Januar 2007
Human Rights Update
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Kurzfassung des Jahresberichts 2006

EU-Embargo gegen China wird aufrechterhalten
Tibeter verhaftet, weil er Schafen das Leben rettete
China im Bericht von Human Rights Watch kritisiert
Zwei Mönche aus dem Kloster Tashilhunpo festgenommen

Kurzfassung des Jahresberichts 2006

Im Jahr 2006 gab es eine ganze Reihe schlimmer Entwicklungen, und die chinesischen Behörden in Tibet ließen keinerlei Anzeichen für irgendein Nachgeben erkennen. Das ganze Jahr hindurch wurden immer wieder Verstöße gegen die Menschenrechte von uns dokumentiert, welche sowohl die bürgerlichen und politischen als auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte des tibetischen Volkes betrafen. Willkürliche Festnahmen, Inhaftierung und die Zustände in den Gefängnissen in Tibet sind so entsetzlich wie eh und je. Im vergangenen Jahr zogen besonders zwei Ereignisse weltweite Aufmerksamkeit auf sich: der Start der Eisenbahnlinie Gormo-Lhasa und die Tragödie am Nangpa-Paß. Sie ließen die allgemeine Besorgnis wegen des kulturellen Genozids in Tibet weiter anwachsen und machten die Not der Tibeter deutlich, die wegen der Verletzung ihrer Rechte aus dem chinesisch besetzten Tibet fliehen.

Die Gormo-Lhasa Eisenbahn nahm im Juli 2006 offiziell ihren Betrieb auf. Seitdem die Pläne zu ihrem Bau bekannt wurden, war diese höchste Eisenbahnlinie der Welt ständig Gegenstand von Kontroversen. Unter den vielfältigen Bedenken dagegen sind die wegen der politischen Motive und der Aspekt der ethnischen Säuberung besonders wichtig. So behauptet die chinesische Regierung steif und fest, die Bahn diene in erster Linie der Entwicklung und dem Ausbau des Tourismus. In Wirklichkeit jedoch geben die Stationierung von Soldaten in großer Zahl und der gewaltige Zustrom von chinesischen Siedlern, die offensichtliche strategische und politische Bedeutung, die Bedrohung der Umwelt und das mit dem Bau der Eisenbahn einhergehende Hegemonialstreben der Chinesen Grund zu tiefer Sorge. Die Bahn fördert den Zustrom riesiger Menschenmassen und die Ansiedlung unzähliger Han-Chinesen: Tibet wird sich unweigerlich physisch und kulturell verändern, womit die tibetische Identität allmählich verloren geht. Die Region wird eine beispiellose Ausbeutung ihrer Bodenschätze erleben, die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen und Unternehmen wird plötzliche und gewaltige demographische Veränderungen zur Folge haben.

Die entscheidenden Faktoren wie wissenschaftliches und technisches Knowhow, Fachkenntnisse und Erfahrung, über die hauptsächlich Chinesen verfügen und die von der Regierung gebotenen Anreize werden einen gewaltigen Bevölkerungstransfer auslösen, während die Tibeter in ihrem eigenen Land völlig ausgeschlossen und an den Rand gedrängt werden. Obwohl die Regierung sehr viel Aufhebens von der Entwicklung und den Segnungen des Tourismus macht, haben die Bauern und Nomaden dabei keine Stimme und ihre Anliegen bleiben unberücksichtigt. Mit 80% ist der tertiäre Sektor der bedeutendste in Tibet und dennoch werden seine Bedürfnisse nicht wahrgenommen. Mit seiner Investition in die wirtschaftlich gesehen keineswegs gewinnbringende Eisenbahn verfolgt Peking einen eindeutigen Zweck: Die politischen Motive sind vorrangig, wie der ehemalige Präsident der VR China, Jiang Zemin, bereits 2001 sagte: "Einige Leute rieten mir, dieses Projekt nicht weiter zu verfolgen, weil es kommerziell unrentabel sei. Ich antwortete ihnen, dies sei eine politische Entscheidung, und wir würden das Projekt um jeden Preis zum Erfolg führen, selbst wenn es einen wirtschaftlichen Verlust bedeutete." China beabsichtigt, die widerspenstige Region wirtschaftlich und politisch noch stärker in den Griff zu bekommen. Die Eisenbahn dient als politisches Werkzeug, das dafür geschaffen wurde, die tibetische Identität auszulöschen.

