Dezember 2005

Human Rights Update

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Kurzfassung des Jahresberichts 2005 des TCHRD: Die Menschenrechtslage in Tibet

Inhalt


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    1. Einleitung
    2. Bürgerliche und politische Freiheiten
    3. Religion
    4. Information
    5. Entwicklung
    6. Bildung
    7. China, Menschenrechte und Dialog
    8. Schluss
    9. Portrait eines politischen Gefangenen: Mönch willkürlich inhaftiert

Einleitung

Das Jahr 2005 war für das chinesisch besetzte Tibet recht ereignisreich. Im schweizerischen Bern fand die vierte Runde des chinesisch-tibetischen Dialogs zwischen den Gesandten des Dalai Lama und chinesischen Regierungsvertretern statt. Die VR China beging mit großem Aufwand den 40. Jahrestag der Gründung der Autonomen Region Tibet (TAR), sie stellte die Verlegung der Gleise für die Qinghai-Lhasa-Eisenbahn fertig, sie veröffentlichte Weißbücher zu international relevanten Fragen und gab ihren „revolutionären“ elften Fünf-Jahres-Plan zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung bekannt. Wie wichtig Präsident Hu Jintao Tibet und die Kontrolle tibetischer Gebiete nimmt, sieht man an der Berufung einer seiner treuen Gefolgsmänner auf den wichtigsten Posten in Tibet, den des Parteisekretärs der TAR. So wurde im November 2005 Hus enger Vertrauter Zhang Qingli zum Nachfolger von Yang Chuantang ernannt, der im Dezember 2004 als Parteisekretär eingesetzt wurde, inzwischen aber, wie es heißt aus gesundheitlichen Gründen seinen Posten aufgeben mußte.

Am 4. Juni 2005 jährte sich zum 16. Male der blutige Schlag gegen die Demokratie auf dem Tiananmen-Platz. Mehrere, zumeist Dritt-Welt-Länder haben das chinesische Anti-Sezessions-Gesetz vom März 2005 unterstützt, das Peking einen Freibrief dazu gibt, sich ein „Taiwan“ genanntes Territorium zu einem von ihm gewählten Zeitpunkt und zu von ihm festgesetzten Bedingungen zurückzuholen. 2005 fanden auch die wichtigen China-Inspektionsbesuche der UN-Hochkommissarin und des UN-Sonderberichterstatters für Folter statt; ebenso wurde das Land von internationalen Spitzenpolitikern, wie dem US-Präsidenten und seiner Außenministerin, dem britischen Premierminister und von weiteren hochrangigen Delegationen besucht. Während sich an dem üblichen Theater nichts geändert hat, das Peking bei jeder Begegnung des Dalai Lama mit Persönlichkeiten von Weltrang macht, fuhren die chinesischen Top-Politiker Hu Jintao und Wen Jiabao fort, auf Goodwilltouren zu gehen, die dem Abschluß von Geschäften, der Festigung von Kontakten und der Verbesserung des internationalen Ansehens von China dienen sollten. Mit dem Erfolg der zweiten bemannten Weltraummission „Shenzou VI“ stellte China sein technologisches Können unter Beweis.

Peking wiederholt weiterhin seine abgedroschenen Redensarten und weist bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf seine bemerkenswerten Fortschritte beim Schutz und der Förderung von Menschenrechten und der Freiheit seiner Bürger in Übereinstimmung mit dem chinesischen Rechtssystem hin. Anläßlich einer Ausschußdiskussion mit Abgeordneten der TAR im Chinesischen Nationalkongreß (National People’s Congress) am 5. März 2005 betonte Präsident Hu Jintao, wie wichtig der Aufbau einer harmonischen sozialistischen Gesellschaft sei, die voll und ganz auf „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Vertrauen, Vitalität und Ordnung“ gegründet sein müsse, womit er die kürzlich auch von der Zentralregierung als das neue Richtmaß die für soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Landes verkündete Auffassung wiederholte. Der chinesische Außenminister Li Zhaoxing behauptete sogar, China respektiere die Menschenrechte eines jeden einzelnen seiner Bürger voll und ganz.

Anläßlich einer in Aussicht gestellten Revision der Gesetze über die Todesstrafe verbreitet sich in Juristenkreisen und bei Menschenrechtsaktivisten vorsichtiger Optimismus, bei dem bevorstehenden 10. Nationalen Volkskongreß sollen diese Gesetze nämlich durch eine Ergänzung zum Strafverfahrensgesetz nneu geregelt werden. Peking selbst und auch zahlreiche ausländische Regierungen rühmten den Verfassungszusatz von 2004, denn „zum ersten Male“ habe der Schutz der Menschenrechte Eingang in die Verfassung gefunden. China-Beobachter, Rechtsgelehrte und Menschenrechtsorganisationen haben allerdings nach wie vor ihre Zweifel an den Umsetzungsmechanismen und der tatsächlichen Geltendmachung der entsprechenden Bestimmungen.

Daß sich die VR China der Einhaltung des allgemeinen Standards von Menschenrechten und Demokratie verpflichtet fühle, ist in den diversen, im Jahr 2005 vom Informationsbüro des Staatsrates herausgegebenen Weißbüchern über Menschenrechte, Demokratie, Regionale Autonomie für ethnische Minderheiten und auch in dem aktuellsten über Friedensentwicklung nachzulesen. Obwohl Menschenrechtsverletzungen und der Mangel an demokratischen Freiheiten zu den beständigen Grundzügen der nun schon 46 Jahren andauernden Herrschaft der Chinesen über Tibet gehören, räumte die VR China in ihrem „Weißbuch zu Demokratie“ erstmals die Probleme, denen sich das Land in dieser Hinsicht gegenübersieht und die Unerläßlichkeit einer Reform des politischen Systems ein. Auch im elften Fünfjahresplan wird die Notwendigkeit des „verstärkten Aufbaus einer sozialistischen demokratischen Politik“ und der „Achtung und des Schutzes der Menschenrechte“ bekräftigt. Eine ähnliche Erwähnung der Probleme, denen sich China auf seinem Weg zum Fortschritt gegenübersieht, findet sich auch im Weißbuch über Friedensentwicklung, in dem zugegeben wird: „Die chinesische Regierung und das chinesische Volk sind sich darüber im klaren, daß China immer noch ein in der Entwicklung befindliches Land ist, das auf seinem Weg zum Fortschritt noch zahlreiche Schwierigkeiten und Probleme zu überwinden hat.“ Hoffnungsvolle Beobachter sprechen von mehr und mehr Offenheit, von zunehmender Achtung für die Bürgerrechte, fortschreitender Institutionalisierung und Transparenz beim Ablauf der Regierungsgeschäfte und so weiter.

