September 2004
Human Rights Update
September 2004

Inhalt:


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  1. Drei Tibeter verhaftet, weil sie gegen den Erzabbau in ihrer Gegend protestierten
  2. Nachruf auf Jampa Phuntsok
  3. Bericht eines Mönchs über die ungerechte Auswahl der Kandidaten für die Prüfung zum Geshe Lharampa
  4. Zweite Anti-Terror-Militärübung in Tibet
  5. Ngawang Gyaltsen nach 15 Jahren Gefängnis entlassen
  6. UN Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftung besucht Tibet
  7. Das US-Außenministerium übt in seinem Religionsbericht Kritik an China
  8. Mönche wegen Grenzüberschreitung schwer geschlagen
  9. Portrait eines politischen Gefangenen: Zimmermann zu sechs Jahren Haft verurteilt

Teil 1

Drei Tibeter verhaftet, weil sie gegen den Erzabbau in ihrer Gegend protestierten

Bestätigten, dem TCHRD zugegangenen Berichten zufolge wurden drei Tibeter aus dem Distrikt Sog (chin. Suo Xian) von dem dortigen Public Security Bureau (PSB) festgenommen, weil sie gegen den Abbau von Erzen in der Gegend protestiert hatten.

Die drei Tibeter, Dejor, 40, Tsering Dawa, 40, und Thartsok, 33, wurden am 4. September 2004 in dem Dorf Sari, Gemeinde Yongnak, Distrikt Sog, TAR, verhaftet. Es heißt, alle drei seien derzeit in dem Haftzentrum der Präfektur Nagchu (chin. Nagqu) inhaftiert.

Im Juli 2004 kamen Arbeiter von der Bergbau-Abteilung der Präfekturverwaltung von Nagchu in das Dorf Sari, um dort nach Bodenschätzen zu graben. Die dort ansässigen Tibeter protestierten jedoch gegen ihre Absichten und konnten sie zum Einstellen ihrer Arbeit bewegen. Es wurde berichtet, daß es zu hitzigen Wortgefechten zwischen den Tibetern und den Präfektur-Beamten in dieser Sache kam. Daraufhin erstatteten die Vertreter der Bergbau-Abteilung einen Bericht über den Vorfall an die Behörden des Distrikts Sog. Ende August trafen Beamte von der Distriktverwaltung von Sog begleitet von PSB-Polizisten in dem Dorf ein, um den Vorfall zu untersuchen. Dejor, Tsering Dawa und Thartsok wurden als die Anführer des Protestes identifiziert und kurz darauf am 4. September bei sich zu Hause festgenommen.

Auf diese Verhaftung hin richtete eine Gruppe von Tibetern ein Gesuch an die Behörden, die drei Männer freizulassen, mit der Begründung, ihr Protest sei lediglich ihrer Sorge um die Erhaltung der Umwelt zuzuschreiben. Die Behörden schlugen den Appell jedoch in den Wind, denn sie argwöhnen, daß politische Motive hinter dem Protest stecken. Die Angehörigen der drei Verhafteten sollen in großer Unruhe sein, denn den dreien drohen harte Gefängnisstrafen.

In der UN Deklaration über das Recht auf Entwicklung (UNDRD) steht, daß die einzelnen Staaten eine angemessene nationale Politik betreiben müssen, "welche die ständige Steigerung des Wohls der gesamten Bevölkerung und aller Einzelpersonen auf der Grundlage ihrer aktiven, freien und sinnvollen Teilhabe am Entwicklungsprozeß und an der gerechten Verteilung der daraus erwachsenden Vorteile zum Ziele hat".

Teil 2

Nachruf auf Jampa Phuntsok

Der ehemalige politische Gefangene Jampa Phuntsok ist am Morgen des 17. September 2004 im Alter von 75 Jahren verstorben. Das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) entbietet ihm auf diesem Wege seine Hochachtung.