Wesentlich weniger als in "harte" infrastrukturelle Entwicklungsprojekte wurde dagegen in die Entfaltung von Humankapital, also in den Bildungs- oder Gesundheitssektor investiert. Was die grundlegenden Aspekte der menschlichen Entwicklung betrifft, setzt Peking eindeutig die falschen Prioritäten in Tibet. China hat wieder einmal gezeigt, daß ihm die Verlegung von Eisenbahnschienen, d.h. die Schaffung eines Werkzeuges zur Kontrolle und Beherrschung, wichtiger ist als die Einrichtung von Schulen und Krankenhäusern in den ländlichen Gebieten, etwas, das den Tibetern echte Partizipation und eine positive Entwicklung bringen könnte. Peking läßt keinen Zweifel daran, daß es mit seinen Plänen zur Entwicklung und Modernisierung Tibets seinen eigenen Interessen dient und seine langfristigen Ziele verfolgt - auf Kosten des tibetischen Volkes.

Die verzweifelte Lage des tibetischen Volkes wurde der internationalen Gemeinschaft am 30. September 2006 dramatisch vor Augen geführt, als sie mit ansehen mußte, wie chinesische Grenzschützer willkürlich auf fliehende Tibeter schossen, wobei mindestens zwei Personen am Nangpa-Paß ums Leben kamen. Trotz des allgemeinen Schocks und der Verurteilung dieser Tat durch Einzelpersonen, NGOs, Regierungen und Diplomaten auf der ganzen Welt liegt das weitere Schicksal der 32 Personen, die bei dem Fluchtversuch verhaftet wurden, im Dunkeln. Enttäuschend war, daß das Büro der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte (OHCHR) kein Wort über die Tragödie verlor, um China, ein ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, nicht gegen sich aufzubringen. Während zur Zeit der Abfassung dieses Berichts eine offizielle Erklärung des Menschenrechtskommissariats immer noch auf sich warten läßt, gelobten die Behörden in Tibet, den Tibetern die Flucht noch mehr zu erschweren. Am 28. Dezember 2006 wurde während einer Videokonferenz, an der sämtliche PSB-Dienststellen in der TAR teilnahmen, beschlossen, mit aller Härte gegen fliehende Tibeter vorzugehen. Die Teilnehmer der Konferenz, die unter dem Vorsitz des obersten PSB-Chefs stattfand, verfügten, "in der ersten Hälfte 2007 gegen illegale Grenzüberschreitungen scharf vorzugehen", wobei sie dies als einen Teil der Kampagne zur Bekämpfung des Separatismus und zur Förderung der Stabilität in der Region bezeichneten. Alle Verwaltungsämter in der TAR wurden angewiesen, dieser Direktive Folge zu leisten und die Öffentlichkeit darüber in Kenntnis zu setzen.

Trotz all der schrecklichen und gut dokumentierten Berichte von Menschenrechtsverletzungen auf dem tibetischen Hochplateau über die Jahre hinweg ist es China gelungen, im neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen einen Sitz zu ergattern. Es ist wirklich bedauerlich, daß ein Staat, dessen Image durch zahllose Menschenrechtsverletzungen beschädigt ist, ungeachtet der Appelle von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen und NGOs, Chinas Bewerbung zurückzuweisen, in diesen neu gebildeten Rat einziehen durfte! Die VR China ist immer noch nicht zur Ratifizierung des von ihr bereits 1998 unterzeichneten internationalen Abkommens über bürgerliche und politische Rechte bereit. Am 9. Mai 2006 wurden bei der Generalversammlung die ersten 47 Mitglieder des neuen Menschenrechtsrats, der von seinem Präsidenten als ein Neubeginn für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte bezeichnet wurde, gewählt. China wurde mit 146 von 191 möglichen Stimmen zu einem dieser 47 Mitglieder gewählt, was Zweifel an den Motiven und der Wirksamkeit des Menschenrechtsrats aufkommen läßt. Für Menschenrechtsverletzungen berüchtigte Staaten wie China sind ungeeignet, einen Sitz in einem solchen Gremium einzunehmen! Der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan sagte in seiner Grußbotschaft ganz offen, daß „die Glaubwürdigkeit des Rates sich daran erweisen wird, wie seine Mitgliedsstaaten ihn nutzen“. Bereits bei den ersten drei Sitzungen des Rats wurde die Menschenrechtslage in Tibet zur Sprache gebracht.

