaltsam zusammengetrieben hatte, am 30. November 1989 verurteilt wurde, bekam Ngawang als ihr Anführer 19 Jahre Gefängnis, und die bürgerlichen Rechte wurden ihm auf fünf Jahre aberkannt. Das Mittlere Volksgericht von Lhasa hatte Klage gegen ihn erhoben wegen "Organisation einer konterrevolutionären Clique und Verbreitung konterrevolutionärer Propaganda und Volksverhetzung", wegen "schwerwiegender Untergrabung der nationalen Sicherheit" und "Sammeln von geheimen Informationen und deren Weitergabe an den Feind". Den Zuschauern wurde erklärt, die Mönche hätten "unser sozialistisches System, das auf der demokratischen Diktatur des Volkes beruht, bösartig verleumdet".

Die chinesische Regierung ließ über das Urteil im Fernsehen mit folgender Warnung berichten: "Die von Ngawang Phulchung und anderen begangenen Verbrechen beweisen, daß die sogenannten Menschenrechte, Freiheit und Demokratie, auf die sich die Separatisten im In- und im Ausland immer wieder berufen, nichts als ein Haufen hinterhältiger Lügen sind… Die Verurteilung Ngawang Phulchungs sollte den Separatisten im In- und Ausland als ernste Warnung dienen, daß diejenigen, die das Mutterland spalten wollen, kein gutes Ende nehmen.

Als am 30. März 1991 eine amerikanische Delegation das Drapchi Gefängnis besuchte, wollten einige Häftlinge den Diplomaten eine Petition zustecken, in der sie gegen die Haftbedingungen protestierten. Das Papier wurde ihnen jedoch aus der Hand gerissen, und die Gefangenen, unter ihnen nachweislich Ngawang Phulchung, wurden nach dem Besuch schwer geschlagen und kamen in Einzelhaft. Davon unbeeindruckt ließen sie sich aber nicht davon abhalten, immer wieder gegen die Mißhandlung der Gefangenen zu protestieren, mit dem unvermeidlichen Resultat, daß sie geschlagen und in finstere Einzelzellen gesperrt wurden. Ngawang Phulchung wurde am 15. Januar 1990 mit seinen Gefährten in das Drapchi Gefängnis verlegt. Vor etwa zwei Jahren kam er schließlich in das neu in Betrieb genommene Gefängnis Chushul, wo er bis zu seiner Entlassung diesen Monat inhaftiert war.

Alle Mitglieder der "Zehnergruppe" haben inzwischen nach Verbüßung ihrer Strafen von fünf bis 18 Jahren das Gefängnis verlassen. Jahrelang haben Amnesty International, die UN-Menschenrechtskommission und viele besorgte Einzelpersonen sich bemüht, für Ngawang Phulchung die vorzeitige Entlassung zu erwirken.

Während das TCHRD die Freilassung von Ngawang Phulchung begrüßt, ist es der Ansicht, daß er sowie alle anderen tibetischen politischen Gefangenen das Gefängnis überhaupt nicht verdient hätten. Der Datenbank des TCHRD zufolge gibt es derzeit 140 tibetische politische Häftlinge, die ein elendes Dasein in den Haftanstalten der Chinesen führen. 51 von ihnen verbüßen Haftstrafen von 10 Jahren, und darüber und 97 von der dem TCHRD bekannten Anzahl an Gefangenen sind Mönche. Das TCHRD ist jedoch skeptisch und möchte die internationale Gemeinschaft warnen, sich von solchen von der chinesischen Regierung zu ihrem eigenen Vorteil wohlkalkulierten Gesten - etwa im Hinblick auf die Olympiade in Peking im nächsten Jahr - nicht irreführen zu lassen.

Die VR China ist seit 1988 Vertragsstaat der UN-Konvention gegen Folter (CAT) und andere grausame, unmenschliche oder herabwürdigende Behandlung. Obwohl sie in der revidierten Strafprozeßordnung, die 1997 in Kraft trat, gewisse Formen von Folter gesetzlich verboten hat, wird die Folter in den chinesisch verwalteten Gefängnissen in Tibet weiterhin systematisch angewandt. Die gänzliche Abschaffung der Folter mag ein entfernter Traum ein, dennoch drängt das TCHRD die Regierung der VR China, die von dem UN-Sonderberichterstatter für Folter gemachten Empfehlungen umzusetzen, um die Folter einzudämmen und den "Folterüberlebenden das Recht auf volle Wiederherstellung unter besonderer Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychologischen Bedürfnisse zu garantieren".

Das TCHRD appelliert an die Regierung der VR China, alle Gewissensgefangenen freizulassen, die wegen der friedlichen Wahrnehmung ihrer grundlegenden Menschenrechte, wie sie in der Verfassung und den diversen internationalen Menschenrechtsverträgen niedergelegt sind, weiterhin in den diversen Haftanstalten in Tibet schmachten.

