November 2006
Human Rights Update

November 2006

Inhalt:

  1. Mönch wegen Verteilung von Druckschriften zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt
  2. Ehemaliger tibetischer politischer Gefangener erneut zu 12 Jahren verurteilt
    Proteste tibetischer Studenten
  3. Offizielle Bestätigung für die Verurteilung einer tibetischen Nonne wegen einer Plakataktion
  4. Biographie des ehemaligen politischen Gefangenen Lobsang Sherab
  5. Nach wie vor werden tibetische Mönche durch die "Patriotische Umerziehung" schikaniert

Mönch wegen Verteilung von Druckschriften zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt

Gyaltsen Namdak (Laienname Dawa), ein 24jähriger Mönch des Klosters Sera in Tibet wurde zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren verurteilt, weil er, wie das TCHRD aus zuverlässiger Quelle erfuhr, Pamphlete mit politischem Inhalt verteilt hatte.

Im Mai 2006 nahm die für das Kloster zuständige Polizeieinheit Gyaltsen Namdak fest, weil er angeblich Flugblätter mit brisanten politischen Ansichten verteilt haben sollte. Nach seiner Festnahme wurde er in dem Gutsa Haftzentrum festgehalten, bis er im Oktober 2006 vor Gericht gestellt und verurteilt wurde.

Das Mittlere Volksgericht von Lhasa verurteilte ihn wegen "Gefährdung der Staatssicherheit" zu fünf Jahren Gefängnis. Er ist gegenwärtig im Gefängnis Chushul (chin. Quishui) im Westen von Lhasa inhaftiert.

Gyaltsen Namdak wurde im Kreis Namling (chin. Nanmulin Xian) in der Präfektur Shigatse (chin. Xigaze/Rikaze) geboren. Sieben Jahre lang widmete er sich im Kloster Sera dem Studium der buddhistischen Schriften.

Wie berichtet, wurden die Sicherheitsmaßnahmen im Kloster Sera in letzter Zeit verschärft und eine noch größere Zahl von Polizisten dort stationiert. Zusätzlich wird das Kloster bei Nacht von der Bewaffneten Volkspolizei (PAP) überwacht. Während der Belehrungen und Gebetszeremonien beobachten Polizisten in Zivil genau das Tun und Treiben der Mönche.

Ehemaliger tibetischer politischer Gefangener erneut zu 12 Jahren verurteilt

Einer dem TCHRD zugegangenen bestätigten Information zufolge verurteilte das Mittlere Volksgericht von Lhasa den der "Gefährdung der Staatssicherheit" angeklagten 44jährigen Sonam Gyalpo zu zwölf Jahren Haft. Er befindet sich gegenwärtig in dem westlich von Lhasa gelegenen Gefängnis Chushul (chin. Qushui).

Vor der Verurteilung, die, wie berichtet, Mitte 2006 erfolgte, war Sonam Gyalpo in der Sitru Haftanstalt (PSB-Haftzentrum der TAR) inhaftiert. Die Angehörigen Sonams wandten sich mit der Bitte um eine Revision des Urteils an den Obersten Gerichthof, jedoch ohne Erfolg.

Im September vergangenen Jahres feierten die chinesischen Behörden in Tibet mit viel Prunk und Pracht den 40. Gründungstag der sogenannten "Autonomen Region Tibet" (TAR). In den Tagen vor dem Ereignis wurden Tibeter mit "politischer Vergangenheit" vorsorglich in Haft genommen, verhört oder aus der Stadt verwiesen, aus Besorgnis, sie könnten die Feierlichkeiten stören.

Beamte des chinesischen Geheimdienstes (chin. Ang jang jue) führten Razzien bei Tibetern durch, von denen sie vermuteten, daß sie während des Ereignisses politisch aktiv werden könnten. Wie es heißt, fanden sie in Sonams Wohnung belastendes Material in Form von vier Videobändern mit Belehrungen des Dalai Lama, ein paar politische Broschüren sowie Bilder des Dalai Lama.