In Tibet jedoch hören die chinesischen Behörden nicht auf, die Menschenrechte der Tibeter weiterhin zu verletzen. Bei einer Sitzung am 15. und 16. Mai 2006 beschlossen hochrangige KP-Funktionäre der sogenannten „Autonomen Region Tibet“, die „separatistischen Aktivitäten“ der Tibeter mit aller Härte zu unterdrücken und die „patriotische Umerziehung“ in den monastischen Institutionen zu intensivieren. In einem Interview mit dem Spiegel am 16. August 2006 brüstete sich Zhang Qingli (Parteisekretär der TAR seit dem 26. Mai 2006) damit, daß die Behörden in Tibet „den patriotischen Unterricht nun überall durchführen, nicht nur in den Klöstern“.

Erneut beschloß die Plenarsitzung der KP der TAR Ende Oktober 2006, den „Separatismus“ gänzlich auszurotten, um den „endgültigen Sieg“ zu erringen. Diese Kampagne ist vor allem gegen tibetische Nationalisten gerichtet, die willkürlich festgenommen, inhaftiert, eingesperrt und verschleppt werden, sowie von einer ganzen Reihe anderer Verletzungen der in der internationalen Menschenrechtscharta verankerten Rechte. Die monastische Gemeinschaft ist regelmäßig eine Zielscheibe dieser Kampagne, denn die Mönche sollen zu loyalen Staatsbürgern erzogen werden. Die politischen Kampagnen in den Klöstern behindern Mönche und Nonnen enorm bei ihrem religiösen Studium. Sehr gegen ihre Überzeugung werden sie gezwungen, den Dalai Lama zu verunglimpfen, was für sie einer Blasphemie gleichkommt.

Eine neue, eigens für die TAR erlassene, Verordnung zur Regelung der religiösen Angelegenheiten, welche die vom Staatsrat im März 2005 verkündeten Bestimmungen ergänzen soll, trat am 1. Januar 2007 in Kraft. Diese Verordnung bezweckt, die monastische Gemeinschaft zur Loyalität dem Staat gegenüber zu erziehen und den Dalai Lama aus den Herzen und Gemütern des tibetischen Volkes zu vertreiben. Angesichts dieser neuen TAR-spezifischen Religionsverordnung wird die religiöse Repression 2007 gewiß noch schärfere Formen annehmen.

Anfang Februar und im Juli 2006 kam es zu Ereignissen, die deutlich machten, daß Herz und Gemüt der Tibeter in Tibet weiterhin dem Dalai Lama gehören. In einer impulsiven Reaktion auf den Aufruf des Dalai Lama in Indien, keine Felle von Wildtieren mehr zu verwenden, verbrannten die Tibeter große Mengen von aus Tierfellen gefertigter Kleidung. Öffentliche Pelzverbrennungen gab es in mehreren Teilen Tibets: in Rebkong, Labrang, Kardze, Chantsa, der TAP Ngaba, im Kloster Kirti und in Lhasa. Die chinesischen Behörden, die fürchteten, die Bewegung könnte zu einem Aufstand gegen den Staat ausarten, griffen umgehend ein und verboten den Tibetern, sich zum Zwecke der Pelzverbrennung zu versammeln. In einer ungewöhnlichen Geste ordneten sie außerdem an, daß die Fernsehsprecher des Qinghai TV mit Tierpelzen besetzte Kleider tragen müßten.

Als sich einige Monate später das Gerücht umging, der Dalai Lama würde das Kloster Kumbum besuchen, strömten die Tibeter in großen Scharen dorthin. Auf die offizielle Anordnung, sie sollten unverzüglich nach Hause gehen, verließen Tausende wieder den Ort, aber einige Hundert wollten nicht weichen, denn sie hofften immer noch, einen Blick von ihm erhaschen zu können. Obwohl das ganze nur ein Gerücht war, zeigte der Vorfall doch deutlich, wie sehr in Tibet der Dalai noch immer verehrt wird.

Während die chinesischen Behörden in Tibet ihre Verunglimpfungskampagnen gegen den Dalai Lama fortsetzen, wächst sein internationales Ansehen als Führungsperson und Staatsmann von Weltrang mehr und mehr. Die Vereinigten Staaten, Kanada und die Kalmyken-Republik erkannten das verdienstvolle Werk des Dalai Lama besonders an. Im Juni 2006 verlieh die neue kanadische Regierung unter Premierminister Stephen Harper dem Dalai Lama die Ehrenbürgerschaft. Die Vereinigten Staaten zeichneten ihn im September mit der Gold-Medaille des Kongresses für „Harmonie unter den Religionen und gewaltlose Konfliktlösung“ aus. Am 10. Dezember 2006 verlieh der Präsident der Kalmyken dem Dalai Lama die höchste Ehrung der Republik, den Weißen Lotus Orden, für „seine außerordentlichen Verdienste und seinen beachtlichen Beitrag zu der spirituellen Erneuerung und dem Gedeihen der Republik“.

