Februar 2006
Human Rights Update

Februar 2006

Inhalt:


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  1. Neuangekommener Flüchtling berichtet von der Brutalität der Polizei
  2. Tibeter erblindet aus der Haft entlassen
  3. Haftstrafe für Tibeter, weil sie die Absage der Olympischen Spiele in Peking gefordert hatten
  4. Portrait der ehemaligen politischen Gefangenen Gyaltsen Ngodrup
  5. Bildungsniveau in Tibet weiterhin trostlos
  6. TCHRD veröffentlicht den Jahresbericht 2005: Die Menschenrechtslage in Tibet

Neuangekommener Flüchtling berichtet von der Brutalität der Polizei

Palden, alias Phuntsok Namgyal (Ordensname), ein ehemaliger politischer Gefangener, der im Drapchi Gefängnis eine sechsjährige Haftstrafe verbüßte, floh ins Exil, weil er die ständigen Schikanen der chinesischen Behörden nicht mehr ertragen konnte. 1992 hatte Palden gemeinsam mit fünfzehn weiteren Mönchen friedlich demonstriert.

Palden ist 35 Jahre alt und wurde im Dorf Birum, Gemeinde Tsodoe, Distrikt Phenpo Lhundup, TAR, geboren. 1986 trat er in das Kloster Drepung in Lhasa ein. Er berichtete dem TCHRD: “Unsere Familie war sehr arm, so daß wir Kinder die Grundschule schon nach zwei Jahren verlassen mußten. Ich hütete mehrere Jahre lang die Tiere meiner Familie und mein Vater brachte mir das Schreinerhandwerk bei. Als ich 17 Jahre alt wurde, trat ich ins Kloster Drepung ein. Nachdem ich dort fünf Jahre lang meinen Studien nachgegangen war, tat ich mich am 13. Mai 1992 mit 15 weiteren Mönchen aus meinem Kloster zusammen und wir veranstalteten eine friedliche Demonstration. Wir zogen vom Tsuklakhang in Lhasa aus los und riefen ‚Freiheit für Tibet’, ‚Lang lebe Seine Heiligkeit der Dalai Lama’, ‚Tibet gehört den Tibetern’, ‚Chinesen raus aus Tibet’. Auf der Stelle stürmte ein Trupp von über 40 Milizionären des Public Security Bureau vom Barkhor auf uns zu, um uns zu verhaften. Wir wurden alle in ein Fahrzeug geworfen und in ein Militärlager geschafft. Dort angekommen, mußten wir uns entlang einer Wand aufreihen und wurden einer nach dem anderen mit einem Stock geschlagen. Nachdem sie ungefähr eine Stunde lang auf uns eingedroschen hatten, wurden wir wieder in das Fahrzeug gesetzt. Darin befanden sich drei Uniformierte, von denen einer ein Gewehr hatte. Die anderen beiden hielten einen Ziegelstein in ihren Händen. Während der Fahrt ins Gutsa Haftzentrum schlugen sie uns damit auf den Kopf und unseren ganzen Körper. Bei unserer Ankunft in Gutsa waren wir alle von Blut überströmt.

In Gutsa mußten wir uns an einer Wand aufstellen, und die Offiziere fingen an, uns zu verhören und schlugen uns dabei. Unser Anführer, Phuntsok Siji, wurde nach seinem Alter gefragt. Als er antwortete, er sei 28 Jahre alt, wurde ihm befohlen, seinen Oberkörper zu entblößen. Einer der Beamten schlug ihn immer wieder mit einem Ledergürtel, bis er Striemen und Blutblasen bekam. Dann wurden wir zu einem nahegelegenen Wasserbecken getrieben, und sie befahlen uns, uns auf allen Vieren wie Tiere auf den Boden zu kauern. Dann preßte einer der Peiniger unsere Köpfe unter Wasser. Bei Einbruch der Nacht wurden unsere Namen aufgerufen und man schloß uns in separate Zellen ein.

Nach fünf Monaten Haft mußten wir uns eines Tages in einer Reihe aufstellen, und ein Beamter eröffnete uns, das Gerichtsurteil sei eingetroffen. Daraufhin verlas er unsere Haftstrafen. Der Mittlere Volksgerichtshof Lhasa hatte uns der “Konterrevolutionären Propaganda” für schuldig befunden und zu Haftstrafen zwischen einem und acht Jahren verurteilt. Ich erhielt sechs Jahre.