Verleihung der Medaille des US-Kongresses an den Dalai Lama: Verschärfung der Kontrollen in Tibet

Nach glaubhaften und bestätigten Informationen aus Tibet haben die Behörden in Reaktion auf die Verleihung der goldenen Medaille des US-Kongresses an den Dalai Lama am 17. Oktober die Kontrollen bereits im voraus verschärft.

So erließen die Behörden der Stadt Lhasa am 15. Oktober eine Anordnung, wonach Schüler und Tibeter im öffentlichen Dienst in der betreffenden Woche nicht um Befreiung vom Unterricht oder um Urlaub einkommen dürfen, um an dem herkömmlichen Sangsol Ritual (Verbrennung von Räucherwerk und In-die-Luft-Werfen von Tsampa, was Erfolg und Glück bringen soll) teilzunehmen - anderenfalls drohe ihnen der Verweis von der Schule, eine Gehaltskürzung oder der Verlust ihres Arbeitsplatzes.

Tibeter in Lhasa feiern durch Rauchopfer die Verleihung der Goldmedaille

Auf derselben Linie wurde am 14. Oktober 2007 vielen älteren und im Ruhestand befindlichen Tibetern, die sich vor dem berühmten Ramoche Tempel in Lhasa zu versammeln pflegen, um dort ihr "Om Mani" zu beten, befohlen, sofort den Platz zu räumen und bis auf weiteres dort nicht mehr zu erscheinen.

Vom Büro der Stadtverwaltung Lhasas erging an alle Leiter der "Nachbarschaftskomitees" eine offizielle Anordnung, der zufolge sie die Bewohner ihres Wohnviertels zu informieren haben, daß diesen verboten wird, an irgendwelchen religiösen Aktivitäten wie dem Sangsol-Ritual, gemeinsamen Gebeten im Kloster oder irgend welchen Festlichkeiten während der Woche, in der am 17. Oktober in Washington dem Dalai Lama die Goldmedaille verliehen wird, teilzunehmen. Die Kontrolle über die Klöster in der Umgebung von Lhasa nahm Ausmaße an wie nie zuvor.

Aus anderen Quellen geht hervor, daß das "Public Security Bureau" von Lhasa viele ehemalige politische Gefangene, die in und um Lhasa wohnen, in die örtlichen Polizeistationen zitierte, um sie zu verhören. Es wurde ihnen befohlen, auch in den kommenden Wochen keinen religiösen Aktivitäten nachzugehen. Seit dem 25. September sei die Zahl an PAP-Milizionären und PSB-Kräften in Lhasa beträchtlich erhöht worden, um jedem unerwünschten Zwischenfall sofort begegnen zu können. Die Überwachung wurde auch in Büros und Schulen aufgestockt, ehemalige politische Gefangene und Personen, die der Regierung als verdächtig erscheinen, wurden speziellen Kontrollen unterworfen. Die Behörden treffen jede nur mögliche Vorsichtsmaßnahme, damit es in dieser Woche zu keinen Zwischenfällen kommt. All diese Maßnahmen bedeuten für die Tibeter eine Verletzung ihrer grundlegenden Menschenrechte. Die Behörden sind von der alles beherrschenden Vorstellung erfüllt, um jeden Preis die Stabilität in der Region wahren zu müssen. Damit die Tibeter während religiöser Festzeiten und anderer Ereignisse nicht aufmüpfig werden, greifen sie zu jedem nur möglichen Mittel wie erhöhter Wachsamkeit, Überwachung von verdächtigen Personen und ehemaligen politischen Gefangenen, ja sogar zu willkürlichen Festnahmen.

Tibeter mit einem Hintergrund politischer Aktivitäten stehen besonders in Gefahr, festgenommen und verhört zu werden. Sie müssen unterschreiben, daß sie niemals mehr politisch tätig werden, und ihre Angehörigen müssen garantieren, daß die Betreffenden sich fortan politischer Aktivitäten enthalten. All diese restriktiven Maßnahmen und die generelle Überwachung haben in vielen Teilen Tibets zu einer Atmosphäre allgemeiner Angst geführt, wie dem TCHRD berichtet wurde.

Angesichts des kürzlich erfolgten Protestes der Tibeter in Kardze, besonders in Lithang, haben die chinesischen Behörden die Sicherheitsmaßnahmen verschärft und führen nun in allen monastischen Einrichtungen und in den Dörfern die patriotische Erziehung mit Vehemenz durch. Ein Tibeter aus Lithang, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte, sagte dem TCHRD: "Seit einer Woche suchen zwei oder drei Regierungskader der Reihe nach jedes Dorf auf und erklären den Leuten, daß sie sich 20 Tage lang nicht versammeln, in Grüppchen zusammenstehen oder gemeinsame Gebete abhalten dürfen. Als wir die Kader nach dem Grund dieser Anordnung fragten, bekamen wir zur Antwort, das würden sie uns später sagen".