Jampa Phuntsok wurde 1927 in dem in der Nähe von Lhasa befindlichen Distrikt Phenpo Lhundrup geboren. Bereits in früher Jugend trat er in den Hardong Khangtsen des Klosters Sera Jhe ein. Nach vier Jahren in Sera wechselte er ins Kloster Namgyal, wo er sich für die nächsten 22 Jahre dem Studium der buddhistischen Schriften widmete. Als die Chinesen 1959 Tibet überrannten, griff Jampa zu den Waffen und kämpfte in Phenpo und Namtso gegen die Invasoren. Die Chinesen nahmen Jampas Angehörige zu Geiseln gefangen, um ihn zum Aufgeben seines Widerstandes zu zwingen. Wegen der großen Gefahr, die seiner Familie drohte, ergab sich Jampa im März 1960 der chinesischen Armee.

Insgesamt war er 18 Jahre lang in verschiedenen Gefängnissen inhaftiert, wie den Haftzentren von Phenpo Lhundrup, Phenpo Galtok, Powo Sumdo und Nyingtri.

Als die erste Erkundungsdelegation der Exilregierung 1979 Tibet besuchte, saß Jampa im Gefängnis von Nyingtri ein. Es gelang ihm, dem Delegationsmitglied Lobsang Samten eine kurze Schilderung der damaligen Situation in Tibet zu geben. Jampa, der seine Gefangenenuniform trug, ging mit einigen Äpfeln in der Hand auf ihn zu. Es wurde sogar ein Photo von den beiden gemacht. Als die chinesischen Behörden davon erfuhren, brandmarkten sie Jampa als "Schwarzhut". Seine Haftstrafe wurde um sechs Jahre verlängert, und er wurde nach Powo Tramo verlegt.

1984 bat Jampa um Erlaubnis, seine wegen einer schweren Krankheit bettlägerige Tante in Lhasa besuchen zu dürfen. Während er sich in Lhasa befand, kam eine neue Verordnung heraus, der zufolge die Häftlinge von nun an Arbeitsdienst zu leisten hatten, weshalb er nicht ins Gefängnis zurückkehren mußte. Jampa ging zunächst einmal in Retreat auf dem südlich des Klosters Sera gelegenen Hügel.

Während des Mönlam-Gebetsfestes am 3. März 1988 erhob sich Jampa Phuntsok plötzlich mitten aus einer Menge von mehr als 2.000 Mönchen, Pilgern, ausländischen Touristen und chinesischen Kadern, die auf dem Platz nahe des Jokhang-Tempels in Lhasa versammelt waren. Mehrere Minuten lang forderte er Freiheit für Tibet. Er wurde zwar nicht unmittelbar verhaftet, doch am 17. März 1988, als er in seine Klause zurückkehren wollte, nahmen ihn, wie nicht anders zu erwarten war, chinesische PSB-Kräfte in Gewahrsam. Wegen seiner Protestaktion wurde Jampa zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, die er im Trakt Nr. 4 der Haftanstalt Sangyip und später im Trakt Nr. 1 der Vollzuganstalt Outridu verbüßte.

Im März 1991 wurde Jampa aus der Haft entlassen. Insgesamt hatte er über 26 Jahre in chinesischen Gefängnissen und Arbeitslagern verbracht. Gleich nach seiner Entlassung plante er eine weitere Protestaktion für den "Vierzigsten Jahrestag der friedlichen Befreiung Tibets". Seine Freunde und einige Wohlmeinende rieten ihm jedoch davon ab, statt dessen sollte er nach Indien zu gehen, um von dort aus die Öffentlichkeit über das Schicksal Tibets aufzuklären. Jampa traf im Oktober 1991 im indischen Dharamsala ein und übte dort bis zu seinem Tod die Funktion des Verwalters des Namgyal Klosters aus.

Im Exil gab Jampa den geschundenen Tibetern eine Stimme und war so etwas wie ein Sprecher für die tibetischen Gefangenen. Exiltibetern wie auch Menschen aus dem Westen war er als der "tapfere, magere alte Mönch" bekannt, "der den Besatzern während des Mönlamfests getrotzt hatte".

Das TCHRD zollt Jampa Phuntsok seine Hochachtung ob seiner festen Überzeugung und seinem Mut, das auszusprechen, was sein Gewissen ihm gebot.