Nachdem er am 28. August 2005 von Geheimdienstkräften abgeführt wurde, blieb sein Aufenthaltsort unbekannt bis zu der kürzlich erfolgten Information über seine Inhaftierung im Gefängnis Chushul.

Sonam Gyalpo, ein ehemaliger Mönch des Klosters Drepung, gehörte zu der Gruppe von 21 Mönchen, die die berühmt gewordene Großdemonstration vom 27. September 1987 angeführt hatten. Er wurde daraufhin der "konterrevolutionären Aktivitäten" angeklagt und drei Jahre lang in dem berüchtigten Drapchi Gefängnis inhaftiert.

1993 war er wieder ein Jahr im Gefängnis, davon sechs Monate im Haftzentrum von Nyari in Shigatse und sechs Monate im Sangyip Gefängnis in Lhasa.

Das TCHRD appelliert an die Regierung der TAR, Sonam Gyalpo unverzüglich freizulassen und die Grundrechte der Tibeter nicht weiter zu verletzen. Es ruft weiterhin die Vorsitzende und Berichterstatterin der UN-Arbeitsgruppe für Willkürliche Verhaftung auf, gegen die widerrechtliche Inhaftierung von Sonam Gyalpo zu intervenieren.


Proteste tibetischer Studenten

Mehrere hundert tibetische Studenten der Tibet-Universität versammelten sich am 27. und 28. Oktober vor diversen Regierungsgebäuden in Lhasa zu einer Protestaktion. Derartige öffentliche Proteste kommen nur sehr selten vor, und der Anlaß dafür war die Diskriminierung durch die chinesischen Behörden bei der Vergabe von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst. Nach Abklingen der Proteste trieben die Polizisten des Public Security Bureau (PSB) alle Studenten zusammen und untersagten ihnen für die Zukunft Massenversammlungen.

Bereits einen Monat lang, vom 7. September bis zum 7. Oktober 2004, hatten über 300 arbeitslose tibetische Hochschulabsolventen aus der TAP Golog, Provinz Qinghai, im Rahmen einer Protestaktion Zelte vor Regierungsgebäuden errichtet. Sie forderten damals Arbeitsplätze, aber leider führte die Aktion zu keinen positiven Entwicklungen. Im Mai 2006 traten sie erneut an die Regierung heran und zitierten ein Regierungspapier von 2001, in dem es hieß, daß alle mit einem staatlich anerkannten Abschluß aus den Jahren 2001 bis 2005 eine Arbeit bekommen würden. Sie forderten die Regierung auf, der gängigen Praxis der ausschließlichen Stellenvergabe an Wohlhabende oder Personen mit "guanxi" (chin. wörtlich: Verbindungen zu Behördenvertretern, um Vorzugsbehandlung zu erhalten) bei gleichzeitiger Ablehnung von ethnischen Tibetern ein Ende zu bereiten. Sie erhielten nie eine Antwort, und die abgelehnten Absolventen arbeiten heute in Restaurants und Pensionen als Kellner und Handlanger.

Im Jahr 2001 kam es zu Protesten von Studenten und ihren Eltern, nachdem die Regierung während der Zulassungsprüfungen für die Lhasa Specialised School ohne Ankündigung den erforderlichen Notendurchschnitt angehoben hatte und zahlreiche Bewerber deshalb durchgefallen waren.

Es gibt in Tibet keine Festschreibung des für die Zulassung zu Hochschulen oder Einstellungen notwendigen Notendurchschnitts und keine Möglichkeit, auf geradem Wege die Zulassung zu bekommen. Entweder man verfügt über guangxi oder man muß zur Bestechung greifen. Die Bewerber, die sich auf ehrliche Weise qualifizieren wollen, sind häufig die Dummen und erhalten keinen Studienplatz.