Zur Verbüßung unserer Strafen wurden wir nach Drapchi verlegt. Nach unserer Ankunft mußten wir zuerst die Gefängnisregeln auswendig lernen und exerzieren wie beim Militär. Später ließen sie uns im Treibhaus des Gefängnisses Gemüse anpflanzen. 1994 wurden die Gemüsetreibhäuser geschlossen, denn die Gefangenen hatten sich geweigert, chemische Substanzen zur Ertragssteigerung zu benutzen, weil Tausende von Würmern und Insekten, die in den Beeten lebten, von diesen Chemikalien vernichtet würden. Als die Treibhäuser infolgedessen zuwenig Gemüse produzierten, und es zu Verlusten kam, wurden sie geschlossen.

Nach den Gefangenenprotesten vom 1. und 4. Mai 1998 wurde ich einmal um das andere zum Verhör geholt. Die Behörden wußten, daß meine Strafe am 12. Mai 1998 auslaufen würde, und sie wollten mich unbedingt zu einem Geständnis zwingen, auf Grund dessen sie meine Strafe hätten verlängern können. Ich blieb jedoch standhaft und gab ihnen keine Gelegenheit dazu. Daher wurde ich zum vorgesehenen Zeitpunkt entlassen und dem Public Security Bureau von Lhasa überstellt. Von dort wurde ich ans Public Security Bureau meiner Heimatgemeinde und dann an den Ortsvorsteher weitergereicht. Schließlich traf ich zu Hause ein. Die Behörden hatten angeordnet, daß ich mich nicht aus meinem Ort wegbewegen dürfte. Da meine Familie sehr arm war, bekam ich die behördliche Genehmigung, auch an anderen Orten arbeiten zu dürfen. Ich war in den Nachbarorten als Schreiner tätig, und mit dem so verdienten Geld unterhielt ich meine Angehörigen.

2002 ging ich nach Lhasa und fand auf verschiedenen Baustellen Arbeit. Ich schickte alles, was ich verdiente, nach Hause, um meine alten Eltern, meinen jüngeren Bruder und meine Schwester zu unterstützen. An Nationalfeiertagen oder größeren Festen, wenn Autoritäten anreisten oder eine größere Konferenz anstand, wurde mir befohlen Lhasa zu verlassen, weshalb ich häufig meine Arbeit verlor. Im September 2005 wurde in Lhasa eine große Zeremonie zur Feier des 40. Gründungstages der Autonomen Region Tibet abgehalten. Schon geraume Zeit zuvor war mir befohlen worden, Lhasa zu verlassen.

Auf Grund der ständigen Schikanen und der häufigen Arbeitsplatzverluste versuchte ich zweimal aus Tibet zu fliehen, hatte aber kein Glück. Im Oktober 2005 entkam ich schließlich mit einer Gruppe von 70 Personen über die tibetisch-nepalesische Grenze nach Solokhumbu und erreichte dann das tibetische Empfangszentrum für Flüchtlinge in Kathmandu.”

Palden befindet sich derzeit in der Obhut des Empfangszentrums für Flüchtlinge in Dharamsala. Er möchte sich weiterbilden, bevor er in Indien eine Arbeit aufnimmt.

Tibeter erblindet aus der Haft entlassen

Im August 2005 kam es zu einem Massenprotest gegen einen Schlachthof in Sichuan, bei dem sechs Personen verhaftet wurden. Wie RFA am 6. Februar 2006 berichtete, wurde einer der im Distriktsgefängnis von Derge inhaftierten Männer freigelassen, als er auf Grund der in der Haft erlittenen brutalen Folter erblindete. Der etwa 50 Jahre alte Tibeter Sogya verlor sein Augenlicht, nachdem ihn Polizisten grausam zusammengeschlagen und ihm anschließend die ärztliche Behandlung verweigert hatten.