2006 kam es zu zwei bedeutsamen Veränderungen in der politischen Führungsriege der sogenannten Autonomen Region Tibet (TAR). Die erste war die Ernennung des Hardliners Zhang Qingli zu ihrem neuen Parteisekretär am 26. Mai 2006. Er war schon seit November 2005 amtierender Parteisekretär gewesen und übernahm im Juni 2006 die volle Verantwortung für dieses Amt. Die zweite betraf die ethnische Zusammensetzung des Komitees der Kommunistischen Partei von Lhasa, in dem nun nur noch acht Tibeter (oder 26% von 30 Mitgliedern) sitzen. Zhang, ein enger Vertrauter von Präsident Hu Jintao, wurde kurz nach der Inbetriebnahme der Eisenbahn auf seinem Posten in Tibet bestätigt, was auf Pekings Absicht, die Kontrolle 2006 weiter zu verschärfen, hinweist. Und Zhang setzte diese Absicht auch umgehend in die Tat um. Im Juli 2006 intensivierte er die patriotische Umerziehung und verkürzte die staatlichen Verträge mit tibetischen NGOs von fünf auf zwei Jahre.

Die Zahl der im Komitee der Kommunistischen Partei von Lhasa vertretenen Tibeter ist über die Jahre immer geringer geworden und ist nun bei einem historischen Tief angelangt. Zum ersten Mal seit 25 Jahren führt ein Nicht-Tibeter, nämlich Qin Yizhi, die KP in Lhasa. Die geringe tibetische Beteiligung (nur 26%) ist wie ein Hohn auf das Gesetz über die regionale ethnische Autonomie, in dessen Präambel es heißt: „An der regionalen ethnischen Autonomie wird deutlich, wie sehr der Staat das Recht der ethnischen Minoritäten, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln, achtet und garantiert. Der Sonderberichterstatter der UN-Menschenrechtskommission für Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz stellte in seinem Bericht im Dezember 2002 fest: „Obwohl die Gesetze Tibet die Selbstverwaltung garantieren, sind die Befugnisse der Tibeter sehr eingeschränkt und unterliegen der strengen Überwachung und Genehmigung durch die Zentralregierung. Bei der öffentlichen Vertretung gab es überhaupt keine Fortschritte, im Gegenteil, erreichte in diesem Jahr die tibetische Repräsentation ihren bisher niedrigsten Stand“.

2006 wurden dem TCHRD 26 Fälle bekannt, in denen Tibeter wegen angeblicher politischer Aktivitäten inhaftiert worden sind. Derzeit gibt es nach unserem Wissensstand 116 politische Gefangene in Tibet. Einige besonders markante Fälle im Berichtsjahr waren Dolma Kyab, Sonam Gyalpo und Namkha Gyaltsen: Sie heben sich vom Rest wegen der besonderen Härte ihrer Gefängnisstrafen ab, die von 8 bis zu 12 Jahren reichen. Dolma Kyab, ein 29jähriger Lehrer und Autor, wurde zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er ein Manuskript für ein Buch mit dem Titel „Ruheloser Himalaya“ verfaßt hatte, das nicht einmal veröffentlicht wurde. Es sind seine Essays über Demokratie, Selbstbestimmung und andere auf Tibet bezogene Themen, die ihn ins Gefängnis brachten, denn in den Augen der Behörden hatte er sich damit der „Gefährdung der Staatssicherheit“ schuldig gemacht. Den Menschenrechtsnormen und der von der internationalen Gemeinschaft allgemein vertretenen Auffassung zufolge kann so etwas nicht als Delikt gewertet werden. In einem Brief, den er vom Gefängnis aus an die UNO richtete, schrieb Dolma, er sei wegen der bloßen Abfassung eines Manuskripts der Spionage und des Separatismus angeklagt worden. Er beteuerte jedoch seine feste Entschlossenheit, seine Landsleute auch weiterhin über die Wichtigkeit von Umweltschutz und Gesundheitsvorsorge für Frauen aufzuklären.