Studenten aus armen oder Nomaden- und Bauernfamilien haben es noch schwerer als andere. Ferner besetzen häufig aus dem chinesischen Kernland stammende Studenten die für Tibeter vorgesehenen Studienplätze, indem sie sich über die Verbindungen ihrer Familie einen Haushaltsregistrierungsausweis (chin. hukou) für Tibet besorgen und dann dort ihr Zulassungsexamen ablegen. Durch diese unfaire Praxis gehen den Tibetern viele Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten verloren, was wiederum negative Auswirkungen auf das Engagement tibetischer Studenten für ihr Studium hat.

Wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete, teilte der Vorsitzende der Forschungsabteilung der Bildungsbehörde der TAR, Lobsang Tsering, mit, gemeinsamen Nachforschungen der Bildungs- und der Sicherheitsabteilung zufolge hätten sich 38 Studenten aus dem chinesischen Kernland Haushaltsregistrierungsausweise beschafft und an der Zulassungsprüfung für die Senior Secondary School teilgenommen. Sie wurden alle vom Examen ausgeschlossen. Xinhua meldete ferner, zahlreiche Chinesen würden sich gegenwärtig irgendwie den hukou besorgen und sich dann an den Schulen der TAR einschreiben.


Offizielle Bestätigung für die Verurteilung einer tibetischen Nonne wegen einer Plakataktion

Wie aus einer vor kurzem veröffentlichten offiziellen chinesischen Verlautbarung hervorgeht, verurteilte das Mittlere Volksgericht von Gannan in der Provinz Gansu im Dezember 2005 die buddhistische Nonne Choekyi Drolma zu drei Jahren Gefängnis wegen "Aufhetzung zum Separatismus".

Choekyi Drolma gehörte zu den fünf tibetischen Mönchen und Nonnen, die 2005 in Xiahe (Sangchu) in der TAP Gannan (Kanlho) in der Provinz Gansu festgenommen wurden. Wie von NGOs und einigen Medien berichtet wurde, verhafteten Sicherheitsbeamte am 22. Mai 2005 Choekyi Drolma zusammen mit den Nonnen Tamdrin Tsomo und Yonten Drolma vom Kloster Tengyeling, sowie den Mönchen Dargyal Gyatso und Jamyang Samdrub vom Kloster Labrang Tashikhyil unter dem Verdacht des Verteilens und Aufhängens von Plakaten der Größe von Briefen mit Kritik an der chinesischen Regierung in Xiahe und an anderen Orten. In der offiziellen Mitteilung ist nur von Choekyi Drolma die Rede, vermutlich wurden jedoch die fünf Mönche und Nonnen zusammen vor den Gerichtshof von Gannan gestellt, da die Anklage lautete, sie hätten in einer gemeinsamen Aktion diese Plakate verteilt und sichtbar aufgehängt. Was genau auf den Plakaten stand, ist nicht ganz eindeutig, denn die offiziellen Angaben variieren hierüber. Im Juli 2005 teilte das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie mit, daß auf diesen Plakaten "Freiheit für Tibet" gefordert wurde. Und in einer Nachricht von Radio Free Asia vom Dezember 2005 hieß es, daß zumindest auf einem Plakat die chinesische Regierung aufgefordert wurde, in den Dialog mit dem Dalai Lama einzutreten. Einer Nachricht von Reuters vom Februar 2006 zufolge soll auf den Plakaten außerdem gestanden haben, daß China die Olympischen Spiele nicht abhalten sollte, solange die Tibet-Frage nicht auf friedlichem Wege gelöst werde.

Ausgehend von den von der Datenbank des CECC (Political Prisoner Database) gelieferten Informationen machen tibetische Mönche und Nonnen etwa 70% der 107 derzeit in Haft befindlichen tibetischen politischen Gefangenen aus. Vermutlich liegt die tatsächliche Anzahl tibetischer politischer Gefangener jedoch wesentlich höher. Informationen über die Inhaftierung von Tibetern aus politischen Gründen erreichen die Beobachtergruppen oft erst ein oder zwei Jahre nach dem Zeitpunkt der Verhaftung, und manchmal werden die Namen der Betroffenen dabei gar nicht genannt.