Das TCHRD verurteilt diese brutale Polizeiaktion und die Verweigerung der dringend benötigten medizinischen Behandlung. Dieser Fall steht stellvertretend für all die Gefangenen, die aus den Gefängnissen und Haftzentren Tibets, in denen systematisch gefoltert wird, in kritischem Zustand entlassen werden. Medizinische Versorgung ist eines der grundlegenden Menschenrechte, und sie steht jedem Individuum zu. Die Weigerung der Polizei im Falle Sogyas, ihm rechtzeitig ärztliche Hilfe zukommen zu lassen, was zur Folge hatte, daß er erblindete, stellt eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar. Der Schutz vor Folter und das Recht auf medizinische Versorgung sind explizite Bestandteile der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Vier der sechs im Distriktsgefängnis von Derge inhaftierten Männer konnten identifiziert werden, es handelt es sich um Sherab Yeshi, 70, Sogya, 50, Dawa, 30 und Dawa, 50; wer die anderen zwei Männer sind, ist nicht bekannt.

Im August 2005 versammelte sich eine große Menge von Tibetern vor dem Manikengo-Schlachthof und setzte ihn in Brand. Über 100 Personen wurden festgenommen, unter ihnen auch die sechs genannten Männer. Der bei den Tibetern als “Schlachthaus Manikengo” bekannte Schlachthof ist offiziell als „Derge Longsheng Meizi Yak LLC“ registriert und eine Filiale der in chinesischem Besitz befindlichen „Chengdu Ganzi Longsheng Meizi Yak Ltd Inc“. Der Besitzer verlangte von den Tibetern, daß sie ihr Vieh unter dem Marktpreis verkauften. Diese weigerten sich, weil es ihnen geschäftliche Nachteile gebracht hätte. Darüber hinaus hatten ortsansässige Tibeter Bedenken hinsichtlich der Existenz eines großen Schlachthofs, in dem zahlreiche Tiere getötet werden. Die beiden Lamas Kalsang Rinpoche, ein reinkarnierter Lama des Dzogchen-Klosters, und Khenpo Sherab Sangpo, der Abt des buddhistischen Zentrums Golok Seda, stellten zusammen 100.000 Yuan zur Verfügung, damit der Schlachthof gekauft werden könnte. Der Besitzer weigerte sich jedoch ihn zu verkaufen.

Da der Schlachthof einerseits den Lebensunterhalt der Nomaden bedrohte, und andererseits viele Tibeter aus religiösen Gründen starke Vorbehalte gegen ihn hatten, bildete sich nach einem Pferderennen spontan eine Ansammlung von Menschen, die ihn in Brand setzten, nachdem sie alle darin eingesperrten Tiere freigelassen hatten.

Haftstrafe für Tibeter, weil sie die Absage der Olympischen Spiele in Peking gefordert hatten

Ein chinesisches Gericht hat fünf tibetische Mönche und Nonnen in der Provinz Gansu zu Haftstrafen verurteilt, weil sie gegen die Herrschaft der Chinesen über Tibet protestiert und gefordert hatten, daß die Olympiade 2008 in Peking abgesagt werde. Neue Informationen von Tibet Watch zu diesen Vorgängen bestätigen, daß drei Nonnen aus dem Kloster Gendun Tengye Ling und zwei Mönche aus dem Kloster Labrang Tashikyil im Distrikt Labrang zu unterschiedlich langen Haftstrafen verurteilt wurden.

Zwei der Nonnen, Tamdrin Tsomo und Choekyi Dolma, und einer der Mönche, Dhargay Gyatso, wurden zu jeweils drei Jahren Haft verurteilt. Die dritte Nonne, Yonten Dolma (in frühren Berichten als Yonten Tsoma, Laienname Dukarkyi genannt) und der zweite Mönch Jamyang Samdrup erhielten Haftstrafen von eineinhalb Jahren. Den neuen Informationen zufolge wurden Yonten Dolma und Choekyi Dolma festgenommen, als sie auf dem Weg von ihrem Kloster in die Stadt Labrang waren. Tamdrin Tsomo wurde zu Hause festgenommen und Dhargay Gyatso in seiner Klosterzelle. Die genauen Umstände der Festnahme von Jamyang Samdrup sind bisher noch nicht bekannt.