Ein weiterer Fall ist der von Sonam Gyalpo, der unter der Anklage der „Gefährdung der Staatssicherheit“ zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Das letzte, was man von ihm gehört hatte, war, daß er am 28. August 2005, wenige Tage vor den Feierlichkeiten zum 40. Gründungstag der sogenannten TAR, von Sicherheitskräften abgeführt wurde. Das „Verbrechen“, das man ihm zur Last legte, war der Besitz von Audio- und Videokassetten mit Belehrungen des Dalai Lama und ein paar Schriften politischer Natur. Die Behörden hegten ohnehin seit längerem Verdacht gegen Sonam, der ihnen als ein glühender Nationalist bekannt ist und bereits früher wegen seiner Teilnahme an der friedlichen Demonstration vom 27. September 1987 drei Jahre inhaftiert gewesen war.

Ein anderer markanter Fall ist der von Namkha Gyaltsen, einem Mönch aus dem Dorf Thinley Lado in Kardze, der zu acht Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er angeblich „separatistische“ Parolen an Staatseigentum angebracht, die Unabhängigkeit befürwortende Pamphlete in Umlauf gebracht und die verbotene tibetische Nationalflagge zur Schau gestellt hätte.

Das Gefängnis Chushul (chin. Qushui) in der TAR, das etwa im April 2005 in Betrieb genommen wurde, geriet 2006 ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Dr. Manfred Nowak, schilderte in seinem Bericht an den UN-Menschenrechtsrat die schrecklichen Bedingungen in dieser Haftanstalt und forderte insbesondere die Freilassung von drei Häftlingen (Jigme Gyatso, Bangri Jigme Rinpoche und Lobsang Tsultrim), mit denen er sprechen konnte und die wegen „eines politischen Verbrechens und möglicherweise aufgrund eines durch Folter erpreßten Geständnisses“ verurteilt worden waren. Dieses neue Gefängnis dient vor allem der Inhaftierung von Tibetern mit sehr langen Haftstrafen. Bisher weiß man recht wenig über diese Anstalt, aber dem Bericht des Sonderberichterstatters nach zu schließen sind die Bedingungen und die Mißhandlungen im Chushul Gefängnis noch schlimmer als in dem berüchtigten Drapchi Gefängnis. Dem Vernehmen nach wurde eine ganze Reihe von politischen Langzeit-Gefangenen von Drapchi nach Chushul verlegt.

Es bewegte uns tief, daß Phuntsok Nyidron, eine ehemalige Nonne des Klosters Michungri, die 15 Jahre im Drapchi Gefängnis eingesessen hatte, am 14. August 2006 vor der Unterkommission für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte sprechen und die in Tibet verübten Greueltaten schildern konnte. Im Namen des tibetischen Volkes dankte sie dem Unterausschuß für die historische Resolution zu Tibet, die dieser am 23. August 1991 verabschiedet hatte.

Im Juni 2006 erreichten Rigzin Choekyi und Lhundrup Sangmo, zwei der „14 singenden Nonnen von Drapchi“, Indien. Zusammen mit Phuntsok und anderen Nonnen hatten sie 1993 Lieder über Freiheit und die Liebe zu ihrer Heimat auf Tonband aufgenommen. Rigzin und Lhundrup verbüßten 12 bzw. 9 Jahre im Drapchi-Gefängnis. Auch sie berichteten von den Mißhandlungen, denen die politischen Häftlinge in den durch Chinesen verwalteten Gefängnissen in Tibet ausgesetzt werden. Ähnlich bezeugten Palden, alias Phuntsok Tsering, und Tsering Dhondup, die sechs bzw. fünf Jahre in Drapchi verbrachten, bei ihrer Ankunft im Exil die fürchterlichen Bedingungen und die Greuel, die an den politischen Gefangenen in Drapchi verübt werden.

Als eine positive Entwicklung in diesem Jahr wäre zu nennen, daß sich die Lage in Nepal gebessert hat, womit die tibetischen Flüchtlinge leichter nach Indien weiterreisen können. In den letzten Jahren hatten sie unter der Regierung von König Gyanendra und infolge der maoistischen Rebellion große Probleme, nach Indien zu gelangen. Das dieses Jahr abgeschlossene politische Übereinkommen zwischen der demokratischen Regierung Nepals und den Maoisten ebnete den Weg für ein leichteres Transitverfahren für die Tibeter. In Nepal ansässige Tibeter konnten endlich wieder wichtige tibetische Nationalfeiertage wie den Geburtstag des Dalai Lama, den Tag des tibetischen Volksaufstands und den tibetischen Demokratie-Tag begehen, was ihnen bislang verboten war.