Biographie des ehemaligen politischen Gefangenen Lobsang Sherab

Lobsang Sherab wurde in der Gemeinde Chakgyap, Kreis Gyantse, Präfektur Shigatse, TAR, geboren. Bis zum Alter von 14 Jahren besuchte er die Grundschule in seiner Gemeinde und 1983 wurde er im Kloster Gyantse zum Mönch ordiniert.

Im vierten Monat des tibetischen Mondkalenders des Jahres 1988 versammelten sich die Einwohner von Gyantse, um wie jedes Jahr ein großes Picknick zu veranstalten. Leute aus verschiedenen Gegenden beteiligten sich an Wettbewerben und der Vorführung traditioneller Tänze. Lobsang ging zusammen mit zehn anderen Mönchen dorthin, um sich die Darbietungen anzuschauen. Da sah er, wie die Akteure eines offiziellen Schauspieltrupps Stücke und Lieder aufführten, in denen der Dalai Lama geschmäht wurde. Sie mahnten die Zuschauer gegen die "Separatisten" zu kämpfen und der sozialistischen Ideologie zu folgen. Lobsang und einer seiner Freunde gerieten dermaßen außer sich, daß sie auf die Bühne stürmten und die Schauspieler zur Rede stellten, wie sie als Tibeter ihr religiöses Oberhaupt dermaßen in den Schmutz ziehen könnten. Ferner drohten sie ihnen Übles an, falls sie diese Art der Vorführung nicht einstellen würden. Danach kehrten sie in ihr Kloster zurück.

Noch am selben Abend ließ das "Demokratische Management Komitee" des Klosters sie rufen und fragte sie wegen der Vorkommnisse. Es wurde ihnen mitgeteilt, daß die Distriktsbehörde sie schwer gerügt hätte und eine schriftliche Erklärung von ihnen forderte, was sie an jenem Tag getan hätten.

Die Distriktsbehörde nahm die Sache so ernst, daß sie die Klosterverwaltung anwies, die Mönche auszuschließen. Diese weigerte sich jedoch, der Anweisung nachzukommen, und erwiderte, sie würde eher das Kloster ganz schließen als die Mönche auszustoßen. Lobsang und seine Freunde konnten also nicht ausgewiesen werden, seither wird das Kloster jedoch streng überwacht. Jedes Jahr kommen vier oder fünf "Arbeitsgruppen" vom Büro für religiöse Angelegenheiten in Shigatse und führen Schulungen für "Patriotische Umerziehung" durch.

Später im selben Jahr begab sich Lobsang zusammen mit einigen anderen Mönchen auf Pilgerfahrt nach Lhasa und mietete ein Zimmer für die Übernachtungen an. Er traf einen guten Bekannten, der ihm Flugblätter gab, die sich mit der tibetischen Problematik befaßten und die er verteilen sollte. Lobsang und seine Freund brachten sie auf dem Weg zum Pilgerort Samye in Umlauf. Die übrigen Flugblätter nahmen sie mit in ihr Kloster und verteilten sie in Gyantse. Die Behörden des örtlichen PSB schöpften Verdacht, verfügten jedoch über keine konkreten Beweise. Daher wurde ein Beamter mit der Aufgabe betraut, ein Auge auf Lobsangs Aktivitäten zu haben.