Die Festnahme der fünf erfolgte am 22. Mai 2005, weil sie einige Tage zuvor angeblich Traktate im Kloster Labrang, auf dem Markt des Distrikts Labrang, vermutlich auch in Hezuo und an diversen Orten der benachbarten Provinz Qinghai verteilt bzw. angebracht hatten. Auf diesen Aushängen forderten die Nonnen und Mönche die Unabhängigkeit für Tibet, sie mahnten die chinesische Regierung, in echte Verhandlungen mit dem Dalai Lama zu treten, und sie erklärten, daß China, so lange wie die Tibet-Frage keine friedliche Lösung gefunden habe, nicht als Gastgeber für die Olympischen Spiele 2008 fungieren dürfe.

Portrait der ehemaligen politischen Gefangenen Gyaltsen Ngodrup

Gyaltsen Ngodrup, auch bekannt als Dadon, 33, wurde in Lhasa Shar Sarsur geboren. Nach Beendigung der Grundschule besuchte sie die Mittelschule Nr. 7 von Lhasa. Nachdem sie diese abgeschlossen hatte, trat sie 1989 ins Kloster Chusang ein, wo sie zwei Jahre lang die buddhistische Lehre studierte.

Am 18. August 1991 veranstaltete Gyaltsen Ngodrup zusammen mit vier weiteren Nonnen eine friedliche Demonstration am Barkhor (Markt), wobei sie die tibetische Nationalflagge hochhielt. Die fünf riefen laut: “Wir fordern Religionsfreiheit für Tibet” und “Freiheit für Tibet”. Sicherheitskräfte des Public Security Bureau von Lhasa nahmen die Nonnen auf der Stelle fest und brachten sie ins Haftzentrum. Dort wurden sie drei Stunden lang intensiv verhört, und die Polizisten drohten ihnen, Kampfhunde auf sie loszulassen, falls sie ihre Tat nicht geständen. Danach wurden sie ins Haftzentrum Gutsa verlegt, wo sie weiteren Verhören unterzogen wurden, während derer die Vernehmungsbeamten sie schwer schlugen, denn sie wollten herausbekommen, welche Ziele die Nonnen mit ihrer Demonstration verfolgten und wer hinter den Kulissen noch beteiligt gewesen sein könnte. Abends wurden sie einer Leibesvisite unterzogen und dann in eine Zelle eingeschlossen. Alle zehn Tage wurden sie zu weiteren Verhören geholt. Nach viereinhalb Monaten kamen mehrere Polizeioffiziere in ihre Zelle und befahlen ihnen, sich in einer Reihe aufzustellen. Einer von ihnen zog ein Dokument hervor und verkündete ihnen, sie seien zu drei Jahren “Umerziehung durch Arbeit” verurteilt worden. Während ihrer Zeit im Umerziehungslager durften sie keinen Besuch empfangen. Die Wachen schlugen sie des öfteren, weil sie ihnen vorwarfen, sie würden in ihrer Zelle Gebete rezitieren. Als Gyaltsen einen Beschwerdebrief an die Gefängnisbehörde schrieb, wurde sie für 19 Tage in eine Einzelzelle gesperrt. Nach neun Monaten Haft wurden die Nonnen von Gutsa ins Lager für “Umerziehung durch Arbeit” Trisam im Westen der Stadt Lhasa verlegt, wo sie harte Arbeit verrichten mußten. Unter anderem war es ihre Aufgabe, täglich den Klärtank des Gefängnisses zu leeren.

Gyaltsen Ngodrup wurde nach dreijähriger Haft im August 1994 entlassen. Weil sie die ständige Überwachung, die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit und die dauernden Schikanen, denen sie selbst nach ihrer Entlassung ausgesetzt war, nicht mehr ertragen konnte, floh sie 1995 über die nepalesisch-tibetische Grenze nach Solokhumbu und gelangte so ins Exil. In Dharamsala wurde sie jedoch infolge des für sie gänzlich neuen Klimas krank und mußte Ende 1995 wieder nach Tibet zurückkehren. Drei Monate lang wurde sie in einem Hospital in Lhasa behandelt.