Allen Anzeichen, Erklärungen und Fortschrittsbeteuerungen zum Trotz ist das TCHRD sehr beunruhigt über die Zunahme von Berichten über Menschenrechtsverletzungen im Jahr 2005. Die Tibeter in Tibet haben eine Zunahme restriktiver Maßnahmen in Bezug auf Religion, Sicherheit und ideologische Kontrolle zu beklagen, ihre Rede-, Meinungs- und Gewissensfreiheit wurde noch mehr eingeschränkt und von Rechtsstaatlichkeit kann keine Rede sein. In ganz Tibet sind eine „Kultur der Angst“ und eine „geradezu greifbare Atmosphäre von Furcht und Selbstzensur“ wahrnehmbar. Gegenüber allen Aktivitäten oder Ansichten, welche die Kontrolle der Kommunistischen Partei über Aspekte der Gesellschaft, die sie für wesentlich hält, auch nur im Geringsten in Frage stellen, herrscht eine Haltung, die keinerlei Toleranz zuläßt. Bis Dezember 2005 sind schätzungsweise 2.524 Tibeter über den Himalaya nach Indien geflohen, die alle von Unterdrückung berichten und im Exil die Freiheit finden wollen. Die Informationen, die das TCHRD im Jahr 2005 erhielt und überprüfte, lassen eindeutig darauf schließen, daß die schweren Repressionen, die in den vergangenen Jahren vor allem für die östlichen Regionen Tibets, wie etwa die Provinz Sichuan, charakteristisch waren, nun auch auf das Gebiet der TAR übergegriffen haben.

Der Vorsitzende der TAR, Jampa Phuntsog, macht mit zwei „berühmten Slogans“ deutlich, was die beiden wichtigsten Dinge sind, die Tibeter der chinesischen Tibetpolitik entsprechend zu tun haben: „Einen festen Standpunkt beim Kampf gegen den Separatismus einzunehmen und die Entwicklung Tibets energisch voranzutreiben“. Während einer Arbeitssitzung im Vorfeld zum 40. Jahrestag der Gründung der TAR betonte Präsident Hu Jintao einmal mehr die Bedeutung der Beseitigung des „Separatismus“ und die Beschleunigung des wirtschaftlichen Fortschritts für Tibet. Diese ständige Wiederholung der Schlagworte von Stabilität und Fortschritt dient dem Ausbau der zentralen Kontrolle durch die Verfolgung einer Politik der verstärkten Assimilierung Tibets an den „geeinten“ chinesischen Staat. Gemäß dem bei der Sitzung verabschiedeten Beschluß, „jedweder Art von Separatismus und Sabotage entschlossen entgegenzutreten und die Einheit und Stabilität des Mutterlandes aufrechtzuerhalten“, forderten die Spitzen-Funktionäre für Staatssicherheit eine Aufstockung ihrer Geheimdienst-Arbeit, um die feindlichen Kräfte endgültig zu zerschlagen und ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen. Auf Grund von inneren, vorwiegend sozial-ökonomischen Spannungen hat die bewaffnete Volkspolizei Sondereinheiten aufgestellt, die sogenannten Anti-Aufruhr-Einheiten, die gegen Terrorismus, Gewaltverbrechen, Aufruhr und bei Bedrohung der öffentlichen Sicherheit eingesetzt werden. Auch bei größeren öffentlichen Veranstaltungen wie dem 40. Jahrestag der TAR oder den Olympischen Spiele im Jahr 2008 sind diese Spezialeinheiten für die Sicherheit zuständig.

Der Dalai Lama drückte sein Bedauern über die „sehr, sehr repressive Politik in der TAR“, die schlechte  Menschenrechtslage in China, die undemokratische Vorgehensweise der Regierung, den Mangel an Rechtsstaatlichkeit und die ungleiche Umsetzung der den Minderheiten zustehenden Autonomierechte aus – schließlich gereiche all dies dem Ansehen Chinas nur zum Schaden. Wie der Gesandte des Dalai Lama, Kelsang Gyaltsen, erklärt, ist es ein „äußerst beunruhigendes und bedenkliches Zeichen“, daß selbst nach der Herstellung direkter Kontakte keine Spur von „positivem Wandel“ in Tibet zu sehen sei, vielmehr eine „Zunahme der Repression“ festgestellt werden müsse.

Bürgerliche und politische Freiheiten

Die chinesische Regierung nennt, wie Amnesty International in seinem ersten Bericht zu China schreibt, der sich speziell auf die Verteidigung der Menschenrechte konzentriert, den in der Uighurischen Autonomen Region Xinjiang und in Tibet angeblich vorkommenden „religiösen Extremismus“ eine von „drei üblen Kräften“, wobei die beiden anderen der „Separatismus“ und der „Terrorismus“ sind. Ab dem 14. August 2005 fanden in Lhasa Berichten zufolge, deren Verfasser anonym bleiben möchten,  Militärübungen mit dem Codenamen „Task Force 05“ statt, an denen Angehörige des Sicherheitsbüros der Stadt, der bewaffneten Volkspolizei und des Staatssicherheitsbüros teilnahmen, um für den Fall eines plötzlichen Ausbruchs von Unruhen gut gewappnet zu sein.