Angesichts dieser Verschärfung der Sicherheitsbedingungen und der Überwachungsmaßnahmen, sowie der Erfahrung, daß bereits früher bei wichtigen Anlässen, wie der Rede des Dalai Lama vor dem  US-Kongreß 1987 oder der Verleihung des Friedensnobelpreises 1989 die Zahl der Festnahmen anstieg, befürchtet das TCHRD, daß es auch diesmal zu Verhaftungen von Tibetern kommen könnte, die trotz allem das Ereignis freudig feiern.

Das TCHRD drückt seine tiefe Besorgnis über die Ausweitung der Restriktionen und die behördliche Überwachung in Tibet aus. Solche restriktiven Maßnahmen zur Wahrung der Stabilität haben oft einschneidende Verletzungen der Grundrechte des tibetischen Volkes zur Folge. Das Zentrum appelliert an die chinesische Regierung, die diesbezüglichen Anordnungen und Restriktionen zurückzunehmen und das tägliche Leben der Tibeter nicht noch mehr zu erschweren.

Rongye Adrak vor chinesisches Gericht gestellt

Zuverlässigen Informationen zufolge, die dem TCHRD heute zugingen, erhob der Mittlere Volksgerichtshof von Kardze Anklage gegen Rongye Adrak wegen vier sogenannter Verbrechen, die von der "Zerrüttung von Recht und Ordnung" bis zur Staatsgefährdung reichen.

Wie aus unserer Quelle hervorgeht, wurde Rongye Adrak am 29. Oktober dem Gericht in Handschellen vorgeführt und wegen vier "Straftaten" formell angeklagt:

1. Punkt der Anklageschrift war die versuchte "Spaltung" des Landes und Staatsgefährdung, weil er am 1. August beim traditionellen Pferderennen von Lithang "Lang lebe der Dalai Lama" gerufen und dessen Rückkehr nach Tibet gefordert hatte.

2. Anklagepunkt war die Aufwiegelung einer großen Menschenmenge, die nach seiner Verhaftung zusammenströmte und sich gewaltsam Eintritt in Regierungsgebäude verschaffte, denn als Verursacher des Geschehens habe er die gesamte Verantwortung zu tragen.

3. Anklagepunkt waren die Zerrüttung von Recht und Ordnung in der Region Lithang und die Verursachung von wirtschaftlichen Verlusten infolge seiner Protestaktion und der daraus resultierenden Verhaftung, denn das Public Security Bureau (PSB) und die People's Armed Police (PAP) mußten zusätzliches Personal abstellen.

4. Anklagepunkt war Kollaboration mit der spalterischen Dalai-Clique im Ausland. Zudem seien seine Töchter bei einer öffentlichen Veranstaltung von der "Dalai-Clique" geehrt worden.

Unserer Quelle zufolge wurde Rongye Adrak nach der Verhandlung vor dem Mittleren Volksgerichtshof Kardze ins Haftzentrum von Dartsedo, Provinz Sichuan, gebracht. Es gilt als sicher, daß Rongye Adrak der vier oben erwähnten Straftaten für schuldig befunden werden und das Gericht in den kommenden Tagen sein Urteil fällen wird.

Das TCHRD verurteilt die Anklage gegen Rongye Adrak schärfstens, denn er hat nur sein Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit wahrgenommen und in keiner Weise gegen die Gesetze Chinas verstoßen. Ferner bringt das TCHRD seine Zweifel an der Transparenz der juristischen Vorgehensweise zum Ausdruck sowie daran, daß Rongye Adrak ein faires Gerichtsverfahren zuteil wurde. Das TCHRD fordert die VR China dazu auf, bei Rongye Adraks Gerichtsprozeß seine eigenen sowie die internationalen Rechtsnormen einzuhalten und sicherzustellen, daß er eine faire Anhörung vor Gericht erhält. Sein Verteidiger darf in keiner Weise eingeschüchtert oder unter Druck gesetzt werden. Das Zentrum ist sehr besorgt über die Art und Weise, wie sich die chinesischen Gerichte über internationale Rechtsnormen eklatant hinwegsetzen, denn bei ihnen sind summarische und willkürliche Verfahren nach wie vor an der Tagesordnung.