Inzwischen hatte das Public Security Office von ihrer Rückkehr aus Indien erfahren und verfolgte wieder ihre Schritte. 1997 tauchten plötzlich ein paar Polizisten in ihrer Wohnung auf und brachten sie in ein Haftzentrum in der Nähe des Klosters Sera. Sie wurde dort zwei Monate inhaftiert und über ihre Flucht nach Indien sowie ihre Rückkehr befragt. Schließlich wurde sie freigelassen, denn es konnte kein belastendes Beweismaterial gegen sie beigebracht werden. Im September 1998 floh sie ein zweites Mal, weil sie wieder ständigen Schikanen ausgesetzt war. Am 6. November 1998 traf sie in Dharamsala ein, zuerst wohnte sie eine Zeit lang im Kloster Dolmaling, wo sie ihren Studien nachging. Im November 1999 wurde sie Sprecherin an der chinesischsprachigen Abteilung von Radio Voice of Tibet, wo sie seitdem tätig ist.

Bildungsniveau in Tibet weiterhin trostlos

2005 wurde die Dekade der Vereinten Nationen "Bildung für eine nachhaltige Entwicklung" (2005-2014) ausgerufen. Die UNESCO erklärte: „Hochwertige Bildung ist eine Grundvoraussetzung für kulturellen Fortschritt für nachhaltige Entwicklung... Hochwertige Bildung bezieht sich auf die jeweilige Region und ist der Kultur angepaßt, sie basiert auf der Vergangenheit (d.h. dem einheimischen und traditionellen Wissen), sie ist relevant für die Gegenwart und verleiht den Menschen das Rüstzeug für die Zukunft... Sie sollte allen Menschen die Befähigung geben, voll an ihrer jeweiligen Gemeinschaft teilzuhaben und gleichzeitig als Bürger der Welt zu fungieren.“

Peking behauptete wiederholt, es habe seine Investition in die Bildung in Tibet erhöht. In Wirklichkeit sind insbesondere die ländlichen Gebiete, wo rund 80% der tibetischen Bevölkerung leben, erschreckend unterversorgt. Entweder gibt es dort einfach gar keine Schulen oder die Qualität des Unterrichts ist weit unter dem Standard. In einer Dekade, in der die UN sich für hochwertige Bildung stark macht, wurden die in Tibet lebenden Tibeter in ihrem eigenen Land zu Bürgern zweiter Klasse degradiert. Peking sollte endlich hochwertige Bildung inklusive kultureller Erziehung anbieten, statt einen Lehrplan aufzuzwingen, der auf der Vermittlung der kommunistischen Ideologie basiert. Pekings Bildungspolitik, bei der die Betonung auf Quantität und der Indoktrinierung der Massen liegt, hat sich im Laufe der Jahre als ein Fiasko erwiesen. Loyalität zum Mutterland war stets das eigentliche Ziel der Chinesen in bezug auf die schulische Bildung in Tibet.

Es folgt die Wiedergabe einer von TibetInfoNet, einer unabhängigen Beobachtergruppe, erarbeiteten Analyse des Statistischen Jahrbuch Chinas in bezug auf das Bildungsniveau in Tibet.

Trotz aller Entwicklungspolitik nehmen der Analphabetismus in der Autonomen Region Tibet zu und das Bildungsniveau ab:

Die jüngsten für die Autonome Region Tibet (TAR) veröffentlichten Statistiken enthüllen, daß sich der Anteil der tibetischen Bevölkerung, der nicht lesen und schreiben kann, von 43,8% im Jahr 2002 auf 54,9% im Jahr 2003, d.h. um 10%, erhöht hat.

Damit ist der Trend in der TAR dem in allen anderen westlichen Provinzen der VR China genau entgegengesetzt, wo der Analphabetismus 2003 ebenso wie in den Vorjahren abnahm. In ähnlicher Weise ging 2003 auch der Bevölkerungsanteil in der TAR, der jeweils über Grundschul-, Haupt- und Hochschulbildung verfügt, zurück, was bedeutet, daß die Bevölkerung als ganzes bei der Erhebung von 2003 weniger gebildet war als bei der von 2002. Wenn man davon ausgeht, daß die Bestandsaufnahmen in der TAR in erster Linie ethnische Tibeter betreffen, die über 90% der in der TAR registrierten Bevölkerung ausmachen, weisen diese Ergebnisse, selbst wenn sie nur entfernt stimmen sollten, trotz gegenteiliger Behauptungen der Behörden, auf ein ausgesprochenes Versagen des “Entwicklungsprogramms für den Westen” hin, was die Anhebung des Bildungsniveaus bei den Tibetern angeht.