Teil 3

Bericht eines Mönchs über die ungerechte Auswahl der Kandidaten für die Prüfung zum Geshe Lharampa

Der 37 Jahre alte Mönch Gendun Tsundue, mit Laienname Tsering Dorjee, erreichte am 24. Juli 2004 das Empfangszentrum für tibetische Flüchtlinge (Tibetan Refugee Reception Centre = TRRC) in Nepal. Gendun berichtete dem TCHRD über die Auswahl der Kandidaten für die Prüfungen zu dem unlängst wieder eingeführten Rang des Geshe Lharampa (höchster Gelehrtengrad in der Gelugpa-Schule des tibetischen Buddhismus) und die Aktivitäten der chinesischen Behörden im Kloster Ganden.

Die Behörden bestimmten sechs Mönche - jeweils zwei aus den Klöstern Drepung, Sera und Ganden -, die vor 16 Prüfern zum Vorexamen anzutreten hatten. Diese sechs Mönche wurden jedoch nicht auf Grund ihrer Leistungen ausgewählt, sondern weil die Behörden sie als besonders loyal einschätzten.

1988 verboten die Chinesen das große Gebetsfest Mönlam Chenmo, das sie als eine feudale Praxis darstellten, die bei den Massen ein Gefühl von tiefer Unzufriedenheit auslöse. Indessen kündigten sie neulich an, das Fest dürfe ab 2005 wieder abgehalten werden. Die Kandidaten, die den Geshe Lharampa-Grad anstreben, müssen sich zusätzlich zu den traditionellen Studienfächern mit sechs politischen Büchern befassen, um die Prüfung bestehen zu können.

Gendun berichtete dem TCHRD auch von der "patriotischen Umerziehung" im Kloster Ganden, sowie dem Ausschluß derjenigen Mönche, die angeblich zu jung seien. Um die fünfzig Mönche wurden wegen ihres Bekenntnisses zum Dalai Lama schwer bestraft. Gendun Tsundue ist aus dem Dorf Dolhung, Gemeinde Torden, Distrikt Tsekhong, TAP Malho, Provinz Qinghai, gebürtig.

Teil 4

Zweite Anti-Terror-Militärübung in Tibet

Die Volksbefreiungsarmee (People's Liberation Army, PLA), die Bewaffnete Volkspolizei (People's Armed Police, PAP) und das Büro für Öffentliche Sicherheit (Public Security Bureau, PSB) führten in Lhasa am 13. September 2004 zum zweiten Mal eine Anti-Terror-Übung durch, die unter dem Vorzeichen der Abwehr eines unerwarteten Terrorangriffs stand. Die erste Übung dieser Art mit der Bezeichnung "Himalaya 03" fand im November 2003 statt.

Die Absicht der Regierung, den globalen Kampf gegen den Terror zu manipulieren, wurde bereits am 27. Oktober 2001 bei der neunten Sitzung der 24. Versammlung des Chinesischen Nationalen Volkskongresses (Chinese National People's Congress, NPC) deutlich, als der Antrag des Staatsrats, China solle sich der internationalen Kampagne gegen "Terrorismus, spalterische Aktivitäten und Fanatismus" anschließen, gebilligt wurde. Der damalige Vorsitzende des NPC (National People's Congress) Li Peng, sagte: "Chinas Entscheidung, der globalen Kampagne beizutreten, ist im Hinblick auf die spalterischen Aktivitäten im Lande klug und wird sich bei unserer entschiedenen Bekämpfung von Terrorakten als hilfreich erweisen, egal ob diese nun von Feinden innerhalb oder außerhalb des Landes ausgehen".

Der hoch angesehene buddhistische Lehrer Tulku Tenzin Delek aus Lithang in der Provinz Sichuan wurde beschuldigt, an einer Reihe von Sprengstoffexplosionen, die am 3. April 2002 in Chengdu stattgefunden hatten, beteiligt gewesen zu sein, und deshalb am 7. April 2002 verhaftet. Am 2. September 2003 verurteilte der Mittlere Volksgerichtshof von Kardze ihn mit zweijährigem Aufschub zum Tode. Das Todesurteil seines Mitangeklagten Lobsang Dhondup wurde ohne Aufschub verhängt und sofort nach der Ablehnung seiner Berufung durch den Obersten Volksgerichtshof der Provinz Sichuan vollstreckt.