Auf einer Versammlung der Kader aus sämtlichen Verwaltungsstellen der Stadt Lhasa am 18. August 2005 forderten Vertreter der Zentralregierung, daß vor und während der Feierlichkeiten zum 40. Gründungstag der TAR außerordentliche Vorsichtsmaßnahmen ergriffen würden, was sie als eine wichtige „politische Pflicht“ bezeichneten. Jia Qingling, Mitglied des ständigen Ausschusses des Politbüros und Vorsitzender der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes (CPPCC), erklärte aus diesem Anlaß: „Um die soziale Stabilität und die Sicherheit des Staates zu gewährleisten, muß gemäß dem Gesetz mit aller Härte gegen separatistische Aktivitäten vorgegangen werden.“ Die Strategie zur Bekämpfung des Separatismus beinhaltete auch die Wiederaufnahme von Kampagnen wie der des „harten Durchgreifens“ im Sommer und der für „patriotische Umerziehung“. Beide verfolgen das Ziel, politisch abweichende Aktivitäten auszuschalten und den Tibetern die „richtige“ Ideologie einzutrichtern, wobei jedwede Form der Loyalität gegenüber dem als „Separatisten“ gebrandmarkten Dalai Lama das Hauptziel der religiösen Unterdrückung ist.

Die mehrdeutige Beschuldigung  der „Gefährdung der Staatssicherheit“ wird ebenso wie die Anti-Terror-Bestimmungen des chinesischen Strafrechts weitgehend dazu benutzt, „separatistische“ Aktivitäten in politisch unruhigen Regionen wie Tibet und Xinjiang zu kriminalisieren. Besonders in den Tagen um das Gründungsjubiläum der TAR wurden in Tibet die Sicherheitsmaßnahmen erheblich verstärkt und die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung noch weiter eingeschränkt.

Das TCHRD hat im Berichtsjahr zwanzig bestätigte Fälle dokumentiert, in denen Tibeter wegen ihrer politischen Überzeugung oder dem Besitz von angeblich „reaktionärem“ Material wie Bildern des Dalai Lama, der verbotenen tibetischen Flagge oder Literatur aus dem Exil verhaftet wurden. Den Unterlagen des TCHRD zufolge gibt es gegenwärtig 132 politische Gefangene (Stand Dezember 2005), die in den verschiedenen Gefängnissen und Haftzentren in Tibet enorm leiden müssen.

Die Administrativhaft wird in großem Maßstab angewendet, Gerichtsprozesse entsprechen nicht den internationalen Rechtsnormen, Häftlinge werden gefoltert und mißhandelt, Geständnisse werden erpreßt. Dem UN-Sonderberichterstatter für Folter zufolge stellt das ganze System der „Umerziehung-durch-Arbeit“ einen massiven Verstoß gegen die Menschenrechte dar, weshalb es dringend abgeschafft werden sollte.

Religion

Von allen Verletzungen der Menscherechte der Tibeter ist die dramatische und verstärkte Unterdrückung der Religion in diesem Jahr am besorgniserregendsten. Wie bereits in der Vergangenheit führte der Verdacht der Behörden, daß es eine enge Verbindung zwischen dem tibetischen Buddhismus und dem tibetischen Nationalismus gäbe, zu einer Verschärfung in der Religionspolitik der Regierung. Chinas neue Bestimmungen über religiöse Angelegenheiten, die am 1. März 2005 in Kraft traten, und die nachfolgenden Sitzungen zu diesem Themenkreis bewirkten nur noch mehr Einschnitte in die Religionsfreiheit der Tibeter.

In ihrem Bestreben, die Religion der sozialistischen Lebensführung anzupassen und staatlicher Kontrolle zu unterwerfen, ordnete die Zentralregierung eine Intensivierung der Kampagne zur „patriotischen Umerziehung“ und der „Anti-Dalai-Lama“ Kampagne an, sie griff in den monastischen Lehrplan ein, in die Praxis und das Studium des tibetischen Buddhismus und verfolgte populäre religiöse Führungsgestalten, was den tibetischen Buddhismus ständig in den für ihn wesentlichen Dingen beeinträchtigt. In diesem Jahr war vor allem das Kloster Drepung in den Schlagzeilen, weil es dort wegen der „patriotischen Umerziehung“, die von den Mönchen eine Diffamierung des Dalai Lama fordert, zu einem Todesfall, mehreren Ausweisungen aus dem Kloster und zu massiven stummen Sitzstreiks der Mönche gekommen war.

2005 war das zehnte Jahr seit dem Verschwinden von Gedhun Choekyi Nyima, dem XI. Panchen Lama Tibets; das Fehlen jeglicher Information über seinen Aufenthaltsort und seinen Zustand gibt Anlaß zu großer Besorgnis. Indessen läßt Peking nichts unversucht, um Gyaltsen Norbu, den „falschen Panchen“  zu fördern und ihn als den wahren Panchen Lama hinzustellen. Xinhuanet News Service vom 28. Juni berichtete, der „chinesische“ Panchen Lama hätte Dutzenden von Landkreisen in Tibet einen Besuch abgestattet. Dabei habe er überall betont, daß er „die von seinen Vorgängern ererbten patriotischen Traditionen pflegen und sein Bestes tun werde, um zur Einigung des Landes, der Einigkeit unter den verschiedenen ethnischen Gruppen und der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung beizutragen“. Der Sondergesandte des Dalai Lama, Lodi Gyari, meinte: „Es geht hier nicht um einen Knaben, nicht nur um einen jugendlichen Häftling, sondern es geht um die Frage der Reinkarnation. Wenn ein guter Kommunist behauptet, er habe das letzte Sagen in Sachen Reinkarnation, ist das ein Unding, denn ein guter Kommunist sollte sich da ja gerade heraushalten“.