Im Berichtsjahr erreichten insgesamt 2.445 Flüchtlinge aus Tibet Dharamsala. Die meisten von ihnen sind Teenager und junge Mönche und Nonnen auf der Suche nach jener religiösen Ausbildung, die ihnen in Tibet verwehrt bleibt; außerdem Kinder, die von ihren Eltern auf die Flucht geschickt werden, damit sie die tibetischen Schulen im Exil besuchen, denn nur dort können sie eine umfassende Bildung und einen vernünftigen Schulunterricht erhalten. Weiterhin verlassen immer mehr Nomaden und Bauern ihr Land, denn infolge von Entwicklungsprojekten wie der Gormo-Lhasa-Eisenbahn werden sie von ihrem angestammten Grund und Boden vertrieben.

Der Zustand des Bildungswesens in Tibet ist katastrophal. Etwa die Hälfte der den Exodus antretenden Tibeter sind Minderjährige unter 18 Jahren, die eine Möglichkeit zum Schulbesuch im Exil suchen. So sind auch die meisten der Flüchtlinge, welche die Schießerei am Nangpa-Paß überlebten, Minderjährige. Als die Bilder der Tragödie und der Davongekommenen um den Globus gingen, staunten viele über das unschuldige Gesicht der 7jährigen Dekyi Paltso, die mit in der Flüchtlingsgruppe war. Wie viele andere Kinder hatten auch ihre Eltern, die mit den in Tibet gebotenen Schulmöglichkeiten nicht zufrieden waren, sie auf die Flucht geschickt, damit sie auf einer tibetischen Schule in Indien die von ihnen gewünschte Erziehung erhalte.

Für viele Tibeter mit einem höheren Bildungsabschluß stellt die diskriminierende Praxis der chinesischen Behörden, tibetischen Bewerbern bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst kaum eine Chance einzuräumen, ein unüberwindliches Hindernis dar. In der Praxis haben nur Leute, die reich und begütert sind und die Beziehungen zum Beamtenapparat (chin. guanxi) haben, eine Chance auf einen Job. In einem Bericht vom Dezember 2002 bekräftigte der UN-Sonderberichterstatter für Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenhaß und damit verbundener Intoleranz, daß „die Tibeter in der TAR unter verschiedenen Formen der systematischen und institutionalisierten Diskriminierung in den Sektoren Beschäftigung, Gesundheitsversorgung, Bildung und öffentliche Vertretung zu leiden haben“.

Ende Oktober 2006 protestierten tibetische Studenten der Tibet-Universität vor den Regierungsgebäuden in Lhasa dagegen, daß die Behörden tibetische Hochschulabsolventen bei der Stellenvergabe massiv benachteiligen. Chinesen aus Zentralchina, die sich in Tibet gefälschte Haushaltsregistrierungszertifikate (houkou) beschaffen, erschleichen sich die Arbeitsplätze, die für Tibeter vorgesehen sind.

Das PSB reagierte unverzüglich auf den Vorfall, umstellte die Studenten und befahl ihnen die Auflösung der Demonstration. Im Mai 2006 richteten Studienabsolventen in der TAP Golog in der Provinz Qinghai eine Petition an die örtliche Verwaltung und forderten darin eine vorurteilsfreie Arbeitsplatzvergabe ohne Diskriminierung, so wie es in einer amtlichen Richtlinie für die Jahre 2002-2005 zwar versprochen, aber nicht umgesetzt worden war. Chinesische Studenten aus dem Kernland bemächtigen sich auch dort mittels gefälschter Haushaltsregistrierungszertifikate der Studienplätze, die für Tibeter vorgesehen sind. Mit seltener Offenheit räumte die Erziehungsbehörde der TAR ein: „Derzeit besorgen sich viele chinesische Studenten aus dem Kernland Haushaltsregistrierungskarten für die TAR…“.