Zwei Tibeter in Lithang nach "patriotischer Umerziehung" festgenommen

Im Zuge der massiven Kampagne zur "patriotischen Erziehung", die die chinesischen Behörden in der ersten Septemberwoche in der Gegend von Lithang starteten, kommen immer mehr Fälle willkürlicher Verhaftung von Tibetern ans Licht, die sich wegen der Verletzung ihrer Rechte offen den Behörden widersetzen und ihnen Paroli bieten.

Einer bestätigten Information zufolge bestellten die chinesischen Behörden am 2. September 2007 die Bewohner der Dörfer Youru Kharshul und Kayta in dem Distrikt Lithang, "Tibetisch-Autonome Präfektur" ("TAP") Kardze, zu einer allgemeinen Versammlung ein. Dort bekamen die Tibeter zu hören, welche Entscheidungsfreiheit die Tibeter dank der chinesischen Befreiung Tibets gewonnen haben und welch glückliches und zufriedenes Leben sie nun unter der Obhut der Chinesischen Kommunistischen Partei führen.

Nicht alle jedoch waren mit dieser Darstellung einverstanden: Adruk Kalgyam, ein tibetischer Nomade aus dem Dorf Youru Kharshul, stand auf und hielt den Kadern vor: "Wie könnt ihr behaupten, wir seien zufrieden und glücklich unter der kommunistischen Herrschaft, wenn die Tränen des Leids der Tibeter noch lange nicht versiegt sind. Und wenn der Dalai Lama, der Beschützer des tibetischen Volkes in diesem und dem nächsten Dasein, sein Leben im Exil fristen muß und der Panchen Lama sich immer noch in chinesischem Gewahrsam befindet. Obendrein wurden Apho Adrak (so wird Ronggye Adrak* von seinen Freunden und Verwandten liebevoll genannt) und Gleichgesinnte verhaftet, weil sie offen sagten, was sie denken, und wir wissen immer noch nicht, wo sie festgehalten werden."

Dann rief Adruk Kalgyam, während er die Versammlung verließ: "Möge der Dalai Lama viele tausend Jahre leben und mögen die Wünsche von Apho Adrak und anderen in Erfüllung gehen." Am folgenden Tag kamen Polizisten des Büros für Öffentliche Sicherheit (PSB) von Lithang nach Youru und nahmen, ohne einen Grund dafür zu nennen, Adruk Kalgyam in einem Akt willkürlicher Verhaftung in seinem Haus fest. Es gibt keine Information über sein weiteres Schicksal und seinen Verbleib.

Adruk Kalgyam, ein 26jähriger Nomade, ist der Sohn von Adruk Wangdu (Vater) und Ronggye Tsewang (Mutter) aus dem Dorf Youru Kharshul, Distrikt Lithang, "TAP" Kardze.

In einem ähnlichen Fall beriefen die chinesischen Behörden am 3. Oktober 2007 den Vorsteher und die Mönche des Klosters Youru Geydenling (eine kleine Zweigstelle des Klosters Lithang) ein und unterzogen sie einer "patriotische Umerziehung".

Während der Sitzung erhob sich der Mönch Jamyang Tenzin und forderte die Kader heraus, indem er unverblümt sagte: "Die Behauptung der chinesischen Regierung, das tibetische Volk genieße das Recht auf Religionsfreiheit, steht in krassem Widerspruch zur Realität, weil wir kein Portrait Seiner Heiligkeit des Dalai Lama aufstellen dürfen, weder im Kloster noch zu Hause. Die Menschen im Kreis Lithang, auch die Nomaden, können nach wie vor kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten, obwohl die Regierung ständig mit dem großen Fortschritt prahlt". Jamyang Tenzin erwähnte auch die Festnahme von Ronggye Adrak und anderen Tibetern und äußerte seine Besorgnis über ihren Verbleib. Zum Schluß rief er: "Möge der Dalai Lama Tausende von Jahren leben!" Er wurde sogleich nach dem Ende der "patriotischen Erziehungssitzung" in dem Kloster festgenommen.

Jamyang Tenzin, ein 33jähriger Mönch des Klosters Youru Geydenling, stammt aus dem Dorf Youru Sakhor, Distrikt Lithang, "TAP" Kardze, er ist der Sohn von Thinley Tsering (Vater) und Tsering Dolma (Mutter).

Nach dem kürzlich von Ronggye Adrak in Lithang angeführten öffentlichen Protest und der anschließenden Festnahme und Inhaftierung seiner Unterstützer haben die chinesischen Behörden der Bevölkerung schwere Restriktionen auferlegt und die Sicherheitsmaßnahmen in Lithang und den umliegenden Kreisen verschärft. Den Gemeinde- und Klostervorstehern in und um Lithang wurde befohlen, in der ersten Septemberwoche mit der "patriotischen Erziehungskampagne", die sich über einen Zeitraum von drei Monaten erstrecken soll, in ihren jeweiligen Institutionen zu beginnen. Am 15. September wurde Lobsang Phuntsok, ein Mönch des Klosters Lithang, im Zuge der "patriotischen Erziehungskampagne" festgenommen, und am 22. August verhafteten PSB-Offiziere des Kreises Lithang seinen Freund Kunkhen aus unbekannten Gründen.