Information

Kontrolle, Zensur und Überwachung der Medien und des freien Informationsflusses sind nach wie vor für Tibet kennzeichnend. Wegen Pekings Furcht vor Unruhen in den politisch brisanten Regionen Tibet und Xinjiang, der ständigen Sorge um die Stabilität im Inneren und um sein Image in der Welt unterliegt der Informationsfluß aus Tibet und nach Tibet schweren Einschränkungen. Angesichts des gravierenden Mangels an Transparenz und der Geheimhaltungspraxis der chinesischen Behörden ist die Beobachtung und Auswertung von Menschenrechtsverletzungen in Tibet weiterhin ein großes Problem.

Von Internetanbietern, Website-Providern und Internet-Cafés wird erwartet, daß sie das, was ihre Kunden online sehen und tun können, beschränken. Dasselbe gilt für US-Firmen, die den Chinesen Webseiten zur Verfügung stellen. Yahoo filtert beispielsweise seine Suchergebnisse, so daß die Suche nach „Free Tibet“ auf Chinesisch völlig ins Leere führt. Google hat seine Surfer 2005 zwar noch nicht zensiert, doch das elektronische System der chinesischen Regierung blockiert viele Webseiten, mit denen Google verbindet. Microsoft hindert Internetbenutzer daran, nach den Worten Demokratie, Freiheit, Menschenrechte oder Demonstration zu suchen. China hat sogar das Computerspiel „Soccer Manager 2005“ verboten, weil es Taiwan, Hongkong, Macau und Tibet als eigene Länder führt.

Mutige tibetische Autoren wie Woeser, die ihre „inkorrekten“ Ansichten über den Dalai Lama, die Geschichte Tibets und politische Gefangene in Tibet publik machten, sind der Verfolgung ausgesetzt, während Webseiten, die zur Diskussion einladen und politisch heikle Themen behandeln, abgeschaltet werden müssen. Chinas Medien sind staatseigen und werden streng von der Regierung kontrolliert. Damit wird den Bürgern ihr Recht auf Information verweigert und den Medien ihr Recht auf die Verbreitung von Informationen über das aktuelle Geschehen in China und im Ausland. Radiosendungen auf Tibetisch wie die von Voice of Tibet (VOT), Voice of America (VOA) und Radio Free Asia (RFA) sind die meiste Zeit blockiert oder gestört.

Entwicklung

Das ständig wiederkehrende Thema bei Pekings Diskurs über Tibet ist die „aktive“ und „segensreiche“ Rolle Chinas bei der Entwicklung der Region. Die VR China betont, das „Recht auf Leben und Entwicklung“ sei das „vordringlichste Bedürfnis des chinesischen Volkes“, während sie „das Recht auf Lebensunterhalt als das wichtigste Menschenrecht überhaupt“ bezeichnet, „ohne welches alle anderen Rechte bedeutungslos“ seien.

Tourismus, traditionelle tibetische Medizin, Abbau von Bodenschätzen, Holzwirtschaft und traditionelles Handwerk wurden als die fünf Grundpfeiler der Industrie genannt, die in der TAR entwickelt werden müssen. Das „Western Development Programme“ von 1999 und weitere speziell für Tibet konzipierte Entwicklungsprojekte haben in bestimmten städtischen Gebieten Tibets tatsächlich eine Verbesserung der Infrastruktur bewirkt. Für die diesbezüglichen Bemühungen sprechen die Investitionen zum 40. Jahrestag der Gründung der TAR in Höhe von 6,42 Mrd. Yuan in 24 Projekte, welche Landwirtschaft, Industrie, Kommunikation, Straßenbau, Bildung, Energie und das öffentliche Gesundheitswesen betreffen. Offiziellen Berichten zufolge wurden bereits früher, zum 20. Gründungsjubiläum der TAR, Investitionen in Höhe von 500 Mio. Yuan für 43 Projekte und zum 30. Gründungsjubiläum erneut Investitionen in Höhe von 4,6 Mrd. Yuan für 62 Projekte getätigt. Nach Aussage des Vorsitzenden der TAR, Jampa Phuntsok, wurden in der TAR 2004 mehr als 16,6 Mrd. Yuan (2 Milliarden US$) in den Ausbau der Infrastruktur gesteckt, wobei Peking den Großteil dieser Gelder im Rahmen des „Entwicklungsprogramms für den Westen“ zur Verfügung stellte. Während einer Tibetkonferenz auf nationaler Ebene wurde in den vergangenen fünf Jahren für die TAR eine jährliche Wachstumsrate von 10,7% genannt. Auf dieser Konferenz gab die chinesische Regierung auch ihren Entschluß bekannt, in den kommenden fünf Jahren in der TAR 31,2 Mrd. Yuan (ca. 3,76 Mrd. US$) in 117 Projekte zu investieren.

Im Gegensatz zu den zahlreichen offiziellen Berichten über rapides wirtschaftliches Wachstum, Einkommenssteigerungen, Verbesserungen beim Recht auf Entwicklung und Aufstockung der staatlichen Investitionen bietet die tatsächliche Lage der Tibeter ein anderes Bild: Tibet ist nach wie vor die ärmste Verwaltungseinheit Chinas. Von welchem Blickwinkel aus man es auch immer betrachtet, die Tibeter sind einfach arm, sie haben einen sehr niedrigen Index für Humanentwicklung, sie sind in allen Lebensbereichen systematischem Ausschluß, Entbehrungen, Diskriminierung und Marginalisierung ausgesetzt. Die mehr als 80 % Tibeter, die als Nomaden und Bauern auf dem Lande leben, hat das Wirtschaftswachstum bisher nicht erreicht. Weil Pekings Ausgabenpolitik in Tibet auf die Städte konzentriert und nur mangelhaft in die Ökonomie vor Ort integriert ist, wird sie auch als „Seifenblasenwirtschaft“ bezeichnet, „von der kaum etwas bis zum normalen Bürger hinabsickert“. Die Verarmung der Tibeter ist eine Folge des vom Staat verordneten Modernisierungsprozesses, denn sie sind immer weniger in der Lage, an den vorhandenen wirtschaftlichen Möglichkeiten teilzuhaben. Für jeden Yuan, den die Regierung 2001 für die TAR aufgewendet hat, verzeichnete das Bruttosozialprodukt einen Zuwachs von nur 0,47 Yuan. Dieser negative Multiplikationseffekt ist seit den 50er Jahren bezeichnend für Chinas Investitionen in Tibet.