Dem TCHRD bereitet es große Sorge, daß Peking die globale Kampagne gegen den Terror zur Unterdrückung gewaltloser tibetischer Aktivisten mißbraucht.

Teil 5

Ngawang Gyaltsen nach 15 Jahren Gefängnis entlassen

Dem TCHRD liegen bestätigte Informationen darüber vor, daß Ngawang Gyaltsen im Juni 2004 aus der Haft entlassen wurde.

Ngawang, welcher der Geheimorganisation "Gruppe der Zehn" angehört hatte, war ursprünglich zu einer 17-jährigen Haftstrafe verurteilt worden. Er kam jedoch vorzeitig aus dem Gefängnis frei, da ihm eine Strafverkürzung von 2 Jahren gewährt worden war.

Zuerst wurde Ngawang am 27. September 1987 verhaftet, weil er mit zwanzig weiteren Mönchen aus Drepung eine Protestaktion organisiert hatte. Damals wurde er nach vier Monaten im Untersuchungsgefängnis Gutsa wieder auf freien Fuß gesetzt. Danach schloß er sich der "Gruppe der Zehn" an. Zusammen mit seinen Gefährten brachte er Plakate an, auf denen Freiheit und Menschenrechte für Tibet gefordert wurden.

Ngawang und sein Freund Kelsang Thutop wollten nach Indien fliehen. Eine chinesische Grenzpatrouille nahm die beiden jedoch am 13. Mai 1989 an der nepalesisch-chinesischen Grenze fest. Sie wurden nach Lhasa zurückgebracht und im Untersuchungsgefängnis der TAR festgehalten. Während der Verhöre wurden beide schwer geschlagen.

Der Mittlere Volksgerichtshof von Lhasa verurteilte Ngawang und weitere Mitglieder der "Gruppe der Zehn" am 28. November 1989 zu Haftstrafen unterschiedlicher Länge. Ngawang bekam wegen "konterrevolutionärer Propaganda" und "illegalem Grenzübertritt" 17 Jahre Gefängnis und ihm wurden für die Dauer von fünf Jahren alle bürgerlichen Rechte aberkannt.

Ngawang Gyaltsen, alias Ngodup Gyaltsen, 38, wurde im Kreis Toelung Dechen im Süden des Stadtbezirks von Lhasa geboren. 1984 wurde er in Drepung zum Mönch ordiniert. Ngawang Phulchung und Jampel Jangchub, die ebenfalls zu der "Gruppe der Zehn" gehörten, sind noch immer im Drapchi-Gefängnis inhaftiert. Die übrigen wurden nach Verbüßung ihrer Haftstrafen im Laufe der Jahre entlassen.

Teil 6

UN Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftung besucht Tibet

Die Working Group on Arbitrary Detention (WGAD) der Vereinten Nationen stattete vom 19. - 30. September der VR China, darunter auch Tibet, einen Besuch ab. Einer UN-Presseerklärung vom 16. September zufolge war die Delegation in Peking, Chengdu, in der Provinz Sichuan und in Lhasa.

Die Delegation, die unter der Leitung der Vorsitzenden der WGAD Leila Zerrougui stand, beabsichtigte, "eine große Zahl verschiedener Haftzentren, wie Gefängnisse, Lager zur Umerziehung durch Arbeit, psychiatrische Anstalten und Polizeistationen zu besuchen". Treffen mit Vertretern der Justiz, der Öffentlichen Sicherheit und des Auswärtigen standen auf dem Programm, sowie Gespräche mit Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten. Die Delegation wollte auch ehemalige Häftlinge und Familienangehörige von noch in Haft befindlichen Personen treffen, um einen Einblick in die wahre Lage zu bekommen. Der Bericht der Delegation wird bei der 61. Sitzung der UN Menschenrechtskommission in Genf, die im März-April 2005 stattfinden wird, vom WGAD vorgelegt werden.