1989 beschlossen Lobsang und seine Freunde an mehreren Stellen Parolen für die Unabhängigkeit anzubringen. Sie klebten und verteilten handgeschriebene Plakate mit der Aufschrift: "Freiheit für Tibet - Chinesen raus aus Tibet - Lang lebe der Dalai Lama". Nachdem sie das mehrmals wiederholt hatten, wurden Lobsang und Lhundup Monlam im Februar 1990, während sie an einer Klosterversammlung teilnahmen, vom PSB und der Bewaffnteten Volkspolizei Gyantse verhaftet. Die Beamten riefen laut ihre Namen und führten sie mit gefesselten Händen ab. An diesem Tag wurden sie durch fünf Dörfer im Distrikt Gyantse geführt und zur Schau gestellt. Danach wurden sie sechs Monate lang im Haftzentrum Gyantse inhaftiert und dort routinemäßig gefoltert und verhört. Im Juli 1990 verurteilte der Mittlere Volksgerichtshof Shigatse Lobsang wegen "Aufhetzung zum Separatismus" zu vier Jahren Haft. Sein Freunds Lhundup Monlam wurde zu viereinhalb Jahren verurteilt, und man brachte beide ins Gefängnis Drapchi, wo sie im Rahmen eines "Reform-durch-Arbeit" Programms Schwerarbeit zu leisten hatten. Lobsang wurde nach Verbüßung seiner Strafe am 13. Februar 1994 entlassen. Er war jedoch immer noch seiner bürgerlichen Rechte beraubt, und jede seiner Bewegungen wurde von der Polizei überwacht. Weil er die ständigen Schikanen nicht mehr ertragen konnte, floh er 1998 ins indische Exil und traf im Dezember desselben Jahres in Dharamsala ein.

Nach wie vor werden tibetische Mönche durch die "Patriotische Umerziehung" schikaniert

Der 23 Jahre alte Ngawang Lodoe (Laienname Thupten Tsering) ist einer der 41 tibetischen Flüchtlinge, die den Kugeln der chinesischen Grenzschutzsoldaten entgingen und vor kurzem über den Nangpa-Paß nach Nepal flüchteten. Er traf am 26. Oktober 2006 im Tibetischen Empfangszentrum in Mcleod Ganj in Dharamsala ein. Ngawang erzählte dem TCHRD: "Ich stamme aus einer Bauernfamilie der Gemeinde Dromo im Kreis Gyamda, Präfektur Nyingtri, TAR. Ich hatte nie Gelegenheit, eine Schule zu besuchen. Schon als Kind half ich meinen Eltern bei der Landarbeit und im Haushalt. Mit 13 Jahren wurde ich in dem im Kreis Kongpo Gyamda gelegenen Kloster Langru Jamchoe zum Mönch ordiniert und studierte dort den Buddhismus.

Das Kloster, in dem 48 Mönche leben, gehört der Gelugpa-Schule des Buddhismus an. Es wurde vor einigen Jahrhunderten gegründet. Gleich anderen Klöstern in Tibet bekamen auch wir die religionsfeindliche Haltung der chinesischen Regierung voll zu spüren. Ihre Politik machte es uns unmöglich, unsere religiöse Ausbildung fortführen, so daß einigen von uns nichts übrig blieb, als das Kloster zu verlassen.

Seit 1996 wurde das Kloster wiederholt von den Arbeitsteams der Kreisverwaltung heimgesucht, die dort die Kampagne für "Patriotische Umerziehung" rigoros durchführten. Jedes Jahr kamen die Kader des Büros für religiöse Angelegenheiten und blieben drei bis vier Monate. Während der Umerziehungskampagne kontrollierten sie uns streng. Drei Mitarbeiter des Büros knöpften sich jeden Mönch einzeln vor und bedrängten ihn mit ihren Fragen. Bei dieser Kampagne wird in erster Linie verlangt, daß die Mönche den Dalai Lama verunglimpfen, "spalterische Aktivitäten" verurteilen, daß sie akzeptieren, daß Tibet ein unveräußerlicher Bestandteil Chinas ist und versprechen, den Kampf gegen den "separatistischen" Block zu führen. Sie sollen auf diese Weise zu Patrioten gemacht werden, die nach dem Motto "Liebe Dein Land, liebe Deine Religion" handeln.