Die Vereinten Nationen warnten davor, daß die zunehmende Wohlstandsschere zwischen den städtischen und ländlichen Gegenden Chinas – übrigens eine der höchsten weltweit – für die Stabilität des kommunistischen Staates bedrohlich werden könnte; natürlich bemüht sich die Regierung hier Abhilfe zu schaffen. Obwohl China im Laufe der letzten 25 Jahre 250 Millionen Menschen der Armut entreißen konnte, verdoppelte sich dem aktuellen Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) zufolge die Einkommensdifferenz in diesem Zeitraum. Dies wurde auch vom Präsidenten der Weltbank bestätigt, der am 18. Oktober 2005 sagte, in China gäbe es trotz des beeindruckenden Wirtschaftswachstums in den vergangenen zwei Jahrzehnten 150 Millionen Einwohner, die in absoluter Armut leben.

China behauptet, den wirtschaftlichen Rechten und der Sicherung des Lebensunterhalts der Tibeter Priorität vor allem anderen einzuräumen. Im 11. Fünfjahresplan ist beispielsweise von „fairem, ausgewogenem und nachhaltigem“ Wachstum die Rede – dennoch haben die Tibeter im Hinblick auf ihre Rechte und ihre Bedürfnisse bisher keinen Nutzen von der von Peking verordneten Entwicklung gehabt. Letzten Endes sind die Gründe hierfür in der Verweigerung von Selbstbestimmung und echter Autonomie für die Tibeter zu suchen. Wenn unter wirtschaftlicher Entwicklung politische Kontrolle verstanden wird, geht die Bedeutung jeder echten und sinnvollen Entwicklung in Tibet verloren. Zum Beispiel erfolgte der Bau der Qinghai-Tibet-Eisenbahn, die als ein Wunder der Ingenieurkunst bezeichnet wurde, eher aus politischen und eigennützigen Motiven, als daß sie zum Wohlergehen oder Fortschritt der Tibeter gereichen würde. In offiziellen Verlautbarungen wurde die Notwendigkeit einer Eisenbahn im Hinblick auf die „Konsolidierung der Landesverteidigung“ und die „Einigung der Nationalitäten“ betont.

Darüber hinaus brachte das städtisch orientierte rapide Wachstum und der damit einhergehende Bevölkerungstransfer von chinesischen Immigranten den Tibetern gar keinen Nutzen. Während die in Dharamsala ansässige tibetische Regierung-im-Exil das Versprechen der Chinesen, in den nächsten fünf Jahren von dem Landwirtschaftssektor keine Steuern zu erheben, begrüßte, warf sie den örtlichen Behörden gleichzeitig vor, daß sie den tibetischen Bauern und Nomaden dessen ungeachtet weiterhin eine Vielzahl von Steuern und Gebühren aufbürdeten.

Bildung

Anhand der Berichte und mündlichen Aussagen, die im Laufe des Jahres aus Tibet zu uns drangen, kann das TCHRD weder Verbesserungen noch Fortschritte beim Bildungswesen feststellen. Auf Grund von ortsbedingten Unterschieden ist die Lage allerdings nicht in jeder Region die gleiche. Wie bereits in den vergangenen Jahren hat die Bildungspolitik den Kindern zu keiner freieren und vollständigeren Entwicklung verholfen. Obwohl Peking behauptet, die Ausgaben für den Bildungssektor in Tibet aufgestockt zu haben, bleibt in den meisten ländlichen Gebieten der Zugang zu qualitativ hochwertiger und breit angelegter Bildung ein unerreichbarer Traum.

Wie aus dem Beschluß des Bildungsministeriums, „die ideologische und ethnische Erziehung für Grund- und Oberschüler sowie die ideologische und politische Bildung der College-Studenten zu intensivieren“, ersichtlich wird, wurde dem ideologischen Aspekt bei der schulischen Bildung 2005 noch mehr Gewicht beigemessen. Durch den umfangreichen, fast ausschließlichen Gebrauch der chinesischen Sprache in Handel und Verwaltung wurde das Tibetische zur Sprache zweiter Klasse degradiert. Anlaß zu großer Sorge bereiten außerdem die verzerrte Darstellung der tibetischen Geschichte, die exorbitanten Schulgebühren und der Mangel an qualifizierten Lehrkräften in ländlichen Gebieten.

Internationale Besorgnis

Zahlreiche Regierungen, Repräsentanten der UNO und Menschenrechtsorganisationen haben in ihren Berichten, Abhandlungen und Erklärungen Chinas mangelnde Achtung vor den Menschenrechten und demokratischen Freiheiten zu einem wichtigen Thema gemacht. Human Rights Watch beschrieb die Menschenrechtslage in China als "düster" und "trostlos". In dem im März 2005 veröffentlichten Bericht des US-Außenministeriums zur "Unterstützung von Menschenrechten und Demokratie" wird China scharf angegriffen. Das Freedom House mit Sitz in den USA gab bekannt, daß Tibet für den Zeitraum 2004-2005 zu den zwei Regionen der Welt gehört, die bei der Bewertung der politischen und bürgerlichen Freiheiten am schlechtesten abgeschnitten haben. Tibet erscheint unter der Rubrik "umstrittene Territorien" und wird, was die politischen Rechte und die bürgerlichen Freiheiten betrifft, mit der Note sieben und als "unfrei" eingestuft, womit es weltweit die Region ist, in der am wenigsten Freiheit herrscht. 