In einer am 5. Oktober in Genf herausgegebenen Erklärung heißt es, die chinesische Regierung habe, verglichen mit den vorhergehenden Besuchen von 1996 und 1997, im großen und ganzen "eine bessere Kooperation und Transparenz" gezeigt. Die Experten begrüßten es auch, daß unlängst der chinesischen Verfassung die Klausel "der Staat respektiert und bewahrt die Menschenrechte" hinzugefügt wurde. Dennoch möchte die Gruppe "betonen, daß die vier Empfehlungen, die sie in ihrem Bericht von 1997 formulierte, bis heute nicht in die Tat umgesetzt wurden".

Dazu gehören: die Aufnahme einer klaren Aussage zum Prinzip der Unschuldsvermutung, solange die Schuld nicht erwiesen ist, in die Strafgesetze, sowie eine eindeutige Definition des Begriffs der "Gefährdung der nationalen Sicherheit" - eine Anklage, die Menschenrechtsgruppen zufolge häufig gegen Dissidenten erhoben wird. Weiterhin empfahl die Gruppe, vom chinesischen Gesetz müsse ausdrücklich garantiert werden, daß Personen, die "ihre Rechte im Sinne der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte friedlich ausüben", von der Strafverfolgung ausgeschlossen sind. Die vierte der Empfehlungen von 1997 forderte, die Praxis, Menschen ohne gerichtliche Entscheidung oder Kontrolle durch die Justiz zur "Umerziehung-durch-Arbeit" zu verurteilen, so schnell wie möglich zu beenden.

Willkürliche Festhaltung ist eine der gravierendsten Menschenrechtsverletzungen in Tibet. Die staatlichen Vollzugsorgane nehmen Tibeter, die eine abweichende politische Meinung haben, willkürlich fest. Diejenigen, welche nach ihrem Gewissen sprechen, werden oft ohne Kenntnis der Außenwelt über längere Zeiträume inhaftiert und während der Verhöre in den Haftzentren gefoltert. Die Angehörigen der Opfer werden nicht informiert - die Personen sind einfach verschwunden.

Gedun Choekyi Nyima, der im Alter von 6 Jahren als der 11. Panchen Lama anerkannt wurde, verschwand am 17. Mai 1995. Seit seinem Verschwinden sind nun 9 Jahre vergangen. Das TCHRD begrüßt diese Mission der UN nach China und Tibet. Das Zentrum ist überzeugt, daß die durch Besuche von UN-Experten gewonnenen Informationen aus erster Hand zur Verbesserung der Menschenrechtslage in Tibet beitragen werden.

Teil 7

Das US-Außenministerium übt in seinem Religionsbericht Kritik an China

Am 15. September 2004 veröffentlichte das US-Außenministerium seinen aktuellen Bericht zur Religionsfreiheit in aller Welt. Der Bericht übt Kritik an Chinas Umgang mit religiösen Fragen: Es heißt darin, die chinesische Regierung zeige "kaum Respekt vor der Religion" und praktiziere "ein hohes Maß an Unterdrückung".

Weiter wird ausgeführt, daß "in den tibetischen Gebieten von China sowohl die religiöse Praxis als auch die Stätten der Anbetung weiterhin von der Regierung strikt überwacht" würden. Gedun Choekyi Nyima, Tulku Tenzin Delek Rinpoche, Geshe Sonam Phuntsok und der verstorbene Nyima Drakpa werden in dem Bericht ausdrücklich erwähnt. Auch wird auf die im Vergleich zu anderen tibetischen Regionen relativ angespannte Lage in der TAP Kardze in der Provinz Sichuan hingewiesen.

Die Vereinigten Staaten fordern die Zentralregierung Chinas sowie die Lokalbehörden zur Achtung der Religionsfreiheit und zum Schutz religiöser Traditionen auf.

Auszüge aus dem Bericht

Die Religionsfreiheit ist in der Verfassung der VR China festgeschrieben. Im Weißbuch der Regierung zur "Regionalen ethnischen Autonomie in Tibet" steht: "Die Tibeter genießen vollständige Religionsfreiheit". Dennoch übt die Regierung weiterhin strenge Kontrolle über die Religionsausübung und die Andachtsstätten in den tibetischen Regionen von China aus. Obwohl die Behörden viele traditionelle religiöse Praktiken wie auch öffentliche Glaubensbekundungen gestatten, unterdrücken sie unverzüglich und gewaltsam alle Aktivitäten, welche in ihren Augen als Vehikel für politischen Dissens dienen oder die tibetische Unabhängigkeit befürworten, wie zum Beispiel religiöse Handlungen zu Ehren des Dalai Lama (dem die chinesische Regierung "Spaltertum" vorwirft).