Die jüngsten Daten stammen aus der statistischen Untersuchung über Änderungen in der Bevölkerung, die 2003 durchgeführt und deren Ergebnis 2004 in dem Statistischen Jahrbuch Chinas (China Statistical Yearbook – CSY) veröffentlicht wurde. Obwohl die Ergebnisse der statistischen Erhebungen von Jahr zu Jahr variieren, fällt der Anstieg bei der Analphabetenrate der Erwachsenenbevölkerung von 15 Jahren und darüber 2003 sofort auf. Mit 55% liegt sie näher an den Raten, die Ende der Neunziger (1998 z.B. 60%) ermittelt wurden, als an denen der dazwischen liegenden Jahre, in denen die chinesischen Behörden systematisch darzustellen versuchten, daß sich die sozialen Bedingungen in der TAR gebessert hätten (2002 lag die Rate bei nur 44%).

Tabelle: Analphabetismusraten bei der Bevölkerung über 15 Jahren, 1998 - 2003, siehe
http://www.tibetinfonet.net/updates/2005/2709.htm#table1

Ähnliche Tendenzen sind bei dem Bildungsniveau der Bevölkerung (ab 6 Jahren und älter) bemerkbar. Dies könnte ein alternativer und vielleicht zuverlässigerer Indikator sein, denn Bildungsmaßnahmen sind politisch längst nicht so ein heikles Thema wie Analphabetismusraten. Der Bildungszuwachs, der bei dem Bevölkerungsanteil mit Grundschul- und weiterer Bildung von 2000 bis 2002 festgestellt wurde, ging offensichtlich 2003 wieder ganz verloren. Der Anteil fiel von 62% im Jahr 2002 auf nur 55% im Jahr 2003. Der Anteil der Bevölkerung mit Sekundärbildung (Mittel- und höhere bzw. Berufsschulen) und darüber hinaus fiel gleichermaßen von 15,4% in 2002 auf 14,2% in 2003. Dieser Umstand ist von besonderer Tragweite für das Arbeitskräftepotential der Tibeter, weil tibetische Fachkräfte gewöhnlich über Mittelschul- oder höheren Schulabschluß verfügen.

In der VR China als ganzes verfügten 57% der Bevölkerung im Jahr 2003 über Sekundärbildung. Fast 50% der Einwohner von Sichuan, von wo die meisten Immigranten in die TAR kommen, wiesen ebenfalls dieses Bildungsniveau auf. Beide Male hat sich das Bildungsniveau seit 2002 verbessert. Mit dem Bildungsnotstand in Tibet in Zusammenhang gebracht, wird deutlich, daß die Tibeter beim Wettbewerb um Bildungschancen in ihren eigenen Städten und Kleinstädten gegenüber den Migranten von außerhalb der Provinz, zumeist ethnischen Chinesen und chinesischen Moslems (Hui), die dort zuwandern, benachteiligt sind.

Tabelle: Bildungsniveau der Bevölkerung der TAR ab sechs Jahren, Erhebung von 2002 http://www.tibetinfonet.net/updates/2005/2709.htm#table2

Ein Teil der Schwankungen in den Daten von 2003 könnte auf die für Erhebungen allgemein typische Variationsbreite zurückzuführen sein, dennoch stellt die Veränderung weit mehr als eine normale Abweichung dar, wenn man sich die Folgerichtigkeit der Daten vom Zensus 2000 bis zu der Studie von 2002 vor Augen hält. Davon ausgehend, daß die chinesischen Behörden in den letzten Jahren bestrebt waren, die statistischen Erhebungen über die soziale Situation in der TAR besser zu gestalten, liefert die Untersuchung von 2003 vielleicht ein exakteres Bild von dem Bildungsstand der Menschen in der Region. Oder aber es könnte auch der Aufmerksamkeit der Regierung entgangen sein, da sie ja immer bemüht ist, ein günstiges Bild von der sozialen Entwicklung in der TAR als Folge des Entwicklungsprogramms für den Westen (xibu da kaifu) zu zeichnen. Es ließen sich jedoch einige zusätzliche Gründe dafür angeben, weshalb die Veränderungen im Bildungsniveau wenigstens teilweise tatsächlichen Veränderungen in der Gesellschaft entsprechen.