Unter dem Banner der Kampagne "patriotische Erziehung" verletzen die chinesischen Behörden in den religiösen Institutionen in ganz Tibet das Recht des tibetischen Volkes auf Religionsfreiheit. Dabei nehmen sie reihenweise diejenigen fest, die offen ihre Meinung sagen und die Wünsche des einfachen Volkes zum Ausdruck bringen.

Das TCHRD ist in tiefer Sorge über das Schicksal von Adruk Kalgyam und Jamyang Tenzin und bittet die Menschenrechtsgruppen und die internationale Gemeinschaft um ihre Hilfe, damit die beiden bald ohne Vorbedingungen freigelassen werden. Das Zentrum erachtet den Fall als einen eklatanten Angriff auf die Meinungs- und Redefreiheit. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist eines der grundlegenden Menschenrechte und die Voraussetzung für die Wahrnehmung aller anderen Menschenrechte. Art. 35 der Verfassung der Volksrepublik China (VRCh) garantiert die "Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse, der Versammlung, der Bildung von Vereinigungen, von Umzügen und Demonstrationen". Art. 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte besagt: "Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten." Das Zentrum appelliert an den UN-Sonderberichterstatter für die Förderung und den Schutz des Rechtes auf Meinungs- und Redefreiheit, Ambeyi Ligabo, sich für diese Fälle und für die anderen Personen, die zuvor im Zusammenhang mit Ronggye Adrak verhaftet wurden, einzusetzen.

Das TCHRD ruft ferner die Regierung der VR China auf, alle politischen Gefangenen freizulassen, die verhaftet wurden, weil sie ihre grundlegenden Menschenrechte wahrnahmen, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Verfassung und anderen internationalen Abkommen und Verträgen, denen China beigetreten ist, festgeschrieben sind. Weiter ruft es die VR China auf, der Kampagne zur "patriotischen Erziehung" in allen religiösen Institutionen in Tibet unverzüglich ein Ende zu setzen. Es betrachtet die Äußerungen von Adruk Kalgyam und Jamyang Tenzin als einen echten Ausdruck der Sorge und Verzweiflung, die das tibetische Volk als Ergebnis der repressiven Politik Chinas ergriffen haben. Die VR China sollte unverzüglich Abhilfe für diese echten Anliegen der tibetischen Bevölkerung schaffen, statt die Schlinge um den Hals der Tibeter noch enger zu ziehen. Die Regierung der VR China sollte dafür sorgen, daß die beiden Festgenommenen keiner Mißhandlung und Folter unterzogen werden, wie sie in den von China verwalteten Haftzentren und Gefängnissen in Tibet gang und gäbe sind. 

Statue des Guru Rinpoche am Kailash zerstört und Bauarbeiten an einer anderen gestoppt

Das TCHRD ist zutiefst entsetzt über den empörenden Eingriff der Behörden in die religiösen Angelegenheiten des tibetischen Volkes. Den letzten Nachrichten aus Tibet ist zu entnehmen, daß die chinesischen Behörden eine Statue von Guru Padmasambhava (der beim Volk auch Guru Rinpoche genannt wird) gesprengt und in einem anderen Teil Tibets die Bauarbeiten an einer ebensolchen Statue gestoppt haben.

Statue von Guru Rinpoche am Berghang vor der Zerstörung

Einer bestätigten Information zufolge wurde die etwa 2 m [dem Augenzeugenbericht von Touristen zufolge 15 m] hohe Statue von Guru Rinpoche in Darchen am Kailash, Kreis Purang, Präfektur Ngari, TAR, die von ortsansässigen gläubigen Tibetern finanziert worden war, in der ersten Oktoberwoche von den chinesischen Behörden niedergerissen. Die aus Ton gefertigte Statue war vor etwa einem Monat beendet und von religiösen Würdenträgern aus der Gegend geweiht worden.

Gleichfalls mußte am 14. August 2007 der Bau einer Statue von Guru Rinpoche in dem Dorf Rongpatsa, Distrikt Kardze, TAP Kardze, eingestellt werden, nachdem die Lokalbehörden ein Verbot erlassen hatten.