Die Regierung kontrolliert den Zugang zu allen tibetischen Gebieten, insbesondere zur TAR, sowie den Informationsfluß aus diesen, womit es schwierig wird, den Umfang der Verletzung der Religionsfreiheit genau zu definieren. Die Kampagne "patriotische Umerziehung", die Mitte der 90er begann, wurde 2000 offiziell abgeschlossen, doch die Zwangsschulungen, bei denen Mönchen und Nonnen politische Loyalität beigebracht werden soll, gehen weiter. Die Kernpunkte der "patriotischen Umerziehung", nämlich die Abkehr vom Dalai Lama und die Forderung, Tibet als einen Teil Chinas anzuerkennen, rufen weiterhin bei den tibetischen Buddhisten Unmut hervor. Dutzende von Mönchen und Nonnen sitzen nach wie vor im Gefängnis, weil sie sich der "patriotischen Umerziehung" widersetzt hatten.

Wie das TCHRD berichtete, schlossen die Behörden im Juli 2003 die Klosterschule Ngaba Kirti in der Präfektur Ngaba, Provinz Sichuan, und luden ihren Hauptsponsor Soepa Nagur nach Chengdu, der Hauptstadt Sichuans, vor. 1994 mit Privatgeldern gegründet, um Kindern in dieser ländlichen Gegend eine traditionelle tibetische und monastische Erziehung zu vermitteln, rief die Schule 1998 den Argwohn der Behörden hervor. Die Offiziellen zwangen sie, ihren Namen zu ändern und säkulare Fächer in den Lehrplan aufzunehmen, schließlich legten sie die Schule mit einer anderen in der Nähe gelegenen Einrichtung zusammen.

Im Oktober 2003 starb der tibetische Mönch Nyima Dragpa aus dem Distrikt Dawu in der Präfektur Kardze, Provinz Sichuan, in der Gefangenschaft. Er verbüßte eine 9-jährige Strafe wegen Staatsgefährdung. Auf Grund eines Briefes, den der Mönch vor seinem Tod verfaßt haben soll, führen NGOs und ausländische Beobachter seinen Tod auf die im Gefängnis erlittenen Mißhandlungen zurück. Im November 2002 starb der tibetisch-buddhistische Mönch Lobsang Dhargyal, dem Vernehmen nach an einer Hirnblutung in einem Lager zur "Reform durch Arbeit" in der Provinz Qinghai. Das TCHRD schreibt den Tod des Mönches den Folterungen und Mißhandlungen in der Haft zu. Es gab weder eine offizielle Bestätigung von Lobsang Dhargyals Tod noch eine Untersuchung der Umstände.

Chadrel Rinpoche, der hochrangige Lama, der von der Regierung des Verrats von Staatsgeheimnissen beschuldigt wird, weil er dem Dalai Lama bei der Identifizierung der Inkarnation des 11. Panchen Lama beistand, wurde einer offiziellen Verlautbarung zufolge im Januar 2002 aus der Haft entlassen. Aus anderen Quellen verlautet jedoch, Chadrel Rinpoche stehe in der Nähe von Lhasa unter Hausarrest; von offizieller Seite wurde dies bis jetzt nicht bestätigt, und die Bitte der internationalen Gemeinschaft, ihn besuchen zu dürfen, wurde verweigert. Die Behörden wiederholen stereotyp, Chadrel Rinpoche widme sich in der Abgeschiedenheit dem Studium heiliger Schriften. Im August 2003 berichtete das TCHRD, Champa Chung, der 56-jährige ehemalige Mitarbeiter von Chadrel Rinpoche, werde selbst nach dem Ablauf seiner ursprünglich 4-jährigen Gefängnisstrafe 1999 immer noch in Gewahrsam gehalten.