Daß es im vergangenen Jahr nicht zur Aufhebung des Waffenembargos gegen China durch eine zwischen den Verlockungen des chinesischen Markts und ihren moralischen Skrupeln hin- und hergerissene EU kam, ist nur Chinas Verabschiedung des Anti-Sezessionsgesetzes, das Taiwan mit Militäraktionen bedroht, zuzuschreiben. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im deutschen Bundestag, Volker Ruehe, erklärte lapidar: "Es wird nicht aufgehoben." Im Anschluß an die 9. Runde des australisch-chinesischen Menschenrechtsdialogs am 27. Juni 2005 kommentierte Australien, China habe bei den Menschenrechten zwar beachtliche Fortschritte gemacht, dennoch gäben viele Bereiche immer noch Anlaß zu Sorge.

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte hat während ihres Chinabesuchs die Frage des verschwundenen Panchen Lama angesprochen und China zur Ratifizierung des Internationalen Abkommens über bürgerliche und politische Rechte aufgerufen. Die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierung kritisierte bei ihrem Chinabesuch das weit verbreitete System der "Umerziehung-durch-Arbeit" (chin. laogai), bei dem Personen auf Grund von bewußt unklar gehaltenen Anschuldigungen wie "Störung der sozialen Ordnung" oder "Gefährdung der Staatssicherheit" ohne Gerichtsverfahren inhaftiert werden, und empfahl, die in der chinesischen Verfassung garantierten Grundrechte besser zu schützen. Nachdem das UN-Komitee für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sich erstmalig mit der Lage in China befaßt hatte, äußerte es sich "sehr besorgt über die Berichte aus anderen Quellen als der staatstragenden Partei, sowohl was das Recht auf freie Religionsausübung als dem Recht am kulturellen Leben teilzunehmen angehe, als auch die Verdrängung der Minderheitensprachen in  den Autonomen Regionen Xinjiang und Tibet in ihrem täglichen Gebrauch und im Unterricht”. Das Komitee brachte auch seine Sorge "über den Mangel an effektiver Unterstützung und Entschädigung für Menschen" zum Ausdruck, "die von Zwangsräumung  betroffen sind”, ebenso wie “über den Abriß historischer Bauwerke, Gebäude und Wohnhäuser in Lhasa."

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Manfred Nowak, stellte im Anschluß an seine zweiwöchige Inspektionstour chinesischer Gefängnisse und Haftzentren fest, es habe, seit China 1988 die Konvention gegen Folter (CAT) unterzeichnete, zwar gewisse Fortschritte bei der Reduzierung der Gewalt gegen Häftlinge gegeben. Aber er verurteilte die dennoch weitverbreitete Anwendung der Folter ebenso wie die Tatsache, daß im chinesischen Strafrecht der "Erlangung von Geständnissen" und der Bestrafung von "abweichlerischem Verhalten" eine zentrale Bedeutung beigemessen wird. Er berichtete auch von den zahlreichen Versuchen der Behörden, seine Ermittlungen zu behindern oder einzuschränken. China bestritt seine Berichte über Folter später und behauptete, die für diesen Besuch getroffenen allgemeinen Vereinbarungen seien voll und ganz respektiert worden. Bei einer Prüfung eines Berichts zu China forderte der Präsident des UN-Komitees für die Rechte des Kindes, Jacob Egbert Doek, daß von China verlangt werde, einer unabhängigen Person Zutritt zu Gedhun Choekyi Nyima, dem XI. Panchen Lama Tibets, zu gewähren, damit diese sich seines Wohlergehens vergewissern könne. Indessen gab Pekings Botschafter bei der UNO in Genf, Sha Zhukhang, dem Komitee die stereotype Antwort, der Junge und seine Familie “wünschten nicht, von fremden Besuchern gestört zu werden, weil sich dies negativ auf ihr Leben auswirken würde”. Gedhun sei ein tibetischer Junge wie jeder andere auch, der jetzt die höhere Schule besuche und gute Noten nach Hause bringe, fügte die chinesische Delegation hinzu.

Während der 61. Sitzung der UN-Menschenrechtskommission (UNHCHR) in Genf wurde Chinas Verletzung der Menschenrechte erneut unter die Lupe genommen, allerdings brachte kein Mitgliedstaat eine Resolution ein, in der die Hauptverursacher von Menschenrechtsverletzungen wie China, Iran, die Russische Föderation (in Tschetschenien), Turkmenistan, Usbekistan und Zimbabwe verurteilt wurden. Joanna Weschler, die Vertreterin der Interessen von Human Rights Watch bei der UNO, stellte völlig richtig fest: “Bei dieser Sitzung zeigte sich wieder einmal deutlich, daß die Kommission zum alten Eisen gehört und durch etwas Neues und Besseres ersetzt werden sollte. Obwohl sie einige positive Schritte getan hat, war sie im großen und ganzen viel befangener als in den letzten Jahren. All das beweist nur, wie notwendig es ist, die Kommission durch ein Gremium zu ersetzen, das entschiedener gegen Menschenrechtsverletzungen, gleichgültig in welchem Land, vorgeht, das auf Menschenrechtskrisen angemessen reagiert und bereit ist, die verursachenden Länder an ihre Verpflichtungen zu erinnern”. In diesem Zusammenhang ist die Forderung des UN-Generalsekretärs Kofi Annan, den Menschenrechten den ihnen in der UNO gebührenden Platz einzuräumen und die UN-Menschenrechtsmaschinerie neu zu strukturieren, von größter Wichtigkeit.