Ein bedeutendes Ereignis im vergangenen Jahr war der Besuch einer Abordnung des Nationalen Volkskongresses in der TAR im August 2006, der die Aufgabe hatte, die Umsetzung des 1984 erlassenen Gesetzes für Regionale Nationale Autonomie zu überprüfen. Dieser Besuch war seit der Verkündung des Gesetzes der erste seiner Art. Obwohl kaum Einzelheiten bekannt wurden, schätzt das TCHRD diesen Besuch im Hinblick auf den sino-tibetischen Dialog als positiv ein. Die Gesandten des Dalai Lama weilten vom 15. - 23. Februar 2006 zur fünften Gesprächsrunde in China. In der Stadt Guilin traf die Delegation am 22. Februar mit dem Stellvertretenden Minister der Einheitsfrontabteilung, Zhu Weiqun, zu einem eintägigen Gespräch zusammen. Bei dieser jüngsten Gesprächsrunde kamen die beiden Parteien zu dem Schluß, daß ihre Auffassungen nach wie vor sehr unterschiedlich seien und daß die bestehenden Hindernisse mittels weiterer Gespräche und Zusammenkünfte beseitigt werden müßten. Der Gastgeber arrangierte für die Gesandten einen Ausflug in die Autonome Region Guangxi Zhuang, damit sie sich ein Bild von der dortigen Lage machen könnten. Darum hatten diese bei einem früheren Besuch gebeten.

Anfang 2006 wurden die Internetriesen Google und Yahoo von Menschenrechtsorganisationen und Verfechtern der Meinungsfreiheit heftig kritisiert. Google hatte sich dem Diktat der Regierung gebeugt und bietet nun in China eine zensierte Version seiner Dienste an. Wegen ihrer mangelnden Bereitschaft, sich für das Recht auf Informationsfreiheit einzusetzen, folgten Aktivisten den Google-Mitarbeitern bei Konferenzen und Hochschulvorlesungen und protestierten vor dem Google-Firmensitz in Kalifornien. Fast alle tibetischen Organisationen und Tibet-Unterstützer entfernten Google aus ihren jeweiligen Websites. Auch Yahoo wurde heftig kritisiert, weil die Firma den chinesischen Behörden bei der Inhaftierung eines chinesischen Autors geholfen hatte. Alle großen Internetfirmen haben mittlerweile den Forderungen der chinesischen Regierung nachgegeben, denn sie alle wollen ihre Geschäfte auf dem chinesischen Markt ausweiten. Microsoft und Cisco gerieten bereits früher in die Kritik, weil sie allzu bereitwillig Informationen für Internetnutzer in China filterten. Google und Yahoo folgten ihnen auf dem Fuße. Es ist sehr bedauerlich, daß Internetfirmen Staaten wie die VR China, welche die Menschenrechte in gröbster Weise verletzen, bei ihrem Vorgehen gegen Online-Dissidenten unterstützen und Millionen von wißbegierigen Bürgern die Möglichkeit des Zugangs zu korrekter Information vorenthalten.

2006 feierte das 1996 gegründete TCHRD sein zehnjähriges Bestehen. In all diesen Jahren hat sich das Zentrum bemüht, Menschenrechtsverletzungen in Tibet ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen und seine Ergebnisse in der ganzen Welt publik zu machen. Während das Zentrum sich auf ein weiteres Jahrzehnt der Recherchen über Menschenrechtsverletzungen einstellt, bleibt es gleichzeitig den bei seiner Gründung gesetzten Zielen verbunden. Ungeachtet der engagierten und harten Arbeit von Einzelpersonen und zahlreichen Organisationen auf der ganzen Welt, zu denen sich auch das TCHRD rechnet, ist die Menschenrechtslage in Tibet weiterhin äußerst ernst. Das TCHRD fühlt sich durch die mutigen und selbstlosen Handlungen und den Ruf der Tibeter nach Freiheit im chinesisch besetzten Tibet motiviert, seine Anstrengungen zu verstärken und nimmt sich daher vor, in den kommenden Jahren noch intensiver über die Lage in Tibet zu berichten.

EU-Embargo gegen China wird aufrechterhalten

Einem BBC-Bericht vom 18. Januar 2007 zufolge erklärte die EU-Kommissarin für auswärtige Beziehungen Benita Ferrero-Waldner, die EU halte an ihren Bedingungen für eine Aufhebung des Waffenembargos gegen China fest. Das Embargo wurde nach dem Massaker an chinesischen Studenten eingeführt, die 1989 auf dem Tiananmen-Platz für demokratische Reformen demonstriert hatten.

Sie stellte folgende drei Bedingungen für die Aufhebung des Embargos: die Ratifizierung des Internationalen Abkommens über Bürgerliche und Politische Rechte, die Freilassung aller an den Demonstrationen beteiligter Personen und die Abschaffung der Administrativhaft "Umerziehung-durch-Arbeit", die ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren verhängt wird. Die Vereinigten Staaten und Japan hatten Druck auf die EU ausgeübt, das Waffenembargo weiterhin beizubehalten. Der chinesische Außenminister Li Zhaoxing bezeichnete die Entscheidung als eine "politische Diskriminierung".