Im August 2003 wurden fünf Mönche und ein namentlich nicht identifizierter Künstler wegen angeblicher separatistischer Aktivitäten, wie dem Zeichnen einer tibetischen Nationalflagge, dem Besitz von Bildern des Dalai Lama und der Verteilung von Pamphleten mit der Forderung nach Unabhängigkeit für Tibet, zu Haftstrafen von 1 bis 12 Jahren verurteilt. Die Mönche - Zoepa, Tsogphel, Sherab Dargye, Oezer und Migyur - kommen alle aus dem Kloster Khangmar in der Präfektur Ngaba, Provinz Sichuan.

Die Behörden verboten den Tibetern, den Geburtstag des Dalai Lama am 6. Juli öffentlich zu begehen. Die Wahrnehmung anderer größerer religiöser Feste wie des Monlam Chenmo und des Drepung Shodon waren von einer etwas gelockerteren Atmosphäre und einem geringerem Aufgebot an Sicherheitskräften als in den letzten Jahren geprägt, doch den Lehrern und Studenten der Tibet Universität wurde 2004 untersagt, das Saga Dawa Fest zu feiern.

Am 12. Februar nahm die Polizei, wie von Radio Free Asia berichtet, Choeden Rinzen, einen Mönch aus dem Kloster Ganden, wegen Besitzes einer tibetischen Nationalflagge und eines Bildes des Dalai Lama fest. Zwei Gefährten Choeden Rinzens sollen ebenfalls festgenommen, jedoch später wieder freigelassen worden sein.

Was die Langzeitgefangenen angeht, gab es einige positive Entwicklungen . Am 18. April entließen die Behörden den tibetisch-buddhistischen Mönch Ngawang Oezer nach Vollendung seiner 15-jährigen Strafe wegen Beteiligung an Unabhängigkeits-Aktivitäten im Kloster Drepung aus dem TAR-Gefängnis. Im August 2003 hatte Ngawang Oezer eine Strafminderung von 2 Jahren erhalten.

Teil 8

Mönche wegen Grenzüberschreitung schwer geschlagen

Dhondup Tsering (22), Tashi Dhargay (19) und Dhondup Namgyal sind drei Mönche aus dem Kloster Dhargyeling. Sie stammen aus dem Dorf Dechen, Gemeinde Tamdoe, Distrikt Dechen in der Provinz Yunnan. Als sie versuchten ihren Traum, nämlich eine Audienz beim Dalai Lama in Indien, Wirklichkeit werden zu lassen, hatten die Mönche sehr viel auszuhalten. Tashi ist herzkrank und leidet an Ulzera, dennoch wurde er mehrmals von Polizisten zusammengeschlagen. Beim zweiten Fluchtversuch schafften sie es nach Indien.

Dhondup Tsering berichtete dem TCHRD: "Dhagyeling ist ein kleines Kloster mit nur 20 Mönchen. Ich trat im Alter von 12 Jahren dort ein und studierte fast zehn Jahre lang buddhistische Philosophie. Gemeinsam mit Dhondup Namgyal und Tashi Dhargay bat ich den Abt unseres Klosters, Thaldhoe Rinpoche, um Erlaubnis, nach Indien reisen zu dürfen, weil wir dort um eine Audienz beim Dalai Lama nachsuchen wollten.

Am 1. Dezember 2003 machten wir uns nach Lhasa auf. Dort nahmen wir Kontakt mit einem nepalesischen guide auf, und jeder von uns gab ihm 4.000 Yuan, damit er uns über die Grenze bringe. Am 29. Dezember 2003 brachen wir auf. Nachdem wir die nepalesische Grenze überquert hatten, wurden wir bei Barabesi von einer mehr als 30 Mann starken Patrouille der nepalesischen Armee verhaftet. Ein Nepali-Offizier verhörte uns in tibetischer Sprache und schlug und trat uns gleichzeitig brutal. Die Soldaten filzten uns gründlich und nahmen uns 1.500 Yuan ab, einigen in unserer Gruppe sogar 2.900 Yuan.

Eine Nacht lang wurden wir ohne Nahrung und unter strenger Bewachung in eine Toilette gesperrt. Gegen 11.00 h am nächsten Vormittag wurden wir den chinesischen Sicherheitsbehörden in Dram übergeben. Sie verhörten uns alle einzeln und schlugen uns dabei schwer, ohne Rücksicht auf Tashi Dhargay zu nehmen, der unter Magengeschwüren und Herzproblemen litt. Wir wurden in eine Zelle ohne Pritschen und Beleuchtung gepfercht.