China, Menschenrechte und Dialog

Die Menschenrechte waren in der VR China schon immer eine recht verworrene Angelegenheit. Und diese Verworrenheit rührt von Pekings ungewöhnlicher Sicht und Wahrnehmung der Menschenrechte her, sowie von seiner Auffassung über deren Beachtung im allgemeinen. Peking setzt sich mit seinem Konzept des Kulturrelativismus einfach über die Universalität der Menschenrechte hinweg, und den Mangel an bürgerlichen und politischen Freiheiten im Lande sucht es mit dem angeblich an oberster Stelle rangierenden Recht auf Lebensunterhalt zu begründen. Tatsache ist, daß die eigentlichen Ziele und ideologischen Prinzipien des chinesischen Kommunismus, der die Pflichten des Individuums gegenüber dem Staat über seine Rechte setzt, den Menschenrechtsdiskurs in der VR China seinem Inhalt und seiner Natur nach von vornherein einschränken. Politisch heikle und unberechenbare Regionen wie Tibet, Xinjiang und Taiwan waren schon immer Pekings Achillesferse, wo nationale Stabilität und Einheit vor den grundlegenden Menschenrechten den Vorrang haben. Es wird sich herausstellen, wie lange China noch fortfahren kann, die freie Rede und andere bürgerliche Freiheiten einzuschränken, in Anbetracht dessen, daß es eine zunehmend wichtigere Rolle in der Weltpolitik und Weltwirtschaft übernehmen will, wo ein Defizit an Menschenrechten immer noch ein Stein des Anstoßes und den guten Beziehungen zwischen den Nationen abträglich ist.Seit der Mitte der neunziger Jahre hat Peking intensive Lobbyarbeit auf der internationalen Bühne geleistet, um den Konfrontationskurs, den viele Länder in ihren Beziehungen zu China in Sachen Menschenrechte an den Tag legten, in bilateralen Dialog umzuwandeln, in dem es das Gesicht wahren kann. Die Tatsache, daß der bilaterale Dialog durch fehlende Transparenz, Verantwortungsgefühl und zeitliche Begrenzung gekennzeichnet ist, hat die einzelnen Länder leider nicht davon abgehalten, diesen konfrontationslosen Weg einzuschlagen. Ein solch allseitiges Entgegenkommen wird zumeist den umfangreichen wirtschaftlichen Versprechungen Chinas und seiner Bedeutung als einer aufsteigenden Supermacht zugeschrieben.

In dem am 22. Dezember 2005 veröffentlichten Weißbuch über Friedensentwicklung wird bekräftigt, daß „China sich nicht unabhängig und ohne den Rest der Welt entwickeln kann, während die Welt umgekehrt China braucht, wenn sie zu Wohlstand gelangen will“. Die meisten Länder der dritten Welt folgen China brav nach, während der entwickelte liberale Westen sich „in unterschiedlichem Grade und auf vielerlei Weise“ auf es eingestimmt hat. Der chinesische Außenminister Li Zhaoxing sagte, als er einen Überblick über Chinas diplomatische Erfolge 2005 gab, das Land könne trotz der komplexen internationalen Strukturen entscheidende Erfolge auf der diplomatischen Bühne verzeichnen. Bei solch einem Szenario kann man natürlich auf keinen echten Fortschritt in Sachen Menschenrechten hoffen, weil das Thema auf ein rein diplomatisches Manöver und bloße politische Effekthascherei reduziert wird. Das Europäische Parlament äußerte sich in seiner Resolution vom 8. September 2005 enttäuscht über das Ausbleiben realer Ergebnisse bei diesem Dialog.

Präsident Hu Jintao, ein Parteiführer der vierten Generation, der jetzt als Vorsitzender der Zentralen Militärkommission, als Generalsekretär der Kommunistischen Partei und als Präsident Chinas die drei höchsten Ämter im Staat innehat, ist ein Mann mit vielen Facetten. Bei aller Ungewißheit über seine politischen Ansichten und Standpunkte wird Präsident Hu als ein „unnachgiebiger Mann an der Spitze beschrieben, der entschlossen ist, das kommunistische Machtmonopol aufrechtzuerhalten“. Andererseits kam es seit der Wiederaufnahme der chinesisch-tibetischen Kontakte im September 2002 zu vier Gesprächsrunden zwischen den Vertretern des Dalai Lama und den zuständigen Funktionären der chinesischen Regierung. Der Dalai Lama ist voller Anerkennung für Chinas wirtschaftliche Entwicklung in Tibet, er würdigt Chinas Aufstieg zu einem großen Akteur auf der globalen politischen Bühne und hält weiterhin an seinem seit langem verfolgten Mittleren Weg fest, auf daß alle Tibeter in den drei traditionellen Provinzen Tibets sich echter und sinnvoller Autonomie innerhalb des von der Verfassung der VR China vorgegebenen Rahmens erfreuen können.

Trotz der kümmerlichen Reaktion von chinesischer Seite begrüßen viele Staaten diese Diskussionen und hoffen, daß se Herstellung von Kontakten irgendwann zu wirklichen Ergebnissen führen möge. Der Vizeminister Zhu Weigqun (stellvertretender Leiter der Einheitsfrontabteilung der chinesischen Kommunistischen Partei) äußerte sich erfreut, daß die direkten Kontakte sich stabilisiert hätten und zu einer Art festen Einrichtung geworden seien und fügte hinzu, die noch bestehenden Differenzen könnten ja durch weitere Treffen und regelmäßigen Meinungsaustausch eingegrenzt werden. Die Gesandten des Dalai Lama sagten, ein wichtiger Anfang sei gemacht worden, und betonten die Notwendigkeit für beide Parteien, ihre Aufrichtigkeit und ihr Vertrauen durch kleine, aber konkrete Schritte zu beweisen.