Tibeter verhaftet, weil er Schafen das Leben rettete

Die 36 Jahre alte Ngawang Nyima aus der Gemeinde Gangkat im Kreis Dhingri traf im Januar 2007 im tibetischen Flüchtlingsauffanglager in Kathmandu ein und berichtete über die Verhaftung des tibetischen Ortsvorstehers Pempa. Der 40jährige Pempa ist ein bekannter Geschäftsmann aus Dhingri, der in Haft genommen wurde, weil er 100 Schafe vor der Schlachtung gerettet hatte. Er wird als ein sehr ernsthafter, großzügiger und religiös gesinnter Mann beschrieben, der die Armen in seinem Dorf unterstützte und von den Einwohnern sogar zum Ortsvorsteher gewählt wurde. Im heiligen Saga Dawa, dem vierten Monat des tibetischen Kalenders (Juni 2006), hatte Pempa in verschiedenen Schlachthäusern in Dhingri 100 Schafe freigekauft, damit sie nicht geschlachtet würden. Die positiven karmischen Ergebnisse einer solchen Tat widmete er für das lange Leben des Dalai Lama. Das sprach sich natürlich herum und innerhalb kürzester Zeit erschien die Polizei und führte eine Hausdurchsuchung bei ihm durch, bei der eine CD mit Reden Seiner Heiligkeit gefunden wurde. Die Behörden ließen ihn verhaften und alle Schafe konfiszieren. Pempa ist gegenwärtig im Nyari-Gefängnis in Shigatse inhaftiert.

China im Bericht von Human Rights Watch kritisiert

In ihrem globalen Bericht 2006 äußert sich die Organisation HRW kritisch über die Lage in China. Unter den gravierenden Menschenrechtsverletzungen, die unter der Rubrik "Tibet" dokumentiert wurden, findet sich auch der Fall des Mönchs Gendun, der zu vier Jahren Haft verurteilt wurde, weil er seine Meinung zur tibetischen Geschichte und Kultur kund getan hatte. Ferner wird über die achtjährige Haftstrafe für Namkha Gyaltsen und ausführlich über die Schüsse auf tibetische Flüchtlinge am Nangpa-Paß berichtet. Weiter heißt es darin: "Die Eröffnung der Qinghai-Lhasa-Eisenbahn im Juli 2006 hat bei den Tibetern große Besorgnis hervorgerufen, denn sie fürchten, daß sie nicht in der Lage sein werden, dem wirtschaftlichen Wettbewerb mit den zu erwartenden chinesischen Zuwanderern standhalten zu können". Chinas Umgang mit den Menschenrechten in Tibet wurde in dem Bericht generell kritisch bewertet.

Zwei Mönche aus dem Kloster Tashilhunpo festgenommen

China behauptet fortwährend, in Tibet gäbe es Religionsfreiheit, aber es erweist sich immer wieder, daß es sich dabei nur um ein Lippenbekenntnis handelt. Es gibt in Tibet heutzutage überhaupt keine Glaubensfreiheit. Lobsang Choephel, ein Mönch aus dem Kloster Tashilhunpo, der im Januar in Dharamsala eintraf, berichtete dem TCHRD: "Im Februar 2006 kamen PSB-Beamte aus Shigatse ins Kloster und nahmen den etwa 30 Jahre alten Mönch Buchung in seiner Kammer fest. Er wurde in Haft genommen, weil er den Leuten aus seinem Dorf eine CD gezeigt hatte, die Belehrungen des Dalai Lama enthielt. Seine Heiligkeit hatte diese im Rahmen der 30. Kalachakra-Zeremonie erteilt, die im Januar 2006 im südindischen Amravati stattfand. Man weiß, daß Buchung im Haftzentrum Shigatse inhaftiert ist, aber es ist nicht bekannt, ob er schon vor Gericht gestellt wurde.

Bei einem anderen Zwischenfall nahm das PSB von Shigatse im September 2006 drei Mönche aus Tashilhunpo fest, die auf der Flucht nach Indien waren. Auch sie wurden im Haftzentrum Shigatse festgesetzt. Der 26jährige Passang wurde unter Gewaltanwendung zu dem Geständnis gezwungen, er habe die beiden anderen dazu überredet, gemeinsam mit ihm zu fliehen. Die beiden Mönche Tsedor und Tashi, beide 21 Jahre alt, wurden nach kurzer Festhaltung wieder auf freien Fuß gesetzt und sind in ihr Kloster zurückgekehrt.