Es handelt sich dabei keineswegs um Einzelfälle: Mitte Mai dieses Jahres rissen Soldaten der chinesischen Bewaffneten Volkspolizei (PAP) eine fast fertiggestellte mit Blattgold und Kupfer beschlagene riesengroße Statue von Guru Rinpoche in dem Kloster Samye, Kreis Dranang, Präfektur Lhoka, TAR, nieder. Das TCHRD berichtete über die Zerstörung der Statue am 4. Juni 2007. Und am 8. Juni 2007 wurde von dem Democratic Management Committee (DMC) des Klosters Samye eine offizielle Erklärung herausgegebenen, in der es hieß, daß der Bau der Statue einen Verstoß gegen das Gesetz der VR China über den Schutz von Kulturgütern sowie der Verordnung über den illegalen Bau von Buddhastatuen im Freien darstelle … Das Kloster Samye ließ daraufhin die freistehende Statue entfernen."

Anfang dieses Jahres traten neue "Maßnahmen für die Regelung der religiösen Angelegenheiten", die in 56 Artikeln festgelegt sind, in Kraft. Anstatt die Religionsfreiheit zu schützen, zielen diese neuen Bestimmungen darauf ab, die Regierungspolitik gegenüber religiösen Vereinigungen, deren Mitarbeitern und den einzelnen Gläubigen strikt durchzusetzen. Insbesondere ermächtigt die neue Verordnung die Beamten, die Restriktionen und staatlichen Kontrollen nach Belieben zu intensivieren.

Das Zentrum registrierte auch, daß die Religionsausübung durch neue Einschränkungen noch mehr erschwert wird. So ist die Begehung wichtiger religiöser Festtage wie Saka Dawa und Gaden Nyamchoe, und der Geburtstage des Dalai Lama und des 11. Panchen Lama Gedhun Choekyi Nyima in Tibet verboten.

Weiterhin trat am 1. September der vom staatlichen Büro für Religionsangelegenheiten (State Administration of Religious Affairs) herausgegebene 14 Punkte umfassende Maßnahmenkatalog über Reinkarnationen in Kraft. Er zeigt deutlich die unerbittliche Entschlossenheit der KPCh, der jahrhundertealten religiösen Tradition der Tibeter ihren Status zu nehmen und sie zu zerstören. Gleichzeitig soll die Autorität der legitimen religiösen tibetischen Würdenträger einschließlich des Dalai Lama geschwächt werden. Den neuen Vorschriften zufolge ist ein jeder buddhistischer Mönch, der außerhalb Chinas lebt, davon ausgeschlossen, selbst in Tibet als Wiedergeburt anerkannt zu werden oder jemand anderes als "lebenden Buddha" anzuerkennen. Dies stellt quasi das Ende einer jahrhundertealten Tradition des tibetischen Buddhismus dar. Alle Wiedergeburten "lebender Buddhas" im tibetischen Buddhismus müssen nun vom Staat gebilligt werden, andernfalls ist ihre Anerkennung illegal und damit ungültig. Diese neuen Vorschriften machen das seit Jahrhunderten überlieferte System der Anerkennung wiedergeborener tibetischer Lamas gegenstandslos, denn ab sofort entscheidet alleine die KPCh über die Rechtmäßigkeit einer "Wiedergeburt".

Darüber hinaus haben die chinesischen Behörden die "patriotische Erziehungskampagne" in den religiösen Einrichtungen und ebenso für die normale Bevölkerung weiter verschärft; in Lithang und Kardze soll diese Kampagne von Anfang September an drei Monate lang rigoros durchgeführt werden. Viele Tibeter, die den Behörden offen Widerstand leisteten, wurden in ihrem Verlauf festgenommen.

Das TCHRD ist nach diesem jüngsten Akt der Zerstörung einer Statue des Guru Padmasambhava in Darchen und der angeordneten Einstellung der Bauarbeiten an einer ähnlichen Statue in Rongpatsa  davon überzeugt, daß sämtliche neuen Maßnahmen nach ihrer Ankündigung nun gewaltsam in die Tat umgesetzt werden und daß die Behörden fest entschlossen sind, die Religiosität des tibetischen Volkes zu untergraben.

Die jüngsten Maßnahmen und damit die massive Einschränkung religiöser Aktivitäten machen wieder einmal deutlich, daß die Aussichten auf größere religiöse Freiheit, wie sie von der chinesischen Verfassung großzügig garantiert wird, düster sind, besonders wenn man an Chinas bisheriges Verhalten in Sachen Religionsfreiheit denkt. Während die Verfassung Chinas den Bürgern die "Freiheit der religiösen Überzeugung" garantiert, schützt sie nicht das Recht, den religiösen Glauben auch offen zu praktizieren. Dies zeigt, wie wichtig es ist, daß China den Internationalen Vertrag über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR), den es am 5. Oktober 1998 unterzeichnet hat und der ausdrücklich das Recht auf die Freiheit des Denkens, des Gewissens und der Religion verfügt, auch ratifiziert. Die VR China sollte die Rechte, die von ihrer eigenen Verfassung und anderen internationalen Abkommen und Verträgen, denen sie bereits beigetreten ist, garantiert werden, auch respektieren.