Die Kader gaben jedem von uns vier Bücher in die Hand, die wir durchzuarbeiten hatten. Diese standen im Zusammenhang mit der Kampagne und handelten von Geschichte, Politik und dem Rechtssystem. Ihre Titel waren: "Handbuch der tibetischen Geschichte", “Handbuch zur Bekämpfung von Separatisten", "Handbuch für zeitgenössische Politik" und “Handbuch über das Recht". Nachdem sie uns zusammengerufen hatten, begannen die Mitarbeiter des Arbeitsteams, uns die vorgeschriebenen Texte zu erläutern. Danach wurden wir in Gruppen aufgeteilt und mußten über ausgewählte Themen diskutieren.

Die Kader zwangen uns einfach, an der Schulung teilzunehmen und den Dalai Lama zu verunglimpfen. Wer sich weigerte, wurde bedroht, mißhandelt und gelegentlich sogar des Klosters verwiesen. Diese Kampagne der "Patriotischen Umerziehung" wird jedes Jahr in den Klöstern zwangsweise durchgeführt und unterliegt keiner zeitlichen Begrenzung. Bis 2005 wurden 22 von insgesamt 48 Mönchen aus dem Kloster ausgeschlossen, weil sie den Anweisungen der Arbeitsteams nicht nachkommen wollten.

Die "Patriotische Umerziehung" gibt es überall in Tibet, aber in den Klöstern der TAR nimmt die Regierung es besonders genau mit ihr, und die einzelnen Phasen dauern auch länger als in anderen Regionen. Diese Zwangskampagne hat zur Folge, daß die Mönche in den Klöstern der Präfektur Kongpo kaum noch ihre Religion ausüben können. Seit ein paar Jahren wurden die Zwangserziehungsmaßnahmen auch auf die Laienbevölkerung ausgeweitet. So gab es etwa im Kloster Langru Jamchoe bis 1996 jedes Jahr Operntanz-Rituale, ein besonderes Ereignis, zu dem zahlreiche Laien und Mönche zusammenkamen. An dem betreffenden Tag fanden sich stets viele Gläubige im Kloster ein, um der Operntanzgruppe ihre Ehrerbietung zu erweisen. Seit 1996 untersagen nun die örtlichen Kader dem Kloster die Aufführung dieses hochgeschätzten Tanzrituals mit der Begründung, es dürfe keine religiösen Rituale abhalten, ohne vorher eine behördliche Genehmigung eingeholt zu haben. Großveranstaltungen im Kloster wurden generell verboten. Das Kloster Langru darf wichtige religiöse Rituale nur abhalten, wenn eine Genehmigung der zuständigen Behörde des Kreises Gyamda sowie der Präfektur Nyingtri vorliegt. Öffentliche Versammlungen zur Abhaltung religiöser Rituale werden als gegen die chinesische Regierung gerichtete Aktivität interpretiert, und daher wird das Tun und Treiben in dem Kloster genau beobachtet.

Als ich noch im Kloster war, erfuhr ich, daß die Chinesen für Oktober die Wiederaufnahme der Kampagne "Patriotische Umerziehung" in der Präfektur Kongpo (Nyingtri) planten, obwohl sie in den Klöstern Ganden, Drepung und Sera keine befriedigenden Resultate erzielen konnten. Ferner hörte ich, die diesjährige Kampagne sei nicht nur auf das eigentliche Kloster beschränkt, sondern ziele auch auf die breite Öffentlichkeit ab, weshalb sie entsprechend rigoros durchgeführt werde. Deshalb stahl ich mich heimlich aus dem Kloster davon und flüchtete schweren Herzens ins Exil. Ich fürchte, den Mönchen in Langru Jamchoe stehen schwere Zeiten bevor. Durch Neueintritte ist ihre Zahl mittlerweile wieder auf 33 angestiegen, doch höchstwahrscheinlich werden viele von ihnen ausgeschlossen, wenn sie sich weigern, an der Kampagne für die "Patriotische Umerziehung" teilzunehmen.