Während es in den ersten Jahren der “Western Development Strategy”, also 2001 und 2002, bei den Ausgaben für den Bildungssektor einen steilen Anstieg gab, war dieser von kurzer Dauer und ließ 2003 bereits nach. Darüber hinaus wurde ein Großteil der anfangs und auch später noch steigenden Zuwendungen von den gewaltigen Erhöhungen der Gehälter der Lehrer und des anderen Personals im Bildungssektor, die sich von 2000 bis 2003 fast verdoppelten, absorbiert.

Obwohl die TAR im Vergleich zu jeder anderen Provinz der VR China mit Schulen deutlich unterversorgt ist und zudem die jüngste Bevölkerung im Land aufweist (womit der Bedarf an Schulen noch größer wäre), ging die Zahl der Grundschulen in der TAR von 2002 bis 2003 um drei zurück, von 895 auf 892, während die Zahl der höheren Schulen sich nur geringfügig von 100 auf 105 erhöhte, wobei zwei davon weiterführende Schulen sind. Noch beunruhigender ist wohl der Rückgang bei den Berufsschulen von vier auf zwei, also um die Hälfte.

Berufsschulen sind für die Ausbildung der Tibeter in praktischen Berufen und Fertigkeiten entscheidend, damit sie mit den Migranten von außerhalb ihrer Provinz in Konkurrenz treten können. Sogar wenn man von ihrer Anzahl in 2002 ausgeht, betrug das Verhältnis von Berufsschulen pro Einwohner nur ein Fünftel dessen, was in der übrigen VR China der Durchschnitt ist. Umgekehrt nahmen die Hochschulen von drei auf vier zu, obwohl es davon, verglichen mit den anderen Provinzen der VR China, viel zu viele gibt (alle Daten sind dem Kap. 21 des CSY von 2004 entnommen). Trotz des weit verbreiteten Analphabetentums und der vielen Kinder, die gar nicht zur Schule gehen, war die Ausrichtung auf Hochschulen und weg von Grundschulen, weiterführenden Schulen und Berufsschulen in der Erziehungspolitik der TAR 2003 noch markanter als 2002. Diese Tendenz könnte teilweise durch die Benutzung der Universitäten in Tibet zum Training der hereinströmenden Han-Kader erklärt werden, die in der TAR eingesetzt werden.

Außerdem wirkt sich die gegenwärtige Bildungspolitik in vielen Aspekten kontraproduktiv aus. So lassen beispielsweise Berichte darauf schließen, daß – trotz gegenteiliger Beteuerungen von seiten der Regierung, in der TAR würde kein Schulgeld erhoben – in vielen Schulen auf dem Land, besonders in jenen, die außerhalb der Verwaltungshoheit der Kreisstädte liegen und deshalb fast keine Mittel haben, eine ganze Reihe von diversen anderen Gebühren verlangt werden. Diese Gebühren auf Grundschulebene bedeuten für ländliche Familien eine schwere Belastung, ganz zu schweigen von den Kosten einer Sekundär- und höheren Bildung, die für arme Familien einfach unerschwinglich sind.

Hinzu kommt der miserable Standard der Schulen auf dem Lande und die Schwierigkeiten, welche Schulabgänger haben, einen Arbeitsplatz zu finden, besonders seit die Bestimmung, daß Schulabgängern eine Anstellung garantiert wird, 2001 aufgehoben wurde. Viele Eltern auf dem Lande fragen sich daher, ob eine derartige Schulbildung ihrer Kinder, die überdies immer teurer wird, überhaupt noch einen Wert hat.

Schließlich fühlen sich viele Bauern und Nomaden davon abgeschreckt, daß die Regierung Bildung als ein Werkzeug zur Assimilierung der Tibeter in die allgemeine chinesische Gesellschaft benutzt, etwa durch die zunehmende Verwendung von Chinesisch als Unterrichtssprache und durch die patriotische Ausrichtung des Lehrplans.