Von Touristen aufgenommene Bilder der Statue vor und nach ihrer Zerstörung:http://www.flickr.com/photos/gyalpo/sets/72157602378824050/detail/

Erneut Schüsse am Nangpa-La: Soldaten schiessen auf tibetische Flüchtlinge - neun Personen vermißt, drei festgenommen

Einer bestätigten Mitteilung zufolge, die dem Tibetischen Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) zuging, wurden drei Personen einer 46 Tibeter zählenden Flüchtlingsgruppe festgenommen, die im Oktober über den Nangpala-Paß fliehen wollte. Neun Tibeter werden vermißt, nachdem die chinesische bewaffnete Grenzpolizei das Feuer auf diese Gruppe eröffnet hatte.

Aus einer dem TCHRD nahestehenden Quelle in Kathmandu verlautet, daß eine Gruppe von 46 Tibetern, die am 18. Oktober 2007 über den Nangpala nach Solukhumbu in Nepal fliehen wollte, von den Grenzschutzsoldaten der Chinesischen Bewaffneten Volkspolizei (People's Armed Police/PAP) beschossen wurde. Als die Gruppe nach einem mehrtägigen kräftezehrenden Marsch zu dem verschneiten und vereisten Paß aufgestiegen war und ausruhen wollte, wurde mehrere Male von der Grenztruppe der PAP auf sie geschossen. Anders als Ende September 2006 (siehe unten) wurde diesmal niemand tödlich getroffen. Doch als die Flüchtlinge mit scharfer Munition beschossen wurden, ließen sie ihre Sachen im Schnee liegen und rannten so schnell sie konnten davon, um sich in Deckung zu bringen. Sie wurden von den chinesischen Grenzsoldaten verfolgt, denen es gelang, drei von ihnen festzunehmen. Neun weitere Personen werden vermißt.

Über den Verbleib und das Wohlergehen dieser neun Personen aus der Gruppe von ursprünglich 46 Tibetern ist nichts bekannt.

Bei den drei festgenommenen Flüchtlingen handelt es sich um:

a) Ngawang Tsultrim, 21, aus Labrang in Amdo, Kreis Sangchu (chin. Xiahe), Tibetische "Autonome Präfektur" ("TAP") Kanlho.

b) Lobsang Thaye, ein 33jähriger Mönch aus dem Kloster Rebkong in Amdo, Distrikt Rebkong (chin. Tongren), "TAP" Malho (chin. Huangnan).

c) Tenzin Dorjee, 21, aus Bawa in Kham, Distrikt Lithang, "TAP" Kardze.

Am 25. Oktober erreichte der Rest der Gruppe ohne weitere Zwischenfälle das Tibetan Reception Centre in Kathmandu, Nepal. Mit dem Herannahen des Winters nimmt die Zahl der Tibeter, die über den Himalaya nach Nepal fliehen, gewöhnlich deutlich zu, weil es dann weniger chinesische Grenzpatrouillen gibt. Es herrscht ein stillschweigendes Einvernehmen zwischen der nepalesischen Regierung und dem UNHCR (Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen): Flüchtlinge aus Tibet werden dem UNHCR überstellt, das sie in seine Obhut nimmt. Trotz der großen Gefahr festgenommen zu werden, unternehmen jedes Jahr Hunderte von Tibetern die beschwerliche Reise nach Nepal, das für sie ein Transitland auf dem Weg nach Indien ist, wo sie den Segen des Dalai Lama erhalten und dann eine Ausbildung machen.

Nach dem Todesfall am Nangpala im September letzten Jahres verschärften die chinesischen Behörden die Sicherheitsmaßnahmen und Auflagen an der Grenze zu Nepal, um die Tibeter von der Flucht abzuhalten. Im Dezember 2006 hielt das Büro für Öffentliche Sicherheit (PSB) der "Autonomen Region Tibet" ("TAR") eine Sondersitzung ab, auf der eine schärfere Überwachung der Grenze und der "fliehenden Individuen" (chin. toudou) beschlossen wurde sowie die Erneuerung der Kampagne "Hart-Zuschlagen" für sechs Monate ab Januar 2007. Die offizielle chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtete am 4. Juni 2007, das Präsidium des PSB der "TAR" habe am 5. Mai 2007 in Lhasa eine Video-Konferenz mit den einzelnen PSB-Abteilungen auf Präfekturebene abgehalten, um das Ergebnis der Kampagne "Hart-Zuschlagen" in den Grenzgebieten, durch die die meisten Tibeter fliehen, zu analysieren. Polizeieinheiten und Offiziere, die besonders hart durchgegriffen, erhielten Auszeichnungen.