Schlussbemerkung

Die eigentliche Ursache für die Verletzung der Menschenrechte der Tibeter - ihrer bürgerlichen und politischen, sowie ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte - wird zu Recht in der Verweigerung des Rechtes auf Selbstbestimmung und in der mangelnden Anwendung und der Mißachtung der Gesetze gesehen. China macht Propaganda und behauptet, dank seiner Politik, der Garantien der Verfassung und der internationalen Bestimmungen des Völkerrechts, denen es verpflichtet ist, würden den Bürgern alle Freiheitsrechte gewährt.

Seit der Gründung der TAR 1965 sollte Tibet aufgrund der Verfassung und des Gesetzes über regionale ethnische Autonomie von 1984 Autonomie auf den Gebieten der Politik, Wirtschaft, Religion, Kultur, Wirtschaftunternehmungen, Ressourcen, Bildung und weiteren genießen. Das Muster, das sich in den vier Jahrzehnten chinesischer Herrschaft jedoch in Tibet herausgebildet hat, ist das einer zentralen Kontrolle und einer von oben nach unten ausgerichteten Politik, die mit der notorischen Sorge um Stabilität und der Phrasendrescherei über die Entwicklung verbrämt wird. Solch eine Vorgehensweise hat zur Folge, daß den Tibetern die ihnen zustehenden Rechte auf Autonomie und Selbstbestimmung verweigert werden, die von Chinas Verfassung und von dem vielgerühmten Gesetz über regionale nationale Autonomie garantiert werden - natürlich auch von dem Internationalen Abkommen über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR) und dem Internationalen Abkommen über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (ICESCR). Die unverminderte Forderung tapferer Tibeter nach Menschenrechten und Freiheit inmitten einer repressiven Atmosphäre, die nicht weniger werdenden Berichte über Menschenrechtsverletzung an Tibetern in allen Lebensbereichen und der alljährliche Exodus unzähliger tibetischer Flüchtlinge sind ein deutlicher Beweis dafür, daß es in Tibet keine echte Autonomie gibt, der sich das Volk erfreute.

Das TCHRD ist der Ansicht, daß ein positives Ergebnis der Vorverhandlungs-Kontakte zwischen Dharamsala und Peking im Sinne echter Selbstverwaltung und sinnvoller Autonomie mehr Grundrechte und Freiheiten für das tibetische Volk bedeutete. Die US-Außenministerin Condoleezza Rice bezeichnete Freiheit, Demokratie und Menschenrechte als „nicht verhandelbare Voraussetzungen der Menschenwürde“. Das TCHRD möchte auch die Bedeutung von Offenheit, Transparenz, Verantwortungsgefühl, Freiheit und Respekt vor der Rechtsstaatlichkeit für China hervorheben. Andernfalls werden noch so viele kosmetische Veränderungen, hohle Phrasen und der Erlaß von Vorschriften und Neuformulierungen der Politik bei der Menschenrechtslage in China keinen echten Fortschritt bewirken. Angesichts des drohenden Verlustes der tibetischen Identität ist es höchste Zeit, daß die Regierung in Peking begreift, daß der Dalai Lama „nicht der Stein des Anstoßes, sondern der Schlüssel für die Lösung des Tibetproblems ist“ und damit auf lange Sicht auch für die Erreichung von Stabilität in Tibet.

Portrait eines politischen Gefangenen: Mönch willkürlich inhaftiert

Der 32 Jahre alte Tsering Dhondup wurde im Dorf Bushang, Gemeinde Ridrong, Distrikt Phenpo Lhundrup, TAR, geboren. Er besuchte einige Jahre lang die Grundschule in seinem Dorf und mit 17 Jahren wurde er im Kloster Sera in Lhasa zum Mönch ordiniert. Dort war er anfänglich für die Betreuung der Statuen im Tempel zuständig, ein Jahr später wurde ihm die Verantwortung für den Klosterladen übertragen.

Tsering verschwand im Juli 2005 plötzlich aus dem Kloster. Sein älterer Bruder und die Klosterleitung suchten verzweifelt nach ihm, konnten ihn aber nirgendwo finden, weshalb sie sich große Sorgen um sein Wohlbefinden machten.

Dreizehn Tage später informierten Mitarbeiter einer Polizeistation von Lhasa das Kloster per Telefon, daß Tsering sich in ihrem Gewahrsam befinde. Sie sagten, er würde politischer Aktivitäten bezichtigt und zum Verhör festgehalten. Als Tserings älterer Bruder und einige seiner Mitmönche ihn im Polizeirevier besuchen wollten, wurde ihnen mitgeteilt, daß er bereits ins Haftzentrum Gutsa verlegt worden sei, wo er weiter verhört werde. Unbestätigten Informationen zufolge soll er wegen des Anbringens von Plakaten für die Unabhängigkeit Tibets verhaftet worden sein. Andere Quellen berichten, er hätte Bilder des Dalai Lama verteilt, die er zuvor jemandem in großer Menge abgekauft hätte. Um Beweismaterial sicherzustellen, durchsuchte die Polizei gründlich Tserings Zimmer sowie den Klosterladen. Es wurde jedoch kein belastendes Material gefunden. Da keine Beweise für die Anschuldigungen gegen Tsering vorliegen, hoffen seine Angehörigen auf eine positive Entwicklung des Falles. Derzeit befindet er sich aber immer noch in Haft, ohne daß Anklage gegen ihn erhoben worden wäre.

Es gab noch mehr Fälle von Festnahmen im Kloster Sera. Im Zuge der Kampagne für „patriotische Erziehung“ wurden im Mai 2005 acht Mönche verhaftet. Ihr Aufenthaltsort ist nicht bekannt. Um den Geburtstag des Dalai Lama am 6. Juli herum wurde das Kloster dieses Jahr besonders massiv überwacht. Berichten zufolge wurden chinesische Polizeikräfte im Kloster und in seiner Umgebung stationiert, um die Aktivitäten der Mönche genau zu beobachten. Am 6. Juli selbst war den Mönchen das Verlassen des Klostergeländes verboten.