TCHRD veröffentlicht den Jahresbericht 2005: Die Menschenrechtslage in Tibet

Am 21. Februar 2005 veröffentlichte das TCHRD seinen Jahresbericht 2005 zur Lage der Menschenrechte in Tibet. Aus diesem Anlaß wurden zwei Pressekonferenzen, eine in tibetischer und eine in englischer Sprache abgehalten. Es folgt der Text der Presseverlautbarung:

Das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) veröffentlicht seinen Jahresbericht 2005: Die Lage der Menschenrechte in Tibet. Der diesjährige Bericht konzentriert sich auf folgende fünf Bereiche von Rechtsverletzungen: bürgerliche und politische Freiheiten, Religion, Entwicklung, Bildung und Information.

2005 hat das TCHRD 20 Fälle von Verhaftungen von ihm namentlich bekannten Personen dokumentiert, die im Lauf des Jahres inhaftiert wurden, nur weil sie Freiheit für Tibet gefordert oder ihre Loyalität gegenüber dem Dalai Lama zum Ausdruck gebracht hatten. Insgesamt verbüßen derzeit 132 namentlich bekannte tibetische politische Gefangene langjährige Haftstrafen in den chinesisch verwalteten Haftanstalten in ganz Tibet. Das Zentrum geht von einer hohen Dunkelziffer weiterer Fälle aus, die ihm nicht zu Ohren kamen. Etliche andere Fälle blieben unbestätigt, obwohl dem TCHRD Hinweise über sie zugingen.

Mit viel Pomp feierte die VR China im September 2005 den 40. Jahrestag der Gründung der TAR. Als Vorsichtsmaßnahme wurden diejenigen Tibeter, die verdächtigt wurden, daß sie während der Feierlichkeiten ihren Protest zum Ausdruck könnten, im Vorfeld massiven Restriktionen ausgesetzt. Eine Reihe von Tibetern wurde in Gewahrsam genommen und ehemalige politische Gefangene genau überwacht oder zeitweise inhaftiert. Antiseparatistische Strategien wie die „Hartdurchgreif-Kampagne“ oder die Kampagne für „Politische Umerziehung“ wurden verstärkt, um abweichlerische Aktivitäten auszumerzen und Tibetern die „richtige“ Ideologie einzubleuen. Darauf wie auf jede Form der Loyalität gegenüber dem als „Separatisten“ gebrandmarkten Dalai Lama konzentrierte sich die Repression in erster Linie. Sonam Gyalpo, ein Schneider von Beruf und ehemaliger politischer Gefangener, wurde am 28. August 2005 von chinesischen Polizisten in seinem Haus verhaftet. Der Dreiundvierzigjährige hatte eine dreijährige Haftstrafe verbüßt, weil er am 27. September 1987 an einer friedlichen Demonstration für die Unabhängigkeit Tibets teilgenommen hatte.

Anlaß zu besonderer Besorgnis gab im Jahr 2005 der dramatische Anstieg der religiösen Repression. Chinas neue Vorschriften für religiöse Angelegenheiten, die am 1. März 2005 in Kraft traten, wurden dazu benutzt, um die religiöse Freiheit in Tibet weiter zu beschneiden. Die Behörden führten intensive Kampagnen für „Patriotische Umerziehung“, sowie Kampagnen gegen den Einfluß des Dalai Lama durch und rissen die Kontrolle über den monastischen Lehrplan, sowie die Ausübung und das Studium des tibetischen Buddhismus an sich. Während des ganzen Jahres berichteten neu angekommene Flüchtlinge von intensiven Kampagnen in den Klöstern. Im Vordergrund stand hierbei das Kloster Drepung, wo es im Verlauf der Kampagne für „Patriotische Umerziehung“ wegen der Verunglimpfung des Dalai Lama zu einem Todesfall, mehreren Ausschlüssen und einem Massen-Sit-in der Mönche gekommen war.

Am 17. Mai jährte sich das Verschwinden Gedhun Ghoekyi Nyimas, des XI. Panchen Lamas von Tibet, zum zehnten Mal. Das tibetische Volk ist äußerst besorgt um ihn, da die chinesischen Behörden wiederholt jeden Zugang zu ihm verweigerten und keinerlei Informationen über seinen Aufenthaltsort oder sein Wohlbefinden geben. Zusammen mit dem Jahresbericht legt das TCHRD zwei weitere Berichte vor: „Folter in Tibet“ und „Die Todesstrafe in China“. Darin werden die schändlichen und kriminellen Praktiken der VR China in diesen Bereichen einer genauen Prüfung unterzogen.