Später verlegten sie uns ins Untersuchungsgefängnis Nyalam und hielten uns dort bei unzureichender Versorgung mit Nahrung weitere 11 Tage fest. Danach wurden wir in das neue Gefängnis in Shigatse gebracht, in dem ungefähr 200 Rückkehrer aus dem Exil einsaßen. Unsere Gruppe wurde jedoch separat in einer anderen Zelle weitere 23 Tage inhaftiert, ehe man uns nach Lhasa schaffte. Dort angekommen, ordneten die Behörden an, daß wir an unseren jeweiligen Herkunftsort zurückzukehren hatten.

Auf Grund der brutalen Schläge verschlechterte sich Tashis Gesundheitszustand, weshalb er sich in ein chinesisches Krankenhaus begeben mußte. Dort wurde er zwei Monate lang stationär behandelt, wofür ihm insgesamt 8.100 Yuan an Gebühren berechnet wurden. Ein Verwandter war ihm bei der Begleichung der Geldforderung behilflich.

Als Tashi wieder genesen und aus dem Krankenhaus entlassen war, machten wir uns zum zweiten Mal nach Indien auf. Es war der 2. Juli 2004. Diesmal heuerten wie keinen guide an. Glücklicherweise erreichten wir ohne größere Probleme das Empfangszentrum für tibetische Flüchtlinge in Kathmandu."

Teil 9

Portrait eines politischen Gefangenen: Zimmermann zu sechs Jahren Haft verurteilt

Der heute 50 Jahre alte Tashi Topgyal wurde im Dorf Thong, Gemeinde Yamo, Distrikt Ngamring, Präfektur Shigatse, TAR, geboren. Er hat drei Söhne und ernährte sich und seine Familie durch Landwirtschaft. Schon früh erlernte er nebenbei das Zimmermannshandwerk und übte dieses in seiner freien Zeit zwischen den Ernten aus. Er arbeitete auch auf Baustellen und stellte Holzmöbel für den Haushalt her.

Im August 2002 wurden auf dem Gemeindemarkt mehrere Plakate gefunden, auf denen Unabhängigkeit für Tibet gefordert wurde - manche waren angeklebt, andere lagen verstreut herum. Eine Reihe von PSB Polizeibeamten aus dem Distrikt Ngamring und der Präfektur Shigatse führten Ermittlungen und Befragungen durch, um den für die Tat Verantwortlichen zu identifizieren. Sie ermittelten auch in den benachbarten Dörfern und verhörten alle verdächtigen Personen. Dennoch konnten sie den "Übeltäter" nicht finden.

Im Verlauf ihrer weiteren Nachforschungen fiel der Verdacht der Behörden auf Tashi, weshalb sie am 22. Oktober 2002 sein Haus durchsuchen ließen. Dabei fanden sie die "Autobiographie des Dalai Lama" und die "Leitlinien für die politische Zukunft Tibets". Bei den Nachbarn wurden ebenfalls Haussuchungen durchgeführt.

Wenige Tage nach Tashis Verhaftung nahm das PSB auch Ngodup Dorjee, einen Bankangestellten in der Distriktsbank Ngamring, in Gewahrsam, weil in seinem Haus eine tibetische Flagge gefunden worden war.

Tashi wurde vorerst im Untersuchungsgefängnis von Shigatse inhaftiert und dort während der Verhöre brutal gefoltert. Die Behörden teilten seinen Angehörigen nichts über seinen Aufenthaltsort mit. Die Familie machte sich große Sorgen wegen seines Verschwindens, denn sie konnte ihn nirgends lokalisieren.

Mitte 2003 verurteilte der Mittlere Volksgerichtshof von Shigatse Tashi Topgyal wegen "Gefährdung der Staatssicherheit durch regierungsfeindliche Propaganda" zu sechs Jahren Haft. Ende 2003 wurde Tashi ins Gefängnis Drapchi in Lhasa verlegt, wo er weiterhin einsitzt. Seine Entlassung steht erst für 2009 an.