Vor einem Jahr, am sonnigen Morgen des 30. September, wurde die Welt Zeuge eines blutigen Zwischenfalls, als eine junge Tibeterin über die Grenze fliehen und im Exil die Freiheit suchen wollte. Als 75 Flüchtlinge sich anschickten, den 5.716 m hohen vergletscherten Nangpala in der Nähe des Cho Oyu Base Camp unweit des Mt. Everest zu überqueren, feuerten die chinesischen Grenztruppen mit scharfer Munition auf die Gruppe und töteten dabei die 17jährige Kelsang Namtso aus dem Distrikt Driru, Präfektur Nagchu, "TAR". Kunsang Namgyal, ein 20jähriger junger Mann aus Kardze, wurde von einer Kugel ins Bein getroffen, so daß er nicht mehr wegrennen konnte. Außer ihm wurden 32 weitere Tibeter, darunter 14 Minderjährige, von den Soldaten festgenommen und in das PSB-Haftzentrum von Shigatse gebracht. Der jüngste von ihnen war acht Jahre alt. Von den 75 Tibetern erreichten 41 (davon 27 Minderjährige unter 18 Jahren) Kathmandu, wo sie vom UNHCR in Obhut genommen wurden.

Aufgrund des großen internationalen Drucks und der ausführlichen Berichterstattung der Medien über diesen Vorfall, bei dem unbewaffnete Tibeter von chinesischen PAP-Grenzsoldaten beschossen wurden, erklärte das chinesische Außenministerium schließlich groteskerweise, die Grenzschutztruppen hätten nur aus Notwehr geschossen. Es bestätigte, daß mehrere Tibeter bei einem Grenzzwischenfall verletzt worden waren, bestritt jedoch, daß irgend jemand durch Schüsse ums Leben gekommen sei. Die Behörden behaupteten, eine Person sei wegen "Sauerstoffmangels" im Krankenhaus gestorben. Die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua meldete, die tibetischen Flüchtlinge hätten, als sie von den Soldaten zur Umkehr aufgefordert worden seien, "dem Befehl keine Folge geleistet, sondern die Soldaten angegriffen, so daß diese gezwungen waren, sich zu verteidigen und dabei zwei Flüchtlinge verletzten". Das Außenministerium stimmte der Version zu, daß jegliche Gewaltanwendung seitens der PAP aus Notwehr geschehen sei. Derartige Vorfälle gibt es immer wieder, aber dies war eines der seltenen Male, wo ausländische Bergsteiger Zeugen des Geschehens wurden.

Angesichts der Aussagen der Flüchtlinge und der ausländischen Augenzeugen, die durch eine Videoaufzeichnung belegt wurden, können sich die Chinesen der Verantwortung nicht mehr entziehen, eine unschuldige junge Tibeterin getötet zu haben. Jamyang Samten, ein Jugendlicher, dem es bei seinem zweiten Fluchtversuch gelang, Dharamsala zu erreichen, berichtete dem TCHRD, daß "die anderen jungen Leute und die Erwachsenen brutal geschlagen wurden, und daß einige Kinder, die nicht sogleich von ihren Eltern nach Hause geholt wurden, über drei Monate lang in Gewahrsam gehalten wurden".

Das TCHRD ist tief besorgt um das Schicksal der drei festgenommenen Tibeter und der anderen neun, die nach der durch die Schüsse der chinesischen Grenzsoldaten ausgelösten Panik nicht mehr gesehen wurden. Die Regierung der VR China sollte sicherstellen, daß sie keiner Mißhandlung und Folter ausgesetzt werden, was in den von China verwalteten Haftzentren und Gefängnissen in Tibet gang und gäbe ist. Mit ihrem Vorgehen haben die PAP-Kräfte eine Reihe internationaler wie nationaler Gesetze verletzt. Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verfügt, daß "jedermann das Recht hat, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen". Auch die Flüchtlingskonvention von 1951 gesteht rechtmäßigen Flüchtlingen dieselben Menschenrechte zu, wie sie alle übrigen Bürger des jeweiligen Landes genießen.

Das TCHRD bittet die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Louise Arbour, und den Menschenrechtsrat, sich für die körperliche Unversehrtheit und die baldige Freilassung der Festgenommenen aus chinesischer Haft einzusetzen. Es appelliert auch an die Regierung der VR China, den Tibetern zu ermöglichen, im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards friedlich und ohne Furcht vor Schikanen, Einschüchterung und willkürlicher Verhaftung ihre grundlegenden Menschenrechte wahrzunehmen. Das Zentrum wird die Situation weiter beobachten und die Öffentlichkeit über den Gang der Entwicklung informieren.